OGH 2Ob166/20f

OGH2Ob166/20f28.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** K*****, vertreten durch Rechtsanwälte Zauner Mühlböck & Partner in Linz, gegen die beklagte Partei T***** H*****, vertreten durch Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 35.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. Juni 2020, GZ 4 R 77/20a‑13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 17. März 2020, GZ 1 Cg 103/19s‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00166.20F.0128.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR (darin 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist die Tochter der am ***** 2018 verstorbenen Erblasserin. Der Beklagte ist der Sohn der zweiten Tochter der Erblasserin (Enkel). Er hatte von der Erblasserin am 21. 11. 2014 ein Grundstück geschenkt erhalten, dessen Wert zum Todeszeitpunkt 180.370 EUR betrug. Seiner Mutter hatte die Erblasserin zu Lebzeiten insgesamt 160.199,38 EUR geschenkt. Der Reinnachlass von 14.731,87 EUR wurde der Mutter des Beklagten aufgrund des Testaments vom 11. 2. 2013 eingeantwortet. Die pflichtteilsberechtigte Klägerin erhielt daraus 3.682,96 EUR.

[2] Gestützt auf die Schenkungen an den Beklagten und dessen Mutter begehrte die Klägerin vom Beklagten einen anteiligen Ausfall am Pflichtteil von 35.000 EUR sA, wobei sie sich auf § 789 Abs 2 ABGB idF des ErbRÄG 2015 berief.

[3] Der Beklagte wendete ein, dass er schon dem Grunde nach nicht hafte, weil die Schenkung an ihn aufgrund des Ablaufs der pflichtteilsrechtlich relevanten Zweijahresfrist nicht zu berücksichtigen sei. Sowohl nach § 785 ABGB aF als auch nach der neuen Regelung des § 783 ABGB nF liege eine Schenkung, die unbefristet hinzu- und anzurechnen sei, nur dann vor, wenn der beschenkte Beklagte einerseits im Schenkungszeitpunkt abstrakt pflichtteilsberechtigt gewesen sei und andererseits im Erbfall zusätzlich konkret pflichtteilsberechtigt. Letzteres sei aber hier nicht der Fall. Eine davon abweichende Interpretation der neuen Rechtslage wäre in jenen Fällen, in denen die geltende Zweijahresfrist vor Inkrafttreten der neuen Bestimmungen bereits abgelaufen gewesen sei, wegen Verletzung des aus dem Gleichheitsgrundsatz abgeleiteten Vertrauensschutzes verfassungswidrig. Auch sei die von der Klägerin angewendete Rechenmethode unrichtig.

[4] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der beklagte Enkelsohn der Erblasserin sei bei der Schenkung und beim Tod der Erblasserin abstrakt pflichtteilsberechtigt gewesen, sodass gemäß dem anzuwendenden § 783 Abs 1 ABGB nF auch die Schenkung an ihn der Verlassenschaft hinzuzurechnen sei. Die erhöhte Verlassenschaft, bestehend aus 14.731,87 EUR (Reinnachlass), 160.199,38 EUR (Geschenk an die pflichtteilsberechtigte Mutter des Beklagten) und 180.370 EUR (Geschenk an den Beklagten), betrage insgesamt 355.301,25 EUR. Der Pflichtteil der Klägerin betrage davon ein Viertel, was einem Betrag von 88.825,31 EUR entspreche. Davon fänden 74.093,44 EUR keine Deckung im Reinnachlass. Für diesen Ausfall hafteten beide Geschenknehmer gemäß § 789 Abs 2 ABGB nF anteilig im Verhältnis des Werts ihrer Geschenke, der Beklagte daher mit 52,96 %. Somit bestehe das Klagebegehren zu Recht.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte ergänzend aus, verfassungsrechtliche Bedenken bestünden schon deshalb nicht, weil der Beklagte keine gesicherte Rechtsstellung dahin erlangt habe, dass die Schenkung anrechnungsfrei sei. Denn dies hätte auch nach alter Rechtslage seine bereits fehlende konkrete Pflichtteilsberechtigung vorausgesetzt, somit, dass das Kind des Erblassers als vermittelnder Elternteil des Enkels im Todeszeitpunkt des Erblassers noch lebe.

[6] Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob für die unbefristete Hinzurechnung eine abstrakte Pflichtteilsberechtigung des Beschenkten nach der durch das ErbRÄG 2015 geschaffenen neuen Rechtslage genüge, noch keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

[7] Die Revision des Beklagten, mit der er die Abweisung der Klage begehrt, ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn die bedeutsame Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112769 [T12]; RS0112921 [T5]). Das ist hier der Fall.

[9] 2. Da die Erblasserin nach dem 31. 12. 2016 verstorben ist, sind auf den Sachverhalt die hier maßgeblichen Normen idF des ErbRÄG 2015 (BGBl I 2015/87) anzuwenden, auch wenn die Schenkung bereits vor dem 1. 1. 2017 stattgefunden hat (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB; 2 Ob 120/20s; 2 Ob 195/19v; 2 Ob 80/18f).

[10] 3. Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile in der ausführlich begründeten Entscheidung 2 Ob 195/19v = RS0133335 ausgesprochen, dass eine Schenkung nach § 783 Abs 1 Satz 1 ABGB nF dann unbefristet hinzuzurechnen ist, wenn der Beschenkte sowohl im Zeitpunkt der Schenkung als auch im Zeitpunkt des Todes des Erblassers zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten (§ 757 ABGB) gehörte. Im Gegensatz zum alten Recht kommt es dafür generell nur mehr auf die abstrakte Pflichtteilsberechtigung des Beschenkten an (2 Ob 195/19v Rz 61). Die Entscheidung des Berufungsgerichts entspricht dieser Rechtsprechung.

[11] Der Revisionswerber zeigt keine Argumente auf die Anlass gäben, von dieser Rechtsprechung wieder abzugehen. Auch Vertrauensschutzerwägungen stehen dem nicht entgegen. Der Beklagte bestreitet nicht, dass auch nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 die Schenkung an ihn nur bei fehlender konkreter Pflichtteilsberechtigung im Zeitpunkt des Todes der Erblasserin anrechnungsfrei gewesen wäre (RS0012855 [T4, T5]). Ob seine Mutter die Erblasserin überleben werde, war bis zum Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 aber naturgemäß noch ungewiss. Dazu kommt, dass das ErbRÄG 2015 zwar (erst) am 1. 1. 2017 in Kraft trat, aber bereits am 30. 7. 2015 kundgemacht wurde. Die (auch) nach altem Recht geltende Zweijahresfrist des § 785 Abs 3 ABGB aF, innerhalb der die Schenkung an den Beklagten jedenfalls anzurechnen gewesen wäre, lief daher erst lange nach Kundmachung des ErbRÄG 2015 ab. Auch deshalb konnte ein berechtigtes Vertrauen des Beklagten, bei allfälligen Vermögensdispositionen auf keinerlei Verbindlichkeiten aufgrund der Schenkung mehr Rücksicht nehmen zu müssen, nicht bestehen. Von einem Eingriff in eine gesicherte Rechtsstellung des Beklagten dahin, dass die Schenkung anrechnungsfrei sei, kann daher schon aus diesen Gründen nicht gesprochen werden.

[12] 4. Weiters hat der Oberste Gerichtshof bereits dargelegt, dass das Gesetz selbst in § 787 Abs 1 ABGB nF zur Rechenmethode der Hinzu- und Anrechnung eine eindeutige Regelung trifft (2 Ob 120/20s). Danach ist eine Schenkung der Verlassenschaft rechnerisch hinzuzuschlagen. Von der dadurch vergrößerten Verlassenschaft sind die Pflichtteile zu ermitteln. Auch zur Ermittlung des Fehlbetrags nach § 789 ABGB ist für die Hinzurechnung von Schenkungen diese Rechenmethode heranzuziehen (2 Ob 120/20s Rz 13; vgl 2 Ob 64/19d [ErwGr 5.]). Von dieser Rechtslage sind die Vorinstanzen nicht abgewichen.

[13] Für die vom Revisionswerber gewünschte Rechenmethode, es sei der gesamte Reinnachlass nur vom „Schenkungspflichtteil“ aus der Schenkung an den Beklagten in Abzug zu bringen, sodass lediglich ein Restbetrag von 28.838,03 EUR verbleibe, bietet schon der Wortlaut der genannten gesetzlichen Bestimmungen keinen Anhaltspunkt. Der Beklagte zeigt in seinem Rechtsmittel auch kein Argument auf, das für eine derartige Auslegung spräche. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt insoweit nicht vor.

[14] 5. Die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage ist somit bereits hinreichend beantwortet. Sonstige Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung zeigt der Revisionswerber nicht auf. Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

[15] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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