OGH 4Ob120/21g

OGH4Ob120/21g27.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätin Dr. Kodek sowie den Hofrat MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Olischar, MBA, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R***** eGen, *****, vertreten durch Dr. Werner Paulinz, Rechtsanwalt in Korneuburg, die Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten W***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 32.681,74 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. April 2021, GZ 4 R 115/20s‑20, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00120.21G.0727.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin errichtete im Auftrag der Nebenintervenientin Wohn‑ und Gewerbebauten. Zur Sicherung des Werklohnanspruchs der Klägerin stellte die beklagte Bank im Auftrag der Nebenintervenientin eine Bankgarantie über 4.319.203,03 EUR zugunsten der Klägerin aus. Die Beklagte verpflichtete sich darin gegenüber der Klägerin zur Überweisung des genannten Betrags innerhalb von acht Banktagen nach Aufforderung. Die Klägerin zog die Garantie mit dem der Beklagten am 20. Juli 2018 zugegangenen Schreiben vom 18. Juli 2018.

[2] Am 25. Juli 2018 erließ das Bezirksgericht Liesing über Antrag der Nebenintervenientin eine einstweilige Verfügung, mit der es der Klägerin auftrug, den über 2.268.548,48 EUR hinausgehenden Garantieabruf zu widerrufen und jede Verfügung über den den genannten Betrag übersteigenden Garantieanspruch zu unterlassen. Der Beklagten (Dritte im Verfügungsverfahren) untersagte es die – auch nur teilweise – Auszahlung eines den genannten Betrag übersteigenden Garantiebetrags an die Klägerin und jede sonstige Verfügung über den (übersteigenden) Garantiebetrag. Das Mehrbegehren wies es rechtskräftig ab. Die einstweilige Verfügung wurde der Beklagten zugestellt, bevor acht Banktage nach Erhalt der Zahlungsaufforderung der Klägerin abgelaufen waren.

[3] Aufgrund des Rekurses der Klägerin änderte das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Beschluss vom 4. September 2018 den Beschluss des Bezirksgerichts Liesing im Sinne der Abweisung des Sicherungsantrags ab. Die Klägerin forderte daraufhin von der Beklagten die restlichen 2.050.654,55 EUR, die Nebenintervenientin die Unterlassung der (restlichen) Auszahlung zumindest bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss.

[4] Den von der Nebenintervenientin gegen die Rekursentscheidung erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 24. Oktober 2018 zu 8 Ob 140/18y zurück. Dieser Beschluss wurde den Parteien am 5. Dezember 2018 zugestellt. Die Klägerin forderte von der Beklagten am selben Tag die Zahlung des restlichen Garantiebetrags samt Zinsen seit 18. Juli 2018. Die Beklagte überwies den restlichen Garantiebetrag am 6. Dezember 2018, lehnte aber die Zahlung von Zinsen mit dem Hinweis auf mangelnde (frühere) Fälligkeit ab.

[5] Die Klägerin begehrt (kapitalisierte) Verzugszinsen aus dem restlichen Garantiebetrag für die Zeit von 18. Juli 2018 (Garantieabruf) bis 6. Dezember 2018 samt Zinsen. Die Beklagte habe die frühere Zahlung zu Unrecht verweigert. Das Drittverbot sei bloß ein Vollstreckungshindernis gewesen. Die – durch den Garantieabruf herbeigeführte – Fälligkeit sei dadurch aber nicht (nachträglich) weggefallen. Der für den Zinsenlauf maßgebliche Zeitpunkt für den objektiven Verzug sei mit dem Abruf der Bankgarantie am 18. Juli 2018 eingetreten.

[6] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.

[7] Das Erstgericht ging davon aus, dass das Drittverbot eine Stundung bewirkt habe und die Zahlung des restlichen Garantiebetrags bis zur rechtskräftigen Aufhebung des Drittverbots nicht fällig gewesen sei. Die Beklagte sei daher nicht verpflichtet gewesen, vor Zustellung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu leisten. Da die Beklagte den Betrag innerhalb der vereinbarten Leistungsfrist von acht Tagen, nämlich am 6. Dezember 2018, gezahlt habe, bestehe das Zinsenbegehren nicht zu Recht.

[8] Das Berufungsgericht schloss sich dieser Rechtsansicht an und wies darauf hin, dass sich die Beklagte zur Überweisung des Garantiebetrags innerhalb von acht Banktagen nach Aufforderung verpflichtet habe. Die Fälligkeit hätte daher frühestens erst zu einem Zeitpunkt eintreten können, als das Drittverbot der Beklagten bereits zugestellt worden war. Das zentrale Argument der Klägerin, dass die einstweilige Verfügung erst nach Eintritt der Fälligkeit erlassen worden sei, erweise sich daher als unzutreffend. Durch das Drittverbot sei somit die zum Zeitpunkt seiner Erlassung noch nicht eingetretene Fälligkeit der Garantieforderung hinausgeschoben worden. Diese Aufschiebung sei erst mit der Zustellung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs weggefallen. Das Berufungsgericht ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[9] In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die klagende Partei keine erhebliche Rechtsfrage iSv § 502 Abs 1 ZPO auf.

[10] Die Klägerin stützt die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels ausschließlich auf Fragen zum Eintritt der Fälligkeit ihrer Forderung und geht davon aus, dass die einstweilige Verfügung erst nach der Fälligkeit der Forderung durch den früheren Garantieabruf erlassen worden sei. Zur Problematik, bis zu welchem Zeitpunkt die Fälligkeit hinausgeschoben war, wirft die Klägerin keinerlei Rechtsfragen auf.

[11] 1. Verzugszinsen setzen den Eintritt der Fälligkeit voraus (§ 1333 Abs 1 ABGB; vgl zB 1 Ob 53/15y; 3 Ob 164/20v).

[12] 2.1 Die Fälligkeit richtet sich primär nach (ausdrücklicher oder konkludenter) Vereinbarung (§§ 904, 1417 ABGB; RIS‑Justiz RS0123392). Ob aber ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, ist nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936). Auch die im Rahmen eines Garantievertrags abgegebenen Erklärungen des Garanten unterliegen den Auslegungsregeln der §§ 914, 915 ABGB (RS0033002; RS0017670), sodass deren Interpretation ebenfalls regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft (4 Ob 176/20s).

[13] 2.2 Es steht fest, dass sich die Beklagte nach der Bankgarantie verpflichtet hat, den Garantiebetrag ohne Prüfung des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses und unter Verzicht auf jedwede Einwendung innerhalb von acht Banktagen nach Erhalt der von der Klägerin mittels eingeschriebenen Briefes erfolgten ersten Aufforderung auf das von der Klägerin bezeichnete Bankkonto zu überweisen. Wenn die Vorinstanzen die Garantie dahin ausgelegt haben, dass der Beklagten nach Aufforderung noch eine Leistungsfrist von acht Banktagen zugestanden ist, nach deren Ablauf ihre Zahlungsverpflichtung erst fällig wurde, liegt darin jedenfalls ein vertretbares Auslegungsergebnis.

[14] Insoweit die Klägerin die Rechtsmeinung vertritt, aus der gewählten Formulierung „innerhalb von acht Banktagen“ könne man (im Gegensatz zu einer Variante „nach acht Banktagen“ ) nicht ableiten, dass die Forderung erst nach acht Tagen fällig geworden sei, wird damit keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen.

[15] 3.1 Nach gesicherter Rechtsprechung wird durch das Drittverbot die Fälligkeit einer Garantieforderung (und nicht bloß deren Geltendmachung) bis zum Ablauf der Zeit, für welche die einstweilige Verfügung erlassen worden war, hinausgeschoben (6 Ob 537/88, 7 Ob 7/12y; RS0005222). Das gilt jedenfalls dann, wenn das Drittverbot vor dem Eintritt der Fälligkeit der Garantieforderung wirksam geworden ist, wovon auch die Klägerin ausgeht.

[16] 3.2 Im Verfügungsverfahren wurde der hier beklagten Bank als Dritte in erster Instanz untersagt, einen bestimmten Betrag an die Klägerin auszuzahlen. Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass sie zu diesem Zeitpunkt die Garantie bereits wirksam abgerufen habe. Ausgehend von den Feststellungen, wonach der Beklagten das Drittverbot aber bereits vor Ablauf der acht Banktage nach erfolgter Aufforderung durch die Klägerin zugestellt wurde, hält sich die angefochtene Entscheidung im Rahmen der referierten Rechtsprechung. Wenn die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, dass sich die Beklagte vor Wirksamkeit des Drittverbots mangels Fälligkeit noch gar nicht in Verzug befand, weshalb sie der Klägerin keine Verzugszinsen schulde, bedarf das keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

[17] 4. Die gerügte Mangelhaftigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Entgegen den Vorwürfen in der außerordentlichen Revision hat sich das Berufungsgericht mit dem zentralen Argument der Berufung (Eintritt der Fälligkeit) umfassend auseinandergesetzt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte