OGH 2Ob34/22x

OGH2Ob34/22x6.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger, sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *,vertreten durch Mag. Udo Hansmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Mag. Erik Focke, Rechtsanwalt in Wien, wegen 8.605,18 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. November 2021, GZ 36 R 135/21a‑17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des BezirksgerichtsInnere Stadt Wienvom 23. März 2021, GZ 19 C 1344/20w‑13, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00034.22X.0906.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.233,80 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 1.526 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Am 10. 9. 2017 ereignete sich in 1030 Wien, Landstraßer Gürtel ein Verkehrsunfall, bei dem das in Deutschland zugelassene und bei der in Deutschland ansässigen Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug auf das bei der Klägerin haftpflichtversicherte Fahrzeug auffuhr und es in ein weiteres Fahrzeug hineinschob. Der Halter und Lenker dieses Fahrzeugs führte gegen die Klägerin als Haftpflichtversicherin ein Verfahren vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien, das die Klägerin verlor. Die Beklagte ersetzte der Klägerin über deren Aufforderung das Kapital, nicht aber die Verfahrenskosten von 8.605,18 EUR.

[2] Die Klägerinbegehrt diese Verfahrenskosten aus dem Titel der Geschäftsführung ohne Auftrag. Sie habe der Beklagten als Regressschuldnerin im Vorprozess den Streit verkündet; diese sei dem Vorverfahren jedoch nicht beigetreten und schulde daher den Ersatz der von der Klägerin aufgewendeten Verfahrenskosten. Gemäß § 26 KHVG bestehe ein direktes Klagerecht gegenüber der Haftpflichtversicherung des schuldtragenden Lenkers.

[3] DieBeklagtebestreitet die Passivlegitimation und wendet – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – ein, der Klägerin stehe für ihre abgeleiteten Ansprüche kein direktes Klagerecht gegen die Beklagte zu, weil sie keine geschädigte Dritte im Sinne des § 26 KHVG sei.

[4] Das Erstgerichtwies das Klagebegehren wegen mangelnder Passivlegitimation ab, weil die Klägerin im Verhältnis zum Versicherer des Schädigers nicht als geschädigte Dritte anzusehen sei, sondern aufgrund Legalzession gemäß § 67 Abs 1 VersVG auf sie übergegangene Ansprüche geltend mache.

[5] Das Berufungsgericht änderte das Urteil über Berufung derKlägerin im klagsstattgebenden Sinn ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Der Regress des Versicherers gemäß § 24 Abs 4 KHVG umfasse die dem Geschädigten erbrachten Leistungen einschließlich der diesem entstandenen Rechtsverfolgungskosten sowie den vom Haftpflichtversicherer bestrittenen Mehraufwand im Rahmen der Schadensabwicklung (Prozessführung) gegenüber dem Geschädigten, wenn der Prozess vom Versicherer als Geschäftsführer ohne Auftrag zum klaren und überwiegenden Vorteil des haftpflichtversicherten Versicherungsnehmers geführt worden sei. Bei der Führung eines Prozesses zur Abwehr von Ansprüchen durch einen Solidarschuldner liege ab der Streitverkündung ein „Auch-fremdes Geschäft“ für den anderen Solidarschuldner vor, sodass ein Regress von Prozesskosten bei dem sich am Prozess nicht beteiligenden solidarisch Mitverpflichteten gemäß § 1037 ABGB möglich werde. Der Fremdgeschäftsführungswille werde dabei in der Streitverkündung gesehen; der klare und überwiegende Vorteil der Prozessführung im Interesse des Regresspflichtigen liege in der Bindungswirkung hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen des Vorprozesses. Hier seien beide Parteien gemäß § 8 EKHG Solidarschuldner für die Schadenersatzansprüche hinsichtlich des vordersten Fahrzeugs. Die Beklagte habe die Geschäftsführung durch die Klägerin durch Nichtbeteiligung am Vorprozess akzeptiert; die Voraussetzungen für einen Prozesskostenregress lägen deshalb vor.

[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil aus der Entscheidung zu 2 Ob 2/20p hervorgehe, dass die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den hier zu klärenden allgemeinen Fragen des Prozesskostenregresses uneinheitlich sei.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichts; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat.

[10] Die Beklagte argumentiert damit, dass in der Haftpflichtversicherung die Leistung an den Versicherungsnehmer durch Deckung des Drittschadens erfolge und der Ausdruck „Schadenersatzanspruch“ in § 67 VersVG nicht nur Schadenersatzansprüche im engeren Sinn umfasse; sondern vielmehr im weitesten Sinn dahin zu verstehen sei, dass er sich unter anderem auch auf Regressansprüche beziehe. Auch der Ersatz der Prozesskosten sei von der Deckung des Drittschadens umfasst und stelle eine Leistung an den Versicherungsnehmer dar, weshalb der Haftpflichtversicherer einen abgeleiteten Anspruch geltend mache und nicht als Geschädigte im Sinne des § 26 KHVG zu qualifizieren sei. Für die gerichtliche Durchsetzung dieses Anspruchs mangle es an der direkten Klagemöglichkeit gegen die Beklagte.

Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:

[11] 1. Der behauptete Mangel des Berufungsverfahrens wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[12] 2. Im Hinblick auf die Beteiligung eines Kraftfahrzeugs mit deutschem Kennzeichen am Unfall liegt ein Sachverhalt mit Auslandsberührung vor. Kollisionsrechtliche Überlegungen dazu erübrigen sich unter Berücksichtigung der Möglichkeit der (nachträglichen und schlüssigen) Rechtswahl nach Art 3 Rom I‑VO bzw Art 14 Rom II‑VO (1 Ob 67/15g mwN). Die Klägerin behauptete die Anwendung österreichischen Rechts; das blieb im erstinstanzlichen Verfahren und im Berufungsverfahren unbestritten. Die Beklagte geht in ihrer Revision auch ausdrücklich von der Anwendung österreichischen Sachrechts aus (RS0040169).

[13] 3.1 Der erkennende Fachsenat hat bereits in der ausführlich begründeten Entscheidung 2 Ob 35/15h (zust: Rubin, ÖJZ 2016/454 [458]; Rudolf, ZVR 2016, 367 [372]) ausgesprochen, dass nach dem Wortlaut der Bestimmung des § 67 Abs 1 VersVG die darin geregelte Legalzession nicht die Befriedigung der Forderung eines Dritten voraussetzt, sondern die Befriedigung des Versicherungsnehmers, die in der Haftpflichtversicherung durch die Deckung des Drittschadens geschieht. Der Ausdruck „Schadenersatzanspruch“ in § 67 VersVG erfasst nicht nur Schadenersatzansprüche im engeren Sinn; er ist vielmehr im weitesten Sinn dahin zu verstehen, dass er sich ua auch auf Regressansprüche bezieht. Durch den Forderungsübergang ändert sich die Rechtsnatur des Anspruchs nicht (RS0080533, RS0080594). Gleich der in 2 Ob 35/15h beurteilten Konstellation liegt der Klage hier ein auf den Haftpflichtversicherer übergegangener Regressanspruch des Schädigers gegen einen Mitschädiger zugrunde. Dass die Haftpflichtversicherung des Schädigers gemäß § 26 KHVG einem Direktanspruch des Geschädigten ausgesetzt gewesen ist, verschafft ihr keinen „eigenen“ Anspruch. Sie kann sich dennoch nur auf den auf sie übergegangenen Regressanspruch des Versicherungsnehmers stützen. Das ist ein selbständiger Anspruch, dessen Art und Umfang sich nach dem zwischen den Mitschädigern bestehenden „besonderen Verhältnis“ richtet, das hier in einem Ausgleichsanspruch zwischen den Beteiligten im Sinn des § 11 Abs 1 zweiter Satz EKHG besteht (2 Ob 35/15h mwN).

[14] 3.2 Für einen solchen Anspruch eines Haftpflichtversicherers besteht kein Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer des weiteren Schädigers gemäß § 26 KHVG. Dieser Direktanspruch beruht auf einem gesetzlichen Schuldbeitritt, mit dem die Schadenersatzansprüche des geschädigten Dritten gegen den Schädiger durch Hinzutritt eines weiteren leistungsfähigen Schuldners verstärkt werden sollen. Ein ausgleichsberechtigter Mitschädiger ist aber kein „geschädigter Dritter“ im Sinne dieser Vorschrift, umso weniger ist es die Klägerin, die den auf sie übergegangenen Ausgleichsanspruch geltend macht (2 Ob 35/15h mwN aus der gleichgelagerten Rechtsprechung des BGH). An der Rechtsnatur eines auf die Klägerin übergegangenen Ausgleichsanspruchs ändert sich auch dadurch nichts, dass es sich um die im Vorverfahren aufgelaufenen Prozesskosten handelt. Der Übergang von Schadenersatzansprüchen nach § 67 VersVG erfasst auch Ansprüche auf Ersatz von Prozesskosten, die vom Versicherer für den Versicherungsnehmer aufgewendet wurden (vgl RS0081342).

[15] 4. Das Berufungsgericht geht von einer direkten Klagemöglichkeit gemäß § 24 Abs 4 KHVG aus. § 24 KHVG regelt die Rechte des geschädigten Dritten für den Fall, dass der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei ist („krankes Versicherungsverhältnis“). Soweit der Versicherer den Dritten aufgrund des Abs 1 oder 2 befriedigt, geht die Forderung des Dritten gegen den Versicherungsnehmer gemäß § 24 Abs 4 KHVG auf ihn über. Ungeachtet der Leistungsfreiheit gegenüber dem Versicherungsnehmer oder Mitversicherten wird im Verhältnis zum geschädigten Dritten das Bestehen eines Versicherungsanspruchs des Versicherungsnehmers oder Mitversicherten fingiert. Gemäß Abs 4 kann dann die gegenüber dem Versicherungsnehmer leistungsfreie Versicherung, die dem geschädigten Dritten gemäß Abs 1 geleistet hat, beim Versicherungsnehmer oder Mitversicherten Regress nehmen (Grubmann, KHVG5 § 24 E 2). Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor. Aus dieser Bestimmung ist daher für die Klägerin kein direktes Klagerecht gegen die Beklagte ableitbar.

[16] 5. Zusammengefasst kann die Klägerin ihre Direktklage gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer eines Mitschädigers weder auf § 26 noch auf § 24 KHVG stützen.

[17] 6. Das in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich gelöste Problem (Nachweise in 2 Ob 2/20p), auf welcher Grundlage im Fall eines Regressanspruchs zwischen Solidarschuldnern ein anteiliger Ersatz der dem Geschädigten ersetzten Kosten eines Vorprozesses erfolgen kann, stellt sich deshalb nicht.

[18] 7. Der Revision der Beklagten war damit im Sinn des gestellten Abänderungsantrags Folge zu geben.

[19] 8. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren beruht auf § 50 iVm § 41 ZPO. Umsatzsteuer ist nicht zuzuerkennen, weil Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für einen ausländischen Unternehmer nicht der österreichischen Umsatzsteuer unterliegen. Verzeichnet der österreichische Anwalt im Prozess – kommentarlos – 20 % Umsatzsteuer, so wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen (RS0114955 [T7]).

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