European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00184.17Y.1128.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass auch das Begehren auf Zahlung von weiteren 2.828,03 EUR samt 4 % Zinsen ab 10. 1. 2017 und von monatlich 376,05 EUR ab 1. 1. 2017 abgewiesen wird.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 11.646,82 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin 3.732,80 EUR Barauslagen, 1.319,01 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagten haften dem Kläger aufgrund eines rechtskräftigen Urteils für sämtliche Schäden aufgrund eines Verkehrsunfalls im Jahr 1994, wobei die Haftung der erstbeklagten Versicherung mit der Haftpflichtversicherungssumme begrenzt ist. Beim Unfall wurde der Kläger am Körper verletzt. In der Folge bezog er eine Invaliditätspension. Die Beklagten ersetzten ihm bis August 2014, zuletzt aufgrund eines Urteils vom 29. Mai 2000, die Differenz zu seinem ohne Unfall erzielbaren Einkommen in Form einer Bruttorente, also (auch) unter Einbeziehung der Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung.
Im August 2014 erreichte der Kläger das Regelpensionsalter von 65 Jahren. Da die Beklagten angekündigt hatten, die Rentenzahlung aus diesem Grund einzustellen, begehrte er gerichtlich die „Arbeitgeberbeiträge“ für die drei zurückliegenden Jahre im Betrag von 12.363 EUR. Die Beklagten bestritten eine Zahlungspflicht. In der Verhandlung erörterte der Richter, dass der Geschädigte nach der Rechtsprechung ein Wahlrecht zwischen einer „Weiterversicherung“ (gemeint: den dafür erforderlichen Beträgen) und der „Rentendifferenz“ habe. Daraufhin schlossen die Parteien einen Vergleich, worin sich die Beklagten zur Zahlung von 6.200 EUR verpflichteten.
Mit September 2014 stellten die Beklagten die Zahlung der Rente ein. Die Pension des Klägers liegt seither unter jener, die er bei einer bis dahin fortgesetzten Berufstätigkeit erhielte.
Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger die Differenz zwischen der von ihm tatsächlich bezogenen und der fiktiven Alterspension (9.028,03 EUR für September 2014 bis Dezember 2016; monatlich 376,05 EUR ab Jänner 2017). Die geringere Pension sei Folge des Unfalls, für den die Beklagten hafteten. Die verglichenen Arbeitgeberbeiträge habe er nicht für eine freiwillige Pensionsversicherung verwenden können, weil dies neben der ohnehin bezogenen Invaliditätspension rechtlich nicht möglich gewesen sei.
Die Beklagten wenden ein, der Kläger habe zwischen den Mitteln für eine freiwillige Weiterversicherung und dem Ersatz der Pensionsdifferenz bei Erreichen des Pensionsalters wählen können. Diese Wahl habe er durch die Klage im Vorverfahren getroffen. Davon könne er nun nicht mehr abgehen; jedenfalls müsse er sich aber die gesamte im Vorverfahren begehrte Summe auf die Pensionsdifferenz anrechnen lassen.
Das Erstgericht verpflichtete die Beklagten zur Zahlung von 2.828,03 EUR und einer monatlichen Rente von 376,05 EUR und wies das Mehrbegehren ab. Zwar habe der Kläger mit Abschluss des Vergleichs im Vorverfahren sein Wahlrecht ausgeübt. Der Erhalt von Mitteln für die freiwillige Weiterversicherung bedeute jedoch nicht, dass er nicht trotzdem die Pensionsdifferenz begehren könne. Eine freiwillige Versicherung nach dem ASVG sei wegen des Bezugs einer Invaliditätspension aus rechtlichen Gründen nicht möglich gewesen. Dem Kläger falle aber zur Last, dass er den aufgrund des Vergleichs erhaltenen Betrag nicht auf andere Weise zur Pensionsvorsorge eingesetzt habe. Zur Vermeidung einer Bereicherung müsse er sich diesen Betrag auf die Pensionsdifferenz anrechnen lassen.
Das nur von den Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu.
Das vom Kläger ausgeübte Wahlrecht schließe das Geltendmachen einer Pensionsdifferenz nicht aus, da Leistungen für eine Weiterversicherung keine Kapitalabfindung seien, sondern eher einem Rettungsaufwand ähnelten. Dafür spreche auch, dass sich die Höhe einer Pensionsdifferenz-Rente ebenfalls ändern könne. Zur Vermeidung einer Bereicherung müsse sich der Kläger den tatsächlich erhaltenen Betrag anrechnen lassen. Der im Vergleich erfolgte Verzicht auf Teile jener Mittel, die er darüber hinaus für eine freiwillige Weiterversicherung hätte begehren können, habe sich nur auf sein Recht bezogen, frühzeitig Mittel zur (teilweisen) Abwehr eines späteren Schadens zu erhalten. Daher erfasse die Bereinigungswirkung des Vergleichs nicht die Frage der Pensionsdifferenz. Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Wahl des Anspruchs auf Ersatz der Mittel für eine Weiterversicherung das Geltendmachen einer Pensionsdifferenz ausschließe.
Mit ihrer Revision streben die Beklagten die vollständige Abweisung des Begehrens an. Das spätestens mit dem Vergleich im Vorverfahren erfolgte Ausüben des Wahlrechts schließe das Geltendmachen der Pensionsdifferenz aus; jedenfalls müsse aber das gesamte Begehren des Vorverfahrens auf einen allfälligen Anspruch angerechnet werden.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Er habe die im Vorverfahren erlangten Mittel aus rechtlichen Gründen nicht für eine freiwillige Weiterversicherung in der staatlichen Pensionsversicherung einsetzen können. Es sei auch nicht Gegenstand dieses Verfahrens gewesen, ob durch die „freiwillige Beitragsleistung“ die gesamte Pensionsdifferenz ausgeglichen werden könne. Damit habe der Vergleich auch nicht zu einer umfassenden Bereinigung geführt. Eine Bereicherung des Klägers würde ohnehin durch die Anrechnung des erhaltenen Betrags vermieden.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.
1. Der Kläger hatte ein Wahlrecht zwischen den für eine Pensionsvorsorge erforderlichen Beträgen und dem Ersatz der sonst entstehenden Pensionslücke.
1.1. Der Geschädigte ist in Bezug auf seinen Verdienstentgang grundsätzlich so zu stellen, wie er stünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Der Schaden ist daher durch eine Differenzrechnung zu ermitteln, bei der das hypothetische Einkommen ohne das schädigende Ereignis mit dem tatsächlich nach dem schädigenden Ereignis erzielten Einkommen verglichen wird (2 Ob 235/14v; 2 Ob 1/15h, beide mwN). Dabei ist grundsätzlich vom Nettoschaden auszugehen, weil dem Geschädigten auch ohne Unfall nur die Nettoeinkünfte verblieben wären, also die um Steuer und sonstige Abgaben verminderten Bruttoeinkünfte. Der tatsächliche erzielte Nettoverdienst samt einer allenfalls ausbezahlten Sozialversicherungsleistung ist daher vom hypothetischen Nettoverdienst, den der Geschädigte ohne den Unfall nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge erzielt hätte, abzuziehen (2 Ob 79/97z; 2 Ob 227/07g). Damit dem Geschädigten der Differenzbetrag ungeschmälert verbleibt, müssen ihm aber auch jene Steuern und Abgaben ersetzt werden, die durch die Schadenersatzleistung selbst entstehen. Diese ist daher so zu bemessen, dass sie unter Berücksichtigung der durch sie wieder entstehenden Abzüge dem Nettoschaden entspricht (2 Ob 1/15h mwN; RIS-Justiz RS0028339, RS0031017).
1.2. Der Verdienstentgang kann nach Erreichen des Regelpensionsalters auch in der Differenz zwischen der tatsächlich gewährten und jener Alterspension liegen, die der Geschädigte ohne die Auswirkungen des schädigenden Ereignisses – also bei fortgesetzter Erwerbstätigkeit – erzielt hätte; der Schädiger hat grundsätzlich auch diese von ihm verursachte Differenz zu ersetzen (2 Ob 203/63 ZVR 1964/44; 2 Ob 38/03f; 2 Ob 63/06p). Allerdings kann der Geschädigte insofern auch schon vorher – über den oben genannten Nettoschaden hinaus – die Beiträge für eine freiwillige Weiter- und/oder Höherversicherung verlangen, um sich so jedenfalls einen ungeschmälerten Pensionsbezug zu sichern (2 Ob 133/60 SZ 33/50, 2 Ob 203/63 ZVR 1964/44; 2 Ob 38/02f; RIS-Justiz RS0030993). Diese Möglichkeit beruht darauf, dass der Schädiger grundsätzlich eine Ersatzlage schaffen muss, die jener entspricht, die ohne das schädigende Ereignis eingetreten wäre. In diesem Fall hätte der Geschädigte aber nicht nur keinen (Netto-)Verdienstentgang gehabt, sondern er hätte auch die Anwartschaft auf eine (höhere) Pension erworben. Im Ergebnis kann der Geschädigte daher in Bezug auf seinen (zu erwartenden) Pensionsschaden zwischen zwei Formen des Ersatzes wählen: entweder die laufende Zahlung eines Betrags, der es ihm ermöglicht, durch eine freiwillige Versicherung eine Pensionslücke zu vermeiden, oder den Ersatz der konkreten Pensionslücke nach deren Eintritt (2 Ob 203/63; 2 Ob 38/02f; Reischauer in Rummel 3 § 1325 Rz 41; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek 4 § 1325 Rz 41). Insofern liegt daher – vergleichbar der Wahlmöglichkeit zwischen Naturalrestitution und Geldersatz (4 Ob 343/99s) – eine Wahlschuld mit Gläubigerwahlrecht vor.
1.3. Richtig ist, dass der Kläger die drohende Pensionslücke im konkreten Fall nicht durch eine fortgesetzte Pensionsversicherung im System des ASVG abwenden konnte. Denn er bezog aufgrund des Unfalls eine Invaliditätspension, was eine Selbst- oder Weiterversicherung und damit auch eine Höherversicherung ausschloss (vgl § 16a Abs 2 Z 2, § 17 Abs 1, § 20 Abs 3 ASVG). Das änderte aber nichts am (möglichen) Anspruch des Klägers auf Ersatz jener Beträge, die zur Abwendung einer Pensionslücke erforderlich sind. Ist dies in der staatlichen Pensionsversicherung nicht möglich, kann er – zur Herstellung der Ersatzlage – jene Beträge verlangen, die für eine gleichwertige private Pensionsvorsorge erforderlich sind. Eine Aussage, dass der Geschädigte keinen Anspruch auf Zahlung der für eine private Pensionsvorsorge erforderlichen Beträge habe, ist der Entscheidung 2 Ob 142/81 (ZVR 1984/90) nicht zu entnehmen: Aus dem insoweit unveröffentlichten Text der Entscheidung geht hervor, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin, sie strebe eine private Pensionsvorsorge an, als unzulässige Neuerung qualifizierte.
Entscheidet der Geschädigte sich für diese Form des Ersatzes, liegt es zunächst an ihm, die im konkreten Fall erforderliche Höhe dieser Beträge zu ermitteln.
2. Bei einer Wahlschuld ist der Wahlberechtigte an die von ihm getroffene Wahl gebunden (unten 2.1.). Der Kläger hat eine solche Wahl getroffen und kann nun nicht mehr einseitig davon abgehen (unten 2.2.).
2.1. Nach § 906 Abs 1 ABGB hat bei Wahlschulden der Verpflichtete die Wahl; er ist an diese Wahl gebunden. Die letztgenannte Bestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung auf Fälle eines Gläubigerwahlrechts analog anzuwenden (RIS-Justiz RS0024643). Sie erfasst auch Fälle, in denen sich die Wahlmöglichkeit nicht aus einer Vereinbarung, sondern aus dem Gesetz ergibt (5 Ob 152/72; 4 Ob 343/99s zur Wahl des Geschädigten zwischen Naturalrestitution und Geldersatz). Bei der Wahl handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (3 Ob 131/01p); sie kann (und muss gegebenenfalls: 1 Ob 363/33 SZ 15/119; RIS-Justiz RS0017692) durch Erheben einer Klage erfolgen (8 Ob 527/87; 8 ObA 199/98t). Hat der Berechtigte sie getroffen, kann er nicht mehr einseitig davon abgehen (5 Ob 284/65 SZ 38/221; 8 Ob 527/87; 3 Ob 131/01p). In 4 Ob 343/99s wird zwar ausgeführt, dass diese Bindung nicht besteht, soweit „der Geschädigte – so bei Verzug des Schädigers mit der Naturalherstellung – die Wiederherstellung des vorigen Zustands nachträglich als untunlich erachten und Geldersatz begehren kann“. Dies erfasst allerdings nur Fälle, in denen dem Geschädigten wegen des Verhaltens der Gegenseite nach der Wertung des § 918 ABGB ein Festhalten an seiner Willenserklärung nicht zugemutet werden kann. Abgesehen von solchen Fällen könnte die Wahl nur nach allgemeinen Grundsätzen wegen eines relevanten Willensmangels angefochten werden (§§ 870 f, 876 ABGB; Bollenberger in KBB 5 § 906 Rz 2; Aichberger-Beig in Klang 3 § 906 Rz 57).
2.2. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger von Anfang an eine Bruttorente – also unter Einschluss der Dienstnehmerbeiträge – begehrt und zugesprochen erhalten. Da er wegen des Bezugs der Invaliditätspension keine Beiträge zur Pensionsversicherung zu leisten hatte, erhielt er damit jedenfalls mehr als den Nettoverdienstentgang. Schon sein diesbezügliches Begehren konnte daher als Wahl des sofortigen Ersatzes der zur Vermeidung einer späteren Pensionslücke erforderlichen Beträge verstanden werden. Jedenfalls erfolgte diese Wahl aber durch die nur damit begründbare und von den Beklagten daher objektiv in diesem Sinn zu verstehende Klage auf Zahlung der Arbeitgeberbeiträge. Dem – anwaltlich vertretenen – Kläger musste zu diesem Zeitpunkt bewusst sein, dass es zwei Wege zur Abdeckung der drohenden Pensionslücke gab, die für ihn – abhängig von der Differenz zwischen statistischer Lebenserwartung und tatsächlicher Dauer des Pensionsbezugs – mit Vor- und Nachteilen verbunden sein konnten. Wenn er sich für einen dieser Wege entschied, kann er nun nicht mehr einseitig davon abgehen. Daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass im konkreten Fall nur eine private Vorsorge möglich war und der Kläger die dafür erforderlichen Beträge wohl anders hätte berechnen müssen. Denn auf einen nach den §§ 871, 876 ABGB beachtlichen Geschäftsirrtum hat sich der Kläger in Bezug auf die Ausübung seines Wahlrechts nicht berufen; ein Irrtum beim Ermitteln des Ersatzbetrags, der allenfalls zur Verjährung eines weitergehenden Anspruchs führte, fällt als bloßer Motivirrtum allein ihm zur Last. Auf die in den Rechtsmittelschriften erörterte Bereinigungswirkung des Vergleichs im zweiten Vorverfahren kam es unter diesen Umständen nicht an.
3. Aus diesen Gründen hat die Revision der Beklagten Erfolg. Die angefochtene Entscheidung ist dahin abzuändern, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wird.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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