OGH 4Ob175/19t

OGH4Ob175/19t24.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*****, vertreten durch Mag. Heinz Kupferschmid und Mag. Gerhard Kuntner, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Gemeinde H*****, vertreten durch Mag. Dr. Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in Graz, wegen Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 29. Juli 2019, GZ 5 R 121/19d‑29, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00175.19T.1024.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der klagende Verein schloss mit der beklagten Gemeinde – nach Beschlussfassung durch den Gemeinderat – eine Vereinbarung über die näher bezeichnete Nutzung einer Eishalle (samt Büro, Umkleiden und Sanitäranlagen) gegen Entgelt, berechnet nach konsumierten Eiszeiteinheiten für den Zeitraum 30. November 2007 bis 30. April 2012, wobei in dieser Vereinbarung die Möglichkeit einer Verlängerung festgehalten wurde. Der Kläger nutzte und verwaltete die Halle aufgrund dieses Vertrags zu den Eiszeiten nach einem Terminplan alleine. 2012 kamen die Streitteile in einen „Nachtrag zur Nutzungsvereinbarung“ – bei gleichzeitiger Erhöhung des Nutzungsentgelts und Aufrechterhaltung sämtlicher übriger Bestimmungen – überein, das Nutzungsverhältnis vom 1. Mai 2012 bis 30. April 2022 zu verlängern. Der neue Vertrag wurde vom Bürgermeister ohne Beschlussfassung des Gemeinderats unterfertigt. Der Kläger nutzte die Halle wie zuvor und zahlte auch das Nutzungsentgelt an die Beklagte, die es entsprechend verbuchte. Die weitere Nutzung und Zahlung durch den Kläger war den Mitgliedern des Gemeinderats bekannt, zumal die Halle von der Gemeinde ohne die Zahlungen des Klägers nicht mehr zu finanzieren gewesen wäre. Der Gemeinderat genehmigte auch jeden einzelnen Rechnungsabschluss der Beklagten, wobei im Rahmen des Gemeindebudgets auch das Nutzungsentgelt/die Miete des Klägers in den Jahren 2012 bis 2017 behandelt und genehmigt wurde. Alle Verantwortlichen in der Gemeinde, auch der Gemeinderat, waren bis 2016 mit der Nutzung durch den Kläger samt den Zahlungen zufrieden. Dies änderte sich erst, als angesichts massiver kaufmännischer Fehlleistungen des früheren Bürgermeisters der Rechnungshof den „Nachtrag zur Nutzungsvereinbarung“ als ungültig ansah, weil dieser ohne Gemeinderatsbeschluss nur vom vormaligen Bürgermeister unterfertigt worden sei, und er vermeinte, es wäre ein durch Verhandlungen zu bereinigender vertragsloser Zustand gegeben.

Die Vorinstanzen gaben dem klägerischen Feststellungsbegehren über den aufrechten Bestand eines (Miet-)Rechtsverhältnisses statt. Sie beurteilten das Rechtsverhältnis als Mietvertrag und bejahten – unter Hinweis auf die Entscheidung 7 Ob 140/17i – eine nachträgliche schlüssige Genehmigung durch den Gemeinderat bzw eine Vorteilszuwendung nach § 1016 zweiter Fall ABGB.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision bestreitet die Beklagte im Wesentlichen wegen Bestimmungen der Steiermärkischen Gemeindeordnung 1967 [stmk GemO], LGBl 1967/115 idgF, das Vorliegen eines aufrechten Nutzungsvertrags. Damit zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

1.1 Bestimmungen einer Gemeindeordnung, die bestimmte Rechtsgeschäfte dem Gemeinderat vorbehalten, sind nicht bloß interne Organisationsvorschriften, sondern beinhalten eine Beschränkung der allgemeinen Vertretungsbefugnis des Bürgermeisters (RS0014664). Eine Beschränkung der Vertretungsbefugnis des Bürgermeisters als Organ der Gemeinde wirkt somit gegen jeden Dritten (RS0014699 [T11]). Eine durch erforderlichen Gemeinderatsbeschluss nicht gedeckte Willenserklärung des Bürgermeisters bindet somit mangels Vertretungsbefugnis grundsätzlich die Gemeinde nicht (RS0014699 [T19]).

1.2 Nach der auch für Gemeinden geltenden Regel des § 1016 ABGB kann das Rechtsgeschäft nachträglich genehmigt und geheilt werden (RS0014699 [T39]). Auch eine schlüssige Genehmigung des vollmachtslosen Handelns des Bürgermeisters durch den Gemeinderat ist möglich (RS0014699 [T40]). Die Frage, ob nach den konkreten Umständen des Einzelfalls eine schlüssige Genehmigung des Gemeinderats noch anzunehmen, ist – vom Fall einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage (5 Ob 87/13z = RS0014110 [T28]).

2.1 Das konkrete Vertragsverhältnis bzw die Beurteilung des „Nachtrags zur Nutzungsvereinbarung“ war bereits Gegenstand der Entscheidung 7 Ob 140/17i. Das in diesem Provisorialverfahren von der Beklagten erhobene Rechtsmittel deckt sich inhaltlich weitgehend mit der hier erhobenen Revision.

2.2 Vom 7. Senat wurde zum einen unter Hinweis auf die (unter Punkt 1.1 referierte) Rechtsprechung klargestellt, dass Bestimmungen einer Gemeindeordnung die Vertretungsbefugnis des Bürgermeisters beschränken können. Zum anderen wurde aber auch (im Sinne der Judikatur zu Punkt 1.2) vertreten, dass ein ohne Einhaltung der entsprechenden Organisationsvorschriften geschlossener Vertrag unter bestimmten Voraussetzungen dennoch für wirksam erkannt bzw dessen nachträgliche Wirksamkeit bejaht wird. Die dort von den Vorinstanzen vertretene Rechtsansicht, wonach der Gemeinderat der nunmehrigen Beklagten die vollmachtslos abgeschlossene Vereinbarung schließlich genehmigt bzw sich die Gemeinde den Vorteil aus dem Geschäft zugewendet habe, wurde vom Obersten Gerichtshof gebilligt.

3. Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich im Rahmen der oben aufgezeigten Rechtsprechung und entsprechen dem Ergebnis im Provisorialverfahren der Parteien zu 7 Ob 140/17i. Das Rechtsmittel bietet keinen Anlass davon abzugehen.

3.1 Ebenso wie im zu 7 Ob 140/17i beurteilten Sachverhalt konnten auch im gegenständlichen Verfahren die Vorinstanzen jedenfalls vertretbar annehmen, dass der Gemeinderat die neue Vereinbarung durch sein jahrelanges passives Verhalten trotz Kenntnis von der Verlängerungsoption im zuvor bestehenden Vertrag, der danach erfolgten langjährigen Nutzung und den Zahlungen durch den Kläger schlüssig genehmigt hat und durch die Entgegennahme des Entgelts (mit Kenntnis des Gemeinderats) eine Vorteilszuwendung nach § 1016 zweiter Fall ABGB vorliegt.

3.2 Wegen der festgestellten Kenntnis (der Mitglieder) des Gemeinderats begründen auch die Ausführungen zur Frage, in welcher Form der Gemeinderat vom Vertragsabschluss des Bürgermeisters informiert werden muss, keine erhebliche Rechtsfrage. Zwar mögen die Mitglieder des Gemeinderats – im Unterschied zum zu 7 Ob 140/17i bescheinigten Sachverhalt – den Abschluss der „Nachtragsvereinbarung“ nicht gekannt haben, jedoch wussten sie von der Verlängerungsmöglichkeit sowie der jahrelangen Nutzung der Halle durch den Kläger nach Ablauf der früheren Bestandzeit und behandelten und genehmigten im Rahmen des Rechnungsabschlusses auch dessen Zahlungen. Wenn die Beklagte davon ausgeht, es genüge nicht, wenn nur der Gemeindevorstand oder eine Fraktion informiert worden wäre, entfernt sie sich von den getroffenen Feststellungen.

3.3 Die – unter dem neuen Bürgermeister – erst 2016 allenfalls gegenteilig gefassten Beschlüsse des Gemeinderats stehen einer davor liegenden – vertretbar angenommenen – Genehmigung nicht entgegen (ebenso bereits 7 Ob 140/17i).

4. Das Berufungsgericht hat das Vertragsverhältnis als Mietvertrag qualifiziert, dem tritt das Rechtsmittel nicht entgegen.

4.1 Die Ausführungen zur Anwendbarkeit des MRG können die Zulässigkeit der Revision schon deshalb nicht stützen, weil diese Frage nicht Gegenstand des Feststellungsbegehrens ist. Wenn die Beklagte letztlich selbst davon ausgeht, dass „ein Vertrag sui generis vor[liegt], der [...] Elemente des Bestandrechts […] aufweist“, ist nicht recht verständlich, warum das Feststellungsbegehren nicht berechtigt sein soll.

4.2 Auch die behauptete erforderliche Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde nach der früheren Fassung des § 90 Abs 1 Z 3 stmk GemO idF BGBl 2010/29, der mit LGBl 2019/29 (in Kraft getreten am 2. 4. 2019) geändert wurde, wirft schon mangels Relevanz keine Frage nach § 502 Abs 1 ZPO auf, weil mit der hier zu beurteilenden Vereinbarung kein Bestandvertrag mit einer unbefristeten Laufzeit oder einer solchen von mehr als 120 Monaten abgeschlossen wurde.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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