European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00158.23H.0220.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben, der Beschluss des Berufungsgerichts im Umfang des Feststellungsbegehrens aufgehoben und das klagsabweisende Ersturteil insoweit als Teilurteil wiederhergestellt. Die Entscheidung über die diesbezüglichen Verfahrenskosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Im Übrigen, sohin hinsichtlich des Begehrens auf Zahlung von 6.600 EUR samt 4 % Zinsen ab Klagszustellung, wird dem Rekurs nicht Folge gegeben. Die diesbezüglichen Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger erwarb am 21. 5. 2015 von seinem Vater einen im Februar 2010 erstzugelassenen PKW Audi Q5, der mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor Typ EA 189 (Euro 5) ausgestattet und unstrittig vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffen ist. Er ließ im Jahr 2017 ein Software‑Update durchführen und besitzt das Fahrzeug nach wie vor.
[2] Mit seiner Klage begehrt der Kläger 6.600 EUR sA als Schadenersatz. Er habe das Fahrzeug unter der Annahme erworben, dass es den Bestimmungen der VO 715/2007/EG entspreche. Tatsächlich sei es von den Organen und Repräsentanten der Beklagten – vorsätzlich zwecks Gewinnmaximierung – mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet und in einem gesetzwidrigen und überteuerten Zustand ausgeliefert worden. Hätte er im Ankaufszeitpunkt gewusst, dass das Fahrzeug nicht einmal den Mindeststandards entspreche, nämlich der Euroabgasnorm 5, hätte er einen um 30 % geringeren Kaufpreis gezahlt; dies entspreche dem objektiven Minderwert. Diese manipulationsbedingte Wertminderung sei durch das Software‑Update nicht ausgeglichen worden, noch dazu, weil seitdem ein Thermofenster wirksam sei, bei dem es sich ebenfalls um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle.
[3] Die Beklagte hafte aufgrundder arglistigen und sittenwidrigen Schädigung als nicht am Vertrag beteiligte Dritte nach § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB sowie wegen Schutzgesetzverletzungen.
[4] Da sich durch das Software‑Update der Verschleiß erhöht habe und künftige Schäden im Sinn von Spät‑ und Dauerfolgen insbesondere beim Abgasrückführsystem nicht ausgeschlossen werden könnten, begehrte der Kläger überdies die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, welcher dem Kläger aus dem Kauf des Fahrzeugs und dem darin verbauten Dieselmotor Typ EA 189 entsteht.
[5] Die Beklagte bestritt eine Haftung und ein Feststellungsinteresse. Weder sei sie Herstellerin des Fahrzeugs noch Verkäuferin, und sie habe den Kläger auch nicht getäuscht oder Aufklärungspflichten oder Schutzgesetze verletzt. Es fehle zudem an einem Schaden und einer Kausalität, jedenfalls sei der Kläger durch das Software‑Update klaglos gestellt. Das Fahrzeug sei stets betriebssicher, verkehrstauglich und fahrbereit gewesen, könne uneingeschränkt im Straßenverkehr genutzt werden und verfüge über alle erforderlichen Genehmigungen. Ein ursprünglicher Minderwert und/oder eine Wertminderung aufgrund des Software‑Updates werde ebenso bestritten wie daraus resultierende Spät‑ und Dauerfolgen.
[6] Das Erstgericht wies die Klage ab. Es verneinte einen ersatzfähigen Schaden, weil das Fahrzeug nach dem Software-Update frei von Sach- und Rechtsmängeln sei. Die „noch vorhandenen Abschaltvorrichtungen, insbesondere betreffend das Thermofenster“, seien vom deutschen Kraftfahrtbundesamt (KBA) begutachtet und als zulässige Abschaltvorrichtung eingestuft worden. Auch sei es trotz der Abschalteinrichtung und der öffentlichen Diskussion um Dieselfahrzeuge zu keinem Wertverfall gekommen. Schließlich hätten Spät‑ und Dauerfolgen aufgrund des Software‑Updates mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können, weswegen kein Feststellungsinteresse bestehe.
[7] Das Berufungsgericht, dass das Rechtsmittelverfahren bis zur Entscheidung des EuGH in den Verfahren C‑145/20 und C‑100/21 unterbrochen hatte, gab der Berufung des Klägers insofern Folge, als es das angefochtene Urteil aufhob und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwies.
[8] Unter Hinweis auf die zwischenzeitig ergangenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu 10 Ob 2/23a (vom 21. 2. 2023 und 25. 4. 2023) hielt es fest, dass nicht nur die im Übergabezeitpunkt verbaute „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG zu qualifizieren sei, sondern auch das nach dem Software-Update vorhandene Thermofenster, zumal das Klagsvorbringen zu dessen eingeschränkter Wirksamkeit von der Beklagten nicht substantiiert bestritten worden sei.
[9] Ein Verstoß gegen Art 5 der VO 715/2007/EG könne den Hersteller demnach auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis zum Käufer stehe. Es fehle jedoch im Sinne der Entscheidung 10 Ob 16/23k (Rz 43 ff) an ausreichenden Feststellungen dazu, ob das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprochen habe. Der Kläger habe vorgebracht, er hätte das Fahrzeug bei Kenntnis davon, dass es von der Beklagten „manipuliert“ worden sei, nicht den rechtlichen Vorschriften entspreche und deswegen repariert werden müsse, um einen um 30 % reduzierten Preis erworben. Feststellungen zu diesem Vorbringen seien im angefochtenen Urteil allerdings nicht getroffen worden und nachzuholen. Auch würden Feststellungen dazu fehlen, mit welchem Preisverfall des Klagsfahrzeugs bei einem tatsächlichen Entzug der Typengenehmigung zu rechnen sei. Damit könne auch das Feststellungsinteresse des Klägers nicht beurteilt werden.
[10] Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht insbesondere wegen fehlender Rechtsprechung zur Bemessung des Schadenersatzes bei Käufern zu, die ihr Fahrzeug behalten hätten.
[11] Dagegen richtet sich der – beantwortete – Rekurs der Beklagten mit dem Abänderungsantrag, das klagsabweisende Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[12] Der Rekurs ist wegen eines Abweichens des Berufungsgerichts von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zulässig und – in Bezug auf das Feststellungsbegehren – teilweise berechtigt.
1. Zum Leistungsbegehren:
[13] 1.1 Die Beklagte wendet sich in ihrem Rekurs nicht gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass auch im Fahrzeug des Klägers zunächst eine Umschaltlogik verbaut war und nunmehr ein Thermofenster im Sinne der Entscheidung 10 Ob 2/23a und beides als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist.
[14] 1.2 Sie verweist in ihrem Rekurs aber mit Recht auf ihr bereits in erster Instanz erstattetes Vorbringen, wonach sie als bloße Motorenherstellerin nicht wegen eines Verstoßes gegen die VO 715/2007/EG als Schutzgesetz hafte.
[15] Dies entspricht der mittlerweile gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs: Eine deliktische Haftung aus der vom EuGH beurteilten Schutzgesetzverletzung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung trifft (nur) den Fahrzeughersteller, der Inhaber der EG-Typengenehmigung ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat (3 Ob 40/23p Rz 33).
[16] 1.3.1 Dessen ungeachtet ist jedoch eine (unmittelbare) Haftung der Beklagten als Herstellerin des Motors nach § 874, § 1295 Abs 2 ABGB denkbar (3 Ob 40/23p Rz 34; 6 Ob 161/22b Rz 30 ff; konkret zur Marke Audi: 6 Ob 149/23i; 10 Ob 31/23s), und zwar auch gegenüber einem Gebrauchtwagenkäufer (2 Ob 139/23i; 4 Ob 204/23p [gebrauchte Audis]).
[17] 1.3.2 List iSd § 870 ABGB ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung, wobei dolus eventualis ausreicht. Das Verhalten des Täuschenden und damit der Irrtum muss für den Vertragsabschluss kausal sein: Der Vertragsschließende wird durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in seinem Irrtum belassen oder bestärkt und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt. Nach § 1295 Abs 2 ABGB ist schadenersatzpflichtig, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt. Auch dafür genügt bedingter Vorsatz (6 Ob 161/22b Rz 34 f).
[18] Eine Haftung der Beklagten setzt somit voraus (vgl 10 Ob 31/23s Rz 53 f), dass ihr zurechenbare Personen es zumindest für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie bewirkten oder dazu beitrugen, dass der gegenständliche Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung an Fahrzeugkäufer wie den Kläger verkauft wird, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Fahrzeuge ohne unzulässige Abschalteinrichtung erwerben wollten und ohne diesen Irrtum keinen (oder zumindest einen inhaltlich anderen) Kaufvertrag schließen würden.
[19] Wäre Ergebnis des Verfahrens, dass der Beklagten hinsichtlich der Umschaltlogik ein arglistig herbeigeführter Irrtum oder eine absichtliche Schadenszufügung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise nachgewiesen werden würde, entfiele ihre Haftung zudem nicht bei fehlendem Verschulden (oder einem Mangel von Arglist oder Schädigungsabsicht) zum Thermofenster (6 Ob 149/23i Rz 16).
[20] 1.3.3 Ob dies – wie der Kläger im Verfahren substantiiert behauptete – der Fall ist, kann aber mangels ausreichender Feststellungen derzeit noch nicht beurteilt werden. Das Erstgericht hat zwar festgestellt, dass die Beklagte die Umschaltlogik „absichtlich“ einbaute, jedoch ergibt sich aus der Beweiswürdigung, dass es lediglich einen „irrtümlichen“ Einbau ausschloss und gerade keine Aussagen zur subjektiven Tatseite treffen wollte.
[21] Ebensowenig kann derzeit die Kausalität beurteilt werden, weil keine Feststellungen getroffen wurden, ob das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Klägers entsprach (vgl 4 Ob 204/23p unter Verweis auf 10 Ob 16/23k Rz 38 ff).
[22] 1.3.4 Der Schaden des Klägers wäre bei einer Haftung der bloßen Motorenherstellerin nach allgemeinen Regeln zu ermitteln (vgl 10 Ob 31/23s Rz 51; 2 Ob 139/23i; 4 Ob 204/23p):
[23] Hält der Getäuschte am Vertrag fest, ist der Schaden gemäß § 874 ABGB aufgrund der relativen Berechnungsmethode zu ermitteln. Auch bei arglistiger Irreführung durch Dritte wird somit nach ständiger Rechtsprechung schadenersatzrechtlich ein Ergebnis erzielt, das dem einer Vertragsanpassung gleichkommt. Demnach ist zu fragen, welcher Vermögensstand vorhanden wäre, wenn der Vertrag mit entsprechendem Inhalt zustande gekommen wäre. Auch wenn feststeht, dass ein Fahrzeugkäufer bei ordnungsgemäßer Aufklärung das Fahrzeug nicht erworben hätte, kann er somit durch die Veranlassung der Leistung eines überhöhten Kaufpreises am Vermögen geschädigt worden sein.
[24] 1.4 Im Ergebnis erweist sich daher die Aufhebung der Entscheidung über das Zahlungsbegehren und Rückverweisung an das Erstgericht als unumgänglich, sodass dem Rekurs der Beklagten insoweit nicht Folge zu geben war.
2. Zum Feststellungsbegehren:
[25] 2.1 Hingegen ist die Beklagte im Recht, dass das Feststellungsbegehren spruchreif und das klagsabweisende Ersturteil in diesem Umfang wieder herzustellen ist.
[26] 2.2 Es liegt kein Verstoß gegen eine bereits eingetretene Teilrechtskraft vor, weil der Kläger mit seiner Berufung ausdrücklich das gesamte klagsabweisende Ersturteil anfocht und eine Abänderung in eine (gänzliche) Klagsstattgebung beantragte.
[27] 2.3 Allerdings bekämpfte der Kläger die Ausführungen des Erstgerichts, wonach die von ihm behaupteten (technischen) Spät‑ und Dauerfolgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen seien und daher kein Feststellungsinteresse vorliege, weder mittels Beweis‑, noch Rechtsrüge.
[28] Der Beklagten ist daher beizupflichten, dass ein Feststellungsinteresse ausgehend von den – unbekämpften – erstgerichtlichen Feststellungen nicht ersichtlich ist.
[29] Im Übrigen hielt der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 17/23g (Rz 34) bereits fest, dass sich aus § 874, § 1295 Abs 2 ABGB kein Begehren auf Feststellung der Haftung für Reparatur- oder Wartungskosten ableiten lasse. Ebensowenig hafte die Herstellerin für einen (allfälligen zukünftigen) Entzug der Zulassung, weil dieses Risiko bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließe (vgl 10 Ob 27/23b Rz 44).
[30] 3. Der Kostenvorbehalt beruht hinsichtlich des Teilurteils auf § 52 Abs 4 ZPO und im Übrigen auf § 52 Abs 1 letzter Satz ZPO.
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