Normen
ABGB §140 Abs1 nF
ABGB §147
ABGB §140 Abs1 nF
ABGB §147
Spruch:
Selbst nach Eintritt der Volljährigkeit kann ein aus dem Verschulden des Kindes erloschener Unterhaltsanspruch bei grundsätzlicher Änderung der charakterlichen Einstellung und Aufnahme einer ein besseres Fortkommen ermöglichenden schulischen Ausbildung wieder aufleben
OGH 14. Juni 1978, 1 Ob 630/78 (LG Linz 14 R 64/77; BG Lembach C 2/77 )
Text
Die großjährige Klägerin begehrt von ihrem ehelichen Vater gesetzlichen Unterhalt.
Der Erstricher wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen besuchte die damals minderjährige Klägerin nach Abschluß der Hauptschule in den Schuljahren 1972/74 eine Kindergärtnerinnenschule in Linz. Im ersten Schuljahr war sie im N-Heim untergebracht. Wegen Beziehungen zu einem Ausländer kam sie trotz erfolgter Abmahnung wiederholt spät abends ins Heim, so daß sich die Heimleiterin außerstande sah, eine ordnungsgemäße Aufsicht auszuüben, und die Klägerin im nächsten Schuljahr in dieses Heim nicht mehr aufgenommen wurde. Der Beklagte brachte die Klägerin nun im Heim S unter. Sie hielt jedoch auch dort die Heimordnung durch wiederholtes Fernbleiben nicht ein und wurde noch vor Schulschluß aus diesem Heim entlassen, weil sie einen sehr lockeren Lebenswandel führte und in ihrer sittlichen Entwicklung verwahrloste. An den Wochenenden zu Hause war das Verhalten der Klägerin noch auffälliger, sie blieb wiederholt entgegen ausdrücklicher Vorstellungen beider Elternteile spät nachts in Tanzlokalen und ließ sich praktisch durch keine Erziehungsmaßnahme von diesem Verhalten abbringen. Mit der sittlichen Verwahrlosung ging eine Verschlechterung des Schulerfolges einher, so daß die Klägerin in drei Lernfächern nicht genügende Leistungen und in zwei Hauptfächern nur genügende Leistungen erbrachte. Sie teilte deshalb ihren Eltern mit, daß sie nicht mehr in die Schule gehen werde. Nach einer Beschäftigung über die Ferienmonate im elterlichen Betrieb erklärte die Klägerin, wieder nach Linz ziehen und mit einem anderen Mädchen zusammen leben zu wollen. Bei Finanzierung dieses Vorhabens durch den Beklagten wäre sie bereit gewesen, die Schulklasse zu wiederholen. Der Beklagte lehnte jedoch unter dem Eindruck der Vorkommnisse, insbesondere auch wegen der sich mehrenden nächtlichen Ausflüge der Klägerin, dieses Ansinnen ab. Schließlich nahm die inzwischen 17 Jahre alt gewordene Klägerin, die sich dem Elternhaus völlig entfremdet hatte, eine Beschäftigung bei der Firma X in Linz an und arbeitete dort als Angestellte vom 14. Oktober 1974 bis 30. September 1976. Sie konnte sich mit ihrem Lohn selbst erhalten.
Seit Oktober 1976 (damals 19jährig) besucht die Klägerin die Fachschule für Sozialberufe in G. Sie hat dort im ersten Halbjahr des Schuljahres 1976/77 mit durchschnittlichem Erfolg abgeschlossen. Die Ausbildung dauert drei Jahre. Die Klägerin ist derzeit mittellos; sie ist mit ihrem Vater verfeindet und sprach ihn z. B. bei Gericht mit seinem Nachnamen an.
Nach der Rechtsansicht des Erstrichters habe der Beklagte der Klägerin eine seinem Stand und Vermögen angemessene Berufsausbildung angeboten, die sie jedoch schuldhaft abgebrochen habe. Die Klägerin sei bereits selbsterhaltungsfähig, so daß der Vater ihr nicht eine neue Berufsausbildung ermöglichen müsse.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es vertrat die Rechtsansicht, daß das Scheitern der ersten Berufsausbildung nicht ausschließlich der Klägerin zur Last falle; der Beklagte hätte dem schulischen Mißerfolg durch die Wahl entsprechender Erziehungsmaßnahmen begegnen müssen, zumal die Klägerin zum weiteren Schulbesuch mit Wiederholung der Klasse grundsätzlich bereit gewesen sei. Der Beklagte sei nach wie vor verpflichtet, der Klägerin eine seinem sozialen Stand und Einkommen entsprechende Ausbildung zu gewähren, wenn sie nun ein höheres als das zwischenweilig angenommene Berufsziel ernstlich und mit Aussicht auf Erfolg anstrebe. Notwendig seien daher Feststellungen über die Lebensverhältnisse des Vaters und über die Stellung der Klägerin in der Firma X, um zu beurteilen, ob ihr durch die damalige Art der Tätigkeit die gleichen Möglichkeiten des beruflichen Fortkommens offengestanden wären wie im ursprünglich gewählten Berufszweig und ob diese Position dem Stand des Vaters entsprach.
Der Oberste Gerichtshof sah den Rekurs des Beklagten als zulässig an, weil der erhobene Unterhaltsanspruch untrennbar mit der Frage der Berufswahl zusammenhing (JBl. 1973, 97 u. a.), gab ihm jedoch nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Unterhaltspflicht des Vaters zwar mit dem Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes erlischt, letztere aber nicht von dem Erreichen eines bestimmten Alters abhängt, sondern davon, wann das Kind in der Lage ist, die Mittel zur Bestreitung eines standesgemäßen Unterhaltes durch Arbeit selbst zu verdienen (SZ 44/39 u. a.). Der Vater hat nicht nur eine abgeschlossene Berufsausbildung entsprechend seinem Stand und Vermögen zu gewähren (EvBl. 1977/31 u. a.), sondern auch zu einer höherwertigen weiteren Berufsausbildung seines Kindes beizutragen, wenn dieses die zum Studium erforderlichen Fähigkeiten besitzt, dieses Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt und wenn dem Vater nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen eine solche Beteiligung an den Kosten des Studiums seines Kindes möglich und zumutbar ist (SZ 43/237 u. a.). Ein Verschulden des Kindes am Scheitern einer angemessenen Berufsausbildung hat allerdings die Folge, daß sich dieses Kind wie ein Selbsterhaltungsfähiger behandeln lassen muß (SZ 42/24).
Ist ein Kind selbsterhaltungsfähig, so kann gegen den Willen des Vaters die Wahl eines neuen Berufes, die ihn zu weiteren Unterhaltsleistungen für die Ausbildung zwingt, nur bei besonderer Eignung für diesen Beruf und der sicheren Erwartung eines dort besseren Fortkommens gestattet werden (JBl. 1966, 85; SZ 42/9 u. a.). Das gilt im besonderen nach einem vom Kind verschuldeten Scheitern einer angemessenen Ausbildung. Es genügt also entgegen der Meinung der zweiten Instanz nicht, daß der neue Berufswunsch des Kindes irgendeine Aussicht auf Verwirklichung hat und für diesen Fall eine angemessene bessere Lebensstellung verbürgt. Ein solcher Wunsch kann vielmehr nur unter der weiteren Voraussetzung ein Wiederaufleben der Unterhaltspflicht begrunden, daß eine besondere Eignung für den neuen Beruf besteht und dieses Ziel ernstlich und strebsam verfolgt wird. Nur eine solche differenzierte Beurteilung nimmt einerseits, wie vom Gesetz gefordert, auf die Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes Bedacht (§ 140 Abs. 1 ABGB neu; früher § 148 ABGB) und berücksichtigt andererseits die Beschränkung der Unterhaltspflicht auf die Zeit der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit (§ 140 Abs. 3 ABGB neu, § 141 alt). Auch nachträglich kann also zwar ein Bedürfnis nach Erfüllung der Pflicht zur Gewährung einer abgeschlossenen Berufsausbildung bestehen, gerade wenn das Kind in einem noch jugendlichen Alter eine seinem Wohl zuwiderlaufende Berufsentscheidung getroffen hat und sich nun eines besseren besinnt. Insofern kann eine fehlende besondere Eignung im Einzelfall durch eine grundsätzliche Änderung der charakterlichen Einstellung aufgewogen werden. Andererseits ist es gerade dann, wenn ein früheres Berufsziel aus eigenem Verschulden des Kindes nicht erreicht wurde, den Eltern nicht zumutbar, die Finanzierung des neuen Berufswunsches ohne entsprechende Leistungsgarantien zu besorgen (vgl. EvBl. 1975/143). Diese Rechtslage ist durch die Neuordnung des Kindschaftsrechtes nicht wesentlich geändert worden (§§ 141, 148 alt, §§ 140, 147 neu ABGB; entgegen der Meinung des Rekurswerbers enthält auch § 140 Abs. 3 ABGB in der nunmehrigen Fassung keine neuen Gesichtspunkte; vgl. die Gesetzesmaterialien bei Köhler in Klang[2]-Ergänzungsband, 57 f.).
In der Sache selbst ist dem Rekurswerber zuzugeben, daß das Verschulden am Abbruch der zunächst eingeschlagenen Berufsausbildung als Kindergärtnerin ausschließlich die Klägerin trifft. Die Annahme der zweiten Instanz, daß die Eltern bei einigem Einfühlungsvermögen einen Weg hätten finden müssen, der der Klägerin den weiteren Schulbesuch ermöglichte, ist nach den Feststellungen des Erstrichters, von denen das Berufungsgericht nicht ohne Beweiswiederholung abgehen durfte, verfehlt. Im besonderen war es bei dem Festgestellten Sachverhalt dem Vater nicht zumutbar, eine Wiederholung der zweiten Klasse der Kindergärtnerinnenschule unter der von der Klägerin gesetzten Bedingung einer eigenen Wohnung in Linz zu finanzieren. Eine solche Unterstützung hätte nach dem damaligen Lebenswandel der Klägerin ihre völlige Verwahrlosung gefördert. Es kann auch nicht gesagt werden, daß die Klägerin den Beruf einer Angestellten nur vorübergehend und kurzzeitig zur Überlegung ihrer weiteren Berufswünsche gewählt habe.
Nach der dargestellten Rechtslage ist damit jedoch für den Rekurswerber im Ergebnis noch nichts gewonnen. Der Klägerin wäre ein Wechsel des Berufes und das Wiederaufleben des Alimentationsanspruches unter der Voraussetzung zuzubilligen, daß das neue Berufsziel nicht nur eine nach den Lebensverhältnissen der Eltern angemessene bessere Lebensstellung verbürgt, sondern überdies eine gute Eignung für den nun angestrebten Beruf und die ernste und zielstrebige Verfolgung dieses neuen Berufswunsches vorliegen. In diesem Sinne wird über die Erhebungsaufträge der zweiten Instanz hinaus in erster Linie zu prüfen sein, mit welchem Eifer und Erfolg die Klägerin das neue Berufsziel verfolgt. Dies wäre an sich seinerzeit im Wege einer Prognose zu beurteilen gewesen. Da aber die bisherige Feststellung eines durchschnittlichen Studienerfolges im ersten Halbjahr nicht ausreicht, wird nun die weitere schulische Entwicklung mitberücksichtigt werden können. Die Klägerin müßte jetzt bereits am Ende des zweiten Schuljahres stehen. Nur wenn sie für den jetzt gewählten Beruf begabt, fleißig und strebsam ist, wird auch zu prüfen sein, ob dieser neue Beruf angemessene bessere Erwerbsaussichten bietet und das Wiederaufleben der Unterhaltspflicht des Rekurswerbers zur Nachholung einer abgeschlossenen Berufsausbildung zu bejahen sein.
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