OGH 2Ob52/18p

OGH2Ob52/18p25.4.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am * 2016 verstorbenen E* K*, geboren am *, über den Revisionsrekurs von I* E*, vertreten durch Mag. Hartmut Gräf, Rechtsanwalt in Kirchdorf an der Krems, wegen Akteneinsicht, gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr als Rekursgericht vom 8. Jänner 2018, GZ 1 R 213/17t‑30, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom 30. Oktober 2017, GZ 26 A 1036/16a‑26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E121824

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten hat:

„1. Der Einschreiterin I* E* ist auf ihre Kosten eine Fotokopie von ON 20 aus dem Verlassenschaftsakt nach der am * 2016 verstorbenen E* K*, 26 A 1036/16a des Bezirksgerichts Steyr, zu übersenden, wobei die in der Vermögenserklärung unter A) 2. und 3. sowie unter B) 1. a) bis c), 2. und 3. a) bis d) aufscheinenden Rechtsträger unkenntlich zu machen (zu schwärzen) sind.

2. Das Mehrbegehren, der Einschreiterin auch die übrigen Teile des unter Punkt 1. genannten Verlassenschaftsakts in Fotokopie zu übersenden, wird abgewiesen.“

Die Rechtsmittelwerberin hat die Kosten des Revisionsrekurses selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die Erblasserin ist am * 2016 verstorben. Mit Testament vom 29. 5. 2009 hatte sie ihren Neffen zum Alleinerben eingesetzt. Mit Ergänzung vom 10. 11. 2015 zu diesem Testament setzte sie für den Fall, dass der Neffe sie nicht beerben sollte, Daniela S* als Ersatzerbin (in der Folge: „Ersatzerbin“) ein. Der Neffe entschlug sich seines testamentarischen Erbrechts, sodass die Ersatzerbin zum Zug kam und dieser mit Beschluss des Erstgerichts vom 29. 12. 2016 der gesamte Nachlass nach der Erblasserin eingeantwortet wurde.

Mit Eingabe vom 16. 10. 2017 beantragte die Einschreiterin und nunmehrige Rechtsmittelwerberin die Übersendung einer Kopie des Verlassenschaftsakts nach der Erblasserin. Sie brachte vor, sie sei die Tochter und Erbin des am 18. 7. 2017 verstorbenen Neffen der Erblasserin. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die von diesem im Verlassenschaftsverfahren nach der Erblasserin abgegebene Entschlagungserklärung rechtlich als Geschenk angesehen werden und je nach Wert dieses Geschenks eine Pflichtteilsverkürzung für sie bedeuten könne, habe sie ein rechtliches Interesse auf Einsicht in den Verlassenschaftsakt nach der Erblasserin.

Die Ersatzerbin sprach sich gegen diese Akteneinsicht bzw die Übersendung einer Aktenkopie aus und stimmte lediglich der (vom Erstgericht sodann auch verfügten) Übermittlung von Kopien des Testaments, der Testamentsergänzung und der Entschlagungserklärung zu.

Der Einschreiterin wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 17. 1. 2018 die Verlassenschaft nach ihrem Vater, dem am 18. 7. 2017 verstorbenen Neffen der Erblasserin, zur Gänze eingeantwortet.

Die Vorinstanzen wiesen das Akteneinsichtsbegehren ab. Das Rekursgericht führte aus, das Begehren sei nach § 22 AußStrG iVm § 219 ZPO zu beurteilen, wonach die Antragstellerin mangels Zustimmung der Ersatzerbin ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht glaubhaft machen müsse. Die Beurteilung der Frage, inwieweit eine Schenkung vorliege, die zu potenziellen Schenkungspflichtteilsansprüchen führen könne, sei anhand der übermittelten Unterlagen hinreichend möglich. Zur Geltendmachung bzw Konkretisierung dieser Schenkungspflichtteilsansprüche sei die Akteneinsicht in den Verlassenschaftsakt nicht erforderlich. Sie diene nur dem Informationsbedürfnis der Einschreiterin, inwieweit überhaupt Vermögenswerte im Verlassenschaftsverfahren vorhanden seien. Damit mache die Einschreiterin aber ein rein wirtschaftliches Interesse geltend, das in keiner rechtlichen Beziehung zum Verlassenschaftsverfahren stehe und damit nicht zur Akteneinsicht berechtige. Das Geheimhaltungsinteresse der anderen Parteien überwiege das (allenfalls als rechtlich zu qualifizierende) Interesse der Einschreiterin an der Einsicht in den betreffenden Aktenbestandteil. Denn die Einschreiterin könnte die Ersatzerbin auch im Wege einer Stufenklage in Anspruch nehmen. Diese Möglichkeit lasse ihr Interesse an der Akteneinsicht gegenüber jenem der anderen Parteien an der Geheimhaltung der sie betreffenden Akteninhalte zurücktreten.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob potenziellen Schenkungspflichtteilsberechtigten ein rechtliches Interesse zustehe, das zur Akteneinsicht in den Verlassenschaftsakt, in dem der Vater der Einschreiterin selbst sich seines testamentarischen Erbrechts entschlagen habe, berechtige.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Einschreiterin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Gewährung der begehrten Akteneinsicht; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Ersatzerbin hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, zumal überdies noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zu Fragen der Akteneinsicht einer Person, die die Hinzurechnung bestimmter Schenkungen des Erblassers verlangen kann, in Akten, in denen diese Person nicht Partei ist, die aber Aufschluss über hinzurechenbare Schenkungen bringen können, zum Erbrecht nach dem ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) vorliegt; der Revisionsrekurs ist auch teilweise berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin macht zusammengefasst geltend, nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen sei auch im vorliegenden Fall ihr rechtliches Interesse an der Akteneinsicht zu bejahen und diese daher zu bewilligen.

Hierzu wurde erwogen:

1. Hinzuzurechnende Schenkung:

Da der Neffe der Erblasserin nach dem 31. 12. 2016 gestorben ist, sind gemäß § 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB auf dessen Verlassenschaft die Normen über die Schenkungsanrechnung bereits nach dem ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87: §§ 780 ff ABGB) anzuwenden. Die Antragstellerin kann nur dann ein Interesse an der begehrten Akteneinsicht haben, wenn die Ausschlagung des Erbrechts nach der Erblasserin durch ihren Vater als Schenkung zu qualifizieren ist; denn nur dann kann sie als Pflichtteilsberechtigte nach ihrem Vater (§ 757 ABGB idF des ErbRÄG 2015) von der Ersatzerbin als Beschenkter die Schenkungsanrechnung nach § 781 ABGB idF des ErbRÄG 2015 begehren.

Schon nach bisherigem Recht wurde in der Rechtsprechung die Ausschlagung einer Erbschaft als anrechenbare unentgeltliche Zuwendung angesehen (8 Ob 527/86 = RIS-Justiz RS0012333; vgl auch 2 Ob 354/98t; 4 Ob 136/98y).

Nach der Generalklausel des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB idF des ErbRÄG 2015 gilt als Schenkung auch jede andere Leistung, die nach ihrem wirtschaftlichen Gehalt einem unentgeltlichen Rechtsgeschäft unter Lebenden gleichkommt. Es ist daher auch zum neuen Recht davon auszugehen, dass die unentgeltliche Ausschlagung einer Erbschaft eine Schenkung darstellt (so auch Musger in KBB5 § 781 Rz 4; Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 781 Rz 3).

2. Gesetzeslage:

Gemäß § 219 Abs 2 ZPO iVm § 22 AußStrG können mit Zustimmung beider Parteien auch dritte Personen in Gerichtsakten Einsicht nehmen und auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erhalten, soweit dem nicht überwiegende berechtigte Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des § 26 Abs 2 erster Satz DSG 2000 entgegenstehen. Fehlt eine solche Zustimmung, so steht einem Dritten die Einsicht und Abschriftnahme überdies nur insoweit zu, als er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht.

3. Rechtsprechung zur Akteneinsicht allgemein:

Das erforderliche rechtliche Interesse an der Akteneinsicht erfordert nach der Rechtsprechung mehr als ein allgemeines öffentliches Interesse an Information oder ein reines Informationsbedürfnis des Einsichtbegehrenden. Das rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht (RIS-Justiz RS0079198). Das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht muss konkret gegeben sein. Die Einsichtnahme und Abschriftnahme muss Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben und die Kenntnis des betreffenden Akteninhalts muss sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken, sei es auch nur dadurch, dass er instandgesetzt wird, die Beweislage für sich günstiger zu gestalten. Das rechtliche Interesse kann unter den beschriebenen Voraussetzungen allerdings nur dann anerkannt werden, wenn der Dritte aus dem Akt etwas erfahren will, was er nicht weiß, aber zur Wahrung seiner Interessen wissen muss (RIS-Justiz RS0037263).

4. Vorliegender Fall:

4.1. Rechtliches Interesse:

Wer berechtigt ist, die Hinzurechnung bestimmter Schenkungen zu verlangen, hat in Bezug auf diese gemäß § 786 ABGB idF des ErbRÄG 2015 einen Auskunftsanspruch gegen die Verlassenschaft, die Erben und den Geschenknehmer.

Diese Bestimmung bringt gegenüber der früheren Rechtslage insofern eine Änderung, als der zum alten Recht jedenfalls gegen den Geschenknehmer gesetzlich nicht vorgesehene und in der Rechtsprechung grundsätzlich verneinte (vgl Musger in KBB5 § 786 Rz 1) Auskunftsanspruch nunmehr ausdrücklich gesetzlich geregelt wurde (vgl ErläutRV 688 BlgNR, 25. GP 35).

Damit hat der Gesetzgeber unzweifelhaft ausgedrückt, dass er das in Rede stehende Informationsinteresse des Hinzurechnungsberechtigten gegenüber dem Geschenknehmer als berechtigt anerkennt. Wenn daher aus einem Akt, in dem – wie hier – der Geschenknehmer Partei ist, Aufschluss über eine hinzuzurechnende Schenkung zu erhalten ist, ist das rechtliche Interesse des Hinzurechnungsberechtigten an der Akteneinsicht zu bejahen. Da § 786 ABGB hinsichtlich der Art der Auskunft nicht unterscheidet, gilt dies (jedenfalls auch) für das Interesse an der Kenntnis der Höhe der Schenkung; denn die Tatsache der Schenkung an sich kennt hier die Einsichtswerberin.

Der Umstand, dass der Einsichtswerberin gegen die Ersatzerbin ein Auskunftsanspruch gemäß § 786 ABGB zusteht, führt nicht zur Beurteilung, dass ihr generell der verfahrensökonomischere Weg der Akteneinsicht verwehrt wäre. Lediglich im Rahmen der Prüfung, ob berechtigte Interessen Dritter überwiegen, könnte die Einsichtswerberin auf ein Auskunftsbegehren gemäß § 786 ABGB verwiesen werden (vgl zur „zweistufigen“ Prüfung 2 Ob 9/17p).

4.2. Derartige überwiegende berechtigte Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des § 26 Abs 2 erster Satz DSG 2000 bestehen jedoch nicht:

Nach Bejahung des rechtlichen Interesses ist weiter zu prüfen, ob im Sinn von § 219 Abs 2 ZPO iVm § 22 AußStrG der Akteneinsicht überwiegende berechtigte Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des § 26 Abs 2 erster Satz DSG 2000 entgegenstehen.

Dass hier die Einsichtswerberin durch die begehrte Akteneinsicht Kenntnis über die Vermögensverhältnisse der Erblasserin bekommt, steht der Akteneinsicht nicht entgegen, weil die Information darüber gerade das Ziel der Einsichtnahme ist (6 Ob 197/14k).

Ein Geheimhaltungsinteresse der Ersatzerbin ist– wie sich aus dem bereits erörterten § 786 ABGB ergibt – vom Gesetz gerade nicht geschützt.

Im Unterschied zur Entscheidung 2 Ob 9/17p gibt es hier im Verlassenschaftsverfahren nach der Erblasserin keine weiteren Parteien (weitere Erben, Pflichtteilsberechtigte oder Vermächtnisnehmer), deren Interesse an der Geheimhaltung über die Vermehrung ihres Vermögens geschützt werden müsste.

Somit bleiben nur noch die Interessen der (sonstigen) Verlassenschaftsgläubiger und -schuldner.

Deren (allfälligem) Geheimhaltungsinteresse daran, dass sie überhaupt Gläubiger bzw Schuldner der Verlassenschaft sind, kann dadurch Rechnung getragen werden, dass der Einsichtswerberin nur die Höhe der jeweiligen Forderung bzw Schuld offengelegt wird, nicht aber die Identität der Gläubiger und Schuldner. Denn die Einsichtswerberin muss zwar zur Beurteilung der Höhe ihres Anspruchs die Höhe der Aktiva und der Passiva, aus denen sich der Reinnachlass errechnet, wissen, die Identität der Verlassenschaftsgläubiger und -schuldner braucht sie jedoch nicht zu kennen.

Durch das Unkenntlichmachen der Namen bzw Firmen der Verlassenschaftsgläubiger und -schuldner in der übermittelten Fotokopie der Vermögenserklärung sind allenfalls berechtigte Geheimhaltungsinteressen dieser Rechtsträger gewahrt.

Dies korrespondiert mit jener Rechtsprechung, wonach die Akteneinsicht nur im unbedingt nötigen Ausmaß zu gewähren ist (10 Ob 89/07x mwN; vgl auch 1 Ob 97/06f; 2 Ob 9/17p mwN), und der anerkannten Möglichkeit, Einsichtnahme nur in bestimmte Aktenteile zu gewähren (7 Ob 175/07x; 2 Ob 9/17p jeweils mwN; vgl auch 2 Ob 194/14i).

Überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des § 26 Abs 2 erster Satz DSG 2000, die der Akteneinsicht entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

4.3. Ergebnis:

Die in § 219 Abs 2 ZPO normierte Interessenabwägung ergibt somit, dass mit der im Spruch ausgedrückten Einschränkung (Schwärzung der Verlassenschaftsgläubiger und -schuldner) Einsicht in die Vermögenserklärung ON 20 zu gewähren ist.

An den übrigen Teilen des Verlassenschaftsakts hat die Einsichtswerberin hingegen ein rechtliches Interesse an der Einsicht weder behauptet noch bescheinigt, weshalb das weitere Begehren abzuweisen war.

Die Bewilligung der Übersendung der (teilweise geschwärzten) Fotokopie von ON 20 gründet sich auf § 170 Abs 1 letzter Satz Geo.

5. Zusammenfassung:

Einem nach § 781 ABGB idF des ErbRÄG 2015 Hinzurechnungsberechtigten ist im Hinblick auf § 786 ABGB idF des ErbRÄG 2015 ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme in die relevanten Aktenteile eines Akts, aus dem sich Informationen über die Höhe einer hinzuzurechnenden Schenkung ergeben, grundsätzlich zuzubilligen; ob und in welchem Ausmaß die Akteneinsicht zu gewähren ist, hängt davon ab, inwieweit überwiegende berechtigte Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des § 26 Abs 2 erster Satz DSG 2000 der Akteneinsicht entgegenstehen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 185 AußStrG.

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