European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00159.17M.1109.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Teilurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 3.363,36 EUR (darin 537,01 USt [19 %]) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 5.569,81 EUR (darin 3.147,10 EUR Pauschalgebühr und 386,82 EUR USt [19 %]) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Inhaberin des europäischen Patents EP 1 371 421 B1 (im Folgenden kurz: Klagspatent) betreffend eine Spritzpistole für Handwerker. Das Klagspatent steht auch mit Wirkung für Österreich in Kraft.
In Verletzung des Klagspatents bot die erstbeklagte Partei entsprechende Spritzpistolen in Österreich und Deutschland an. Die klagende Partei hat ihren Sitz in Deutschland und erfuhr 2010, dass die erstbeklagte Partei den Verletzungsgegenstand in ihrem Onlineshop mit der Topleveldomain .de in Deutschland anbietet. Sie beauftragte einen deutschen Patentanwalt mit einem Testkauf. Dabei druckte dieser am 13. 4. 2010 folgendes Impressum aus, in dem die erstbeklagte Partei aufschien:
Auslieferungslager für Österreich & EU:
M***** AG
c/o G ***** GmbH
R***** AT-6800 Feldkirch
Aufgrund einer wegen Verletzung des Klagspatents vor dem Landgericht Mannheim 2011 eingebrachten Klage wurde der erstbeklagten Partei und einer Vertriebstochter der zweitbeklagten Partei mit rechtskräftigem Urteil dieses Gerichts vom 14. 1. 2014 verboten, die vom Patent geschützten Spritzpistolen in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen, zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen. Zudem wurden die beklagten Parteien zur Rechnungslegung, Auskunftserteilung, Vernichtung und Rückrufung der Erzeugnisse verurteilt.
In ihrer im Juni 2016 eingebrachten Klage warf die klagende Partei den beklagten Parteien Verletzungshandlungen auch in Österreich vor und begehrt, den beklagten Parteien zu untersagen, den Verletzungsgegenstand in Österreich anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen. Gleichzeitig begehrt sie Rechnungslegung, Auskunftserteilung und Zahlung (Stufenklage).
Die beklagten Parteien bestritten die Patentverletzungen nicht, wandten aber Verjährung ein. Aufgrund des vom deutschen Patentanwalt der klagenden Partei am 13. 4. 2010 vorgenommenen Ausdrucks des Impressums habe die klagende Partei bereits seit diesem Tag gewusst, dass die Auslieferungen der Produkte der zweitbeklagten Partei für Österreich und die EU über die erstbeklagte Partei und deren Lager in Österreich (Feldkirch) erfolgt sei. Damit sei die dreijährige Frist des § 1489 ABGB bereits abgelaufen.
Die klagende Partei replizierte zum Verjährungseinwand, dass aus dem Impressum keine konkreten Hinweise für eine Patentverletzung in Österreich ersichtlich seien. Ihr sei erst im Zuge der zwangsweisen Durchsetzung ihres Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruchs gemäß dem Urteil des Landgerichts Mannheim mitgeteilt worden, dass die beklagten Parteien auch in Österreich Schutzrechtsverletzungen begangen haben.
Das Erstgericht verwarf den Verjährungseinwand und gab mit Teilurteil dem Unterlassungs-, Rechnungslegungs- und Auskunftsbegehren statt. Die Ansprüche seien nicht verjährt, weil die klagende Partei von der Patentverletzung in Österreich erst 2014 erfahren habe. Der Umstand, dass dem deutschen Patentanwalt im Zuge der Vorbereitung eines Patentrechtsverletzungsverfahren in Deutschland das Impressum zur Kenntnis gelangt sei, wonach die Auslieferung aus Österreich erfolge, könne der Klägerin nicht als Wissen über eine weitere Schädigung in Österreich zugerechnet werden. Das Wissen des deutschen Patentanwalts von einem Verdachtsmoment einer Patentverletzung in Österreich, das allenfalls Erkundigungspflichten der Klägerin hervorrufen hätte können, sei ihr nicht zuzurechnen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien Folge und änderte das Teilurteil des Erstgerichts dahin ab, dass es die Klage mit Endurteil zur Gänze abwies. Die klagende Partei habe einen Patentanwalt mit der Vorbereitung eines Patentrechtsverletzungsverfahrens in Deutschland beauftragt. Diesem sei durch das Impressum ein konkreter Hinweis dafür vorgelegen, dass mögliche weitere Verletzungshandlungen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich stattgefunden hätten oder stattfinden hätten können. Den Patentanwalt habe aufgrund des Impressums eine Erkundungs- oder zumindest eine Informationsobliegenheit getroffen; sein Wissen sei der klagenden Partei zurechenbar, weil es vom Auftrag umfasst sei und auch innerhalb seines Aufgabenbereichs liege, Informationen in Bezug auf den Verletzungsgegenstand zu besorgen. Hätte die klagende Partei zumutbare weitere Nachforschungen (zB durch einen weiteren Testkauf) angestellt, hätte sie genügend Informationen erlangen können, um mit Aussicht auf Erfolg zu klagen.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil das Berufungsgericht in Bezug auf die Zurechnung des Wissens des Patentanwalts zu seinem Auftraggeber von der Rechtsprechung nicht abgewichen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.
1. Die Vorinstanzen haben zutreffend die zu § 1489 ABGB ergangene Rechtsprechung referiert, zumal nach § 154 PatG diese Bestimmung für die hier zu prüfenden Ansprüche auf Rechnungslegung und Auskunft anzuwenden ist. Auch die Verjährungfrist von Ansprüchen auf Unterlassung von Verstößen gegen das PatG bestimmt sich nach § 1489 ABGB analog (4 Ob 317/85 = SZ 58/86; 4 Ob 143/04i).
2. Die vom Berufungsgericht ausführlich behandelte Frage, ob der klagenden Partei das Wissen des von ihr beauftragten Patentanwalts zurechenbar ist, stellt sich hier nicht, weil die klagende Partei in ihrem vorbereitenden Schriftsatz selbst zugestanden hat, dass ihr der Inhalt des Impressums bereits 2010 bekannt war.
3.1 Zutreffend sind die Vorinstanzen auch davon ausgegangen, dass mit der bloßen Kenntnis vom Impressum allein noch keine positive Kenntnis über die (vom Begehren umfassten) Patentrechtsverletzungen in Österreich verbunden ist.
3.2 Der Umstand, dass dem Impressum eines Online-Shops ein „Auslieferungslager für Österreich“ zu entnehmen ist, bedeutet noch nicht zwingend, dass alle auf der Website angebotenen Waren (somit auch der Verletzungsgegenstand) in Österreich angeboten oder in Verkehr gebracht werden. Auch die Tatsache, dass der zum Test online gekaufte Gegenstand nach Deutschland geliefert wurde, indiziert keine Schutzrechtsverletzung in Österreich im Sinne der vom Klagebegehren umfassten Handlungen.
3.3 Weitere Umstände, die ein Wissen der klagenden Partei über die vorgeworfenen Patentrechtsverletzung in Österreich nahelegen, wurden von den dazu behauptungspflichtigen (RIS‑Justiz RS0034686 [T12]) beklagten Parteien nicht vorgebracht. Nach den Verfahrensergebnissen ist von einer positiven Kenntnis gesichert daher erst für die Zeit nach dem rechtskräftigen deutschen Urteil auszugehen, als der klagenden Partei im Zuge der zwangsweisen Durchsetzung ihres Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruchs (unstrittig) mitgeteilt wurde, dass die beklagten Parteien auch in Österreich Schutzrechtsverletzungen begangen haben. Das Gesagte korreliert mit der (dislozierten) Feststellung des Erstgerichts, dass die klagende Partei erst 2014 von der Patentrechtsverletzung in Österreich erfuhr.
4. Wenngleich § 1489 ABGB auf die Kenntnis von Schaden und Schädiger abstellt, darf sich der Geschädigte nach der Judikatur nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, dass er von der Person des Ersatzpflichtigen eines Tages zufällig Kenntnis erhält (RIS‑Justiz RS0065360). In gewissem Umfang wird eine Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten angenommen (RIS-Justiz RS0034686 [T12]), wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann (RIS‑Justiz RS0034524 [T21]; RS0034366 [T20]), wobei diese Obliegenheit nicht überspannt werden darf (RIS-Justiz RS0034327). Die bloße Möglichkeit der Kenntnis genügt grundsätzlich ebenso wenig wie die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen. Das Kennen-Müssen reicht daher grundsätzlich nicht aus (RIS‑Justiz RS0034366 [T3, T6]).
5. Ob das Vorbringen der beklagten Parteien den Vorwurf des Berufungsgerichts trägt, die klagende Partei habe mangels zumutbarer Nachforschungen gegen die sie treffende Erkundungsobliegenheit verstoßen, kann dahinstehen. Ein Verstoß gegen eine (allfällige) Erkundungsobliegenheit ist hier schon deshalb zu verneinen, weil die klagende Partei nach Kenntnis vom Impressum ohnedies mit ihrer (innerhalb der Verjährungsfrist eingebrachten) Klage beim Landgericht Mannheim (ua) auf Rechnungslegung und Auskunft (§ 140b dPatG) die vom Berufungsgericht vermissten „weiteren Nachforschungen“ durchgeführt hat. Darauf hat sich die klagende Partei im erst- und zweitgerichtlichen Verfahren ausdrücklich berufen.
6.1 Zum Inhalt der Auskunftspflicht normiert § 140b dPatG:
(1) Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten auf unverzügliche Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der benutzten Erzeugnisse in Anspruch genommen werden.
[...]
(3) Der zur Auskunft Verpflichtete hat Angaben zu machen über
1. Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Erzeugnisse oder der Nutzer der Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren, und
2. die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie über die Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse oder Dienstleistungen bezahlt wurden.
[…]
6.2 Zutreffend führt die klagende Partei im Rechtsmittel aus, dass der Auskunftsanspruch nach § 140b dPatG die Auskunft über Herkunft und den Vertriebsweg der benutzten Erzeugnisse umfasst. Der Auskunftspflichtige hat nach Abs 3 Z 1 leg cit Angaben über Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Erzeugnisse oder der Nutzer der Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen zu machen. Der Anspruch erstreckt sich auch auf patentverletzende Gegenstände und Vorgänge im Ausland (OLG Karlsruhe, 6 U 160/13 = GRUR-RS 2015, 06021).
6.3 Dabei ist hervorzuheben, dass § 140b dPatG die Bestimmung des Artikel 8 der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (DurchsetzungsRL) umsetzt, der wie folgt lautet:
Artikel 8
Recht auf Auskunft
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums auf einen begründeten und die Verhältnismäßigkeit wahrenden Antrag des Klägers hin anordnen können, dass Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren oder Dienstleistungen, die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen, von dem Verletzer und/oder jeder anderen Person erteilt werden, die
a) nachweislich rechtsverletzende Ware in gewerblichem Ausmaß in ihrem Besitz hatte,
b) nachweislich rechtsverletzende Dienst-leistungen in gewerblichem Ausmaß in Anspruch nahm,
c) nachweislich für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß erbrachte,
oder
d) nach den Angaben einer in Buchstabe a), b) oder c) genannten Person an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb solcher Waren bzw. an der Erbringung solcher Dienstleistungen beteiligt war.
(2) Die Auskünfte nach Absatz 1 erstrecken sich, soweit angebracht, auf
a) Die Namen und Adressen der Hersteller, Erzeuger, Vertreiber, Lieferer und anderer Vorbesitzer der Waren oder Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren;
b) Angaben über die Mengen der hergestellten, erzeugten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Waren und über die Preise, die für die betreffenden Waren oder Dienstleistungen gezahlt wurden.
[.]
Diese Richtlinie verfolgt vor allem das Ziel, die wirksame Durchsetzung des materiellen Immaterialgüterrechts auf Gemeinschaftsebene zu stärken und die diesbezüglichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten anzugleichen, dies als notwendige Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts (Erwägungsgrund 9 DurchsetzungsRL). Das Auskunftsrecht nach Art 8 DurchsetzungsRL ist dabei nicht territorial auf das Gebiet eines Mitgliedsstaats beschränkt. Nach dem Normzweck des Auskunftsrechts soll dem Verletzten vielmehr eine umfassende eigenverantwortliche Überprüfung von Herkunft und Vertriebsweg ermöglicht werden ( Ingerl/Rohnke , MarkenG 3 § 19 Rz 30; Rogge/Grabinski in Benkard , PatG 10 § 140b Rz 5). Dementsprechend ist nach § 140b dPatG Auskunft daher auch über im Ausland ansässige Dritte zu erteilen, auch wenn sie keinerlei Handlungen im (deutschen) Inland vorgenommen haben ( Rogge/Grabinski in Benkard , PatG 10 § 140b Rz 5; Kühnen , Handbuch der Patentverletzung 8 Rz 438; vgl für das Urheberrecht: OLG Köln NJOZ 2012, 1327; Czychowski in Nordemann/Nordemann , UrhR 11 § 101 UrhG Rz 91; für das Markenrecht Ingerl/Rohnke , MarkenG 3 § 19 Rz 30, 32).
6.4 Mit ihrer in Deutschland eingebrachten Klage hat die klagende Partei einer (allfälligen) Erkundigungsobliegenheit jedenfalls ausreichend entsprochen. Die Klagsführung hat letztlich auch zum Erfolg geführt und die klagende Partei in Kenntnis von den hier gegenständlichen Verletzungen gesetzt.
7. Der klagenden Partei könnte auch nicht vorgeworfen werden, dass sie eine andere (raschere) Alternative als den Klagsweg hätte beschreiten müssen, zumal der Verletzer gegenüber dem Verletzten die Auskunft gemäß § 140b dPatG unverzüglich, daher ohne schuldhaftes Zögern schuldet ( Mes in Mes , Patentgesetz 4 , § 140b Rz 37). Der Oberste Gerichtshof hat im Fall, dass der Geschädigte ein Gutachten einholen muss, um seiner Erkundigungspflicht nachzukommen, ausgesprochen, dass keine Pflicht besteht, den Sachverständigen zu urgieren (7 Ob 96/10h). Dies muss umso mehr gelten, wenn der Schädiger selbst zur Auskunft verpflichtet ist: Es kann den beklagten Parteien nicht zum Vorteil gereichen, wenn sie sich dem berechtigten Auskunftsanspruch der klagenden Partei über Jahre in einem Gerichtsverfahren, in dem sie schlussendlich unterlagen, widersetzten.
8. Der Revision war daher Folge zu geben und das Teilurteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
9. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Weil das (Teil-)Urteil über den Rechnungslegungs- und Auskunftsanspruch insoweit einem Endurteil entspricht, waren der siegreichen Revisionswerberin die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zuzusprechen (6 Ob 234/06i). Da die klagende Partei ihren Sitz in Deutschland hat, ist bei den begehrten Rechtsanwaltskosten Umsatzsteuer lediglich in Höhe der in Deutschland zu entrichtenden Umsatzsteuer zuzusprechen (RIS-Justiz RS0114955 [T12]).
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