OGH 4Ob215/09k

OGH4Ob215/09k23.2.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin J***** I*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar und Mag. Norbert Marschall, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Antragsgegner A***** W*****, vertreten durch Dr. Winfried Sattlegger und andere Rechtsanwälte in Linz und Wien, wegen Unterhalt, über die Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23. September 2009, GZ 43 R 511/09d-58, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 2. Juni 2009, GZ 30 Fam 1/08t-48, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beide Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Revisionsrekursbeantwortungen werden gegeneinander aufgehoben.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Das Rekursgericht hat den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung zugelassen, es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob die steuerliche Entlastung eines geldunterhaltspflichtigen Elternteils durch teilweise Anrechnung der Familienbeihilfe (RIS-Justiz RS0117023, RS0117082, RS0117084, RS0117015, RS0117016) auch dann vorzunehmen sei, wenn das Kind nach dem Tod des früher betreuenden Elternteils die Familienbeihilfe selbst beziehe.

2. Richtig ist, dass in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bisher ausschließlich Fälle zu beurteilen waren, in denen die Familienbeihilfe dem betreuenden Elternteil ausgezahlt wurde. Betrachtet man allerdings die Begründung dieser Rechtsprechung, so zeigt sich, dass die Person des Empfängers völlig unerheblich ist. Denn die Anrechnung hat aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen (VfGH G 7/02 ua, Slg 16.562; B 1285/00, Slg 16.226) zu erfolgen, um den Geldunterhaltspflichtigen steuerlich zu entlasten. Diese Entlastung ist unabhängig davon erforderlich, ob die Familienbeihilfe dem Unterhaltsberechtigten (wie hier) unmittelbar oder (durch Auszahlung an den betreuenden Elternteil) bloß mittelbar zukommt. Auch aus Sicht des Unterhaltsberechtigten besteht kein Grund für eine Differenzierung. Denn er steht bei einer unmittelbaren Auszahlung ohnehin besser als bei einer Auszahlung an den betreuenden Elternteil, da er in diesem Fall nicht der Gefahr ausgesetzt ist, dass die Familienbeihilfe widmungsfremd verwendet wird. Gründe dafür, dass trotzdem bei einem Eigenbezug entgegen den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs keine steuerliche Entlastung des Unterhaltsberechtigten erforderlich wäre, sind nicht zu erkennen.

Aus der eingangs zitierten Rechtsprechung ist daher ohne jeden Zweifel abzuleiten, dass die steuerliche Entlastung des Unterhaltspflichtigen auch bei einer unmittelbaren Auszahlung der Familienbeihilfe an den Unterhaltsberechtigten zu erfolgen hat (so ausdrücklich Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht4 [2009] 104).

3. Auch sonst zeigen die Rechtsmittel keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung auf.

3.1. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Anrechnung der Waisenpension als Eigeneinkommen der Antragstellerin entspricht der ständigen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0047345). Zur konkreten Bemessung des Unterhaltsanspruchs folgte das Rekursgericht der Entscheidung 10 Ob 2/08d (= EvBl 2008/123): Dort war der Geldunterhaltsanspruch eines in Eigenpflege lebenden Kindes zu beurteilen gewesen, dessen Mutter aufgrund ihres geringen Einkommens zur Leistung von Geldunterhalt nicht in der Lage war. Für die Bemessung des Anspruchs gegen den Vater zog der Oberste Gerichtshof den durch das Eigeneinkommen reduzierten Unterhaltsbedarf des Kindes heran, begrenzt jedoch durch die nach der Prozentsatzmethode ermittelte Leistungsfähigkeit des Vaters. Der Unterhaltspflichtige hat daher in einem solchen Fall allein die „Deckungslücke" zu füllen, die sich aus der Differenz zwischen dem Bedarf des Unterhaltsberechtigten und dessen Eigeneinkommen ergibt; dies allerdings nur nach Maßgabe seiner eigenen Leistungsfähigkeit (Prozentsatzunterhalt). Eine Aufteilung der Deckungslücke zwischen den Eltern (RIS-Justiz RS0047403; vgl auch Gitschthaler, Unterhaltsrecht2 [2008] Rz 26, und Schwimann/Kolmasch aaO 83 f; beide mwN) kommt mangels Leistungsfähigkeit des anderen Elternteils nicht in Betracht. Gleiches muss gelten, wenn - wie hier - ein Elternteil verstorben ist, sodass der andere Elternteil schon aus diesem Grund allein zur Leistung von Unterhalt verpflichtet ist.

Im vorliegenden Fall haben die Parteien die diesen Grundsätzen entsprechende Berechnungsmethode des Rekursgerichts nicht beanstandet. Dass die Antragstellerin über allenfalls zu berücksichtigende Ansprüche nach § 142 ABGB verfügte, hat der Antragsgegner nicht behauptet.

3.2. Die Antragstellerin stützt sich darauf, dass sie aufgrund der konkreten Einkommensverhältnisse ab einem bestimmten Zeitpunkt besser stünde, wenn ihr die Familienbeihilfe zur Gänze als Eigeneinkommen angerechnet würde, statt sie im Sinne der eingangs dargestellten Rechtsprechung zur steuerlichen Entlastung des Antragsgegners in einem zweiten Schritt nach der Ermittlung des nach zivilrechtlichen Grundsätzen zustehenden Unterhalts zu berücksichtigen. Das trifft tatsächlich für vier Monate im Jahr 2007 zu. Allerdings unterbliebe bei dieser Vorgangsweise die nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs erforderliche Entlastung des Unterhaltspflichtigen. Sie ist daher nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar.

3.3. Gründe für die vom Antragsgegner gewünschte vollständige Anrechnung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrags als Eigeneinkommen sind nicht erkennbar. Die unterhaltsrechtliche Beurteilung dieser Transferleistungen ist durch die eingangs dargestellte Rechtsprechung vorgegeben. Sie gelten danach nicht als Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten, sondern sind ausschließlich im Rahmen der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen zu berücksichtigen.

Die im Revisionsrekurs des Antragsgegners zitierte Entscheidung 6 Ob 89/01h (= ÖA 2001, U 341, 312) ist vor den beiden maßgebenden Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs (G 7/02 ua; B 1285/00) ergangen; zudem betraf sie die Frage, ob die Familienbeihilfe in die Bemessungsgrundlage für Unterhaltsansprüche gegen das sie beziehende Kind einzubeziehen sei.

3.4. Auf allfällige unterhaltsrechtliche Folgen der Steuerreform 2009 (dazu Kolmasch, Die Anrechnung der Familienbeihilfe auf den Kindesunterhalt nach der Steuerreform 2009, Zak 2009, 163; Heiderer, Kinderfreibetrag nach § 106a EStG und Unterhaltsbemessung, EF-Z 2009, 208) stützen sich die Revisionsrekurse nicht. Darauf ist daher nicht weiter einzugehen.

3.5. Nach ständiger Rechtsprechung ist kurzfristiges Ferialeinkommen eines Unterhaltsberechtigten bei der Unterhaltsbemessung nicht als Eigeneinkommen zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0117200). Grund dafür ist der Umstand, dass solche Beträge in einer intakten Familie regelmäßig dem Kind überlassen würden. Inwieweit das im Einzelfall auf bestimmte Einkommensbestandteile zutrifft, begründet, von Fällen einer krassen Fehlbeurteilung abgesehen, keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung. Im vorliegenden Fall hat das Rekursgericht seinen insofern bestehenden Ermessensspielraum jedenfalls nicht überschritten.

4. Aus diesen Gründen sind die Revisionsrekurse zurückzuweisen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 AußStrG. Beide Parteien haben in den Rechtsmittelbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses der Gegenseite hingewiesen, sodass diese Schriftsätze grundsätzlich zu honorieren sind. Bemessungsgrundlage ist nach § 9 Abs 2 und 3 RATG die Jahresleistung der im Rechtsmittel der Gegenseite geforderten Erhöhung bzw Verminderung; auf Rückstände kommt es dabei - wie auch bei der Beurteilung des Streitwerts nach § 58 JN - nicht an. Da die Antragstellerin beim laufenden Unterhalt eine Erhöhung um 23,60 EUR und der Antragsgegner eine Verminderung um 20 EUR begehrt, sind die Kosten der Rechtsmittelbeantwortungen gegeneinander aufzuheben.

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