OGH 2Ob215/19k

OGH2Ob215/19k15.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* T*, vertreten durch Specht & Partner Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. E* L* und 2. M* B*, beide vertreten durch Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Abtretung einer Erbschaft (Streitwert: 70.000 EUR), hinsichtlich der erstbeklagten Partei hilfsweise Zahlung von 70.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei und die außerordentliche Revision (richtig: den Rekurs) der erstbeklagten Partei gegen das Teilurteil und (richtig) den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Oktober 2019, GZ 13 R 63/19h‑49, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. Jänner 2019, GZ 65 Cg 16/16z‑45, in Ansehung des Hauptbegehrens abgeändert und dem Erstgericht die Entscheidung über das Eventualbegehren aufgetragen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128321

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

1. Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

2. Die als Rekurs zu wertende außerordentliche Revision der erstbeklagten Partei wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin und die Beklagten sind gesetzliche Erben eines 2012 verstorbenen russischen Staatsbürgers. Die Klägerin ist eine Tochter aus erster Ehe, die Erstbeklagte die Witwe und der Zweitbeklagte ein Sohn aus der zweiten Ehe. Der Verstorbene hatte (unter anderem) Vermögen in Russland und Österreich hinterlassen. Die Klägerin und die Erstbeklagte vereinbarten nach dessen Tod, dass die Klägerin das russische und die Erstbeklagte sowie der (damals noch minderjährige) Zweitbeklagte das österreichische Vermögen bekommen sollten. Das (allfällige) Vorhandensein von Vermögen in Drittstaaten war nicht Gegenstand der Vereinbarung.

Auf Grundlage dieser Vereinbarung gab die Klägerin vor einem österreichischen Notar die schriftliche Erklärung ab, sich ihres Erbrechts in Bezug auf das in Österreich belegene Vermögen zu entschlagen. Der Notar leitete diese Erklärung an das Gericht weiter, worauf der österreichische Nachlass den Beklagten eingeantwortet wurde. In weiterer Folge tauchte Vermögen in der Schweiz auf, dessen Nachlasszugehörigkeit teilweise strittig ist.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Abtretung eines Drittels des österreichischen Nachlasses (§ 823 ABGB), dies unter Anrechnung von diesen gemachten Schenkungen. Hilfsweise begehrt sie von der Erstbeklagten 70.000 EUR Schadenersatz. Für das Hauptbegehren stützt sie sich, soweit im Revisionsverfahren relevant, auf die Formungültigkeit der Erbsentschlagung und auf arglistiges Verhalten der Beklagten.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt.

Das Berufungsgericht wies das Hauptbegehren mit Teilurteil ab und sprach aus, dass die Entscheidung über das Eventualbegehren der Endentscheidung vorbehalten bleibe. Die ordentliche Revision ließ es nicht zu.

Die Entschlagung sei wirksam, weil der Notar bei deren Übermittlung an den Gerichtskommissär als Vertreter der Klägerin gehandelt habe. Ein Willensmangel liege nicht vor, weil sich die Beklagten zwar in Russland nicht formal des Erbes entschlagen, wohl aber auf den Erwerb der einzelnen Nachlassgegenstände verzichtet hätten. Ein strittiger Unternehmensanteil sei im russischen Verfahren nicht angegeben gewesen, die Beklagten hätten daher nicht darauf verzichten können. Dass die Klägerin die Vereinbarung nicht geschlossen hätte, wenn sie vom Vermögen in der Schweiz gewusst hätte, habe sie in erster Instanz nicht behauptet. Daher sei das Hauptbegehren mit Teilurteil abzuweisen. Zum Eventualbegehren fehle ein taugliches Vorbringen. Der Klägerin sei daher nach § 182a ZPO Gelegenheit zu einem solchen Vorbringen zu geben.

Rechtliche Beurteilung

A. Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist daher als nicht zulässig zurückzuweisen.

1. Zur formellen Wirksamkeit der Entschlagung:

1.1. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass ihre Erbsentschlagung unwirksam sei, weil sie sie nicht gegenüber dem Gericht oder dem Gerichtskommissär abgegeben habe. Das Berufungsurteil stehe insofern im Widerspruch zur Entscheidung 2 Ob 53/09x. Danach erfülle eine – wenn auch schriftlich – abgegebene, dem Gericht aber nicht vom Erklärenden selbst, sondern von einem „konkurrierenden“ Erben vorgelegte Erklärung nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für eine wirksame Entschlagung.

1.2. In der genannten Entscheidung verneinte der auch hier erkennende Senat die Zulässigkeit einer Abhandlung im Eingabenweg (§ 3 GKG) ohne Beteiligung des Ausschlagenden, weil dessen Erklärung nicht von ihm selbst, sondern von einem „konkurrierenden Erben“ dem Gericht vorgelegt worden sei. Der Entscheidung kann allerdings nicht entnommen werden, dass die Erklärung auch bei Vorlage durch einen Vertreter oder Boten des Erklärenden unwirksam gewesen wäre. Vielmehr hielt der Senat ausdrücklich fest, dass es Sache des jeweiligen Erben sei, „den eigenen Erbverzicht (durch Bewirkung des Zugangs bei Gericht bzw Gerichtskommissär) unwiderruflich zu machen“. Den – für die Wirksamkeit der Entschlagung maßgebenden (6 Ob 3/09y) – Zugang an das Gericht oder den Gerichtskommissär „bewirken“ kann der Entschlagende zweifellos auch durch die Post, einen Boten oder einen Vertreter.

1.3. Im konkreten Fall steht fest, dass die Klägerin den Termin für die Unterzeichnung der Erklärung selbst mit dem Notar vereinbart hatte. Der Notar hatte mit ihr die Frage eines Pflichtteilverzichts und allfälliger Schenkungen erörtert. Der Klägerin war bewusst, dass der Notar ihre Erklärung dem Gericht übermitteln würde; für sie war das österreichische Verfahren damit erledigt. Zwar wurde der Notar im weiteren Verfahren (primär) als Vertreter der Beklagten tätig. Dennoch konnte das Berufungsgericht auf der Grundlage dieser Feststellungen in vertretbarer Weise annehmen, dass der Notar die Erklärung dem Gericht als Vertreter der Klägerin übermittelte. Denkbar wäre auch seine Qualifikation als Bote; eine Befugnis, über die Erklärung – etwa im Auftrag der Beklagten – zu „disponieren“ (2 Ob 53/09x), hatte der Notar aber jedenfalls nicht. Es besteht daher kein Zweifel, dass es die Klägerin selbst war, die durch den Notar als Vertreter oder Boten den Zugang der Erklärung an das Gericht „bewirkte“. Die Lage ist nicht anders, als wenn sie die Erklärung dem Gericht mit der Post geschickt hätte.

1.4. Weshalb die Wirksamkeit einer Entschlagung von der Belehrung über die Rechtsfolgen einer bedingten oder unbedingten Erbantrittserklärung iSv § 157 Abs 1 Satz 2 AußStrG abhängen soll, kann die Revision nicht nachvollziehbar darlegen. Zweck dieser Bestimmung ist es, mögliche Erben über die Folgen ihrer Erbantrittserklärung für die Schuldenhaftung zu informieren, Das ist im Fall einer Entschlagung von vornherein irrelevant. Zudem ist eine Erbantrittserklärung ohnehin auch dann wirksam, wenn sie vor einer Aufforderung nach § 157 Abs 1 AußStrG abgegeben wird (vgl 6 Ob 3/09y, Punkt 4.1). Umso mehr muss das für eine dem Gericht zugegangene Entschlagung gelten.

2. Zur behaupteten „Arglist“ der Beklagten:

2.1. Die Klägerin stützt sich auch auf „arglistiges Verhalten“ der Beklagten. Damit ficht sie in der Sache ihre Entschlagung, die auch materiell‑rechtlichen Charakter hat (RS0007910), wegen eines Willensmangels an (§ 870 ABGB). Das ist nach der Judikatur (jedenfalls) im Rahmen einer Erbschaftsklage möglich (RS0013016; 8 Ob 113/05h; 3 Ob 239/08f; weitergehend 6 Ob 3/09y [allenfalls auch im Verfahren über das Erbrecht]).

2.2. Diese Rechtsprechung wird zwar im Schrifttum – auch im Hinblick auf die gegenteilige Judikatur zu Erbantrittserklärungen (RS0113461) – kritisiert (Volgger, Antritt und Entschlagung der Erbschaft [2014] 113 ff; vgl auch Nemeth in Schwimann/Kodek 5 § 805 Rz 4; Sailer in KBB5 § 800 Rz 9). Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage kann aber unterbleiben, weil der Tatbestand des § 870 ABGB im konkreten Fall ohnehin nicht erfüllt ist:

(a) Schon das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass eine Anfechtung (auch) im Fall der Arglist nur erfolgreich sein kann, wenn das beanstandete Verhalten kausal für die angefochtene Erklärung war (RS0014790). Die Beweislast dafür trifft den Anfechtenden (3 Ob 563/95).

(b) Im vorliegenden Fall wirft die Klägerin den Beklagten „arglistiges“ Verhalten im russischen Verlassenschaftsverfahren vor. Weder ihrem Vorbringen noch den Feststellungen kann aber entnommen werden, dass die Beklagten schon vor Abgabe der Entschlagungserklärung die Absicht gehabt hätten, sich nicht an die Vereinbarung zu halten, und die Klägerin darüber getäuscht hätten. Selbst wenn daher das weitere Verhalten der Beklagten nicht der Vereinbarung entsprochen hätte – was das Berufungsgericht ohnehin verneinte –, könnte daraus noch nicht auf einen Mangel an der Wurzel der Erklärung geschlossen werden.

3. Auf die behauptete Aktenwidrigkeit und die Nichtermittlung russischen Erbrechts in Bezug auf Erklärungen im russischen Verlassverfahren kommt es auf dieser Grundlage nicht an. Die (unstrittige) Anwendbarkeit österreichischen Rechts auf die Erbfolge in das österreichische Vermögen ergibt sich aus Art 23 Abs 1 und Art 26 des im Verhältnis mit der Russischen Föderation weitergeltenden Konsularvertrags zwischen der Republik Österreich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken vom 28. Februar 1959 (BGBl 1960/21; Notenwechsel zur Weitergeltung BGBl 1994/257).

B. Der als „außerordentliche Revision“ bezeichnete Rekurs der Erstbeklagten ist jedenfalls unzulässig.

1. Die Erstbeklagte strebt mit ihrem Rechtsmittel die Abweisung des gegen sie erhobenen Eventualbegehrens an. Das Berufungsgericht hat insofern ausgesprochen, dass die Entscheidung über das Eventualbegehren der Endentscheidung vorbehalten bleibe. Aus seiner Begründung ergibt sich eindeutig, dass diese Entscheidung dem Erstgericht obliegt. Das Berufungsgericht hat daher nicht etwa die Behandlung des Eventualbegehrens unterlassen (zu dieser Konstellation 5 Ob 134/18v mwN), sondern darüber – wenn auch nicht in der Sache – entschieden.

2. Bei dieser Entscheidung handelt es sich – mangels Erledigung der Sache – um einen Beschluss des Berufungsgerichts, der jedenfalls nur mit Rekurs angefochten werden kann. Die unrichtige Bezeichnung des Rechtsmittels schadet dabei nicht. Allerdings ist die Zulässigkeit des Rekurses nach § 519 Abs 1 ZPO zu beurteilen. Die ältere Rechtsprechung sah im Auftrag an das Erstgericht, über das Eventualbegehren zu entscheiden, einen Aufhebungsbeschluss iSv (heute) § 519 Abs 1 Z 2 ZPO, der nur bei – hier nicht erfolgter – Zulassung des Rekurses („Rechtskraftvorbehalt“) anfechtbar ist (RS0043816).

3. Es kann dahin stehen, ob diese Auffassung zutrifft. Denn liegt kein Aufhebungsbeschluss vor, dann wäre der Rekurs nur nach Maßgabe von § 519 Abs 1 Z 1 ZPO (allenfalls analog) zulässig. Das setzte aber voraus, dass der Rechtsschutz abschließend verweigert wurde (RS0102655). Beim Auftrag an das Erstgericht, das Eventualbegehren in der Sache zu erledigen, trifft das nicht zu.

4. Aus diesen Gründen ist das Rechtsmittel der Erstbeklagten als jedenfalls unzulässiger Rekurs zurückzuweisen.

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