OGH 28Ds5/21f

OGH28Ds5/21f23.9.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 23. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Strauss und Dr. Wippel als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 12. Oktober 2020, GZ D 44/19‑16, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Kammeranwalts Dr. Winiwarter und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132897

 

Spruch:

 

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt * des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 [Abs 1 erster Fall] DSt schuldig erkannt und hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 1.000 Euro verurteilt.

[2] Danach hat er am 24. Mai 2019 bei einer Erstbesprechung * T* nicht konkret darüber aufgeklärt, dass die kostenlose erste anwaltliche Auskunft beendet ist und er nunmehr kostenpflichtig eine Vertretung und einen Auftrag übernehme, und die Genannte auch sonst nicht über die Kostenfolgen informiert.

[3] Nach den wesentlichen Tatsachenannahmen (ES 4 f) erhielt * T* am 24. Mai 2019 eine Scheidungsklage. Nachdem sie den ehemaligen Richter und im Verein „A*“ tätigen Dr. B* nicht erreichen konnte, rief sie den Disziplinarbeschuldigten an. Dieser gab ihr zu erkennen, dass er Dr. B* kenne, und riet * T*, sofort in seine Kanzlei zu kommen, um keine Frist zu versäumen. Noch am selben Tag suchte * T* den Disziplinarbeschuldigten auf, um sich im Rahmen einer ersten anwaltlichen Auskunft über die in der Klage angeführten Kostenfolgen beraten zu lassen. Sie erteilte dem Disziplinarbeschuldigten keine Vollmacht, sie rechtsfreundlich zu vertreten. Der Disziplinarbeschuldigte verfasste über diese Besprechung einen Aktenvermerk, der unter anderem eine Informationserteilung betreffend das Aufteilungsverfahren und das Diktat eines Mitverschuldensantrags dokumentiert. Dieser Vermerk war für * T* nicht als vorbereitender Schriftsatz erkennbar. Im Zuge der 105 Minuten dauernden Besprechung tätigte der Disziplinarbeschuldigte „keine deutliche Schlussziehung über die Beendigung der ersten anwaltlichen Auskunft und seiner in der Folge vorgenommenen Vertretung“ „unter Hinweis [darauf], dass dafür ein Honoraranspruch besteht“ (ES 5). * T* wurde „in keiner Form“ über anfallende Kosten aufgeklärt (ES 5 und 6). Dies war für den Disziplinarbeschuldigten „jedenfalls erkennbar“, ihm „bewusst“ und solcherart „auch subjektiv vorwerfbar“ (ES 6).

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen richtet sich die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und Strafe des Disziplinarbeschuldigten.

[5] Dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider gründet die Annahme, wonach der Disziplinarbeschuldigte „keine deutliche Schlussziehung über die Beendigung der ersten [kostenlosen] anwaltlichen Auskunft“ und der nun folgenden kostenpflichtigen Vertretungstätigkeit vorgenommen hat (ES 5), nicht auf einer „unstatthaften Vermutung zu seinen Lasten“, sondern auf den über die Besprechung erstellten Aktenvermerk (Beilage ./VH 5), die korrespondierende Schilderung der Zeugin T* (ON 16 S 9 ff) sowie die Erklärung des Disziplinarbeschuldigten, sich im Sinne einer fehlenden Aufklärung über die mit seinem Einschreiten verbundenen Kosten schuldig zu bekennen (ES 4 ff; ON 14 S 16 f).

[6] Der Einwand der „Aktenwidrigkeit“ eben dieser Feststellung (vgl aber RIS‑Justiz RS0099547 [T6, T9]) zeigt keine unrichtige Wiedergabe eines Beweismittelinhalts durch formalen Vergleich von Zitat und Aktenlage (§ 281 Abs 1 Z 5 letzter Fall StPO) auf; vielmehr zieht das insofern erstattete Vorbringen – unter Hinweis auf isoliert betrachtete Passagen der Einlassung des Disziplinarbeschuldigten sowie mit der eigenständigen Bewertung der im Tagsatzungsprotokoll [richtig:] GZ 33 C 184/19g‑17 des Bezirksgerichts Gänserndorf dokumentierten Abläufe, insbesondere des darin protokollierten Aussageverhaltens der Zeugin T* (Beilage 1./) – nur die aus der Gesamtheit der Verfahrensergebnisse gezogenen Schlussfolgerungen des Disziplinarrats in Zweifel.

[7] Die Feststellung, wonach der Disziplinarbeschuldigte „keine deutliche Schlussziehung“ über die Beendigung einer ersten (kostenlosen) anwaltlichen Auskunft (und der nun folgenden kostenpflichtigen Vertretungstätigkeit) vorgenommen hat (ES 5), blieb mit Blick auf die im Ergebnis einzig entscheidende weitere Annahme, dass * T* „in keiner Form“ über nunmehrige Kostenfolgen aufgeklärt wurde (ES 5 und 6), auch nicht undeutlich (Z 5 erster Fall). Das darauf bezogene Rechtsmittelvorbringen unterlegt den getroffenen Sachverhaltsannahmen nur selbst einen anderen (gegenteiligen) Sinn.

[8] Inwiefern die konstatierte Verletzung einer – sich aus der in § 9 RAO verankerten Treuepflicht ergebenden – Aufklärungspflicht darüber, dass ab Beendigung der „Ersten anwaltlichen Auskunft“ (zum Begriff: AnwBl 1985, 563) und der Übernahme von Vertretungstätigkeiten das anwaltliche Einschreiten mit Kosten für den Mandanten verbunden ist (vgl dazu: Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 20, § 9 RAO Rz 13, § 16 RAO Rz 4 und RL‑BA 2015 §§ 15, 16 Rz 14; RIS‑Justiz RS0123765, RS0055787, RS0047275; vgl auch 24 Os 5/16i), für die rechtliche Beurteilung als Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt nicht ausreichen sollte, sondern es in rechtlicher Hinsicht darauf ankäme, welche Beratungsdauer für eine (kostenlose) „Erste anwaltliche Auskunft“ üblicherweise veranschlagt wird, vermag die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ebenfalls nicht darzustellen.

[9] Mit der – unter Bestreitung der Sachverhaltsannahmen des Disziplinarrats – auf eigene Beweiswerterwägungen gestützten Reklamation für den Prozessstandpunkt des Disziplinarbeschuldigten günstigerer Feststellungen, wonach eine klare Trennung zwischen erster anwaltlicher Auskunft und kostenpflichtigem Teil der Beratung erfolgt sei und eine Aufklärung über die Bemessungsgrundlage des Honorars stattgefunden habe, verfehlt die Beschwerde den im festgestellten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[10] Der Einwand fehlender Feststellungen zur subjektiven Tatseite lässt jene Annahmen außer Acht, wonach das „disziplinäre Vorgehen“ dem Disziplinarbeschuldigten „jedenfalls erkennbar und bewusst“ und solcherart auch „subjektiv vorwerfbar“ war (ES 6), was hinreichend deutlich ein (zumindest) fahrlässiges Handeln (vgl Feil/Wennig, AnwR8 § 1 DSt S 855) erkennen lässt.

[11] Die Schuldberufung führt ebenfalls keine Argumente ins Treffen, die geeignet wären, Bedenken gegen die vorgenommene Beweiswürdigung zu erwecken:

[12] Unter Berufung auf jene Passage der Einlassung des Disziplinarbeschuldigten, wonach sich * T* im Zuge des Beratungsgesprächs „einverstanden erklärt“ habe, dass „es in ein Vertretungsverhältnis übergehe“ und er selbst einen „ganz klaren Schnitt“ gemacht habe (ON 14 S 5), wird kein Verfahrensergebnis präsentiert, das eine Information der * T* über die Kostenfolgen des ab diesem Zeitpunkt folgenden Einschreitens des Disziplinarbeschuldigten indiziert; bekundete der Disziplinarbeschuldigte doch ebenfalls, sich in Richtung des modifizierten Vorwurfs einer fehlenden Aufklärung der * T* über die mit seinem Einschreiten verbundenen Kosten schuldig zu bekennen (ES 3; ON 14 S 16 f).

[13] Da sich der Disziplinarrat mit den maßgeblichen Verfahrensergebnissen, darunter auch mit den Depositionen der Zeugin T* sowie mit dem über das Beratungsgespräch vorliegenden Aktenvermerk auseinandergesetzt und aus der Gesamtheit der Verfahrensergebnisse logische und einwandfreie Schlüsse gezogen hat (ES 2 ff), war der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch engegen der hiezu ergangenen Äußerung des Disziplinarbeschuldigen insgesamt der Erfolg zu versagen.

[14] Der Disziplinarrat verhängte über * gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine Geldbuße von 1.000 Euro und wertete dabei als mildernd die geständige Verantwortung, als erschwerend hingegen die Vorverurteilungen.

[15] Die ohne nähere Begründung die Verhängung der Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises nach § 16 Abs 1 Z 1 DSt anstrebende Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe geht fehl.

[16] Der Disziplinarrat erfasste die Erschwerungs- und Milderungsgründe vollständig und fand mit Blick auf die – im anwaltlichen Disziplinarverfahren sinngemäß heranzuziehenden (RIS‑Justiz RS0054839) – allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung des § 32 StGB unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten eine Sanktion, die einer Reduktion jedenfalls nicht zugänglich ist.

[17] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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