Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Klägerin kam am 17. 11. 2007 kurz vor 7:00 Uhr auf dem schneebedeckten Gehsteig der Gräfin-Zichy-Straße in Wien zu Sturz. Sie zog sich dabei an der linken Hand eine Speichenfraktur zu.
Die beklagte Partei hatte die Verrichtung des Winterdienstes auf dem erwähnten Gehsteig vertraglich übernommen, wobei ihr Vertragspartner ein seinerseits vom Anrainer beauftragtes Unternehmen war. Vereinbart war, dass die beklagte Partei den Gehsteig händisch räumen und streuen sollte, weil er für eine maschinelle Reinigung zu schmal war. Die dem Vertrag zugrunde gelegten AGB der beklagten Partei lauteten auszugsweise wie folgt:
„Die Leistungserbringung erfolgt (bei nächtlichem Schneefall oder Glatteis) in den Nachtstunden (ca 2:00 Uhr bis 6:00 Uhr) und wird bei anhaltendem Schneefall im Zuge weiterer Einsätze bei Bedarf fortgesetzt. […] Die Intervalle betragen [zwischen den Vertragsparteien vereinbarte] 3-4 Stunden. Bei Einsetzen der Niederschläge tagsüber erfolgt der Einsatzbeginn mit Liegenbleiben des Schnees oder Auftreten von Glatteis, sobald eine Betreuung notwendig erscheint. Die Betreuung der Liegenschaft erfolgt dann innerhalb von maximal […] 3-4 Stunden. Zu diesen Zeitangaben ist eine dem technischen Aufwand und der Verkehrssituation entsprechende Anfahrtszeit zuzuzählen.“
Die beklagte Partei übertrug die Betreuung des Gehsteigs der Gräfin-Zichy-Straße mittels „Werkvertrags“ an einen Studenten, der sich auf Abruf bereit zu halten hatte. Der Student erhielt eine Einsatzliste mit 23 Liegenschaften, auf denen er im Bedarfsfall gemeinsam mit einem Kollegen (ausschließlich) händische Winterdienstarbeiten zu verrichten hatte. Von der beklagten Partei wurden ihm ein Pkw und das Streusalz zur Verfügung gestellt. Eines der Kontrollsysteme der beklagten Partei bestand darin, dass andere Mitarbeiter dieselbe Strecke abfuhren und, wenn nötig, Nachbesserungen vornahmen.
Am 15. 11. 2007 hatten Schneefälle eingesetzt, die die ganze Nacht über andauerten und sich am 16. 11. 2007 bei mäßiger Intensität bis in die Abendstunden fortsetzten. Bis 7:00 Uhr morgens hatte sich eine ca 20-30 cm hohe Schneedecke aufgebaut, danach kamen weitere 5 cm dazu. Am 16. 11. 2007 verrichtete der Student zwischen 10:15 Uhr und 11:35 Uhr auf der Gräfin-Zichy-Straße den Winterdienst, indem er den Schnee von der Mitte des Gehsteigs wegschaufelte und ihn links und rechts am Gehsteigrand auftürmte. Den vom Schnee befreiten Teil in der Mitte des Gehsteigs bestreute er mit Splitt. Danach fiel am 16. 11. 2007 noch maximal 1 cm Schnee. Den ganzen Tag über und in der folgenden Nacht herrschten Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Die beklagte Partei hätte spätestens am Nachmittag des 16. 11. 2007 erkennen können, dass am Gehsteig der Gräfin-Zichy-Straße infolge leichter Schneefälle nach 11:35 Uhr Schnee liegen blieb.
Am 17. 11. 2007 blieb es im Unfallbereich ganztags niederschlagsfrei. Die Lufttemperatur lag am Morgen bei -3° C. Als die Klägerin über den Gehsteig ging, lag dort bereits wieder eine unregelmäßig hohe Schneedecke. Der Grund dafür waren einerseits die Schneefälle vom Vortag, andererseits war der zu beiden Rändern des Gehsteigs aufgetürmte Schnee wieder abgerutscht. Die Gehfläche war rutschig. Diese Umstände waren für die beklagte Partei vorhersehbar und hätten bei Kontrollen auch auffallen müssen. Der Gehsteig wurde am 17. 11. 2007 erstmals in der Zeit von 10:35 Uhr bis 11:20 Uhr geräumt und gestreut.
Die Klägerin begehrte den Ersatz ihres mit 6.800 EUR bezifferten Schadens. Die beklagte Partei habe ihre Verpflichtung zur Räumung und Streuung des Gehsteigs verletzt. Es liege ihr auch ein Organisationsverschulden zur Last.
Die beklagte Partei wandte ein, sie sei ihren vertraglich übernommenen Pflichten vollständig nachgekommen. Für den Gehilfen hafte sie nur im Rahmen des § 1315 ABGB.
Das Erstgericht gab mit Zwischenurteil dem Klagebegehren dem Grunde nach statt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Die beklagte Partei habe für ein Organisationsverschulden einzustehen. Es sei absehbar gewesen, dass der zu beiden Seiten des Gehsteigs aufgetürmte Schnee wieder auf den geräumten Teil zurück rutschen werde. Im Zusammenhang mit der gefallenen Schneemenge hätte sich die beklagte Partei von der Nachhaltigkeit der Räumung überzeugen müssen. Hätte sie rechtzeitig eine Kontrollfahrt unternommen, hätte sie erkennen können, dass der Gehsteig aussehe, wie ein „nicht geräumter Trampelpfad“.
Aufgrund eines Antrags der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht seinen Ausspruch, mit dem es die ordentliche Revision nicht zugelassen hatte, dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Es bestehe keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob unter den gegebenen Umständen von einem Organisationsverschulden eines professionellen Schneeräumunternehmens auszugehen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
I. In der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht dargetan:
Eine solche wird nicht schon dadurch begründet, dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht entschieden wurde (2 Ob 13/11t mwN; RIS-Justiz RS0107773). Dass aber eine juristische Person, wie hier die beklagte Partei, die Haftung für die unzureichende Organisation des Winterdienstes treffen kann, geht bereits aus der Entscheidung 2 Ob 47/07m hervor (RIS-Justiz RS0023138 [T3]). Die Beurteilung, wann dies zutrifft, entzieht sich einer allgemeinen Aussage und richtet sich typischerweise nach den konkreten Umständen des Einzelfalls.
II. Aber auch die beklagte Partei zeigt in ihrer Revision keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
Sie stützt sich im Wesentlichen auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach die dem Liegenschaftseigentümer gemäß § 93 Abs 1 StVO obliegenden Pflichten auch nur teilweise durch Rechtsgeschäft übertragen werden können (2 Ob 156/05p; 2 Ob 46/11w). Auch sie habe die Anrainerpflichten nicht schlechthin übernommen, sondern nur nach Maßgabe der vereinbarten Beginnzeiten und Intervalle. Ihren vertraglichen Pflichten habe sie entsprochen.
Dem ist zu erwidern:
1. Die beklagte Partei stellt - wie schon in erster Instanz (vgl AS 26) - nicht in Frage, dass sie bei einer Verletzung der übernommenen Leistungspflichten grundsätzlich die deliktische Außenhaftung treffen kann. Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf die vom Berufungsgericht erörterte Frage, ob derjenige, dem vom Liegenschaftseigentümer gemäß § 93 Abs 5 StVO die Pflichten nach § 93 Abs 1 StVO rechtsgeschäftlich übertragen wurden, seinerseits diese Pflichten rechtsgeschäftlich an einen Dritten weiterübertragen kann (vgl 2 Ob 67/87; VwSlg 11.113 A/1983; zu diesem Thema auch Dittrich/Stolzlechner, StVO3 § 93 Rz 55; Kienast, Haftungsfragen bei mangelnder Gehsteigräumung, ZVR 2009/167, 316 [320]).
2. Auch unter Zugrundelegung der von der beklagten Partei vertraglich übernommenen Leistungspflichten ist das Berufungsgericht zu keiner unvertretbaren Rechtsansicht gelangt.
2.1 Der Zweck der rechtsgeschäftlichen Überbindung von Räumungspflichten an die beklagte Partei konnte nur darin liegen, dass diese die von ihr zu betreuenden Verkehrsflächen in einem verkehrssicheren Zustand hält. Bereits der Umstand, dass die beklagte Partei für die händische Betreuung von 23 Liegenschaften nur einen Mitarbeiter samt Helfer bereit hielt, lässt im Hinblick auf die zu erwartende Dauer der Räumungsarbeiten und den damit verbundenen Verzögerungen auf beträchtliche organisatorische Mängel schließen (zu diesem Aspekt vgl 2 Ob 217/08p).
2.2 Nach den Feststellungen der Vorinstanzen gab es am Vortag des Unfalls bis in die Abendstunden noch mäßigen Schneefall, wobei auf den bereits gestreuten Flächen eine dünne Schneedecke liegen blieb. Dies hätten die Mitarbeiter der beklagten Partei schon am Nachmittag des 16. 11. 2007 erkennen können. Davor waren ca 35 cm Neuschnee gefallen. Die Repräsentanten der beklagten Partei waren in Kenntnis des Umstands, dass der schmale Gehsteig nur händisch betreut werden konnte. Dass sie für den Abtransport der Schneemassen Sorge getragen hätten, geht weder aus ihrem Prozessvorbringen noch aus den Feststellungen hervor.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, die beklagte Partei wäre unter diesen Umständen gehalten gewesen, sich - spätestens nach dem Ende der Schneefälle - davon zu überzeugen, ob weitere Räumungsarbeiten erforderlich sind, steht zu den vertraglich übernommenen Leistungspflichten in keinem erkennbaren Widerspruch. Worin ein solcher bestehen könnte, wird in der Revision ohnedies nicht dargetan.
2.3 Den erstinstanzlichen Feststellungen zufolge wäre den Mitarbeitern der beklagten Partei bei einer Kontrolle des Gehsteigs der Gräfin-Zichy-Straße (rechtzeitig) aufgefallen, dass dieser wieder schneebedeckt und rutschig war. Die (zumindest implizit vertretene) Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die beklagte Partei hätte in diesem Fall für die Verkehrssicherheit des Gehsteigs schon in den frühen Morgenstunden - und nicht erst am späten Vormittag - des 17. 11. 2007 Sorge tragen können und müssen, lässt auch vor dem Hintergrund der vertraglichen Vereinbarungen keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkennen.
2.4 Der Annahme eines durch den verspäteten Räumungseinsatz am Unfallstag indizierten Organisationsverschuldens hält die beklagte Partei in ihrer Revision nur die nicht näher begründete Behauptung entgegen, dass ihr ein solches nicht unterlaufen sei. Damit vermag sie aber eine iSd § 502 Abs 1 ZPO beachtliche Verkennung der Rechtslage durch das Berufungsgericht nicht aufzuzeigen.
3. Auch die weiteren Argumente der beklagten Partei werfen keine erhebliche Rechtsfrage auf:
3.1 Darauf, ob die Voraussetzungen einer Haftung für den Besorgungsgehilfen nach § 1315 ABGB vorliegen würden, kommt es nicht an, wenn die beklagte Partei ein Organisationsverschulden zu vertreten hat.
3.2 Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob ihre Repräsentanten um die Art und Weise, in der ihr Mitarbeiter den Gehsteig räumte, Bescheid wussten oder ob sie ihm gar eine entsprechende Anweisung gegeben hatten.
3.3 Von einem zwangsläufigen Entfall der Feststellung, dass der Gehsteig rutschig gewesen sei, kann keine Rede sein. Das Berufungsgericht hat zwar die erstinstanzliche Feststellung, es habe sich über Nacht Eis gebildet, nicht übernommen. Es ist aber zweifelsfrei davon ausgegangen, dass der Gehsteig wegen des Schneebelags rutschig war. Dies beruht auf einer jedenfalls vertretbaren Auslegung der weiteren Feststellungen des Erstgerichts.
3.4 Schließlich können auch die Revisionsausführungen zur Widerlegung des vom Erstgericht angenommenen Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter als für die Entscheidung nicht bedeutsam auf sich beruhen.
III. Da es der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)