OGH 2Ob52/04t

OGH2Ob52/04t18.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gustav S*****, vertreten durch Dr. Walter Solic, Rechtsanwalt in Kaindorf bei Leibnitz, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Univ. Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen EUR 4.454,96 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 18. September 2003, GZ 55 R 157/03i-21, womit das Urteil des Bezirksgerichtes St. Johann im Pongau vom 1. Juli 2003, GZ 1 C 122/03z-17, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1.) Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens und der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

2.) Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Am 13. 1. 2002 ereignete sich auf der Tauernautobahn bei Straßenkilometer 42,7 in Fahrtrichtung Salzburg ein Verkehrsunfall, an dem Renata M*****, die einen PKW Mercedes C 180 mit deutschem Kennzeichen, für den die beklagte Partei Versicherungsschutz gewährt, lenkte, und in weiterer Folge auch der Kläger mit seinem PKW Audi A 4 beteiligt waren.

Der Kläger begehrte in seiner Klage unter Einräumung eines Mitverschuldens von zwei Dritteln EUR 4.454,96 sA an KFZ-Schaden und Nebenspesen mit der Begründung, Renata M***** treffe auf Grund mangelnder Aufmerksamkeit und überhöhter Geschwindigkeit das Verschulden am Unfall. Von ihrem auf dem linken Fahrstreifen der Autobahn liegen gebliebenen Fahrzeug sei in der Folge eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgegangen. Sie habe ihr Fahrzeug nicht ordnungsgemäß abgesichert.

Die beklagte Partei bestritt einen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall der Renata Magdic und dem Unfall des Klägers. Der Kläger sei selbst mit überhöhter Geschwindigkeit und unaufmerksam gefahren. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging hiebei im Wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Renata M***** geriet mit dem Mercedes C 180 auf dem linken Fahrstreifen der Tauernautobahn ins Schleudern, prallte mit der linken Fahrzeugseite gegen die linke Leitschiene und kam letztlich auf dem linken Fahrstreifen zum Stillstand. Nachdem sie zum Stillstand gekommen war, hielt rechts neben dem Beklagtenfahrzeug ein Fahrzeug mit zwei Frauen an, welche fragten, ob jemand verletzt sei und ob Hilfe benötigt würde. Über Ersuchen von Renata und Zoran M*****, ihrem Beifahrer, riefen die beiden Frauen die Autobahngendarmerie an. Als verkehrsbedingt das Aussteigen auf der Beifahrerseite möglich war - ein Aussteigen auf der Fahrerseite war wegen Schneehäufung zur Mittelleitplanke nicht möglich - stiegen Renata und Zoran M***** aus und stellten ein Warndreieck auf. Zwischenzeitlich blieb in einer Entfernung von zumindest 80 m hinter dem Beklagtenfahrzeug ein Lieferbus am linken Fahrstreifen stehen. Als der Lenker des nachfolgenden Fahrzeuges (VW Sharan) Matthias R***** das Anhaltemanöver des Lieferbusses bemerkte, leitete er ausgehend aus einer Geschwindigkeit von 110 - 120 km/h ein Vollbremsmanöver auf der rutschigen (matschigen, teilweise vereisten) Fahrbahnoberfläche ein. Zudem versuchte Matthias Reiter nach rechts auszuweichen. Letztlich kollidierte er jedoch mit seinem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 km/h mit dem Lieferbus und blieb leicht schräg (nach rechts verdreht) am linken Fahrstreifen stehen, nachdem die Bremslichter am Heck des VW Sharan etwa 12 Sekunden vor der Kollision aufgeleuchtet hatten. Matthias R***** schaltete sofort die Warnblinkanlage ein. Etwa fünf Sekunden nach dem Stillstand des VW Sharan kollidierte das Klagsfahrzeug (Audi A 4) mit Ersterem. Dazwischen befand sich ein weiteres Fahrzeug, welches jedoch einen Unfall verhindernd auf den rechten Fahrstreifen wechseln konnte. Der Kläger hat zumindest 5 Sekunden verspätet auf das erste mögliche Erkennen der Bremslichter am Heck des VW Sharan reagiert. Ohne Reaktionsverspätung wäre es dem Kläger möglich gewesen, unfallsvermeidend stehenzubleiben.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, eine vom Beklagtenfahrzeug ausgehende erhöhte Betriebsgefahr werde jedenfalls durch das schuldhafte Fehlverhalten des Klägers, dem eine erhebliche Reaktionsverspätung anzulasten sei, verdrängt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Eine vom Beklagtenfahrzeug allenfalls ausgehende außergewöhnliche Betriebsgefahr sei gegenüber dem schwerwiegenden Verschulden des Klägers zu vernachlässigen.

Der Kläger stellte einen Antrag gemäß § 508 Abs 1 ZPO und beantragte in seiner damit verbundenen, wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision die Abänderung des angefochtenen Urteiles im klagsstattgebenden Sinne; hilfsweise wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Das Berufungsgericht änderte daraufhin seinen Unzulässigkeitsausspruch gemäß § 508 Abs 3 ZPO dahin ab, dass die ordentliche Revision - wegen widersprüchlicher Judikatur zur Bewertung außergewöhnlicher Betriebsgefahr gegenüber einem groben Verschulden - doch zulässig sei. Der beklagten Partei wurde die Beantwortung der Revision frei gestellt (Zustellung am 28. 1. 2004). Die von der beklagten Partei entgegen § 507a Abs 3 Z 1 ZPO beim Erstgericht eingebrachte Revisionsbeantwortung war als verspätet zurückzuweisen, weil sie erst nach Ablauf der vierwöchigen Beantwortungsfrist am 27. 2. 2004 beim zuständigen Berufungsgericht einlangte (vgl Gitschthaler in Rechberger2 § 124 ff ZPO Rz 16 mwN).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der (jüngeren) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt. Der Rechtsmittelwerber macht im Wesentlichen geltend, eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu seinen Lasten sei sowohl wegen der vom Fahrzeug der Renata M***** ausgehenden außergewöhnlichen Betriebsgefahr als auch wegen deren Verschuldens am Primärunfall gerechtfertigt.

Hiezu wurde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass an einem adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall der Renata M***** und dem Unfall des Klägers nach den vorinstanzlichen Feststellungen kein Zweifel besteht (vgl RIS-Justiz RS0022675). In dritter Instanz ist offenbar auch nicht mehr strittig, dass auf Seiten des Klägers, der um zumindest fünf Sekunden verspätet reagiert hat, grobe Fahrlässigkeit vorliegt, und dass vom Fahrzeug, für welches die beklagte Partei Versicherungsschutz gewährt, eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausging, weil es nach einem Schleudervorgang auf dem linken Fahrstreifen einer Autobahn liegen blieb (vgl auch die im Folgenden zitierte Judikatur). Was das strittige Gewicht dieser Zurechnungsgründe (§ 11 Abs 1 EKHG) anlangt, so ist es nunmehr ständige Rechtsprechung des erkennenden Senates in zum Teil durchaus vergleichbaren Fällen, dass für eine außergewöhnliche Betriebsgefahr im Verhältnis zu einem groben Verschulden regelmäßig mit einer Quote

von einem Viertel einzustehen ist (2 Ob 359/99d = ZVR 2000/62 mwN; 2

Ob 314/00s = ZVR 2002/40; 2 Ob 229/01z = ZVR 2003/80; 2 Ob 151/03z).

Mit der Vernachlässigung einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr gegenüber einem groben Verschulden haben die Vorinstanzen somit die Rechtslage verkannt.

Die vom Kläger darüber hinaus angestrebte Quote von einem Drittel könnte dann gerechtfertigt sein, wenn der gegnerischen Lenkerin ein Verschulden am Primärunfall anzulasten wäre, wie es schon in der Klage geltend gemacht wurde und worauf etwa auch der Gendarmeriebericht hindeutet (Schleudern mit einer zugegebenen Fahrgeschwindigkeit von 100 km/h bei Schneefall auf matschiger bzw salznasser Fahrbahn). Hiezu haben die Vorinstanzen aber keine Feststellungen getroffen, was der Kläger schon in seiner Berufung gerügt hat. Eine abschließende Aufteilung des Schadens im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG ist daher noch nicht möglich.

Die Rechtssache war daher unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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