European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00168.22B.1025.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
1. Dem Revisionsrekurs der Verlassenschaft und der erbantrittserklärten Erben wird teilweise Folge gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Antrag der Enkeltochter, sie als konkret Pflichtteilsberechtigte dem Verfahren beizuziehen, abgewiesen wird.
2. Im Übrigen werden die Revisionsrekurse zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Erblasserin hinterließ zwei Söhne und eine Tochter. In einem Testament hatte sie die Kinder des jüngsten Sohnes zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt. Diese gaben bedingte Erbantrittserklärungen ab und verwalten, soweit minderjährig vertreten durch ihre Mutter, den Nachlass (§ 810 ABGB). Das Erstgericht ordnete am 28. 5. 2020 die Inventarisierung an.
[2] Die Tochter der Erblasserin hatte mit Notariatsakt auf ihren Pflichtteil – nicht auch auf das Erbrecht – verzichtet, wobei sich dieser Verzicht ausdrücklich nicht auf ihre Nachkommen erstreckte.
[3] Im Verlassenschaftsverfahren beantragte ihre Tochter (die Enkelin der Erblasserin; in der Folge: Antragstellerin/Enkeltochter) unter Berufung auf ihre konkrete Pflichtteilsberechtigung am 21. 8. 2020 die „Zuerkennung der Pflichtteilsberechtigung“ sowie die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses. Während das Erstgericht die Anträge mangels konkreter Pflichtteilsberechtigung abwies, sprach das Rekursgericht über Rekurs der Antragstellerin aus, ihr komme als (abstrakt) Pflichtteilsberechtigte ein Antragsrecht auf Inventarisierung zu. Der Oberste Gerichtshof wies zu 2 Ob 75/21z die Revisionsrekurse der Antragstellerin und der Verlassenschaft zurück. In Rechte der Verlassenschaft werde durch den Beschluss nicht eingegriffen, sie sei daher nicht beschwert. Ein Ausspruch über die im Rahmen der Inventarisierung bloß als Vorfrage zu prüfende konkrete Pflichtteilsberechtigung sei gesetzlich nicht vorgesehen, sodass die Rechtsfrage nach der (konkreten) Pflichtteilsberechtigung der Antragstellerin nicht zu klären sei. Allein durch die – wenn auch unzutreffende – Begründung des Rekursgerichts, wonach der Antragstellerin als abstrakt Pflichtteilsberechtigte ein Recht zustehe, die Inventarisierung zu beantragen, sei sie nicht beschwert.
[4] Am 7. 2. 2022 beantragte die Antragstellerin erneut unter Berufung auf ihre konkrete Pflichtteilsberechtigung, (1.) sie dem Verlassenschafts‑verfahren als Partei beizuziehen, (2.) das Verlassenschaftsvermögen samt Liegenschaften zu inventarisieren und nach dem Verkehrswert zu schätzen, (3.) über die geplante Beauftragung eines Sachverständigen zur Schätzung verständigt zu werden und (4.) Auskunft über Kontobewegungen näher bezeichneter Konten zu erteilen.
[5] Das Erstgericht wies den Antrag auf Inventarisierung zurück (II.) und die übrigen Anträge ab (I.). Da ohnehin bereits die Inventarisierung angeordnet worden sei, fehle es der Antragstellerin insoweit an der „Beschwer“. Sie sei überdies nicht konkret pflichtteilsberechtigt, weil ihre Mutter noch lebe und nicht auf ihr Erbrecht verzichtet habe.
[6] Das Rekursgerichtänderte den Beschluss dahin ab, dass es den Anträgen der Antragstellerin, sie als konkret Pflichtteilsberechtigte dem Verlassenschaftsverfahren beizuziehen und ein Inventar zu errichten, stattgab. Im Übrigen wies es ihren Rekurs zurück, weil insoweit ein bloß verfahrensleitender und daher nicht gesondert anfechtbarer Beschluss vorliege. Der nicht auch ihre Nachkommen umfassende Pflichtteilsverzicht der Tochter der Erblasserin, führe zu einem Eintritt der Antragstellerin auch dann, wenn die Tochter noch lebe. Da die Antragstellerin konkret pflichtteilsberechtigt sei, sei sie dem Verlassenschafts‑verfahren beizuziehen und könne einen Antrag auf Errichtung eines Inventars stellen. Dass ein solches ohnehin bereits angeordnet worden sei, nehme ihr nicht die Beschwer. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, was bei einem Pflichteilsverzicht gelten solle, der sich nicht auf die Nachkommen erstrecke (§ 758 Abs 2 ABGB).
[7] Gegen den abändernden Teil der Entscheidung richten sich die Revisionsrekurse der Verlassenschaft,der erbantrittserklärten Erben sowie des pflichtteilsberechtigten jüngeren Sohnes.
[8] Die Antragstellerin beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung den Revisionsrekursen nicht Folge zu geben.
[9] Der Revisionsrekurs der Verlassenschaft und der erbantrittserklärten Erben ist teilweise, nämlich soweit dem Antrag der Enkeltochter, sie als konkret Pflichtteilsberechtigte dem Verlassenschaftsverfahren beizuziehen, stattgegeben wurde, zulässig, weil sie durch diesen Ausspruch beschwert sind (Pkt 3.3.1) und dem Rekursgericht eine aufzugreifende Fehlbeurteilung (Pkt 3.3.2) unterlaufen ist. Das Rechtsmittel ist insoweit im Ergebnis auch berechtigt.
[10] Im Übrigen sind die Revisionsrekurse nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[11] 1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist ein Eingriff in die geschützte Rechtssphäre (RS0006497; RS0006641). Für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels bedarf es der materiellen Beschwer, die nur dann vorliegt, wenn die rechtlich geschützten Interessen des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung unmittelbar beeinträchtigt werden, also in seine Rechtssphäre nachteilig eingegriffen wird (RS0118925). Dabei müssen subjektive Rechte betroffen sein (RS0006641 [T5, T13, T15]). Die Berührung bloß wirtschaftlicher, ideeller oder sonstiger Interessen genügt nicht (RS0006497 [T2, T7]).
2. Stattgebung des Antrags auf Errichtung eines Inventars:
[12] 2.1 Dass die Frage der Inventarisierung rechtlich geschützte Interessen der Verlassenschaft nicht berührt, wurde bereits in der Vorentscheidung klargestellt (2 Ob 75/21z Pkt 2.).
[13] 2.2 Aber auch die erbantrittserklärten Erben und der pflichteilsberechtigte Sohn sind durch die Stattgebung des Inventarisierungsantrags in ihren rechtlich geschützten Interessen schon deshalb nicht beeinträchtigt, weil das Erstgericht die nach § 165 Abs 1 Z 1 AußStrG ohnehin gebotene Inventarisierung bereits am 28. 5. 2020 von Amts wegen angeordnet hat.
[14] 2.3 Zwar hätte auch die Antragstellerin im Hinblick auf die ohnehin bereits angeordnete Inventarisierung kein Rechtsschutzinteresse an der Bekämpfung der Zurückweisung ihres Antrags durch das Erstgericht gehabt, sodass ihr Rekurs insoweit vom Rekursgericht zurückzuweisen gewesen wäre. Die durch die meritorische Behandlung begründete Nichtigkeit wegen fehlender funktioneller Zuständigkeit (RS0121264) kann aber mangels Vorliegens eines insoweit zulässigen Rechtsmittels nicht wahrgenommen werden (RS0121264 [T5]; RS0007095).
3. Stattgebung des Antrags auf Beiziehung zum Verlassenschaftsverfahren als konkret Pflichtteilsberechtigte:
[15] 3.1 Der Antrag (sowie der über diesen absprechenden Beschluss) zielt mangels Geltendmachung der einem Pflichtteilsberechtigten zukommenden Rechte nach den §§ 778, 804 und 812 ABGB darauf ab, vorweg (mit bindender Wirkung) dieParteistellung der Enkeltochter als ihre (konkret) Pflichtteilsberechtigtefestzustellen. Ausgehend davon ergibt sich Folgendes:
[16] 3.2 Ein Eingriff in die rechtlich geschützte Sphäre des pflichteilsberechtigten Sohnes, der in seiner Parteistellung nach ständiger Rechtsprechung auf die Rechte nach den §§ 778, 804 und 812 ABGB (Anwesenheit bei Schätzungen, Antrag auf Inventarisierung und Schätzung, oder Nachlassseparation) beschränkt ist, ist nicht ersichtlich. Zur Wahrung dieser Rechte ist er dem Verlassenschaftsverfahren beizuziehen. Nur in diesem Rahmen – soweit es also um seine eigenen Rechte geht – kommt ihm Rechtsmittelbefugnis zu (2 Ob 66/21a Rz 10 mwN; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 45 Rz 38/2). Auch durch den (impliziten) Ausspruch, eine andere Person sei (ebenfalls) konkret pflichtteilsberechtigt, ist er nicht beschwert (vgl § 760 ABGB Rz 1).
[17] Mangels Eingriffs in geschützte Rechte des pflichtteilsberechtigten Sohnes ist sein Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.
[18] 3.3 Anderes gilt hingegen für den Revisionsrekurs der Verlassenschaft sowie der erbantrittserklärten Erben.
[19] 3.3.1 Durch die im Spruch „festgestellte“ konkrete Pflichtteilsberechtigung der Enkeltochter wird in die (materiell‑rechtliche) Rechtsstellung der Verlassenschaft und der erbantrittserklärten Erben als Pflichtteilsschuldner (§ 764 Abs 1 ABGB) eingegriffen.
[20] 3.3.2 Für einen Beschluss über die Parteistellung als konkret Pflichtteilsberechtigte besteht keine gesetzliche Grundlage.
[21] Ein Feststellungsbegehren ist im Außerstreitverfahren nur möglich, wenn dies „in der materiellen Rechtslage angelegt ist“ (RS0131000). Dies trifft aufeinen verfahrensrechtlichen Antrag betreffend die Parteistellung nicht zu.
[22] Über das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs ist im Pflichtteilsprozess zu entscheiden (RS0005823). Die Frage der Pflichtteilsberechtigung ist im Verlassenschaftsverfahren bei Anträgen nach den §§ 778, 804 und 812 ABGB lediglich als Vorfrage zu beurteilen. Eine Rechtsgrundlage zur Feststellung der (konkreten) Pflichtteilsberechtigung besteht nicht (2 Ob 75/21z Pkt 1.).
[23] Der Beschluss des Rekursgerichts ist daher mangels einer Rechtsgrundlage für den beantragten und erfolgten Ausspruch dahin abzuändern, dass der Antrag der Enkeltochter auf Beiziehung zum Verlassenschaftsverfahren als konkret Pflichtteilsberechtigte abgewiesen wird.
[24] Ob sie aufgrund des Pflichtteilsverzichts ihrer Mutter kraft Repräsentation konkret pflichtteilsberechtigt ist, bedarf daher (zumindest derzeit) keiner Klärung.
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