European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E125592
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
1. Die Erkrankung der Klägerin, derentwegen für sie im Jahr 2011 ein Sachwalter bestellt wurde, äußerte sich auch in dem Zwang bei extrem bescheidener Lebensführung Geld und Sachzuwendungen zu erbetteln und die so angehäuften Ersparnisse über Jahrzehnte hinweg regelmäßig auf Kleinbetragssparbüchern bei unterschiedlichen Banken anzulegen. Auch die fünf bei der beklagten Bank unter ihrer Kundennummer geführten Sparbücher, um die sich der Rechtsstreit dreht, waren von der Klägerin in den Jahren 1985 bis 2006 als Inhabersparbücher eröffnet worden. Sämtliche Einzahlungen stammten aus ihrem Vermögen; die Guthabensstände lagen jeweils unter 15.000 EUR.
Beide Vorinstanzen sprachen der Klägerin den Betrag von 65.820,70 EUR sA zu. Das ist jener Betrag, der anlässlich der Auflösung der Sparbücher im Mai 2012 als Realisat an einen Dritten ausbezahlt worden war. Dazu war es wie folgt gekommen:
Auch für den (vormaligen und 2012 verstorbenen) Lebensgefährten der Klägerin war (durch ein anderes Bezirksgericht) – im Frühjahr 2007 ein Sachwalter bestellt worden. Anlässlich der Auflösung des vormals gemeinsamen Haushalts (und der Übersiedlung des Mannes in ein Pflegeheim) fand sein Sachwalter 80 bis 100 Sparbücher vor und behielt (auch) die fünf bereits erwähnten Sparbücher der Klägerin. Das für den Lebensgefährten zuständige Pflegschaftsgericht fasste in dessen Pflegschaftssache im September 2009 den Beschluss, diese Spareinlagen (jeweils individualisiert mit der Nummer des Sparkontos) „derart zu sperren, dass darüber nur mit Genehmigung des Pflegschaftsgerichts verfügt werden kann“. Im Beschluss wurde – unrichtigerweise – angeführt, dass die Sparbücher auf den Vor‑ und Zunamen des Lebensgefährten lauteten. Die beklagte Bank gab in Reaktion darauf die jeweiligen Guthabensstände (samt dem jeweiligen Zusatz zur Nummer „lautend auf [entweder der Vor- oder der Nachname der Klägerin]“) bekannt und teilte mit, dass die Sparkonten gesperrt worden seien. Nachdem auch der Klägerin ein Sachwalter beigegeben worden war, forderte das für ihre Pflegschaftssache zuständige Gericht (also ein anderes Bezirksgerichts, als jenes, bei dem die Pflegschaftssache des Mannes geführt wurde) die Bank auf, sämtliche auf die Klägerin lautenden Konten und Sparbücher samt Salden bekanntzugeben. Die Bank nannte daraufhin auch die fünf (jeweils mit Nummer und der Angabe „lautend auf [entweder den Vor- oder Zunamen der Klägerin]“ individualisierten) und bereits zuvor zugunsten des Lebensgefährten gesperrten Inhabersparbücher ohne auf diese Sperre hinzuweisen. Das Pflegschaftsgericht der Frau wies (in ihrer Pflegschaftssache) die Bank (ebenfalls) an, diese auf „[Vor- und Zuname der Klägerin]“ lautenden Konten „derart zu sperren, dass darüber nur mit Genehmigung des Pflegschaftsgerichts verfügt werden kann“. Dabei wurde als Begründung angeführt, dass diese Sicherungsmaßnahme der gerichtlichen Aufsicht über die Vermögensverwaltung der pflegebefohlenen Person gemäß § 133 AußStrG diene. Anfang April 2012 ermächtigte das für den Lebensgefährten zuständige Pflegschaftsgericht (mit einem in dessen Pflegschaftssache gefassten Beschluss) seinen Sachwalter, die fünf wiederum genau bezeichneten Sparbücher (zum Zweck der Neuveranlagung mit höheren Zinsen) „ungeachtet bestehender Klauseln und gerichtlicher Sperren“ aufzulösen, weil die Erzielung höherer Zinsen und die mittelfristige Finanzierung der Pflege des [Name des Lebensgefährten] zu dessen Wohl sei. Der Sachwalter des Mannes löste die Sparbücher auf. Der Lebensgefährte starb wenige Monate danach. Seine Verlassenschaft wurde sechs Verwandten eingeantwortet.
2. Die Vorinstanzen gelangten zum Ergebnis, dass die Bank die Guthaben an den Sachwalter des Mannes entgegen der in der Pflegschaftssache der Klägerin (und zu ihren Gunsten von dem für sie zuständigen Pflegschaftsgericht) angeordneten und nach wie vor aufrecht gebliebenen gerichtlichen Sperre, somit ohne Rechtsgrundlage, ausgezahlt habe. Das Berufungsgericht stellte in seiner Entscheidungsbegründung die Veränderungen der Rechtslage zu Inhabersparbüchern mit Guthaben unter 15.000 EUR ausführlich dar und zog daraus den (insoweit von der Beklagten auch gar nicht kritisierten) Schluss, dass – gleich zu welchem Zeitpunkt – nach § 32 Abs 4 BWG (sowohl in der Stammfassung BGBl I 1993/532 als auch nach den späteren Novellen) eine behördliche Sperre stets ein Auszahlungshindernis dargestellt habe. Die Bank hätte daher – bei aufrechter Sperre zugunsten der Klägerin – die Guthaben an den Sachwalter des Lebensgefährten nicht auszahlen dürfen. Ausgehend davon erachtete es den Zuspruch durch das Erstgericht als richtig, weil die Klägerin im Verfahren den Nachweis ihrer materiellen Berechtigung erbracht habe und jenes Pflegschaftsgericht, das ursprünglich die zum Zeitpunkt der Auszahlung noch aufrechte Sperre angeordnet hatte, die Klagsführung auch ausdrücklich genehmigt hatte. Habe die Bank das Sparbuch vernichtet, bestehe der Zahlungsanspruch der Klägerin unabhängig von der Präsentation des Sparbuchs und der Nennung des Losungsworts.
3. Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig. Das ist gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kurz zu begründen:
Rechtliche Beurteilung
Die vom Berufungsgericht als erheblich angesehene Frage, „welche Rechtswirkungen eine Sperre und pflegschaftsbehördliche Ermächtigung nach § 133 Abs 4 AußStrG im Zusammenhang mit Überbringersparbüchern alten Rechts bzw Kleinbetragssparbüchern neuen Rechts grundsätzlich“ entfalte, spricht die Revisionswerberin überhaupt nur insoweit an, als sie meint, der Beschluss des Pflegschaftsgerichts des Mannes habe sich, wegen des Wortlauts „ungeachtet gerichtlicher Sperren“, auf alle gerichtlichen Sperren bezogen. Es bestehe keine Grundlage für eine Bank, Beschlüsse des Pflegschaftsgerichts zu überprüfen oder dessen Anordnungen abzulehnen.
Die Frage, welchen rechtlich erheblichen Inhalt eine gerichtliche Entscheidung hat, ist eine Rechtsfrage, die aufgrund des Wortlauts des Spruchs und der Gründe der Entscheidung in Verbindung mit dem dadurch angewandten Gesetz gelöst werden muss (4 Ob 180/17z; RIS‑Justiz RS0008802; vgl auch RS0000300). Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass Rechtsakte rechtskonform, gerichtliche Entscheidungen somit im Zweifel so auszulegen sind, dass ihnen nicht ohne Not eine Deutung gegeben wird, die sie als gesetzwidrig erscheinen ließe (RS0008802). Fragen der Auslegung eines gerichtlichen Beschlusses entziehen sich im Allgemeinen generellen Aussagen; ihnen kann daher keine Bedeutung als erhebliche Rechtsfrage zukommen, sofern nicht eine klare Fehlbeurteilung zu erkennen ist (RS0118891 [T3]; vgl etwa auch 4 Ob 180/17z zur Frage des Umfangs einer gemäß § 132 Abs 1 AußStrG vorweg erteilten pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung). Aus der vom Pflegschaftsgericht der Klägerin im Sperrbeschluss angeführten Norm des § 133 AußStrG, die die „Aufsicht über die Verwaltung des Vermögens Pflegebefohlener“ regelt, leuchtet unmissverständlich hervor, dass Anordnungen nach dieser Bestimmung stets zugunsten des Wohls einer bestimmten pflegebefohlenen Person gesetzt werden (vgl auch RS0126331 [T1]), worauf auch im vorliegenden Fall in den Begründungen der Beschlüsse beider Pflegschaftsgerichte Bezug genommen wurde. Das Gericht hat die Verwaltung des Vermögens [eines Pflegebefohlenen] mit dem Ziel zu überwachen, eine Gefährdung des Wohls des Pflegebefohlenen [also einer bestimmten Person] hintanzuhalten (§ 133 Abs 1 AußStrG). Es kann zur Erforschung, Überwachung der Verwaltung und zur Sicherung dessen Vermögens unter anderem Auskünfte von Kreditunternehmen und die Sperre von Guthaben anordnen (vgl § 133 Abs 4 AußStrG).
Die in solchen Anordnungen üblicherweise verwendete Wendung „Sperren“ (in der Mehrzahl), durfte von einer Bank, von der sowohl das Wissen um die gesetzlichen Bestimmungen wie auch deren Handhabung in der Praxis vorausgesetzt werden kann, nicht so verstanden werden, dass mit dem Beschluss des Pflegschaftsgerichts des Mannes auch die von einem anderen Gericht zugunsten einer anderen Person, also in einer anderen Pflegschaftssache, verhängte Sperre aufgehoben worden wäre. Aus der Formulierung im „Sperrbeschluss“ zugunsten der Klägerin („derart zu sperren, dass darüber nur mit Genehmigung des Pflegschaftsgerichts verfügt werden kann“) war für sie vielmehr zu erschließen, dass damit nicht die Genehmigung irgendeines (anderen) Gerichts, sondern nur die des zum Wohle dieser bestimmten pflegebefohlenen Person in deren Pflegschaftssache zuständigen Gerichts gemeint ist. In der hier vorliegenden besonderen Konstellation durfte die Bank, umso weniger, als gerade sie, die auch den „zweiten Sperrbeschluss“ kannte, wusste, dass entgegen der Formulierung im Sperrbeschluss zugunsten des Mannes die Sparkonten nicht auf diesen lauteten und sie von der Klägerin angelegt worden waren, den in der Pflegschaftssache des Mannes ergangenen Beschluss, daher keinesfalls so auslegen, dass damit die (von einem anderen Pflegschaftsgericht in einer anderen Pflegschaftssache) verhängte Sperre zugunsten der Klägerin (wozu diesem Bezirksgericht auch die Kompetenz fehlte) beseitigt worden wäre. Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung wird somit insoweit nicht aufgezeigt.
4. Die Beklagte kann sich auch nicht erfolgreich auf die Entscheidung 6 Ob 69/97h berufen, in der ausgesprochen wurde, es bedürfe zur Auszahlung der Vorlage des Sparbuchs, woraus sie den Schluss zieht, dass die Klägerin auf Herausgabe bzw Ausstellung eines neuen Sparbuchs hätte klagen müssen. Anders als im vorliegenden Fall handelte es sich damals zum einen nicht um aus dem Vermögen des ursprünglichen Sparbuchinhabers angesparte Beträge; zum anderen waren Guthaben und Sparbuch noch vorhanden und es war in dem von der Bank gegen diesen geführten Prozess (wegen einer behaupteten Aufrechnung mit dem Sparguthaben) die Frage der Gleichartigkeit von Forderung und Gegenforderung zu beantworten.
Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine Aufrechnung sondern darum, dass die Klägerin, die ihre materielle Berechtigung nachweisen konnte, mit pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung unmissverständlich die Auszahlung ihres Guthabens aus dem Spareinlagenvertrag begehrt. Warum es der Beklagten, die durch eigenes Fehlverhalten der Klägerin die Sparbücher entzogen hat, möglich sein sollte, die Auszahlung unter Berufung auf die unterbliebene Vorlage zu verweigern, bleibt sachlich unbegründet. Ein solcher Fall wird auch in dem von ihr zitierten § 32 Abs 2 BWG nicht geregelt. Kann die Klägerin aber die Auszahlung ihres Guthabens begehren, stellen sich die in der Revision weiters erörterten schadenersatzrechtlichen Fragen nicht
5. Die Klägerin hat die Kosten der Revisionsbeantwortung gemäß § 40 ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO selbst zu tragen. Sie hat auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision nicht hingewiesen, sodass ihr Schriftsatz nicht als zweckentsprechende Rechtsverfolgungsmaßnahme angesehen werden kann (RS0035962 [T16]; RS0035979).
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