OGH 24Os6/16m

OGH24Os6/16m22.3.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 22. März 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Sturm‑Wedenig und Dr. Hofstätter sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwältin in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung der Beschuldigten wegen Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 11. November 2015, AZ D 17/15, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Kammeranwalts Dr. Lindner, der Beschuldigten und ihres Verteidigers Mag. Ammer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0240OS00006.16M.0322.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt und demgemäß im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Hinsichtlich des verbleibenden Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt wird gemäß § 39 DSt von der Verhängung einer Disziplinarstrafe abgesehen.

Mit ihrer Berufung wegen Strafe wird die Beschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihr fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwältin ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und hiefür zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verurteilt.

Danach hat sie am 1. Dezember 2014 im Verfahren AZ 257 C 641/14g des Bezirksgerichts Graz-Ost als Beklagte den Inhalt des vom Klagevertreter vorbereiteten gemeinsamen Schriftsatzes vom 25. November 2014 durch Streichung der Passage „die beklagte Partei Zahlung geleistet hat und damit sämtliche verfahrensgegenständlichen Ansprüche und Einreden endgültig bereinigt sind“ einseitig geändert.

Nach den wesentlichen Feststellungen wurde gegen die Beschuldigte von einem EDV-Unternehmen eine Mahnklage wegen Werklohns eingebracht. Nach einer mündlichen Streitverhandlung kam es zu einem außergerichtlichen Vergleich, wobei sich die Beschuldigte zur Zahlung von 1.000 Euro zuzüglich Kosten verpflichtete. Nach Erhalt der Zahlung übermittelte der Klagevertreter der Beschuldigten eine von ihm bereits unterfertigte mit 25. November 2014 datierte gemeinsame Ruhensanzeige mit dem Inhalt: „In der außen bezeichneten Rechtssache wird bekannt gegeben, dass eine außergerichtliche Bereinigung erfolgt ist, die beklagte Partei Zahlung geleistet hat und damit sämtliche verfahrensgegenständlichen Ansprüche und Einreden endgültig bereinigt sind, sodass ewiges Ruhen des Verfahrens eingetreten ist.“ Die Beschuldigte sollte diese Eingabe ebenfalls unterfertigen und bei Gericht einbringen. Sie verfasste jedoch zunächst eine eigene Ruhensanzeige mit dem Inhalt: „In außen bezeichneter Rechtssache wird bekannt gegeben, dass die Parteien ewiges Ruhen des Verfahrens vereinbart haben.“ und übermittelte diese dem Klagevertreter mit der Bitte um Unterfertigung und Weiterleitung an das Gericht. Dieser antwortete, dass er ihre Mitteilung nicht unterfertigen und weiterleiten werde.

Hierauf strich die Beschuldigte am 1. Dezember 2014 in der ihr vom Klagevertreter übermittelten ursprünglichen Ruhensanzeige den im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses bezeichneten Textteil, vermerkte neben der Streichung handschriftlich „01. 12. 2014 korr.“ und zeichnete dies mit ihrer Kurzparaphe. Die so veränderte Ruhensanzeige unterfertigte sie und schickte sie an das Bezirksgericht Graz-Ost. Weiters übermittelte sie eine Kopie davon dem Klagevertreter, der ihr in der Folge mitteilte, dass er der Veränderung weder zugestimmt habe noch sie nachträglich genehmige.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung der Beschuldigten wegen Schuld und Strafe (§ 49 letzter Satz DSt).

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass die Unterstellung der Tat auch dem Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt mit dem von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO behaftet ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Ist ein Rechtsanwalt nicht in Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt und Parteienvertreter tätig, sondern handelt er in „

eigener Sache“, so ist sein Verhalten grundsätzlich nicht unter dem Aspekt der Verletzung von

Berufspflichten zu sehen (RIS-Justiz RS0123546 [T2], RS0118449, RS0054936).

Weil dies auf den (diesbezüglich unstrittig) festgestellten Sachverhalt zutrifft, war das Erkenntnis im Schuldspruch wegen § 1 Abs 1 erster Fall DSt ersatzlos aufzuheben.

Im Umfang der Bekämpfung des Schuldspruchs wegen § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt kommt der Berufung wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) keine Berechtigung zu.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet unter Hinweis auf Verfahrensergebnisse einen Feststellungsmangel (RIS‑Justiz RS0118580) dahingehend, dass der Klagevertreter der Beschuldigten nach Erhalt ihrer Version der Ruhensanzeige auch mitgeteilt habe, er habe das Vollmachtsverhältnis zu seinem Klienten aufgelöst und beabsichtige nicht, die Korrespondenz mit ihr fortzuführen. Mit der Behauptung, dass daraus eine Zustimmung des Klagevertreters zur Streichung eines Teils seines Anzeigetextes abzuleiten sei, weil er wegen der Vollmachtsauflösung „die Angelegenheit für erledigt erachtet“ habe und es ihm „nicht auf einen bestimmten Wortlaut der Ruhensanzeige angekommen“ sei, setzt sich die Rüge aber über die Konstatierungen zur Verweigerung der Unterfertigung des von der Beschuldigten vorgeschlagenen Textes hinweg.

Soweit die Beschuldigte im Erkenntnis die (angeblich) im Zuge der mündlichen Begründung gewählte Formulierung vermisst, wonach der verkündete Schuldspruch eine „rein atmosphärische“ Entscheidung gewesen sei, macht sie keinen Nichtigkeitsgrund geltend.

Weder das die Einstellung des gegen die Beschuldigte wegen Verdachts des Betrugs und der Urkundenfälschung geführten Ermittlungsverfahrens (§ 190 Z 2 StPO) durch die Staatsanwaltschaft Graz, noch der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz, mit dem einem darauf bezogenen Fortführungsantrag nicht Folge gegeben wurde, stehen einer disziplinarrechtlichen Ahndung entgegen, sind doch Disziplinarverfahren der österreichischen Rechtsanwälte – unter Berücksichtigung der sogenannten Engel-Kriterien (RIS-Justiz RS0120945) – keine Strafverfahren iSd Art 4 7.ZPMRK (EGMR 19. 2. 2013, 47195/06,

Müller-Hartburg/Österreich; RIS‑Justiz RS0120122; OGH Ds 1/16) und hindert die Verneinung strafrechtlicher Tatbestandsmäßigkeit nicht die Annahme einer dennoch erfolgten Beeinträchtigung des Ansehens des Standes der Rechtsanwälte.

Warum eine wider Treu und Glauben Dritten – hier dem Gericht – gegenüber erfolgte, einseitige Änderung des Inhalts einer gemeinschaftlich errichteten Urkunde dann standesrechtlich unbedenklich sei, wenn sie zeitgleich auch dem Vertreter des Vertragspartners bekannt gemacht wurde, macht die Beschwerde nicht klar.

Soweit die Schuldberufung aus dem Korrekturvermerk der Beschuldigten auf dem Dokument andere Schlüsse zum dadurch bei Gericht erweckten Anschein und zur subjektiven Tatseite gezogen haben will, vermag sie keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu wecken. Dies gilt auch für die Kritik daran, dass der Disziplinarrat die Verantwortung der Beschuldigten, sie sei „beim Streichen mit dem Kugelschreiber zu weit abgekommen“, für unglaubwürdig erachtete.

Mit dem Vorbringen, die Ruhensanzeige habe nach ihrer Veränderung „sehr wohl dem außergerichtlich Vereinbarten und sohin dem Willen der Vertragsparteien“ entsprochen, verwechselt der Berufungswerber den außergerichtlichen Vergleich mit dem – im gegenständlichen Zusammenhang allein maßgebenden – (fehlenden) Konsens über den Inhalt der dem Gericht darüber kundzumachenden Information.

Bei der aufgrund der Kassation auch des Strafausspruchs erforderlichen Prüfung der Straffrage war in Hinblick auf die Unbescholtenheit, den Beitrag zur Wahrheitsfindung und die unbedeutenden Tatfolgen sowie das Fehlen von erschwerenden Umständen davon auszugehen, dass der Schuldspruch wegen § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt spezialpräventiv ausreicht, um die Beschuldigte von weiteren Disziplinarvergehen abzuhalten, sodass gemäß § 39 DSt von der Verhängung einer Disziplinarstrafe abzusehen war. Ein Vorgehen nach § 3 DSt kam nicht in Betracht, weil das Verschulden nach Lage des Falles nicht als geringfügig anzusehen ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte