OGH 2Ob2/21i

OGH2Ob2/21i25.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei E* M*, vertreten durch Dr. Heinz‑Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Dr. A* M*, vertreten durch Mag. Alexander Illigasch, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Dr. Romana Zeh‑Gindl, Rechtsanwältin in Wien, wegen einstweiliger Verfügung gemäß § 382h EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. Oktober 2020, GZ 42 R 373/20v, 42 R 374/20s‑26, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Donaustadt vom 9. Juni 2020, GZ 1 C 14/20a‑3, und vom 28. Juli 2020, GZ 1 C 14/20a‑12, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131097

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahingehend abgeändert, dass der Antrag, dem Gegner der gefährdeten Partei werde zur Sicherung des Anspruchs auf Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses der gefährdeten Partei gemäß § 97 ABGB einstweilig verboten, über die Ehewohnung in der *, in welcher Form auch immer zu verfügen, insbesondere die Mietrechte an der Wohnung aufzugeben, abgewiesen wird.

Die gefährdete Partei ist schuldig, dem Gegner der gefährdeten Partei die mit 354,96 EUR (davon 59,16 EUR USt) bestimmten Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die gefährdete Partei (in der Folge: Antragstellerin) und der Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge: Antragsgegner) sind aufrecht verheiratet. Das Verfahren auf Scheidung der Ehe ist anhängig. Der Ehe entstammt eine im Jahr 2009 geborene Tochter.

[2] Am 22. 5. 2020 wurde gegen den Antragsgegner ein polizeiliches Betretungsverbot der Ehewohnung erlassen. Weiters wurde ihm die Annäherung an die Ehefrau und die Tochter untersagt.

[3] Mit Schriftsatz vom 3. 6. 2020 beantragte die Antragstellerin, dem Antragsgegner zur einstweiligen Sicherung des Anspruchs auf Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses gemäß § 97 ABGB zu verbieten, über die Ehewohnung in welcher Form auch immer zu verfügen, insbesondere die Mietrechte an der Wohnung aufzugeben.

[4] Sie brachte vor, Vermieter sei Wiener Wohnen, die Parteien stünden beide im Mietvertrag. Sie und ihre Tochter hätten keine andere Wohnmöglichkeit und daher ein dringendes Wohnbedürfnis an der Ehewohnung. Der Antragsgegner verhalte sich neben der ausgeübten physischen Gewalt auch massiv psychisch übergriffig, kontrollierend und unberechenbar und habe bereits begonnen, wohnungsbezogene Leistungen, wie den Netflix‑Account, zu kündigen. Es bestehe der Verdacht, dass er dies ebenso bei der Ehewohnung tun könne.

[5] Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners und setzte eine Frist von sechs Monaten für die Einleitung des Verfahrens nach § 97 ABGB fest. Es erachtete als bescheinigt, dass der Antragsgegner zuletzt einen Netflix‑Account gekündigt und auch bereits in der Vergangenheit ohne Wissen und Einwilligung der Antragstellerin diverse Handlungen, vor allem Geld betreffend, unternommen habe. Die Antragstellerin befürchte, dass der Antragsgegner ohne Wissen und ohne ihre Zustimmung die Mietrechte der Ehewohnung aufkündigen könnte. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass die Ehewohnung der Antragstellerin zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses diene. Ihre Ansprüche seien durch das Verhalten des Antragsgegners gefährdet.

[6] Der Antragsgegner erhob fristgerecht einen Widerspruch und brachte vor, die Vorwürfe der Antragstellerin seien falsch, die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung lägen nicht vor.

[7] Das Erstgericht wies den Widerspruch des Antragsgegners ab und bestätigte die einstweilige Verfügung. Es stellte weiters fest, dass der Antragsgegner seit Juni 2020 weder die Miete beglichen habe, noch die Stromkosten für die Ehewohnung. Bereits im März 2020 sei eine Stromrechnung durch den Antragsgegner nicht mehr beglichen worden. Am 20. 7. 2020 sei beim Erstgericht eine gerichtliche Aufkündigung eingelangt, worin der Antragsgegner die Aufkündigung der Mietrechte der Antragstellerin begehrt habe. Die einstweilige Verfügung sei aus diesen Gründen ohne Bestimmung einer Sicherheitsleistung zu bestätigen.

[8] Das Rekursgericht bestätigte beide Beschlüsse des Erstgerichts und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

[9] Es erörterte rechtlich, der Anspruch nach § 97 ABGB bestehe grundsätzlich nur gegen den verfügungsberechtigten Ehegatten und gewähre dem wohnungsbedürftigen Ehegatten einen Unterlassungs-, allenfalls auch einen Leistungsanspruch. Vor dem Erstgericht sei das Verfahren auf Scheidung der Ehe der Parteien anhängig, sodass es weder eines konkreteren Vorbringens noch Feststellungen zur Gefährdung der Ansprüche der Antragstellerin auf Erhalt der Ehewohnung bedürfe. Ihr dringendes Wohnbedürfnis sei unbestritten. Das Argument, dass beide Parteien Mieter der Ehewohnung seien und der Antragsgegner „daher überhaupt keine Dispositionen bezüglich der Wohnung treffen“ könne, überzeuge nicht. Vielmehr bekräftige die versuchte gerichtliche „Aufkündigung“ der Wohnung durch den Ehemann dessen Bestreben, der Ehegattin die Wohnung zu entziehen. Der Antragsgegner habe nicht davor zurückgeschreckt, als bloßer Mitmieter der Wohnung gegen die Antragstellerin eine – wenn auch erfolglose – gerichtliche Aufkündigung einzubringen. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass er auch gegenüber dem Vermieter den Versuch unternehmen werde, die Mietrechte der Antragstellerin an der Ehewohnung zu schmälern oder zu beeinträchtigen.

[10] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragsgegners mit dem Abänderungsantrag, den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.

[11] Die Antragstellerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbentwortung, den Revisionrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Revisionsrekus ist zulässig, weil das Rekursgericht von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist, er ist deshalb auch berechtigt.

[13] 1. Der Revisionsrekurswerber verweist darauf, dass bei zwei Mitmietern keiner der beiden alleine über die Mietrechte verfügen könne, sodass insoweit keine Gefährdungslage iSd § 382h EO vorliege.

[14] 2. Dem ist zu folgen:

[15] 2.1. Nach § 97 ABGB hat dann, wenn ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt ist, dieser andere Ehegatte einen Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlässt und vorkehrt, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliert, außer, wenn das Handeln oder Unterlassen des verfügungsberechtigten Ehegatten durch die Umstände erzwungen wird.

[16] 2.2. Der Zweck dieser Bestimmung wird in ständiger Rechtsprechung darin gesehen, dem betroffenen Ehegatten jene Wohnmöglichkeit zu erhalten, die ihm bisher zur Deckung des den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisses gedient hat und die er weiterhin benötigt; er soll insofern vor Willkürakten des anderen Ehegatten geschützt werden (RS0009580; RS0009570).

[17] Sind aber – wie im vorliegenden Fall – beide Ehegatten verfügungsberechtigt, weil beide Mitmieter sind, kann nicht ein Ehegatte alleine über die Wohnung in der Form verfügen, dass er sie aufkündigt (vgl RS0020369; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht § 97 ABGB Rz 13).

[18] 2.3. Die von der Antragstellerin geltend gemachte Gefährdung ihres dringenden Wohnbedürfnisses kann daher schon aus rechtlichen Gründen nicht eintreten, sodass auch die Erlassung der einstweiligen Verfügung darauf nicht gegründet werden kann. Dass der Antragsgegner den Netflix‑Account gekündigt hat und schon zuvor eigenmächtig „diverse Handlungen vor allem Geld betreffend“ unternahm, zeigt keine konkreten Umstände auf, aus denen der nach § 382h EO sicherungsfähige Anspruch wegen der drohenden Gefahr eines Wohnungsverlusts der Antragstellerin abgeleitet werden könnte.

[19] 2.4. Zwar umfassen die aus § 97 ABGB abzuleitenden und gemäß § 382h EO (vormals § 382e EO) sicherbaren Ansprüche nicht nur Ansprüche eines Ehegatten auf Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses, sondern auch solche, die aus der Verletzung dieses Wohnungserhaltungsanspruchs resultieren (2 Ob 140/10t mwN; König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren5 Rz 4.38). Unter den Sicherungszweck fallen daher auch die zur Erhaltung der Ehewohnung erbrachten Aufwendungen, wobei zwischen sicherungsfähigen Leistungen, deren Unterbleiben einen Verlust der Wohnung zur Folge haben könnte, und Leistungen, bei denen ein derartiger Verlust nicht droht (Aufwendungen wie Kosten für Strom, Heizung etc), zu unterscheiden ist (vgl 3 Ob 231/04y; 1 Ob 65/05y; 4 Ob 55/07b; 2 Ob 173/09v; RS0119482). Dieser Regelungszweck begründet einen Zahlungsanspruch dann, wenn der in der Wohnung verbliebene Ehegatte die Zahlungen nicht aus Eigenem leisten kann (4 Ob 55/07b; vgl 9 Ob 226/02d, ähnlich 6 Ob 151/97t). Denn nur dann droht ein Verlust der Wohnung, den abzuwehren der verfügungsberechtigte Ehegatte nach § 97 ABGB „vorkehren“ muss. Einen solchen Anspruch macht die Antragstellerin hier aber nicht geltend.

[20] 2.5. Da die Antragstellerin somit eine konkrete Gefährdung des dringenden Wohnbedürfnisses, das nach § 382h EO sicherungsfähig wäre, weder behauptet noch nachgewiesen hat, ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben und der Sicherungsantrag in Abänderung der rekursgerichtlichen Entscheidung abzuweisen.

[21] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO (4 Ob 66/10z), wobei die Einbringung zweier Rekurse am selben Tag nicht als zweckentsprechende Rechtsverteidigung anzusehen (vgl § 22 RATG) und daher nicht zu honorieren ist.

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