Spruch:
Aus Anlaß des Revisionsrekurses werden die Entscheidungen der Vorinstanzen als nichtig aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Die Eltern des Kindes schlossen anläßlich der Scheidung ihrer Ehe nach § 55a EheG am 3.November 1986 folgenden pflegschaftsbehördlich genehmigten Vergleich:
„Das gemeinsame eheliche Kind mj. Tamara ..., geboren am 14.September 1985, verbleibt in Pflege und Erziehung des ehelichen Vaters, ..., dem ab sofort die ehelichen Rechte und Pflichten allein zustehen (§§ 144, 177 ABGB).
Herr ... (Vater) erklärt, das Kind aus eigenen Mitteln bis auf weiteres versorgen zu wollen, solange die heute gegebenen Verhältnisse aufrecht bleiben (voller Verdienst); auch das Hinzukommen weiterer Sorgepflichten ist kein Anlaß zum Abgehen von dieser Regelung.
Hinsichtlich des mütterlichen Besuchsrechtes werden die Eltern eine außergerichtliche Regelung treffen.“
Am 6.Juni 1994 legte die zuständige Bezirkshauptmannschaft unter Anschluß einer Zustimmungserklärung des Vaters nach § 212 Abs 2 ABGB eine mit der Mutter abgeschlossene Vereinbarung mit deren Verpflichtung vor, zum Kindesunterhalt einen einmaligen Sonderbedarfsbetrag von 2.260 S (für eine Zahnregulierung) zu bezahlen.
Am 10.November 1994 beantragte die zuständige Bezirkshauptmannschaft als Unterhaltssachwalter, die - derzeit noch nicht zur Leistung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen verpflichtete - Mutter ab 1.Oktober 1994 unter Berücksichtigung näher genannter Einkommensverhältnisse und Sorgepflichten zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 2.000 S für das Kind zu verpflichten. Die Mutter trat dem Unterhaltsbegehren unter Hinweis auf den Scheidungsfolgenvergleich vom 3.November 1986 und die darin enthaltene Erklärung des Vaters sowie wegen der fehlenden Sachverhaltsänderung entgegen. Der Vater widerrief am 10.Februar 1995 die Zustimmungserklärung nach § 212 Abs 2 ABGB gegenüber der zuständigen Bezirkshauptmannschaft und erklärte im Schriftsatz vom 28.Februar 1995, den von der Bezirkshauptmannschaft gestellten Unterhaltsfestsetzungsantrag vollinhaltlich aufrecht zu erhalten. Die „Einkommens- und Beschäftigungsverhältnisse“ des Vaters hätten sich nicht geändert.
Das Erstgericht wies den Unterhaltsfestsetzungsantrag mit der Begründung zurück, daß sich an den Umständen seit Abschluß des Scheidungsfolgenvergleichs nichts geändert habe. Der Vater habe in diesem Vergleich zulässigerweise eine - an sich die Mutter treffende - Unterhaltsverpflichtung freiwillig übernommen und könne daher von dieser nicht ohne weiteres abgehen. Dem Vergleich sei „eigentlich“ ein Unterhaltsverzicht des Kindes zugrundegelegen, der jedoch vom Pflegschaftsgericht nicht hätte genehmigt werden können, weshalb die zitierte Formulierung gewählt worden sei. Der Vater sei daher zur vollen Versorgung des Kindes verpflichtet und könne Ersatzansprüche nach § 1042 ABGB gegen die Mutter nur im ordentlichen Rechtsweg geltend machen. Eine Berechtigung des Vaters zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Kindes im Pflegschaftsverfahren bestehe jedoch nicht.
Die zweite Instanz gab dem Rekurs des „Vaters“ (erkennbar gemeint: des durch seinen Vater vertretenen Kindes; vgl ON 28 AS 81 f, im besonderen den Rekursantrag) nicht Folge, erachtete den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig und vertrat in rechtlicher Hinsicht im wesentlichen die Auffassung, die Erklärung des Vaters im Scheidungsfolgenvergleich stelle keinen Unterhaltsverzicht des Kindes gegenüber seiner Mutter dar, sondern sei eine Vereinbarung der Kindeseltern, daß der Vater für den Unterhalt des Kindes alleine aufkomme, solange sich die (am 3.November 1986 gegebenen) Einkommensverhältnisse nicht ändern, selbst wenn weitere Sorgepflichten des Vaters entstehen sollten. Den Eltern bleibe im gesetzlichen Rahmen des § 140 ABGB in der Frage ihrer jeweiligen Beitragsleistung für das minderjährige Kind eine gewisse Dispositionsfreiheit gewahrt, sofern eine solche Vereinbarung nicht zu Lasten des Kindes gehe, insbesondere der dem Kind gebührende Gesamtunterhalt nicht geschmälert werde. Wenn durch eine solche Vereinbarung an die Stelle der „primären“ Unterhaltspflicht der Mutter eine bloß subsidäre trete, könne die Mutter erst dann zu Unterhaltsleistungen herangezogen werden, wenn der Vater außerstande wäre, für den Unterhalt des Kindes zur Gänze selbst aufzukommen. Es fehlten vorliegend Anhaltspunkte dafür, daß der auf Grund der Vereinbarung primär unterhaltspflichtige Vater zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht mehr imstande wäre.
Aus Anlaß des Revisionsrekurses des durch seinen Vater vertretenen Kindes sind die Entscheidungen der Vorinstanzen als nichtig aufzuheben.
Rechtliche Beurteilung
Zu den Voraussetzungen der Scheidung der Ehe im Einvernehmen nach § 55a Abs 2 EheG gehört unter anderem der Abschluß einer schriftlichen Vereinbarung der Ehegatten über die Unterhaltspflicht hinsichtlich ihrer gemeinsamen (nicht selbsterhaltungsfähigen minderjährigen) Kinder. In der Praxis erfolgt dies regelmäßig in der Form eines bei der Scheidungstagsatzung protokollierten gerichtlichen Vergleichs. Die Unterhaltsvereinbarung in Ansehung der (nicht selbsterhaltungsfähigen minderjährigen) Kinder - mit einer betragsmäßigen Fixierung (Schwimann in Schwimann, § 55a EheG Rz 9) - bedarf nach herrschender Rechtsprechung der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung nach § 154 Abs 3 ABGB (EFSlg 59.721; 1 Ob 602/92, 4 Ob 1505/91 uva; Schlemmer in Schwimann, § 154 ABGB Rz 21; Schlemmer/Schwimann in Schwimann, § 140 ABGB Rz 86 mwN; Stabentheiner, Scheidungsvergleich und pflegschaftsgerichtliche Genehmigung in RZ 1991, 250 ff mwN in FN 2; aA Pichler in Rummel 2, §§ 154, 154a ABGB Rz 13, der eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung nur bei einem Abgehen von den in der Rechtsprechung üblichen Sätzen für erforderlich hält; kritisch auch Fenyves, Unterhalts- und vermögensrechtliche Vereinbarungen bei Auflösung der Ehe aus zivilrechtlicher Hinsicht in Ruppe, Handbuch der Familienverträge2 852; vgl auch Ferrari-Hofmann-Wellenhof, Vereinbarungen bei einvernehmlicher Scheidung in JBl 1992, 409 ff, 410 mwN in FN 4). Es muß aber jedenfalls eine Unterhaltsvereinbarung des Kindes, vertreten durch einen Elternteil vorliegen, nicht ein sogenannter Entlastungsvertrag, also eine bloße Regelung zwischen den Ehegatten darüber, wer die Unterhaltslast im Innenverhältnis zu tragen hat (RZ 1991/64 = ÖA 1991, 138 = EFSlg 63.004; 1 Ob 602/92 ua; Pichler aaO § 55a EheG Rz 5 und 5b mwN und Probleme des Unterhalts in ÖA 1987, 91; Fenyves aaO 852 f mwN in FN 96). Wenn die Regelung des Kindesunterhalts im Scheidungsfolgenvergleich kein Vertrag mit dem Kind, sondern nur einer der Eltern untereinander ist, sind die Rechte des Kindes nicht berührt (RZ 1991/64) und bedürfte eine solche demnach auch keiner pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung (1 Ob 602/92; Pichler, Probleme des Unterhalts in ÖA 1987, 91). Aus dem Inhalt und der Textierung des hier zu beurteilenden Scheidungsfolgenvergleichs geht keineswegs mit ausreichender Deutlichkeit hervor, daß der Vater gegenüber seinem Kind eine - zahlenmäßig auch gar nicht bestimmte - Verpflichtung übernommen und die Mutter das Kind beim Abschluß der Unterhaltsvereinbarung mit dem Vater vertreten hätte. Daß dies gerade nicht dem Parteiwillen der Eltern entsprach, ergibt sich nicht zuletzt auch daraus, daß bereits durch den ersten Punkt des Vergleichs die Obsorge (§ 177 ABGB) dem Vater zukommen sollte, was in der Folge auch pflegschaftsbehördlich genehmigt wurde. Dem Offenlegungsgrundsatz, der der Evidenz der Rechtsverhältnisse dient, wurde jedenfalls nicht Genüge getan. Die Frage, ob nur ein Kollisionskurator für das Kind eine Unterhaltsvereinbarung mit dem Vater hätte treffen können (vgl dazu Fenyves aaO 853; Ferrari-Hofmann-Wellenhof aaO, 410; Verschraegen, Einverständliche Scheidung, 520), stellt sich mangels Abschlusses einer derartigen Unterhaltsvereinbarung mit dem Kind hier gar nicht. Es liegt demnach weder ein (pflegschaftsbehördlich genehmigter) Unterhaltsverzicht des Kindes gegenüber seiner nach dem Gesetz primär (geld-)unterhaltspflichtigen Mutter noch eine Unterhaltsvereinbarung des Kindes vor.
Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, der Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, leistet dadurch seinen Beitrag. Darüber hinaus hat er zum Unterhalt des Kindes beizutragen, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht imstande ist oder mehr leisten müßte, als es seinen eigenen Lebensverhältnissen angemessen wäre. Da im vorliegenden Fall das Kind im Haushalt des Vaters betreut wird, ist gemäß § 140 Abs 2 ABGB die Mutter geldunterhaltspflichtig. Unmaßgeblich ist, ob der haushaltsführende Elternteil ausschließlich oder - besonders weil er berufstätig ist - nur während bestimmten Tageszeiten und überhaupt nur an bestimmten Tagen sich der Betreuung des Kindes widmet, so daß die Betreuung auch dann angenommen wird, wenn das Kind tagsüber in einem Hort, bei den Großeltern oder einer dritten Person untergebracht wird, ja selbst dann, wenn das Kind während der Woche in einem Internat untergebracht ist und sich ständig nur an Wochenenden, zu den Feiertagen und während der Ferien bei diesem Elternteil befindet, sofern dieser tatsächlich Leistungen zur Betreuung des Kindes erbringt (EFSlg 50.404; 30.731 uva; Schlemmer/Schwimann aaO § 140 ABGB Rz 78 mwN).
Die gesetzliche Unterhaltsregelung des § 140 ABGB schließt es nach ständiger Rechtsprechung aber nicht aus, daß die Eltern mit pflegschaftsbehördlicher Zustimmung (ÖA 1992, 146 = EFSlg 67.824; EFSlg 40.107; 7 Ob 512/94 ua) eine davon abweichende Vereinbarung treffen, wie sie in Kenntnis der beiderseitigen Einkommens-und Vermögensverhältnisse zum Kindesunterhalt beitragen wollen (ÖA 1994, 65; ÖA 1992, 146 = EFSlg 67.824 f; EFSlg 56.102 f, 40.107; 7 Ob 512/94 ua), etwa dahin, daß der Vater die „primäre“ Unterhaltspflicht übernimmt (EFSlg 40.107 ua). Den Eltern bleibt also im Rahmen der gesetzlichen Regelung des § 140 ABGB in der Frage ihrer jeweiligen Beitragsleistung eine gewisse Dispositionsfreiheit gewahrt (ÖA 1992, 146; EFSlg 56.103; 7 Ob 512/94 ua), soferne durch die Vereinbarung das Wohl des unterhaltsberechtigten Kindes nicht gefährdet, im besonderen sein Gesamtunterhalt der Höhe nach nicht geschmälert wird. Unter diesen Voraussetzungen ist auch ein Kind an eine pflegschaftsbehördlich genehmigte, im Wissen der beiderseitigen Einkommens-und Vermögensverhältnisse getroffene Vereinbarung seiner Eltern über den vom Vater oder der Mutter zu leistenden Unterhaltsbetrag gebunden (ÖA 1992, 146; EFSlg 47.661, 40.107 ua). Wenn es nun der durch eine solche Vereinbarung zulässigerweise primär geldunterhaltspflichtig gewordene Elternteil aus welchen Gründen immer unterläßt, dieser seiner Verpflichtung nachzukommen, oder aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse dazu nicht mehr in der Lage ist, darf dies nicht zum Nachteil des Kindes ausschlagen (vgl 7 Ob 512/94) und führt ab dem Zeitpunkt der Gefährdung des Kindeswohls (vgl ÖA 1992, 146), das ist der Zeitpunkt, ab dem der Gesamtunterhalt gefährdet oder geschmälert würde zur Unwirksamkeit der Vereinbarung (Purtscheller-Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 286). Ab diesem Zeitpunkt ist das Kind an eine auch pflegschaftsbehördlich genehmigte Vereinbarung seiner Eltern über die Tragung seines Unterhalts nicht mehr gebunden und kann nun von seinem nach dem Gesetz geldunterhaltspflichtigen Elternteil - hier der Mutter - Unterhalt begehren. In diesem Lichte ist die Entscheidung RZ 1991/64 zu sehen, in der es im übrigen um die Frage der Bestellung eines Kollisionskurators ging.
Bei einer durch Änderung der Umstände eingetretenen Unwirksamkeit der Unterhaltsvereinbarung der Eltern darf der daraus abgeleitete Unterhaltsfestsetzungsantrag des Kindes aber nicht vom obsorgeberechtigten Elternteil, der diese Unterhaltsvereinbarung nicht mehr oder nicht mehr ausreichend erfüllt, ausgehen, weil die Möglichkeit eines Interessenwiderspruchs, einer Kollision im materiellen Sinn zwischen dem Kind als Gläubiger und seinem Vater und gesetzlichen Vertreter als Schuldner im materiellrechtlichen Sinn (§ 271 ABGB) besteht. In einem solchen Fall muß das Gericht auch von Amts wegen einen Kollisionskurator bestellen. Wird wie hier trotz Kollision vom gesetzlichen Vertreter ein Verfahren eingeleitet und fortgeführt, so sind Prozeßhandlungen mit Nichtigkeit nach der - auch im Verfahren außer Streitsachen geltenden - Bestimmung des § 477 Abs 2 Z 5 ZPO behaftet (Pichler aaO §§ 271, 272 ABGB Rz 8; Schlemmer aaO § 271 ABGB Rz 7, je mwN). Im fortzusetzenden Verfahren wird das Erstgericht daher zur allfälligen Durchsetzung des Anspruchs des Kindes auf Unterhalt gegenüber seiner Mutter einen Kollisionskurator zu bestellen haben, dem vorerst die Entscheidung darüber obliegt, ob er den Antrag aufrecht hält.
Auf die von der zweiten Instanz als erheblich erachtete Rechtsfrage, ob Vereinbarungen oder bindende Erklärungen der Eltern betreffend den Kindesunterhalt der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung bedürfen, kommt es hier nicht an, weil der Scheidungsfolgenvergleich mit der Vereinbarung der Eltern über den Kindesunterhalt ohnehin pflegschaftsbehördlich genehmigt wurde.
Demnach ist spruchgemäß zu entscheiden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)