European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00111.24Y.0725.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
1. Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es zu lauten hat:
Zwischen der klagenden Partei und den beklagten Parteien wird festgestellt, dass die klagende Partei Eigentümerin der im Schätzgutachten „*“ des Sachverständigen O* sowie der im Schätzgutachten des Sachverständigen H* aufgelisteten Vermögenswerte ist.
2. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 28.436,58 EUR (darin enthalten 3.950,91 EUR USt und 4.731,10 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Streitteile sind die aufgrund eines 2004 errichteten Testaments zu je einem Drittel rechtskräftig eingeantworteten Erben des 2018 verstorbenen Erblassers, der der klagenden Witwe – soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – als „Vorauslegat“ das lebenslängliche und unentgeltliche Recht vermachte, Inventar, Möbel und Hausrat (im Folgenden: Wohnungsinhalt) einer Mietwohnung in Wien zu benützen.
[2] Dem Erblasser war es ein Anliegen, die Klägerin im Falle seines Todes bestmöglich abzusichern. Nach seiner Vorstellung sollte es ihr möglich sein, nach seinem Tod ihr bisheriges Leben in der gewohnten Weise weiterzuführen und über alle vorhandenen Fahrnisse möglichst frei verfügen zu können.
[3] Durch das Vermächtnis wollte er ihr am Wohnungsinhalt jenes Recht einräumen, das einem Ehegatten nach dem Tod an den Fahrnissen in der gemeinsamen Ehewohnung als Vorauslegat im Sinne des § 745 ABGB zukommt, ihr also das Eigentumsrecht an diesen Fahrnissen und nicht nur ein bloßes Nutzungsrecht einräumen. Ihm war nämlich bewusst, dass der Charakter der Wohnung als Ehewohnung aufgrund des Vorhandenseins weiterer Liegenschaften zweifelhaft sein könnte.
[4] Die Klägerin begehrt – soweit Gegenstand des Revisionsverfahrens – gestützt auf § 745 ABGB und das zu ihren Gunsten ausgesetzte Legat, ihr Alleineigentumsrecht am Wohnungsinhalt festzustellen, in eventu die Beklagten zur Übertragung ihrer Eigentumsanteile zu verpflichten, in eventu zumindest ihr lebenslanges und unentgeltliches Nutzungsrecht am Wohnungsinhalt festzustellen. Abgesehen davon, dass ihr am Wohnungsinhalt im Rahmen ihres gesetzlichen Vorausvermächtnisses das Eigentumsrecht am ohnehin schon in ihrem Besitz stehenden Wohnungsinhalt zukomme, habe der Erblasser ihr in seinem Testament auch das Eigentum am Wohnungsinhalt als Vermächtnis vermacht.
[5] Die Beklagten wenden ein, bei der Wohnung habe es sich nicht um die Ehewohnung gehandelt. Auch aus dem Testament lasse sich nicht einmal andeutungsweise der Wille des Erblassers erschließen, der Klägerin Eigentum am Wohnungsinhalt einräumen zu wollen. Die Klägerin könne weder ein Nutzungsrecht noch Eigentum am Wohnungsinhalt geltend machen, weil die (übrigen) Zuwendungen an die Beklagten aufgrund der damit verbundenen Belastungen nicht zur Deckung ihrer Pflichtteile ausreichten.
[6] Das Erstgericht wies das auf Feststellung des Alleineigentumsrecht der Klägerin am Wohnungsinhalt gerichtete Haupt‑ sowie das auf Übertragung des Eigentums an den den Beklagten gehörenden Drittelanteilen am Wohnungsinhalt gerichtete erste Eventualbegehren ab und stellte in Stattgebung des zweiten Eventualbegehrens das lebenslange und unentgeltliche Nutzungsrecht der Klägerin am Wohnungsinhalt fest.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Ein gesetzliches Vorausvermächtnis (§ 745 ABGB) am Wohnungsinhalt komme der Klägerin schon deshalb nicht zu, weil es sich bei der Wohnung nicht um die gemeinsame Ehewohnung gehandelt habe. Dass der Erblasser ihr letztwillig nicht bloß ein Nutzungsrecht, sondern Eigentum am Wohnungsinhalt hinterlassen wollte, sei – mag dies auch seinem wahren Willen bei Testamentserrichtung entsprochen haben – im Wortlaut der Verfügung nicht einmal angedeutet. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
[8] Dagegen richtetet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, ihrem Hauptbegehren in eventu ihrem ersten Eventualbegehren stattzugeben.
[9] Die Beklagten beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[10] Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht bei Anwendung der Testamentsauslegungsgrundsätze eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist auch berechtigt.
[11] Die Klägerin argumentiert, dass insbesondere aufgrund der Verwendung des Wortes „Vorauslegat[s]“ im Testament des Erblassers ausreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass er ihr – entsprechend seinem wahren Willen – letztwillig Eigentum am Wohnungsinhalt vermacht habe.
[12] 1. Die Auslegung einer letztwilligen Verfügung richtet sich gemäß § 553 ABGB in der hier anzuwendenden Fassung des ErbRÄG 2015 (§ 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB) nach dem wahren Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Verfügung (RS0012370 [T3]; vgl RS0012238 [T1, T2, T8]; vgl RS0012342; vgl RS0012598), der in ihrem Wortlaut zumindest angedeutet sein muss (vgl zur „Andeutungstheorie“: RS0012372). Die Auslegung muss in der letztwilligen Verfügung irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden und darf nicht völlig dem unzweideutig ausgedrückten Willen zuwider laufen (2 Ob 214/18m Pkt 2.). Selbst eine noch so deutlich erwiesene Absicht des Testators ist unbeachtlich, wenn sie im letzten Willen keinen Ausdruck gefunden hat (RS0012372 [T6, T8]), weil sonst die Formvorschriften umgangen würden (RS0012352). Die Auslegung hat möglichst so zu erfolgen, dass der vom Erblasser beabsichtigte Erfolg eintritt (RS0012372 [T13]; RS0012370).
[13] 2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt in der Verwendung des Wortes „Vorauslegat[s]“ tatsächlich ein ausreichender Anhaltspunkt im erklärten Willen für die festgestellte wahre Intention des Erblassers, der Klägerin Eigentum am Wohnungsinhalt als Legat vermachen zu wollen.
[14] Das gesetzliche Vorausvermächtnis nach § 745 ABGB ordnet dem daraus Berechtigten nämlich das Eigentumsrecht (Welser, Erbrechts‑Kommentar § 745 ABGB Rz 8) an den zum ehelichen Haushalt gehörenden beweglichen Sachen und kein bloßes Nutzungsrecht zu. Bezogen auf die Ehewohnung hat der überlebende Ehegatte nach § 745 ABGB hingegen nur ein Recht auf unentgeltliche Weiterbenützung (Musger in KBB7 § 745 Rz 4; vgl RS0012824 zu § 758 ABGB idF vor dem ErbRÄG).
[15] Der feststehende wahre Wille des Erblassers, der Klägerin Eigentum am Wohnungsinhalt vermachen zu wollen, ist daher aufgrund der Verwendung des Wortes „Vorauslegat[s]“ auch im erklärten letzten Willen ausreichend angedeutet, mag er es auch nicht als „gesetzliches“ Vorauslegat bezeichnet haben. Die Zuordnung des Eigentumsrechts zur Klägerin entspricht dem vom Erblasser angestrebten Erfolg. Dass der Begriff Vorausvermächtnis auch im Zusammenhang mit der Frage der Anrechnung auf den Erbteil (§ 648 Abs 1 ABGB) Verwendung findet und vom Erblasser auch bei der unstrittigen Einräumung einer bloßen Dienstbarkeit an Liegenschaften im Vermächtnisweg verwendet wird, steht dem nicht entgegen, weil dennoch auch ein Anhaltspunkt für den feststehenden wahren Willen des Erblassers vorliegt.
[16] 3. Ein gesonderter Übertragungsakt ist aufgrund der – unstrittig – ohnehin stattfindenden alleinigen Benützung durch die Klägerin entbehrlich (vgl Musger in KBB7 § 745 ABGB Rz 2), sodass ihrem Hauptbegehren stattzugeben war.
[17] 4. Soweit die Beklagten dem Vermächtnisanspruch entgegenhalten, ihre Pflichtteile seien aufgrund von Belastungen der (übrigen) Zuwendungen nicht gedeckt und dazu pauschal auf ihr Vorbringen erster Instanz verweisen, kann eine Befassung mit diesem Einwand schon aufgrund des unzulässigen und unbeachtlichen Verweises auf bereits erstattetes Prozessvorbringen nicht erfolgen (RS0007029; RS0043579).
[18] 5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO, wobei entsprechend dem Einwand der Beklagten der Schriftsatz vom 15. 11. 2023 nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war, weil das darin enthaltene Vorbringen ohne Verfahrensverzögerung oder Nachteil für die Klägerin auch in der folgenden mündlichen Verhandlung erstattet werden hätte können.
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