OGH 3Ob23/24i

OGH3Ob23/24i17.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des S* B*, hier wegen Bestellung eines Rechtsbeistands im Verfahren (§ 119 AußStrG), über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Rechtsbeistands Dr. D* B*, Rechtsanwalt in *, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. November 2023, GZ 55 R 75/23t‑11, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 28. September 2023, GZ 5 P 153/23d‑8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00023.24I.0417.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Erwachsenenschutzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht bestellte nach der Erstanhörung des Betroffenen den jetzigen Revisionsrekurswerber, einen Tiroler Rechtsanwalt, mit sofortiger Wirksamkeit gemäß § 119 AußStrG zum Rechtsbeistand im Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters geprüft wird. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Betroffene nach der Aktenlage nicht in der Lage sei, alle seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Insbesondere die Vertretung vor Behörden stelle eine solche Angelegenheit dar. Auch die Vertretung in finanziellen Angelegenheiten sei nicht ausreichend gegeben.

[2] Das Rekursgericht gab dem vom Rechtsanwalt gegen seine Bestellung erhobenen Rekurs nicht Folge. Dieser verkenne, wenn er sich darauf berufe, dass keine konkreten Angelegenheiten vorhanden seien, die iSd § 274 Abs 5 ABGB nur von juristisch kenntnisreichen Personen besorgt werden könnten, dass er noch nicht zum endgültigen Erwachsenenvertreter für den Betroffenen bestellt worden sei. Der erstgerichtliche Beschluss betreffe ausschließlich seine Bestellung zum Rechtsbeistand nach § 119 AußStrG. Gründe, die gesetzlich oder nach seinen personellen Verhältnissen dagegen sprächen, zunächst lediglich diese Aufgabe zu übernehmen, die nur darin gelegen sei, die Rechtmäßigkeit bzw Angemessenheit der vom Erstgericht beabsichtigten nächsten Verfahrensschritte zu beurteilen, seien nicht dargetan worden. Die Rekursausführungen seien nichts anderes als die Mitteilung allenfalls der Bestellung zum endgültigen Erwachsenenvertreter entgegenstehender Gründe.

[3] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung, seine Entscheidung sei auf den Einzelfall zugeschnitten, nicht zu.

[4] Gegen diese Entscheidung richtet sich der aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revisionsrekurs des Rechtsanwalts mit dem Antrag, seine Bestellung zum Vertreter nach § 119 AußStrG ersatzlos aufzuheben.

[5] Der Betroffene machte von der ihm vom Senat eingeräumten Möglichkeit zur Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung (siehe dazu RS0006229 [T7]; Gitschthaler, Prozess‑ und Verfahrensfähigkeit minderjähriger und besachwalteter Personen, RZ 2003, 175 [181]) nicht Gebrauch.

[6] Der Revisionsrekurs ist gemäß § 62 Abs 1 AußStrG zulässig, weil die (erkennbare) Ansicht des Rekursgerichts, §§ 274 und 275 ABGB seien bei einer Bestellung nach § 119 AußStrG nicht von Bedeutung, von der – noch darzustellenden – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht. Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Die Bestellung einer Person zum Rechtsbeistand iSd § 119 AußStrG betrifft auch ihre eigene Rechtssphäre iSd § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG. Der Bestellte ist daher im eigenen Namen legitimiert, gegen die Bestellung Rechtsmittel zu ergreifen (4 Ob 238/22m [Rz 13 f]). Die Rechtsmittellegitimation des Revisionsrekurswerbers ist somit zu bejahen.

[8] 2. Gemäß § 119 Satz 1 AußStrG hat das Gericht, wenn das Verfahren zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters aufgrund der Ergebnisse der Erstanhörung fortzusetzen ist, für einen Rechtsbeistand der betroffenen Person im Verfahren zu sorgen. Hat sie keinen geeigneten gesetzlichen oder selbstgewählten Vertreter, so hat das Gericht für sie nach Satz 2 leg cit mit sofortiger Wirksamkeit einen Vertreter für das Verfahren zu bestellen.

[9] 3.1. Im Verfahren zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters liegt das Schwergewicht der Probleme mehr im Tatsächlichen und weniger im Rechtlichen. Aus diesem Grund muss nach allgemeiner Ansicht im Normalfall weder der bestellte noch der selbst gewählte Vertreter nach § 119 AußStrG Notar oder Rechtsanwalt sein (RS0110988; Bauer/Hengl in Barth/Ganner, Handbuch des Erwachsenenschutzrechts3 [2018] 843; Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 [2019] § 119 Rz 20 ua).

[10] 3.2. Ist aufgrund besonderer Umstände die Bestellung eines Notars oder Rechtsanwalts zum Erwachsenenvertreter notwendig, muss dies im Bestellungsbeschluss begründet werden (1 Ob 97/12i [Pkt 8] = EvBl-LS 2012/149 [Brenn]). Für einen Bestellungsbeschluss nach § 119 AußStrG kann nichts anderes gelten.

[11] 3.3. Im vorliegenden Fall enthalten die Entscheidungen der Vorinstanzen keine solche Begründung. Die Notwendigkeit der Bestellung eines Rechtskundigen zum Rechtsbeistand im Verfahren nach § 119 AußStrG ist derzeit auch nicht aus dem Akt ersichtlich, geht es doch nur um die Vertretung des Betroffenen in einem an sich „gewöhnlichen“ Erwachsenenvertreterbestellungsverfahren; es liegt insofern ein „Normalfall“ im Sinne der Ausführungen in Pkt 3.1. vor.

[12] 4. Bei Beurteilung der Pflicht zur Übernahme des Amtes des Rechtsbeistands im Verfahren nach § 119 AußStrG sind nach ständiger Rechtsprechung und allgemeiner Ansicht in der Literatur die Bestimmungen der §§ 273 ff ABGB über die Bestellung eines Erwachsenenvertreters sinngemäß heranzuziehen (RS0110987; 6 Ob 147/21t [Rz 8]; 4 Ob 41/23t [Rz 14]; Bauer/Hengl aaO 844; Schauer aaO Rz 20 ua). Notare und Rechtsanwälte sind daher nach § 274 ABGB zwar grundsätzlich zur Übernahme des genannten Amtes verpflichtet, haben aber in den Fällen des § 275 ABGB ein Ablehnungsrecht (Deixler‑Hübner in Deixler‑Hübner/ Schauer, Erwachsenenschutzrecht – Handbuch [2018] Rz 5.40; Schauer aaO Rz 22 ua). Erfolgt – wie hier – die Bestellung, ohne, dass der bestellte Rechtsanwalt oder Notar Gelegenheit hatte, sein Ablehnungsrecht auszuüben, so kann dieses im Rekurs bzw erforderlichenfalls im Revisionsrekurs gegen den Bestellungsbeschluss geltendgemacht werden (Stefula in KBB7 [2023] § 275 Rz 1).

[13] In sinngemäßer Anwendung des § 275 Z 1 ABGB besteht dann ein Recht eines Notars oder Rechtsanwalts (oder eines entsprechenden Berufsanwärters), der nicht aufrecht in der Liste von zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeigneten Notaren oder Rechtsanwälten eingetragen ist, zur Ablehnung der Übernahme der Vertretung des Betroffenen iSd § 119 AußStrG, „wenn die Besorgung der Angelegenheiten nicht vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert“. Dies ist, wie bereits in Pkt 3 ausgeführt, hier nach der derzeitigen Aktenlage der Fall. Weil der Revisionsrekurswerber nicht in der Liste der Tiroler Rechtsanwaltskammer nach § 275 ABGB iVm §§ 10b, 28 Abs 1 lit o RAO von zur Übernahme von Vorsorgevollmachten und gerichtlichen Erwachsenenvertretungen besonders geeigneten Rechtsanwälten eingetragen ist, ist er derzeit berechtigt, seine Bestellung zum Rechtsbeistand im Verfahren nach § 119 AußStrG abzulehnen.

[14] In Stattgebung des Revisionsrekurses sind damit die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Das Erstgericht wird – nach allfälliger Verfahrensergänzung – neuerlich nach § 119 AußStrG Beschluss zu fassen haben.

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