OGH 2Ob84/01v

OGH2Ob84/01v16.5.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) DI Gerhard H*****, 2.) Birgit H*****, beide vertreten durch Dr. Michael Kinberger und Dr. Alexander Schuberth, Rechtsanwälte in Zell am See, gegen die beklagten Parteien 1.) Reinhard F*****, 2.) Herfried S*****, und 3.) V***** AG, *****, alle vertreten durch Univ. Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer‑Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 423.052,‑- sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2001, GZ 1 R 235/00k‑30, womit das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 24. September 2000, GZ 2 Cg 125/98a‑22, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2001:0020OB00084.01V.0516.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, den beklagten Parteien die mit S 7.303,68 (darin S 1.217,28 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die 8‑jährige Tochter der Kläger wurde als Fußgängerin von einem vom Erstbeklagten gelenkten, von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten LKW erfasst und getötet.

Die Kläger begehrten neben Todfallskosten von S 123.052,‑- sA ein Schmerzengeld von S 100.000,‑- (Erstkläger) und S 200.000,‑- (Zweitklägerin) sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden aus diesem Verkehrsunfall.

Das Erstgericht verurteilte den Zweitbeklagten und die Drittbeklagte zur Zahlung von S 69.421,‑- sA (Todfallskosten) und von je S 60.000,‑- sA an Schmerzengeld und gab dem Feststellungsbegehren im Umfang von drei Viertel statt. Das Mehrbegehren sowie das gegen den Erstbeklagten gerichtete Klagebegehren wurden abgewiesen. Es ging hiebei unter anderem von folgenden Feststellungen aus:

Der Erstkläger, der vom Unfall von einer Nachbarin verständigt worden war, fand seine Tochter an der Unfallstelle noch auf der Straße liegend. Der Notarzt teilte ihm mit, dass sie keine Chance gehabt habe. Aus neuropsychiatrischer und neuropsychologischer Sicht kam es zu einer Trauerreaktion, welche als psychologisch normal zu betrachten ist. Eine posttraumatische Belastungsstörung war nicht gegeben. Es ergaben sich auch keine Hinweise für Persönlichkeitsstörungen, welche das Auftreten einer solchen begünstigen würden. Der Erstkläger reagierte auf den Unfall seiner Tochter mit Trauer, wie sie auch psychologisch normal verständlich und einfühlbar ist. Der zum Untersuchungszeitpunkt noch bestehende depressive Verstimmungszustand ist Ausdruck der noch bestehenden Trauer.

Die Zweitklägerin war zum Unfallszeitpunkt von Zwillingen schwanger. Sie begab sich mit dem Erstkläger zur Unfallstelle und sah dort ebenfalls das tote Kind. Die Zweitklägerin erlebte eine massive Trauerreaktion, wobei sie durch Schwangerschaftskomplikationen zusätzlich belastet war, vor allem auch angesichts früherer Fehlgeburten. Neuropsychologisch handelte es sich auch um eine normale Trauerreaktion. Es bestehen keine Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung.

Die Wissenschaft teilt seelische Schmerzen in drei Gruppen ein. Unter starken seelischen Schmerzen werden solche verstanden, die den Betroffenen vollständig ausfüllen, sodass er nicht mehr in der Lage ist, irgendetwas zu tun. Bei leichten und mittleren seelischen Schmerzen hält sich die Fähigkeit, irgendwelche Aktivitäten in beruflicher oder anderer Hinsicht durchzuführen bzw nicht durchzuführen nicht durchführen zu können, die Waage. Bei den Klägern lagen insgesamt je 1 bis 2 Tage starke seelische Schmerzen in leicht geraffter Form vor, 2 bis 3 Wochen mittelstarke Schmerzen und 6 bis 8 Wochen leichte bis abklingende seelische Schmerzen, wobei darin die in Zukunft noch auflaufenden leichten seelischen Schmerzen bereits enthalten sind, soweit es bei einem üblichen Verlauf bleibt, was zu erwarten ist.

Das Erstgericht verneinte in seiner rechtlichen Beurteilung ein Verschulden des Erstbeklagten, erachtete jedoch den Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG als nicht erbracht. Es lastete dem 8‑jährigen Unfallopfer, von dem die Einsicht in die grundlegende Verkehrsregel des § 76 Abs 1 StVO bereits erwartet werden könne, im Verhältnis zur weitaus größeren Betriebsgefahr des LKWs und der relativ überhöhten Geschwindigkeit des Erstbeklagten ein Mitverschulden von einem Viertel an. Ein Schmerzengeld von S 80.000,‑- je Kläger sei angemessen. Wenn auch eine psychische Einwirkung, die bloß das seelische Wohlbefinden beeinträchtige, keine Gesundheitsverletzung darstelle, so seien im Fall der Kläger die trauerbedingten Reaktionen weit über das Ausmaß jener Unlust‑ und Unbehagensgefühle hinausgegangen, wie sie ohne Zweifel auf Grund ihrer Geringfügigkeit unterhalb jener Grenze liegen, unter der eine Schmerzengeldforderung noch nicht zu rechtfertigen sei. Im Falle der Kläger liege eine massive Einwirkung in deren psychische Sphäre vor, die unabhängig davon gegeben sei, dass der Sachverständige aus dem Fachbereich der Neuropsychiatrie keine abnorme Trauerreaktion festgestellt habe, welche eine Psychotherapie medizinisch indiziert und somit unerlässlich gemacht hätte. Die Kläger hätten seelische Schmerzen im festgestellten Ausmaß erlitten, die "normalen" Schmerzen gleichzustellen seien. Schmerzengeld sei unter Wahrung gebotener Grenzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit auch für solche psychischen Beeinträchtigungen zuzuerkennen, die zwar unterhalb einer psychosomatischen Krankheit im engeren Sinne, aber deutlich oberhalb bloßer Unlusterscheinungen einzustufen seien, wie dies beim Tod eines Kindes der Fall sei.

Ausgehend von einer Schadensteilung im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten des Zweitbeklagten und der Drittbeklagten errechnete das Erstgericht die den Klägern zu ersetzenden Todfallskosten mit S 69.421,‑- und das diesen gebührende Schmerzengeld mit je S 60.000,‑ ‑.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge, der Berufung des Zweitbeklagten und der Drittbeklagten hingegen teilweise Folge, verurteilte den Zweitbeklagten und die Drittbeklagte zur Zahlung von S 46.280,50 sA, gab dem Feststellungsbegehren im Umfang der Hälfte statt und wies das Mehrbegehren ab. Es sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand jeweils S 260.000,‑- übersteige und dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht verneinte ein Verschulden des Erstbeklagten und gewichtete das Mitverschulden des getöteten Kindes im Verhältnis zur Betriebsgefahr des LKWs im Verhältnis 1 : 1. Zu den Schmerzengeldansprüchen führte es folgendes aus:

Vor dem Hintergrund der (näher dargestellten) Judikatur könne der Rechtsauffassung des Erstgerichtes, die Trauerreaktion der Kläger sei ersatzfähig, nicht beigetreten werden. Bei beiden Klägern sei es zu einer neuropsychologisch als normal zu bezeichnenden Trauerreaktion gekommen. Eine abnorme Trauereaktion sei nicht festgestellt worden. Die Kläger hätten die vom Erstgericht gewichtet nach Schmerzperioden festgestellten seelischen Schmerzen im Rahmen einer normalen Trauerreaktion erlitten. Ausdruck dieser nach den Feststellungen nicht über das Ausmaß einer normalen Trauerreaktion hinausgehenden Trauer, die erfahrungsgemäß beim Tod von Angehörigen erlebt werde, sei auch der beim Erstkläger im Untersuchungszeitpunkt noch bestehende depressive Verstimmungszustand gewesen. Dass der seelische Schmerz über den Unfalltod der Tochter bei der Zweitklägerin Schwangerschaftsprobleme ausgelöst hätte, sei weder festgestellt worden, noch hätten sich hiefür aus den Verfahrensergebnissen Anhaltspunkte ergeben. Trotz der Tragik des vorliegenden Unfalls dürfe nicht übersehen werden, dass der Schmerzengeldanspruch hinterbliebener Angehöriger die Verletzung der eigenen Gesundheit voraussetze. Würden die mit dem Tod des Angehörigen verbundenen psychischen Beeinträchtigungen aber auf Grund eigener Stärke im Rahmen einer normalen Trauerreaktion verarbeitet, gingen sie nicht über diejenigen Beeinträchtigungen hinaus, die mit dem Tod naher Angehöriger erfahrungsgemäß verbunden seien, und führten sie zu keinem krankheitswertigen medizinisch fassbaren Beschwerdebild, so begründeten sie keinen Schadenersatzanspruch. Die Schmerzengeldansprüche der Kläger seien somit nicht begründet.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Abwägung von Gefährdungs‑ und Verschuldenshaftung einzelfallabhängig sei und weil sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage, inwieweit Einwirkungen auf die psychische Sphäre einen Schmerzengeldanspruch begründen könnten, auf die von ihm zitierte höchstgerichtliche Judikatur stützen könne.

Gegen diese Berufungsentscheidung, soweit damit Schmerzengeldansprüche von je S 40.000,‑- abgewiesen wurden, richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, ihnen jeweils weitere S 40.000,‑- sA zuzusprechen.

Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

 

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Frage der Ersatzfähigkeit reiner Gefühlsschäden naher Angehöriger eines Getöteten einer Erörterung bedarf; sie ist aber nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerber machen im Wesentlichen geltend, der von ihnen als hinterbliebenen Eltern geltend gemachte Schmerzengeldanspruch stelle sich als ersatzfähiger Drittschaden dar, auch wenn bei ihnen keine über die normale Trauer hinausgehende krankhafte Neurose festgestellt worden sei.

Hiezu wurde erwogen:

§ 1325 ABGB sieht die Zahlung eines Schmerzengeldes bei Verletzungen am Körper vor. Hierunter sind nach ständiger Rechtsprechung Beeinträchtigungen der körperlichen oder geistigen Gesundheit und Unversehrtheit zu verstehen. Massive Einwirkungen in die psychische Sphäre stellen insbesondere dann eine körperliche Verletzung im Sinne des § 1325 ABGB dar, wenn sie mit körperlichen Symptomen einhergehen, die als Krankheit anzusehen sind. Eine derartige massive psychische Beeinträchtigung ist etwa dann anzunehmen, wenn aus ärztlicher Perspektive die Behandlung der psychischen Störung geboten ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn nicht damit gerechnet werden kann, dass die Folgen von selbst abklingen, oder wenn zu befürchten ist, dass ohne ärztliche Behandlung eine dauernde gesundheitliche Störung zurückbleibt (zuletzt 9 Ob 36/00k = ZVR 2001/33, 2 Ob 79/00g jeweils mwN; vgl RIS‑Justiz RS0030792, RS0030778).

Seit seiner Entscheidung 2 Ob 45/93 = ZVR 1995/46 anerkennt der erkennende Senat die Ersatzfähigkeit von sogenannten Schockschäden naher Angehöriger eines Unfallopfers, weil der Angehörige durch das Erleiden eines Nervenschadens in seinem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt wird und als unmittelbar Geschädigter anzusehen ist. Hieran wurde auch in 2 Ob 99/95 = ZVR 1997/75 festgehalten. Zuletzt wurde in 2 Ob 79/00g der Schockschaden eines Angehörigen auch dann als ersatzfähig angesehen, wenn er nicht durch das Unfallsereignis, sondern durch die Unfallsnachricht bewirkt wurde. In all diesen Fällen war es freilich zu Gesundheitsstörungen mit Krankheitswert gekommen.

Ein von einer solchen Gesundheitsstörung losgelöster Schmerzengeldanspruch für die durch die Tötung eines nahen Angehörigen verursachten seelischen Schmerzen wurde in der (älteren) Rechtsprechung abgelehnt (SZ 23/311; ZVR 1957/37 = EvBl 1957/108).

In der Lehre steht Danzl (in Danzl/Gutiérrez‑Lobos/Müller, Schmerzengeld7 141) auf dem Boden der Rechtsprechung. Sei ein (naher) Angehöriger getötet worden, so stehe den Hinterbliebenen - mögen Leid und Kummer auch noch so groß und nachhaltig sein, gehörten doch derartige Wechselfälle im menschlichen Zusammenleben grundsätzlich zum allgemeinen, von jedermann selbst zu tragenden Lebensrisiko - eine gesonderte Abgeltung für die dadurch verursachten seelische Schmerzen an sich nicht zu, weil eine solche nur dem von der Verletzung unmittelbar Betroffenen für die auf eine Verletzung des eigenes Körpers zurückzuführenden seelischen Unbillen zu bezahlen sei und ein Anspruch auf Schmerzengeld für Hinterbliebene in der erschöpfenden Aufzählung des § 1327 ABGB nicht vorkomme. Dementsprechend ist dieser Autor jüngst in seinem Aufsatz Schmerzengeldansprüche für Angehörige der Opfer des Unglücks von Kaprun? ZVR 2000, 398, zum Ergebnis gelangt, wenn und wo es an einer eigenen Gesundheitsverletzung fehle, weil der Angehörige auf Grund eigener Stärke mit diesem Schicksalschlag fertig zu werden vermochte, werde ein (gesetzlicher) Schmerzengeldanspruch nicht durchsetzbar sein; Schmerzengeldansprüche von hinterbliebenen Angehörigen wären hingegen dann zu bejahen, wenn das erlittene eigene "seelische Leid" über den Verlust zu einem krankheitswertigen, medizinisch fassbaren Beschwerdebild geführt habe.

Auch Harrer in Schwimann2 § 1295 ABGB Rz 17 verneint einen Schadenersatzanspruch wegen des Kummers der Hinterbliebenen.

Reischauer in Rummel2 § 1327 ABGB Rz 4 meint hiezu, auf Grund des § 1327 ABGB komme ein Schmerzengeldanspruch nicht in Betracht. Die Frage könne bloß sein, ob der übliche seelische Schmerz, den Hinterbliebene erleiden, noch als Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB zu verstehen sei (vgl auch § 1325 ABGB Rz 1, 5, 44).

Hingegen hält es Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 11/11, für möglich, auf Grund der erkennbaren Wertungen des Gesetzes auch den nahen Angehörigen Ersatz für (rein) seelische Schmerzen zuzusprechen. Er führt hiezu einerseits § 1331 ABGB und das "Dackel‑Beispiel" Bydlinskis (Der Ersatz ideeller Schäden als sachliches und methodisches Problem, JBl 1965, 246) ins Treffen und befürwortet eine Analogie zu § 1327 ABGB.

Im Anschluss an Koziol hat Karner (Der Ersatz ideeller Schäden bei Körperverletzung 101 FN 210; Rechtsprechungswende bei Schock‑ und Fernwirkungsschäden Dritter? ZVR 1998, 182, 183; Schmerzengeld für Angehörige, ecolex 2001, 37; Glosse zu 2 Ob 79/00g, ZVR 2001 [im Druck]) mehrmals dessen Vorschlag aufgegriffen und Art 47 Schweizer Obligationenrecht als Vorbild empfohlen. In der letztgenannten Publikation meint er, in Analogie zu § 1331 ABGB und auf Grund der allgemeinen Regel der §§ 1323, 1324 sowie 1295 Abs 2 ABGB sollten reine Gefühlsschäden naher Angehöriger zumindest dann ersetzt werden, wenn der Schädiger qualifiziert schuldhaft oder gar sittenwidrig gehandelt habe. Die besondere Schwere der Zurechnungsgründe auf Seiten des Schädigers rechtfertige in diesen Fällen eine Ausdehnung der Haftung.

Schließlich hat jüngst Ch. Huber, Antithesen zum Schmerzengeld ohne Schmerzen - Bemerkungen zur objektiv‑abstrakten und subjektiv‑konkreten Schadensberechnung, ZVR 2000, 218, 229 f, vorgeschlagen, das Angehörigenschmerzengeld vom Schockschaden abzukoppeln und bei erheblicher Erschütterung zu gewähren.

Ein Blick auf die Rechtslage in anderen europäischen Staaten (vgl hiezu Stoll, Haftungsfolgen im bürgerlichen Recht [1993] 359 f; Kadner, Schmerzengeld für Angehörige - angemessener Ausgleich immaterieller Beeinträchtigungen oder exzessiver Ersatz mittelbarer Schäden? ZEuP 1996, 135, 140 ff; Vorndran, Schmerzengeld für Hinterbliebene bei der Tötung naher Angehöriger, ZRP 1988, 293) zeigt, dass in den meisten Rechtsordnungen den Angehörigen eines Getöteten - wenngleich in unterschiedlicher Ausgestaltung - ein Schmerzengeld gewährt wird, so in der Schweiz, in Frankreich, Italien, Spanien, England, Schottland, Griechenland, Jugoslawien, Belgien und in der Türkei. Abgelehnt wird ein Ersatz derartiger immaterieller Schäden hingegen in Deutschland (nach Kadner aaO auch in Schweden). Die deutsche Rechtsprechung gewährt nahen Angehörigen ein Schmerzengeld nur bei eigener, pathologisch fassbarer Gesundheitsbeeinträchtigung (BGH 4. 4. 1989, NJW 1989, 2317, vgl jüngst 16. 1. 01, r + s 2001, 147; Kolb in Geigel, Der Haftpflichtprozess23 7. Kapitel Rz 2 f mwN; Stein im Münchener Kommentar zum BGB3 § 847 Rz 16 mwN). In Frankreich wird die deutsche Regelung (nach Vorndran aaO) teilweise sogar wegen ordre‑public‑Verstoßes nicht angewendet.

Zu erwähnen bleiben noch die Empfehlungen des Europarates zur Vereinheitlichung der Rechtsbegriffe des Schadenersatzes bei Körperverletzung und Tötung vom 14. 3. 1975 (veröffentlicht von Wiesbauer in RZ 1977, 4, 24 sowie in Jarosch/Piegler/Müller/Danzl, Schmerzengeld6 116). Nach deren Grundsatz Nr 19 sollen Rechtsordnungen, die derzeit für die Dritten zugefügten seelischen Leiden infolge des Ablebens des Opfers einen Schadenersatz nicht vorsehen, einen derartigen Schadenersatz keinen anderen Personen als dem Vater und der Mutter, dem Ehegatten, dem Verlobten und den Kindern des Opfers zubilligen; selbst in diesen Fällen wäre die Entschädigung an die Voraussetzung zu knüpfen, dass diese Personen mit dem Opfer zum Zeitpunkt seines Ablebens eine enge Gefühlsbeziehung hatten. In den Rechtsordnungen, die derzeit bestimmten Personen einen solchen Schadenersatzanspruch einräumen, sollte diese Möglichkeit weder hinsichtlich des Kreises der Berechtigten noch hinsichtlich des Ausmaßes des Schadenersatzes erweitert werden.

Von all dem ausgehend ist der erkennende Senat zu folgender Auffassung gelangt:

Die Rechtslage, derzufolge bei Tötung naher Angehöriger bloße Gefühlsschäden nicht ersetzt werden, wird zunehmend als unbefriedigend empfunden. Die Abgrenzung zwischen Trauer mit und ohne Krankheitswert ist häufig problematisch. Hinterbliebene Eltern, die über die Tötung ihres Kindes trauern, werden es kaum verstehen, wenn ihrem Schmerzengeldanspruch entgegengehalten wird, mangels Krankheitswert hätte sich hier nur ihr allgemeines, von ihnen selbst zu tragendes Lebensrisiko verwirklicht. Während geringe Körperverletzungen wie Prellungen oder Zerrungen ohne weiteres zu Schmerzengeldansprüchen führen, sollen solche bei (bloßen) seelischen Schmerzen über den Verlust eines nahen Angehörigen nicht bestehen, obwohl ein derartiger Schmerz regelmäßig als weit größer empfunden wird. Als besonders befremdlich mag es scheinen, wenn das Gesetz bei Beschädigung einer Sache unter bestimmten Voraussetzungen Gefühlsschäden ausdrücklich berücksichtigt (§ 1331 ABGB), bei Tötung eines geliebten Menschens hingegen nicht. Eine solche ausnahmslose Beschränkung kann nicht dem Plan des Gesetzgebers entsprechen.

Begegnet man der Gefahr des Ausuferns von Ansprüchen durch enge Begrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises, so bestehen nach Meinung des erkennenden Senates keine Bedenken, hier eine Gesetzeslücke anzunehmen, welche im Wege der Analogie zu schließen ist. Diese hat sich an den im Gesetz vorgegebenen Wertungen zu orientieren; eine weitergehende und umfassende Neuregelung kann nur der Gesetzgeber selbst vornehmen. Aus § 1331 (Affektionsinteresse), § 1328 (idF BGBl 1996/759; geschlechtlicher Missbrauch), § 1329 ABGB (Freiheitsentziehung) und § 213a ASVG (Integritätsabgeltung) lässt sich der Grundgedanke ableiten, dass es für die Ersatzfähigkeit vergleichbarer ideeller Schäden - ohne Vorliegen einer Körperverletzung (§ 1325 ABGB) - eines qualifizierten Verschuldens bedarf (vgl auch § 8 Abs 3 MRG: Ungemach eines Mieters), mag im Einzelnen der genaue Verschuldensgrad auch strittig sein (vgl etwa zu § 1329 ABGB Koziol aaO Rz 11/18 und EvBl 1990/135 = JBl 1990, 535 oder zu § 1328 ABGB Karner, Ideelle Schäden 185 f). Auch nach der allgemeinen Regel des § 1324 ABGB wird bei grobem Verschulden des Schädigers der Umfang der Ersatzpflicht ausgeweitet.

Der erkennende Senat gelangt somit zum Ergebnis, dass ein Ersatz des Seelenschmerzes über den Verlust naher Angehöriger, der zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung im Sinne des § 1325 ABGB geführt hat, nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers in Betracht kommt. Bei leichter Fahrlässigkeit oder im Fall bloßer Gefährdungshaftung fehlt es hingegen an der erforderlichen Schwere des Zurechnungsgrundes.

Im vorliegenden Fall wäre zwar ein Ausufern von Schmerzengeldansprüchen nicht zu befürchten, weil Eltern, die über den Unfallstod ihres haushaltszugehörigen 8‑jährigen Kindes trauern, jedenfalls zum engsten, schutzwürdigen Angehörigenkreis zählen. Da sie nach den vorinstanzlichen Feststellungen aber keine eigene Gesundheitsschädigung erlitten haben und da den Zweitbeklagten und die Drittbeklagte nur die Gefährdungshaftung des EKHG trifft (der schuldlose erstbeklagte Lenker haftet überhaupt nicht), können die Beklagten nach den obigen Erwägungen mangels (zurechenbaren) groben Verschuldens des Lenkers nicht zur Zahlung des im drittinstanzlichen Verfahren noch strittigen Schmerzengeldes verpflichtet werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

 

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