OGH 1Ob77/14a

OGH1Ob77/14a22.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** B*****, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1) Dr. E***** M*****, vertreten durch Achammer & Mennel Rechtsanwälte OG in Feldkirch und 2) M***** U*****, vertreten durch Dr. Bertram Grass und Mag. Christoph Dorner Rechtsanwälte in Bregenz, wegen 30.517,53 EUR und Feststellung, über die Rekurse der beklagten Partei sowie der Nebenintervenienten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 13. Februar 2014, GZ 4 R 16/14x‑70, mit dem das Teilurteil des Landesgerichts Salzburg vom 26. November 2013, GZ 12 Cg 90/11z‑63, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0010OB00077.14A.0522.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war Grundbuchsführer bei einem Bezirksgericht. Nach einer in der Folge aufgehobenen Suspendierung und Versetzung an andere Gerichte wies er eine Vielzahl von Krankenständen auf. Deshalb wurde im Jahr 2009 ein Verfahren zur amtswegigen Versetzung in den Ruhestand eingeleitet. In diesem Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten attestierten ihm eine Anpassungsstörung und psychosomatische Beschwerden als Folge einer konfliktbeladenen Arbeitsatmosphäre. Der berufskundliche Sachverständige kam in seinem Gutachten zum Ergebnis, dass diese verfestigte Entwicklung angesichts des beruflichen Umfelds nicht therapierbar sei und mit einer „ersprießlichen“ weiteren Dienstverrichtung nicht gerechnet werden könne. Während des Verfahrens äußerte sich der Kläger nicht zum Ergebnis der Sachverständigengutachten, die seinem Anwalt zur allfälligen Stellungnahme binnen 14 Tagen übermittelt worden waren.

Mit Bescheid vom 26. 4. 2010 wurde der Kläger mit Ablauf des 31. 5. 2010 wegen Dienstunfähigkeit gemäß § 14 Abs 1 Beamten‑Dienstrechts‑Gesetz (BDG) 1979 von Amts wegen in den Ruhestand versetzt. Die Begründung verwies auf die zahlreichen Krankenstände (188 Arbeitstage seit 3. 2. 2009), die ein hohes Maß an psychischer Belastbarkeit fordernde berufliche Tätigkeit und das Ergebnis der Sachverständigengutachten über den Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit des Klägers. Dieser sei dauernd dienstunfähig und daher nicht mehr in der Lage, seine dienstlichen Aufgaben zu erfüllen. Eine erfolgreiche berufliche Umstellung könne derzeit nicht gesehen werden. Nach Rücksprache mit seinem Rechtsanwalt ließ der Kläger diesen Bescheid unbekämpft.

Mit der vorliegenden Amtshaftungsklage begehrte der Kläger zunächst wegen erlittener Gesundheitsschäden infolge systematischen Mobbings Schmerzengeld und anwaltliche Vertretungskosten. Nach seiner Versetzung in den Ruhestand begehrte er die Feststellung, dass die beklagte Partei für sämtliche Schäden, resultierend aus ihren Mobbinghandlungen gegenüber dem Kläger als Grundbuchbeamter im Zeitraum März 2009 bis zur Pensionierung im Mai 2010 hafte. Nur das Feststellungsbegehren ist Gegenstand des Verfahrens dritter Instanz.

Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren mit Teilurteil ab.

Das Berufungsgericht hob das Teilurteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. In seiner rechtlichen Beurteilung verneinte es im Gegensatz zum Erstgericht eine Verletzung der Rettungspflicht im Sinn des § 2 Abs 2 AHG. Nach dieser Bestimmung müsse zwar jeder Rechtsbehelf ergriffen werden, der nur abstrakt die Möglichkeit biete, den Eintritt des Schadens zu verhindern oder den bereits eingetretenen Schaden zu mindern, ohne dass der hypothetische Erfolg eines unterlassenen Rechtsbehelfs nachzuvollziehen wäre. Das Nichtergreifen eines Rechtsmittels oder eines Rechtsbehelfs in einem behördlichen Verfahren begründe in aller Regel auch eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten. Grundsätzlich solle nur für unverbesserliche Akte der Vollziehung Ersatz gewährt werden. Dies beziehe sich allerdings auf Fälle, in denen der Kläger aus der behaupteten Unrichtigkeit einer unbekämpft gebliebenen Entscheidung selbst seine Ersatzansprüche ableite. Hier stütze der Kläger allerdings seine Begehren einschließlich des Begehrens auf Feststellung der Haftung für künftige Schäden aus Verdienstentgang nicht auf die Rechtswidrigkeit des Bescheids, mit dem er in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden sei, sondern auf die durch systematisches Mobbing ausgelöste Gesundheitsschädigung und das Unvermögen der beklagten Partei trotz der sie treffenden Fürsorgepflicht eine mobbingfreie Arbeitsplatzsituation zu schaffen. Dies sei nur durch die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand gelungen, weshalb der Bescheid nicht rechtswidrig sei. Es könne vom Kläger unter diesen Umständen nicht verlangt werden, den seiner Meinung nach richtigen Bescheid zu bekämpfen, um einen Amtshaftungsanspruch gegen den Bund erheben zu können.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu, weil keine aktuelle Rechtsprechung des Höchstgerichts zur Frage bestehe, ob der Geschädigte im Rahmen der Rettungspflicht einen seiner Meinung nach nicht rechtswidrigen Bescheid bekämpfen müsse.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht angegebenen Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die anspruchsbegründenden Behauptungen des Klägers zu seinem Feststellungsbegehren, die für dessen Zulässigkeit maßgeblich sind (vgl RIS-Justiz RS0038852 [T13]; RS0087635), verdeutlichen, dass es darauf abzielt, die Haftung der beklagten Partei für zukünftige Schäden, insbesondere Verdienstentgang, aus den schädigenden Mobbinghandlungen, denen der Kläger von März 2009 bis zu seiner amtswegigen Versetzung in den Ruhestand im Mai 2010 ausgesetzt gewesen sein soll, auszusprechen. Ein rechtliches Interesse an einer derartigen Feststellung ist ihm entgegen der Meinung der Rekurswerber nicht abzusprechen. Das Feststellungsbegehren müsste lediglich um das fehlende Wort „zukünftige“ ergänzt werden.

2. Das Erstgericht begründete die Abweisung des Feststellungsbegehrens ausschließlich mit einer Verletzung der Rettungspflicht gemäß § 2 Abs 2 AHG. Seine Feststellungen beschränkten sich konsequenterweise auf die Darlegung des Verfahrens auf amtswegige Versetzung in den Ruhestand und die Reaktionen des Klägers. Zu den angeblichen systematischen Mobbinghandlungen und den nach Ansicht des Klägers rechtswidrigen Dienstzuteilungen und Versetzungsverfahren als Ursache für die gesundheitlichen Probleme sowie die Krankenstände nahm es in seinem Urteil überhaupt nicht Stellung. Es ist daher schwer verständlich, dass die Rekurswerber den Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen angeblichen Mobbinghandlungen und künftigen Schäden vermissen oder aus der Begründung des Bescheids über die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit auf das Fehlen des Kausalzusammenhangs schließen wollen.

3. Nach § 2 Abs 2 AHG (in der hier unstrittig relevanten Fassung vor BGBl I 2013/33) besteht ein Ersatzanspruch dann nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch ein Rechtsmittel oder eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können. Unter „Rechtsmitteln“ im Sinn der zitierten Bestimmung sind prozessuale Rechtsbehelfe zur Abhilfe gegen gerichtliche oder sonstige behördliche Entscheidungen zu verstehen, die dazu dienen, fehlerhafte gerichtliche (oder sonstige behördliche) Entscheidungen, sei es im Instanzenweg, sei es auf andere Weise, zu beseitigen (1 Ob 222/13y mwN). Im vorliegenden Fall steht außer Diskussion, dass dem Kläger gegen den Bescheid vom 26. 4. 2010 über seine amtswegige Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand ein Rechtsmittel im Sinn des § 2 Abs 2 AHG zur Verfügung stand, er diese Möglichkeit aber nicht ausnützte. Zu klären bleibt aber, ob diese Unterlassung per se zum Verlust seines auf Ersatz des künftigen Verdienstentgangs gerichteten Amtshaftungs-anspruchs führt.

4. Das Wort „können“ in § 2 Abs 2 AHG bedeutet nur, dass ein Rechtsbehelf bestand, der seiner Art nach abstrakt die Möglichkeit bot, den Schaden noch zu verhindern (1 Ob 22/92 = SZ 66/77; RIS‑Justiz RS0053073 [T1]). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist es nicht Aufgabe des Amtshaftungsprozesses, den hypothetischen Erfolg eines unterlassenen Rechtsbehelfs nachzuvollziehen (1 Ob 24/81 = SZ 55/81; 1 Ob 6/95 = SZ 69/15; 1 Ob 241/97s = SZ 71/7; RIS‑Justiz RS0053073 [T2]). Nur offenbar aussichtslose Abhilfemaßnahmen lassen die Rechtsfolgen des § 2 Abs 2 AHG nicht eintreten, was vor allem dann der Fall ist, wenn ein bestimmter Rechtsbehelf schon nach seiner abstrakten Wirkungsmöglichkeit zur Schadensabwehr ungeeignet ist. Diese Einschränkung der Überprüfungsbefugnis des Amtshaftungsgerichts wird in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs damit begründet, dass das Gericht im Sinn des § 11 Abs 1 AHG nicht berechtigt sei, die Rechtswidrigkeit eines Bescheids selbständig zu prüfen und daher den Eintritt der Rechtsfolge des § 2 Abs 2 AHG nur nach der Erschöpfung des Rechtszugs als Klagevoraussetzung zu beurteilen habe. Wenn jemand gewillt sei, einen Rechtsträger wegen der Schadensfolgen aus einem rechtswidrigen Bescheid zu klagen, mute ihm das Gesetz zu, zunächst den primären Rechtsschutz der Verfahrensgesetze auszunützen. Der Kläger müsse daher sogar einen Bescheid bekämpfen, den er selbst für richtig halte (1 Ob 24/81 = SZ 55/81).

5. Im konkreten Fall leitet der Kläger seinen Amtshaftungsanspruch einschließlich jenes auf Ersatz eines Verdienstentgangs aber gerade nicht aus der Rechtswidrigkeit des Bescheids über seine amtswegige Versetzung in den Ruhestand nach § 14 BDG ab, sondern aus rechtswidrigen Mobbinghandlungen, die den primären Schaden in Form des Eintritts einer Gesundheitsschädigung verursacht haben sollen. Der Oberste Gerichtshof hat in einem Amtshaftungsverfahren im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, der nach dem anpruchsbegründenden Vorbringen des Geschädigten auf das Unterlassen des Aufstellens eines Vorrangzeichens gegründet wurde, auch bereits ausgesprochen, dass der Schaden bereits durch den Unfall eingetreten sei und die Amtshaftungsklägerin diesen Schaden durch Rechtsmittel im Verkehrsunfallprozess (Vorprozess) nicht hätte verhindern können (1 Ob 6/95). Ein weiteres Beispiel aus der oberstgerichtlichen Judikatur zur Ablehnung der Rechtsfolge des § 2 Abs 2 AHG bietet die Entscheidung 1 Ob 48/98k = ecolex 1998, 627 (T. Rabl): Danach steht die Unterlassung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof der Erhebung von aus dem Schusswaffengebrauch eines Polizeibeamten abgeleiteten Amtshaftungsansprüchen nicht entgegen, weil der unmittelbar eingetretene Verletzungsschaden nicht mehr abgewendet werden könne.

6. Nach herrschender Ansicht setzt die Rechtsfolge des § 2 Abs 2 AHG Verschulden bzw Sorglosigkeit im Umgang mit den eigenen Rechtsgütern des durch eine hoheitliche Handlung Geschädigten voraus (RIS‑Justiz RS0027200; zuletzt 1 Ob 222/13y; Schragel, AHG³ Rz 192; Ziehensack, AHG Rz 79 f; Paar, Grundzüge des Amtshaftungsrechts 57). Unter dem Aspekt der Zumutbarkeit ist von einem Beamten, der durch Mobbing krankheitsbedingt dienstunfähig wurde, nicht zu verlangen, ausgerechnet jenen Bescheid zu bekämpfen, der die belastende Arbeitssituation (die Schadensursache) endgültig beendet.

7. Die beklagte Partei kann sich nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS‑Justiz RS0050062) auch nicht darauf berufen, dass der vom Kläger als richtig und letztlich für seinen Standpunkt günstig beurteilte Bescheid in Wahrheit rechtswidrig war und die Voraussetzungen für die amtswegige Versetzung in den Ruhestand (ungeachtet der Verfahrensergebnisse über den Gesundheitszustand des Klägers) gar nicht vorgelegen seien.

8. Aus diesen Erwägungen ist der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts zum Ausschluss der Rechtsfolge des § 2 Abs 2 AHG beizupflichten. Ob der Kläger tatsächlich das Mobbingopfer war, als das er sich nach seinem Vorbringen sieht, wird im fortgesetzten Verfahren zu klären sein.

9. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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