OGH 26Ds13/21t

OGH26Ds13/21t21.9.2022

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 21. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann sowie die Anwaltsrichter Mag. Stolz und Dr. Broesigke in Gegenwart des Schriftführers Mag. Buttinger in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten gegen das (in der schriftlichen Ausfertigung offenbar irrtümlich mit 19. November 2020 datierte) Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 5. Oktober 2020, AZ D 169/17, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, des Kammeranwalts Mag. Jakauby, des Beschuldigten und seines Verteidigers Mag. Mäntler zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0260DS00013.21T.0921.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Berufung wegen Nichtigkeit wird das angefochtene Erkenntnis im Schuldspruch 2. und demgemäß im Strafausspruch sowie im Kostenausspruch aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

*, Rechtsanwalt in *, wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf freigesprochen, er habe mit Klage vom 19. Juni 2019 an das Landesgericht * gegen die Anzeigerin * F* Schadenersatz wegen § 1330 Abs 2 ABGB in Höhe von 500 Euro, Widerruf des Inhalts der Disziplinaranzeige vom 25. Juni 2017 gegenüber der Rechtsanwaltskammer * sowie Unterlassung der Verbreitung des Inhalts der Disziplinaranzeige vom 26. (richtig: 25.) Juni 2017 gerichtlich gefordert.

Im Übrigen wird seiner Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld nicht Folge gegeben.

Für das ihm weiterhin zu 1. des angefochtenen Erkenntnisses zur Last liegende Vergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 1. Fall DSt wird über ihn gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt eine

Geldbuße in Höhe von 500 Euro

verhängt.

Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit Erkenntnis vom 5. Oktober 2020 wurde *, des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt (1./) sowie der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt (2./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

1./ im Zeitraum von Juni 2017 bis Juli 2017 gegenüber dem Rechtsanwalt * Fr* den Vorwurf erhoben, dieser habe ohne Vollmacht gehandelt, und diesem die Zahlung seiner Honorarforderung verweigert;

2./ im Zuge seiner beim Landesgericht * gegen * F* erhobenen Klage auf Schadenersatz gemäß § 1330 Abs 2 ABGB, Widerruf des Inhalts einer bei der Rechtsanwaltskammer * am 25. Juni 2017 gegen ihn erhobenen Disziplinaranzeige und Unterlassung der Verbreitung des Inhalts dieser Disziplinaranzeige der Öffentlichkeit den Inhalt von Disziplinarakten mitgeteilt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe erhobene Berufung des Beschuldigten, der in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zum Teil Berechtigung zukommt.

[4] Der gegen den Schuldspruch 1./ mit der Argumentation, es sei nur die unrichtige Honorarbestreitung unzulässig, vorgetragene Vorwurf einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung (Z 9 lit a) geht nicht von der Gesamtheit der Feststellungen aus, wonach der Beschuldigte den gegen den Rechtsanwalt * Fr* gerichteten Vorwurf, vollmachtslos gehandelt zu haben, lediglich „kreiert bzw. gekünstelt“, also erfunden habe (S 4 zweiter Absatz), und verfehlt damit die prozessordnungsgemäße Darstellung der solcherart geltend gemachten materiellen Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

[5] Mit dem ferner hiezu erstatteten Vorbringen, die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite sei nicht nachvollziehbar, weil der Beschuldigte im Gegensatz zur Begründung des Erkenntnisses insoweit gerade nicht geständig gewesen sei, sondern bei seiner Vernehmung vielmehr angegeben habe, er habe dem Kollegen nicht vorwerfen wollen, vollmachtslos gehandelt zu haben, erstattet die Berufung inhaltlich ein lediglich gegen den Ausspruch über die Schuld gerichtetes Vorbringen.

[6] Diesem zuwider bestehen gegen die vorliegenden Feststellungen zum Vorwurf eines vollmachtslosen Handelns im Licht der – im Anschluss an diese Behauptung des Beschuldigten und nach Erörterung der mehrmaligen Verwendung des Ausdrucks „vollmachtlos“ in dessen Korrespondenz – hiezu letztlich ausdrücklich geständigen Verantwortung des Beschuldigten in der mündlichen Disziplinarverhandlung vom 5. Oktober 2020 (ON 38) jedoch keine Bedenken.

[7] Ausgehend von den weiteren Angaben des Beschuldigten in dieser Disziplinarverhandlung, wonach der Vorwurf, dass etwas falsch gelaufen sei, in der Hoffnung auf eine Kulanzlösung erhoben worden sei, bestehen auch keine Bedenken gegen die Annahme absichtlichen Handels des Genannten (ES 4).

Der gegen den Schuldspruch 2./ gerichteten Rechtsrüge (Z 9 lit a) kommt hingegen Berechtigung zu:

[8] Nach § 79 DSt sind Mitteilungen an die Öffentlichkeit über den Inhalt der Disziplinarakten untersagt. Unabhängig vom Außer-Kraft-Treten des § 21 RL‑BA 1977 ist dieses Verbot jedoch nach wie vor auf jene Fälle einzuschränken, in denen eine solche Offenbarung nicht durch eine sachliche Notwendigkeit gerechtfertigt ist.

[9] Da grundsätzlich jeder Kläger in einem Zivilverfahren zur Durchsetzung einer von ihm geltend gemachten zivilrechtlichen Forderung in Ausübung eines Rechts handelt, alle für seinen Standpunkt sprechenden sachlichen und rechtlichen Argumente vollständig vorzubringen, und ihm damit jedes Vorbringen zusteht, das aus einer ex ante-Betrachtung der Aufklärung der Sache dienlich und zur Durchsetzung seines Rechtsstandpunkts zweckmäßig sein kann (vgl RIS‑Justiz RS0130930), ist in diesem Rahmen auch ein als Kläger in einem Zivilverfahren in eigener Sache auftretender Rechtsanwalt zur Offenbarung des Inhalts von – insbesondere: ihn selbst betreffenden –Disziplinarakten berechtigt.

[10] Zudem ist die sachliche Notwendigkeit der Offenbarung einer Disziplinarangelegenheit durch die Partei eines Zivilverfahrens (oder einen Angeklagten im Strafverfahren) eher anzunehmen als in anderen, nicht von Art 6 Abs 1 EMRK erfassten Fällen (27 Os 6/15g).

[11] Diese Grundsätze gelten auch für das Verhalten des Beschuldigten im Verfahren AZ * des Landesgerichts *. Da das diesem Verfahren zu Grunde liegende Klagebegehren des Beschuldigten auf den Widerruf des Inhalts einer gegen ihn gerichteten Disziplinaranzeige und die Unterlassung der Verbreitung ihres Inhalts gerichtet war, setzte bereits der Verfahrensgegenstand eine Bezugnahme auf den entsprechenden Inhalt des betreffenden Disziplinarakts geradezu voraus. Dessen insoweit erfolgte Offenlegung begründete demnach keinen Verstoß gegen § 79 DSt.

[12] Bei der Strafbemessung war darauf Bedacht zu nehmen, dass nicht nur ein Faktum zur Gänze entfiel, sondern damit einhergehend die Erschwerungsgründe des Zusammentreffens zweier Fakten und der doppelten Qualifikation. Ferner war auch die weitere Verfahrensdauer ab Verkündung des erstinstanzlichen Erkenntnisses (Art 6 MRK) durch eine Reduzierung des Strafausmaßes zu Gunsten des Beschuldigten zu berücksichtigen. Ausgehend davon war unter Bedachtnahme auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschuldigten, dessen Unbescholtenheit und das zumindest ansatzweise vorliegende Geständnis hinsichtlich des verbleibenden Schuldspruchs die Geldbuße mit 500 Euro neu festzusetzen, wobei eine Reduktion der angemessenen Strafe von 1.000 Euro um 500 Euro dem Ausgleich der unverhältnismäßigen Verfahrensdauer dient.

[13] Der angestrebten bedingten Nachsicht stand der sich aus dem Verhalten des Beschuldigten ergebende Spezialpräventionsbedarf entgegen (§ 16 Abs 2 DSt).

[14] Der Ausspruch über die Verfahrenskosten gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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