OGH 3Ob207/13g

OGH3Ob207/13g28.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Roman Kosch als Kollisionskurator, dieser vertreten durch Dr. Roman Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei H*****, vertreten durch Dr. Eva Wagner, Rechtsanwältin in Wiener Neustadt, wegen Ehescheidung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 5. Juli 2013, GZ 16 R 155/13b‑26, womit der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 15. Februar 2013, GZ 9 C 22/12h‑20, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Erstgerichts, die im Umfang des Ausspruchs der Ehescheidung als in Rechtskraft erwachsen unberührt bleibt und die Entscheidung des Berufungsgerichts werden im Umfang des Verschuldensausspruchs und der Kostenentscheidungen aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Der 1975 zwischen den Streitteilen geschlossenen Ehe entstammen keine gemeinsamen Kinder. Für den Kläger wurde ein Sohn aus einer früheren Beziehung mit Beschluss des Erstgerichts vom 20. Juni 2008 zum Sachwalter zur Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern sowie zur Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten bestellt.

Anfang der 80er Jahre begannen die Probleme in der Ehe der Streitteile. Diese resultierten vor allem in grundloser Eifersucht des Klägers. Dabei wurde der Kläger bei seinen Anfällen auch gewalttätig. So fuhr er beispielsweise zur Arbeit und kam eine Viertelstunde später wieder zurück, um zu kontrollieren, ob jemand da sei. Wenn die Beklagte nach Schichtende im Auto auf den Kläger wartete, schlug er etwa plötzlich mit der Faust auf sie ein, weil er sie wieder eines Verhältnisses mit einem anderen Mann verdächtigte. Nach einem Besuch eines Verwandten oder Bekannten packte er sie beim Hals und warf sie an einen Küchenkasten. Über Anraten ihres Hausarztes, dem sie anvertraute, dass der Kläger sie schlägt, setzte die Beklagte den Kläger soweit unter Druck, dass er sich bereit erklärte, zu einem Nervenfacharzt zu fahren. Der Kläger unterstellte der Beklagten, dass in dem gemeinsamen Haus der Streitteile junge Männer mit ihr Pornofilme drehten. Er stellte sie zur Rede, wobei er wollte, dass sie ein Geständnis ablege. Dabei schlug er sie mit der Faust. Einmal jagte der Kläger die Beklagte auch mit einem Gewehr in den Wald.

Etwa 1997 flüchtete die Beklagte zu einem Nachbarn, der die Polizei holte. Nach diesem Polizeieinsatz kam der Kläger zum ersten Mal nach Gugging. Dabei wurde seine Krankheit als Schizophrenie diagnostiziert. Der Kläger wurde mit Medikamenten eingestellt. Wenn der Kläger die ihm verordneten Medikamente nahm, ging es ihm besser. Lehnte er die Einnahme der Medikamente ab, weil er sich nicht vergiften lassen wollte, verschlechterte sich sein Zustand. Der Oberarzt in Gugging erklärte der Beklagten, dass der Zustand für sie sehr gefährlich sei.

Der Kläger fühlte sich nach seiner Rückkehr nach Hause bedroht, von Ausländern verfolgt und von Hubschraubern überwacht. Als der Kläger der Beklagten drohte, tobte und schrie, wobei er erklärte, er „hacke sie zusammen und schmeiße sie in den Brunnen“, flüchtete sie zu ihrer Schwester. Danach bezog sie eine eigene Wohnung. Seit 1999 leben die Ehegatten getrennt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte ihren Mann je betrogen oder versucht hätte, ihn zu vergiften oder Katzen umgebracht hätte oder veranlasst hätte, dass Katzen umgebracht würden.

Gemäß Verfügung des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 27. Juli 2007 wurde der Kläger im Rahmen eines Verfahrens zur Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher überstellt. Er hatte zuvor seinen Sohn mit dem Umbringen bedroht.

Der Kläger, dessen Klageführung vom Sachwalterschaftsgericht pflegschaftsbehördlich genehmigt wurde, begehrt mit der am 7. März 2012 von seinem Kollisionskurator erhobenen Klage die Scheidung der Ehe wegen unheilbarer Zerrüttung iSd § 55 EheG. Die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten sei bereits seit 1999 aufgehoben.

Die Beklagte gestand sowohl die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft seit 1999 als auch die unheilbare Zerrüttung der Ehe zu. Sie stellte allerdings den Antrag gemäß § 61 Abs 3 EheG, das Alleinverschulden des Klägers an der Zerrüttung festzustellen. Der Kläger habe durch sein Verhalten ein Zusammenleben nicht mehr weiter möglich gemacht.

Der Kläger bestritt ein ehezerrüttendes Verhalten und brachte im Übrigen vor, dass ihm ein entsprechendes Verhalten jedenfalls nicht als Verschulden vorgeworfen werden könne, weil er aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie weder eine Einsicht in sein Fehlverhalten gehabt habe noch sich einsichtsgemäß habe verhalten können. Sämtliche Eheverfehlungen, die er sechs Monate vor dem Auszug der Beklagten aus der ehemaligen Ehewohnung begangen habe, seien verziehen. Der für den Kläger bestellte Kollisionskurator verwies (vgl ON 7) auf vom Kläger gegen die Beklagte erhobene Vorwürfe, wonach die Beklagte ihn betrogen habe, sie habe fünf Katzen umbringen lassen, so zuletzt seinen über alles geliebten Kater „Pezi“.

Das Erstgericht sprach ‑ rechtskräftig ‑ aus, dass die zwischen den Streitteilen geschlossene Ehe gemäß § 55 EheG mit der Wirkung geschieden wird, dass sie mit Rechtskraft des Urteils aufgelöst ist. Es sprach ferner gemäß § 61 Abs 3 EheG aus, dass das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe den Kläger trifft.

Für einen Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG sei eine Eheverfehlung nicht vorausgesetzt. Es komme nur auf ein Zerrüttungsverschulden an. Auch bereits verfristete oder verziehene Eheverfehlungen könnten mittels eines Verschuldensantrags nach § 61 Abs 3 EheG geltend gemacht werden. Da somit nur die Zurechnung und kein Verschulden des Klägers an der Zerrüttung maßgeblich sei, habe sich die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage, ob der Kläger (strafrechtlich) schuldfähig sei, erübrigt. Auch Billigkeitserwägungen sprächen für diese Lösung.

Für den Schuldausspruch nach § 61 Abs 3 EheG komme es nur auf faktische Verhaltensweisen an, mögen sie auch dem Kläger aufgrund seiner Krankheit nicht subjektiv im Sinn eines Verschuldens vorzuwerfen sein.

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger nur im Umfang des Schuldausspruchs erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu fehle, ob ein Ehepartner, der an der Ehe mit einem kranken Partner festhalten möchte, bei einer Scheidung gemäß § 55 Abs 3 EheG einen Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG zu Lasten des Kranken erwirken könne.

Rechtlich billigte das Berufungsgericht im Wesentlichen die Auffassung des Erstgerichts. Es führte ergänzend aus, dass der vorliegende Fall zeige, dass es den Intentionen des § 55 EheG widerspreche, wenn die an der Zerrüttung der Ehe schuldlose Beklagte der Scheidungsklage des Klägers, der sie nach § 55 Abs 3 EheG nicht entgegentreten könne, schutzlos ausgesetzt wäre.

Gegen die Bestätigung des Verschuldensausspruchs durch das Berufungsgericht wendet sich die Revision des Klägers mit dem erkennbaren Antrag auf Abänderung dieses Ausspruchs im Sinne seiner Abweisung. Hilfsweise wird in diesem Umfang ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; die Revision ist auch im Sinne ihres Eventualantrags auf Aufhebung berechtigt.

In der Revision hält der Kläger an seinem bereits in der Berufung vertretenen Standpunkt fest, das auch ein Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG Schuldfähigkeit des Scheidungsklägers voraussetze.

Dieser Auffassung ist beizupflichten.

1. Der Kläger hat sein Scheidungsbegehren auf § 55 Abs 3 EheG gestützt, wobei unstrittig ist, dass die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit weit mehr als sechs Jahren aufgehoben ist. Unstrittig ist auch, dass die Ehe tiefgreifend und unheilbar iSd § 55 Abs 1 EheG zerrüttet ist.

2. Gemäß § 61 Abs 3 EheG ist bei Scheidung der Ehe nach § 55 EheG, wenn der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet hat, dies auf Antrag des Beklagten im Urteil auszusprechen.

2.1 Dem Revisionswerber ist darin beizupflichten, dass bereits nach dem klaren Wortlaut des § 61 Abs 3 EheG „... die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet“ abzuleiten ist, dass ein Verschuldensausspruch iSd § 61 Abs 3 EheG voraussetzt, dass der die Scheidung begehrende Kläger die Zerrüttung nicht nur verursacht hat, sondern dass ihm diese Verursachung auch vorwerfbar ist.

2.2 Maßgeblich ist somit, ob dem Kläger ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe anzulasten ist bzw ob, falls beiden Eheleuten ein Verschulden an der Zerrüttung vorzuwerfen ist, seine Schuld deutlich überwiegt (RIS‑Justiz RS0057256). So ging auch die Entscheidung 2 Ob 164/07t ganz selbstverständlich davon aus, dass für den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG Voraussetzung ist, dass der Kläger das ihm vorgeworfene Verhalten verschuldet hat.

2.3 Die vom Berufungsgericht für den gegenteiligen Standpunkt ins Treffen geführten Leitsätze der Rechtsprechung, dass es für den Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG nicht darauf ankommt, ob der Kläger selbst einen Scheidungstatbestand verwirklicht habe; entscheidend sei allein, ob ihm eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe anzulasten sei (vgl 7 Ob 8/08i mwN; RIS‑Justiz RS0057256) besagen nur, dass das Zerrüttungsverschulden iSd § 61 Abs 3 EheG nicht mit einer verschuldeten Eheverfehlung, die gemäß § 49 EheG den Scheidungstatbestand verwirklicht, gleichzusetzen ist. Dass aber eine nicht vorwerfbare ‑ weil auf einer geistigen Störung beruhende ‑ Verursachung der Zerrüttung einen Schuldausspruch nach § 61 Abs 3 EheG rechtfertigen könne, lässt sich aus dieser Rechtsprechung nicht ableiten.

3. Die von den Vorinstanzen angestellten Billigkeitserwägungen sind mit dem klaren Wortlaut des § 61 Abs 3 EheG nicht vereinbar und übersehen, dass die Beklagte nach gemäß § 55 EheG erfolgter Scheidung unterhaltsrechtlich nicht „völlig schutzlos“ ist:

Wird eine Ehe nach § 55 EheG geschieden und enthält das Scheidungsurteil keinen Schuldausspruch, steht jenem Ehegatten, der die Scheidung nicht verlangt hat, im Bedarfsfall ein Billigkeitsunterhalt nach § 69 Abs 3 EheG zu, der nach der Rechtsprechung und der überwiegenden Lehre auch höher sein kann als ein Unterhaltsbeitrag nach § 68 EheG. Diese Privilegierung wird ua damit begründet, dass im Anwendungsfall des § 68 EheG auch den Unterhaltsberechtigten ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft, im Fall des § 69 Abs 3 EheG jedoch nicht und dass es der Unterhaltspflichtige ist, der aus der Ehe drängt (vgl Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , EuPR [2011] § 69 EheG Rz 27 f mit zahlreichen Nachweisen aus Lehre und Rechtsprechung).

4. Für den Anlassfall folgt daraus, dass eine Verfahrensergänzung in erster Instanz unumgänglich ist: Zwar belegen die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen eindeutig, dass es der Kläger war, der die Zerrüttung der Ehe zwischen den Streitteilen verursachte. Ob aber die festgestellten Verhaltensweisen des Klägers von ihm zu verantworten sind, was davon abhängt, ob dieses Verhalten in einem die erforderliche Einsichts‑ und Urteilsfähigkeit ausschließenden Geisteszustands erfolgte, lässt sich ohne ergänzende Feststellungen ‑ allenfalls nach Einholung eines vom Kläger auch beantragten Sachverständigengut-achtens ‑ nicht beurteilen.

Sollte sich nach Verfahrensergänzung ergeben, dass der Kläger bereits zu Beginn der in der Ehe aufgetretenen Probleme, die durch sein Verhalten verursacht wurden, keine ausreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit hatte, wird der Verschuldensantrag der Beklagten abzuweisen sein. Andernfalls muss geklärt werden, wann die Zerrüttung der Ehe eintrat. Nur dann, wenn dieser Zeitpunkt vor Verlust der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Klägers liegt, dem Kläger also sein ehezerrüttendes Verhalten vorwerfbar war, kommt ein Ausspruch seines Zerrüttungsverschuldens iSd § 61 Abs 3 EheG in Betracht.

5. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher im Umfang des allein bekämpften Verschuldensausspruchs und im Umfang der Kostenentscheidungen aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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