Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Rene D*** ist das uneheliche Kind der Ingeborg S***. Die Vaterschaft wurde bisher nicht festgestellt. Amtsvormund ist der Magistrat der Stadt Linz.
Die Mutter wurde 1964 wegen sittlicher und seelischer Verwahrlosung in vorläufige Fürsorgeerziehung überwiesen, die 1965 in die endgültige Fürsorgeerziehung abgeändert wurde. Im Rahmen dieser Erziehungsmaßnahme war die Mutter in verschiedenen Heimen untergebracht. 1979 gebar sie ihr erstes Kind Manuela, das am 2. Mai 1980 im Rahmen freiwilliger Erziehungshilfe bei Pflegeeltern, die das Kind in der Folge mit Zustimmung der Mutter adoptierten, untergebracht wurde. 1973 bis 1983 war die Mutter als Raumpflegerin bei den Kreuzschwestern tätig, das Arbeitsverhältnis wurde jedoch gekündigt. In der Folge wurde die Mutter von einer Sozialarbeiterin und vom "Haus für Mutter und Kind" betreut. Seit Dezember 1985 lebte sie mit dem wiederholt vorbestraften Franz S*** in Lebensgemeinschaft. Am 2.Dezember 1987 hat sie mit diesem die Ehe geschlossen. Derzeit verrichtet sie Sozialhilfearbeit als Küchengehilfin, wogegen ihr Ehegatte arbeitslos ist und Notstandshilfe bezieht.
Der Amtsvormund beantragte die Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe, weil die Mutter, die sich gegen diesen Antrag aussprach, infolge ihrer persönlichen Probleme außerstande sei, die mit dem Erziehungsrecht verbundenen Pflichten zu erfüllen. Das Erstgericht ordnete im ersten Rechtsgang die beantragte gerichtliche Erziehungshilfe und die Unterbringung bei einer Pflegefamilie an; dieser Beschluß wurde vom Rekursgericht bestätigt. Der Oberste Gerichtshof hob diese Beschlüsse auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die bloße Möglichkeit, daß die Mutter ihren Erziehungspflichten nicht werde nachkommen können, reiche zur Anordnung gerichtlicher Erziehungshilfe nicht aus. Nichterfüllung dieser Pflichten sei nur dann anzunehmen, wenn die Mutter infolge ihrer Debilität außerstande wäre, den mit der Erziehung eines einjährigen Kindes verbundenen Anforderungen zu entsprechen. Sollte im fortgesetzten Verfahren festgestellt werden, daß sie zur Erziehung unfähig sei, müßte daraus auch die Nichterfüllung der Erziehungspflichten gefolgert werden. Das Erstgericht ordnete nach Ergänzung des Verfahrens erneut die gerichtliche Erziehungshilfe und die Unterbringung des Kindes bei einer Pflegefamilie an. Es stellte fest: Das Kind sei der Mutter am 17. Mai 1987 abgenommen und bei einer Pflegefamilie untergebracht worden. Es sei damals in seiner körperlichen Entwicklung bereits zurückgeblieben und habe eine schlechte Kopfhaltung aufgewiesen; es habe - siebeneinhalb Monate alt - noch nicht frei sitzen können. Es habe apathisch gewirkt, habe aber bei den Pflegeeltern rasch aufgeholt und mit zwölf Monaten bereits frei gehen und die ersten Worte sprechen können. Das Kind sei derzeit altersentsprechend entwickelt und gesund. Anfang November 1987 habe der Amtsvormund das erste Zusammentreffen der Mutter mit deren Kind nach dessen Unterbringung bei Pflegeeltern geplant, die Mutter habe jedoch angekündigt, daß sie in Begleitung von Zeitungsreportern erscheinen werde, so daß das Treffen im Interesse des Kindes und der Pflegeeltern abgesagt worden sei. Auch der für den 18.Dezember 1987 fixierte Besuchskontakt sei nicht zustandegekommen, weil die Mutter vorher erkärt habe, sie werde nicht erscheinen. Erst am 16. Februar 1988 sei sie mit ihrem Kind und den Pflegeeltern beim Stadtjugendamt Linz zusammengetroffen. Das Kind habe seine Mutter kaum beachtet, aber auch sie habe sich mit ihm nichts anzufangen gewußt, sondern bloß ihre Lage beklagt, die Richtigkeit von Gutachten bezweifelt und gegen andere Mütter Anschuldigungen erhoben. Weitere Treffen seien seitdem nicht mehr arrangiert worden. Die Mutter sei intellektuell schwer beeinträchtigt; sie sei imbezill und daher unfähig, Abstraktionsleistungen auch nur in der geringsten Form zu erbringen. Ihr Intelligenzniveau bewege sich im Bereich des erfahrbaren konkretanschaulichen Denkens, in welchen der Mensch bereits mit dem Beginn der Sprachentwicklung - also im Stadium des Minderjährigen - gelange. Die Mutter sei bei der bei ihr festgestellten mangelhaften Entwicklung ihrer Intelligenz nicht ausreichend imstande, ein Kind zwischen einem und zwei Jahren auf mögliche Gefährdungen hinzuweisen, weil sie mangels Abstraktionsfähigkeit außerstande sei, noch nicht eingetretene, aber mögliche Folgen von Ereignissen abzuschätzen. Außerdem neige die Mutter auf Grund ihrer Persönlichkeitsstruktur gerade in Versagens- und Belastungssituationen zu aggressiven Reaktionen, was bei dem in seiner freien Beweglichkeit bereits fortgeschrittenen Kind die Gefahr körperlicher Mißhandlung heraufbeschwöre. Das Kind befinde sich bereits in jener Entwicklungsphase, in der es sich aus der frühen Mutter-Kind-Symbiose herauslöse und der Mutter als eigenständige Persönlichkeit gegenüberzustellen beginne. Bei der Erziehung eines solchen Kindes seien bereits Maßnahmen erforderlich, die dem Kind einerseits Schutz angedeihen lassen, diesem andererseits aber auch zunehmend vorausschauendes Denken vermitteln, wozu die Mutter aber nicht fähig sei. Überdies sei sie auch durch die mangelhafte Entfaltung ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt, was gerade in bezug auf das Sozial- und Kontaktverhalten Kritikschwäche zur Folge habe. Sie sei nicht ausreichend zum Aufbau von Beziehungen imstande, weshalb ein kontinuierliches Zusammenleben mit einem Partner, aber auch mit einem heranwachsenden Kind unwahrscheinlich sei.
Daraus schloß das Erstgericht, daß die Mutter nicht in der Lage sei, den Anforderungen der Erziehung eines 21 Monate alten Kindes gerecht zu werden. Sie würde deshalb auch bei der Überlassung des Kindes in ihre Pflege und Erziehung ihren daraus resultierenden Pflichten nicht nachkommen können.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes und billigte dessen Sachbeurteilung. Die Mutter sei nicht bloß infolge mangelnder Intelligenz, sondern auch wegen ihrer problematischen Persönlichkeitsstruktur außerstande, das nun schon in seiner Entwicklung fortgeschrittene Kind zu erziehen. Damit könne sie die mit der Erziehungsgewalt verbundenen Pflichten nicht erfüllen, so daß die Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe erforderlich sei.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den zweitinstanzlichen Beschluß von der Mutter erhobene Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Da das Rekursgericht die erstinstanzliche Entscheidung bestätigte, ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof gemäß § 16 Abs 1 AußStrG nur im Falle einer unterlaufenen offenbaren Gesetzwidrigkeit, Aktenwidrigkeit oder Nichtigkeit zulässig. Die Mutter macht hingegen bloß Verfahrensmängel und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend, die nicht zum Gegenstand eines nach § 16 Abs 1 AußStrG zu beurteilenden Rechtsmittels gemacht werden können. Es bleibt zu prüfen, ob das Vorbringen im Revisionsrekurs nicht doch einem der tauglichen Anfechtungsgründe unterstellt werden kann, weil deren unrichtige Benennung dem Rechtsmittelwerber nicht zum Nachteil gereichen darf.
Als Verfahrensmangel rügt die Mutter wie schon in ihrem Rechtsmittel an die zweite Instanz, daß ihr in erster Instanz keine Gelegenheit geboten worden sei, zum gerichtsärztlichen Gutachten Stellung zu nehmen. Es trifft zwar entgegen den Ausführungen des Rekursgerichtes zu, daß das Gutachten des Sachverständigen Dr.Werner L*** vom Erstgericht nicht mit den Parteien erörtert wurde, doch liegt darin kein Verfahrensmangel vom Gewicht einer Nichtigkeit, die gemäß § 16 Abs 1 AußStrG erfolgreich ins Treffen geführt werden könnte. Nichtigkeit im Sinne des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO bewirkt zwar die Verletzung des rechtlichen Gehörs; diese ist jedoch nicht schon dann anzunehmen, wenn ein Beteiligter zu einzelnen Beweisergebnissen nicht gehört wurde (EFSlg 52.811 uva). Auch die Beiziehung zu Beweisaufnahmen ist im Verfahren außer Streitsachen nicht geboten, weil diese Verfahrensart nicht vom Grundsatz der Unmittelbarkeit beherrscht wird (SZ 47/35 uva). Selbst der Mangel des rechtlichen Gehörs in erster Instanz wird im Verfahren außer Streitsachen dann behoben, wenn dem Rechtsmittelwerber - wie im vorliegenden Fall - Gelegenheit geboten war, den eigenen Standpunkt im Rekurs an die zweite Instanz geltend zu machen (SZ 46/93 uva); hievon hat die Mutter auch Gebrauch gemacht, aber nach Ansicht des Rekursgerichtes keine stichhältigen Gründe gegen die Richtigkeit des Gutachtens ins Treffen geführt. Im - noch dazu nach § 16 Abs 1 AußStrG zu beurteilenden - Revisionsrekurs könnte die Richtigkeit eines vom Erstgericht seinen Feststellungen zugrundegelegten Gutachtens auch nicht mehr bekämpft werden, weil die Anfechtung der Beweiswürdigung der Vorinstanzen in diesem Verfahrensstadium ausgeschlossen ist. Eine Nichtigkeit liegt somit nicht vor. Rechtliche Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht könnte nur dann im Wege eines außerordentlichen Revisionsrekurses nach § 16 Abs 1 AußStrG erfolgreich geltend gemacht werden, wenn sie den Grad offenbarer Gesetzwidrigkeit erreicht. Eine solche liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn ein Fall im Gesetz so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine im Widerspruch dazu stehende Entscheidung gefällt wurde oder wenn die Entscheidung mit den Grundprinzipien des Rechts im Widerspruch steht
(EFSlg 52.757 ff uva). Die Vorinstanzen haben nicht nur ausreichende Tatsachenfeststellungen getroffen, sondern auch im Sinne der Ausführungen im Aufhebungsbeschluß des Obersten Gerichtshofes (ON 31) aus diesen Feststellungen zutreffend auf die Unfähigkeit der Mutter zur Erziehung ihres im Zeitpunkt der erstgerichtlichen Beschlußfassung bereits 21 Monate alten Kindes geschlossen. Daß daraus die Nichterfüllung der Erziehungspflichten und damit die Notwendigkeit gerichtlicher Erziehungshilfe zu folgern sei, hat der Oberste Gerichtshof schon in dem genannten Beschluß dargelegt. Es trifft zwar - wie im Revisionsrekurs ausgeführt - zu, daß dem Erziehungsberechtigten nicht schon in jedem Fall geringerer intellektueller Entwicklung auch die Erziehungsfähigkeit abgesprochen werden kann, die Vorinstanzen haben jedoch dargelegt, weshalb die Rechtsmittelwerberin zur Erziehung ihres Kindes nicht fähig ist. Sie ist mangels der erforderlichen Abstraktionsfähigkeit außerstande, das bereits fortentwickelte Kind dahin zu erziehen, mögliche Gefahren zu erkennen, zu vermeiden oder sie zu bestehen, sie ist aber auch nicht fähig, ihm das notwendige vorausschauende Denken zu vermitteln. Auch lassen die mit der bei ihr im Falle ihres Versagens oder von Belastungen zu gewärtigenden aggressiven Reaktionen körperliche Mißhandlungen des Kindes befürchten, wenn es dann in konkreten Gefahrensituationen, auf die es nicht vorbereitet wurde, den Anordnungen seiner Mutter nicht Folge leistet. Soweit diese ihren aggressiven Reaktionen ausschließlich auf die Abnahme des Kindes zurückführt, bekämpft sie die Richtigkeit des ausführlich begründeten Gutachtens des gerichtsärztlichen Sachverständigen sowie die Feststellungen der Vorinstanzen, welchen dieses Gutachten zugrundegelegt ist; sie ficht damit in Wahrheit die in dritter Instanz nicht mehr bekämpfbare Beweiswürdigung der Vorinstanzen an. Da das Rekursgericht bei seiner Entscheidung den im Aufhebungsbeschluß des Obersten Gerichtshofes umschriebenen Voraussetzungen der Anordnung gerichtlicher Erziehungshilfe gegen den Willen der Mutter Rechnung getragen hat, kann von offenbarer Gesetzwidrigkeit, die die Mutter in ihrem Rechtsmittel ausdrücklich gar nicht geltend macht, keine Rede sein.
Der Revisionsrekurs ist deshalb als unzulässig zurückzuweisen.
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