European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0300DS00004.19W.0618.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Berufung und aus deren Anlass wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch a./ im Umfang der Vertretung der Verlassenschaft nach Erich W***** sen im Verfahren AZ 5 Cg ***** des Landesgerichts Wels sowie im Schuldspruch b./, demzufolge auch im Strafausspruch, aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
***** wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe
a./ im Juli 2017 die Vertretung der Verlassenschaft nach Erich W***** sen im Verfahren AZ 5 Cg ***** des Landesgerichts Wels übernommen, obwohl er im Verfahren AZ 10 A ***** des Bezirksgerichts Grieskirchen nach dem verstorbenen Erich W***** sen die Vertretung des erbantrittserklärten Sohnes Erich W***** jun übernommen (und diesen in den Verfahren AZ 2 Cg ***** des Landesgerichts Wels und AZ 3 C ***** des Bezirksgerichts Grieskirchen als Nebenintervenient jeweils auf Seiten der beklagten Partei Verlassenschaft nach Erich W***** sen, sowie im Verfahren AZ 5 Cg ***** des Landesgerichts Wels als zweitbeklagte Partei [erstbeklagte Partei Verlassenschaft nach Erich W***** sen] vertreten) hat und widerstreitende Erbantrittserklärungen des Erich W***** jun einerseits und dessen Schwestern andererseits vorlagen,
b./ mit Eingabe vom 7. September 2015 die Vertretung der W***** KG im gewerberechtlichen Verfahren AZ UR ***** vor der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen übernommen, obwohl er zumindest im September 2015 die Verlassenschaft nach Erich W***** sen im Verfahren AZ 3 C ***** des Bezirksgerichts Grieskirchen vertreten hat und gegensätzliche Interessen von Gesellschaft und Nachlass in Bezug auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der beanstandeten Emissionen der Betriebsanlage bestanden,
gemäß § 38 Abs 1 iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.
Im Übrigen wird der Berufung wegen Schuld nicht Folge gegeben.
Für die ihm zu a./ des Schuldspruchs weiterhin zur Last liegenden Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt wird über ***** eine Geldbuße von 2.500 Euro verhängt.
Mit seiner Berufung wegen Strafe wird er auf diese Entscheidung verwiesen.
Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und zu einer Geldbuße von 5.000 Euro verurteilt.
Danach hat er unter Verstoß gegen § 9 Abs 1 und (gemeint:) § 10 Abs 1 RAO
a./ obwohl er im Verfahren AZ 10 A ***** des Bezirksgerichts Grieskirchen nach dem verstorbenen Erich W***** sen die Vertretung des erbantrittserklärten Sohnes Erich W***** jun übernommen (und diesen in den Verfahren AZ 2 Cg ***** des Landesgerichts Wels, und AZ 3 C ***** des Bezirksgerichts Grieskirchen, als Nebenintervenient auf Beklagtenseite sowie im Verfahren AZ 5 Cg ***** des Landesgerichts Wels als zweitbeklagte Partei vertreten) hat und trotz widerstreitender Erbantrittserklärungen des Erich W***** jun einerseits und dessen Schwestern andererseits, nach dem 9. Dezember 2015 (ES 11 ff) die Vertretung der Verlassenschaftskuratorin Mag. M***** im Verfahren AZ 10 A ***** des Bezirksgerichts Grieskirchen, sowie der Verlassenschaft nach Erich W***** sen in den Verfahren AZ 3 C ***** des Bezirksgerichts Grieskirchen und AZ 2 Cg ***** sowie AZ 5 Cg *****, jeweils des Landesgerichts Wels, übernommen;
b./ obwohl er zumindest im September 2015 die Verlassenschaft nach Erich W***** sen im Verfahren AZ 3 C ***** des Bezirksgerichts Grieskirchen, vertreten hat, mit Eingabe vom 7. September 2015 die Vertretung der W***** KG im gewerberechtlichen Verfahren AZ UR ***** vor der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen trotz gegensätzlicher Interessen von Gesellschaft und Nachlass in Bezug auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der beanstandeten Emissionen der Betriebsanlage übernommen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Berufung des Beschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe. Der Berufung wegen Schuld kommt teilweise Berechtigung zu.
Zum Schuldspruch b./ wendet der Berufungswerber (der Sache nach Z 9 lit b) im Ergebnis zutreffend seine gegenüber der W***** KG aufgrund des bestehenden Mandatsverhältnisses gegebene Verpflichtung ein, für diese zumindest die zur Abwendung von Rechtsnachteilen notwendigen Vertretungshandlungen vorzunehmen (vgl § 11 Abs 2 RAO).
Da die Sachverhaltsdarstellung betreffend Lärmemissionen aus der Betriebsanlage der W***** KG am 26. August 2015 eingebracht wurde und die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen schon für den 15. September 2015 einen Lokalaugenschein anberaumte (ES 12 f), war die am 7. September 2015 erfolgte Einbringung eines Schriftsatzes (unter anderem mit dem Antrag auf Abberaumung des Lokalaugenscheins) durch den Beschuldigten in Vertretung der W***** KG – ungeachtet eines allfälligen Konflikts mit den Interessen der vom Beschuldigten vertretenenVerlassenschaft – als unaufschiebbare Maßnahme gerechtfertigt (vgl RIS‑Justiz RS0055004; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 10 RAO Rz 6). Weitere Vertretungshandlungen wurden vom Beschuldigten in diesem gewerbebehördlichen Verfahren nicht gesetzt (ES 13).
Es lag daher zu b./ weder eine Verletzung von Berufspflichten noch eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes vor, sodass dieser Schuldspruch aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen war. Eines Eingehens auf das weitere darauf bezogene Rechtsmittelvorbringen bedarf es daher nicht.
Aus Anlass der Berufung war überdies eine dem Schuldspruch a./ zum Nachteil des Beschuldigten anhaftende, von diesem nicht geltend gemachte Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO von Amts wegen wahrzunehmen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
Nach den in Bezug auf das Verfahren AZ 5 Cg ***** des Landesgerichts Wels getroffenen Feststellungen erstattete der Beschuldigte in diesem, von Barbara Ö***** gegen die Verlassenschaft nach Erich W***** sen als Erstbeklagten und Erich W***** jun als Zweitbeklagten geführten Verfahren in Vertretung des Letztgenannten am 28. Juli 2017 eine Klagebeantwortung und vertrat (offenbar gemeint) diesen in weiterer Folge (ES 12). Dass der Beschuldigte im genannten Zivilprozess – wie im Referat der entscheidenden Tatsachen angeführt (ES 2) – auch die Verlassenschaft nach Erich W***** sen vertreten habe, wurde demgegenüber in den Entscheidungsgründen nicht festgestellt.
Dieser Rechtsfehler erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs a./ im Umfang des Vorwurfs der Vertretung der Verlassenschaft nach Erich W***** sen im Verfahren AZ 5 Cg ***** des Landesgerichts Wels. Da nach der Aktenlage (vgl insbesondere Blg ./E) Konstatierungen, die einen Schuldspruch in Ansehung dieses Sachverhalts tragen könnten, in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten sind, war im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst ein Freispruch zu fällen (RIS‑Justiz RS0118545; Ratz, WK‑StPO § 288 Rz 24).
Im Übrigen schlägt die Berufung (bezogen auf Vertretungshandlungen des Beschuldigten in den Verfahren AZ 10 A ***** und AZ 3 C ***** jeweils des Bezirksgerichts Grieskirchen und AZ 2 Cg ***** des Landesgerichts Wels) fehl:
Die gegen die Annahme des Disziplinarrats, wonach die vom Beschuldigten als solche der Verlassenschaft dargestellten Interessen im Wesentlichen jenen des Erich W***** jun entsprachen, während die Abwehr ungerechtfertigter Forderungen gegen die Verlassenschaft in den Hintergrund trat (ES 16), gerichtete Kritik offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) verfehlt den in den Feststellungen (zu entscheidenden Tatsachen) gelegenen Bezugspunkt der Mängelrüge (RIS‑Justiz RS0106268). Denn bereits die bloße Gefahr einer Interessenkollision, insbesondere aber eines Vertrauensbruchs reicht aus, um das Vorliegen von „zusammenhängenden Sachen“ iSd § 10 Abs 1 RAO und damit einer materiellen Doppelvertretung zu begründen (RIS‑Justiz RS0055534 [T2]; RS0117715 [T3]).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bestreitet das Vorliegen einer unzulässigen Doppelvertretung (zusammengefasst) mit der Behauptung, es habe kein Konflikt zwischen den Interessen des Nachlasses nach Erich W***** sen einerseits und des Erich W***** jun andererseits bestanden.
Das in § 10 Abs 1 RAO für einen Anwalt statuierte Verbot, eine Vertretung zu übernehmen oder auch nur einen Rat zu erteilen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat, ist umfassend zu verstehen. Es betrifft alle Konstellationen, in denen Interessenkollisionen zweier Parteien vorliegen oder sich bereits abzeichnen (RIS‑Justiz RS0117715). Der Begriff der Gegenpartei iSd § 10 Abs 1 RAO ist weit auszulegen, sodass nicht nur auf die formal Prozessbeteiligten, sondern auch auf den Widerstreit in den Interessenlagen abzustellen ist (RIS‑Justiz RS0054995 [insb T26]). Weiters setzt die Strafbarkeit nicht voraus, dass die Interessen eines der Klienten tatsächlich gefährdet oder geschädigt wurden (RIS-Justiz RS0054995 [T18], RS0118082).
Gegenständlich wurde im Verlassenschaftsverfahren nach Erich W***** sen, AZ 10 A ***** des Bezirksgerichts Grieskirchen, aufgrund widerstreitender Erbantrittserklärungen eine Verlassenschaftskuratorin bestellt, wodurch die zuvor gegebene Vertretungsbefugnis des durch den Beschuldigten vertretenen Erich W***** jun ex lege (§ 173 Abs 1 zweiter Satz AußStrG) endete (ES 10 f).
Trotz der schon in der Bestellung eines Verlassenschaftskurators zum Ausdruck kommenden Gefahr der Kollision der Interessen des Testamentserben Erich W***** jun und jener des ruhenden Nachlasses (vgl RIS‑Justiz RS0007991; Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 173 Rz 3) und des Erfordernisses der Berücksichtigung der Meinungen aller und nicht nur eines potenziellen Erben durch den Verlassenschaftskurator (insofern deren Wünsche für die Verlassenschaft nicht nachteilig sind; Verweijen, Handbuch Verlassenschaftsverfahren² 200 f; vgl auch 2 Ob 45/15d) übernahm der Beschuldigte in der Folge die Vertretung der Verlassenschaftskuratorin sowie der Verlassenschaft (ES 11 f). Der Disziplinarrat sah daher zu Recht in der (gleichzeitigen) Vertretung des Erich W***** jun und der Verlassenschaft eine Interessenkollision und einen Verstoß gegen § 10 Abs 1 RAO, sodass dem Schuldspruch nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt kein Rechtsfehler anhaftet.
Entgegen der Behauptung (Z 9 lit b) mangelnder Strafwürdigkeit der Tat (§ 3 DSt) ist das Verschulden des Beschuldigten nicht bloß als geringfügig – im Sinn von erheblich hinter den typischen Fällen solcher Verstöße zurückbleibend (RIS‑Justiz RS0056585, RS0089974) – anzusehen (vgl RIS‑Justiz RS0054998 [T1]), sodass die begehrte Privilegierung des – grundsätzlich ein schweres Disziplinarvergehen darstellenden (RIS‑Justiz RS0054993) – Verstoßes gegen das Doppelvertretungsverbot nicht in Frage kommt (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 43/1).
Bei der erforderlichen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof die Tatwiederholung und die zweifache Qualifikation als erschwerend, als mildernd hingegen die Unbescholtenheit des Beschuldigten.
Ein schriftlicher Verweis (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) kommt ebenso wenig in Betracht wie ein Vorgehen nach § 39 DSt idF vor BGBl 2020/19 (vgl § 80 Abs 6 letzter Satz DSt), weil fallbezogen – vor allem mit Blick auf das Vorliegen materieller Doppelvertretung (vgl RIS‑Justiz RS0054995 [T5]) – nicht bloß geringfügige disziplinäre Verfehlungen in Rede stehen (vgl RIS‑Justiz RS0075487 [T1]). Eine Geldbuße von 2.500 Euro entspricht Tatunrecht und Täterschuld und trägt auch Präventionserfordernissen und den durchschnittlichen Einkommensverhältnissen eines Rechtsanwalts Rechnung.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.
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