Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Prozeßkosten.
Text
Begründung
Am 2.12.1993 ereignete sich auf der Südautobahn auf Höhe des Parkplatzes H***** ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Lenker und Halter eines PKWs und Peter S***** als Lenker eines Bundesheer-LKWs, dessen Halterin die beklagte Partei ist, beteiligt waren. Dabei entstanden am Klagsfahrzeug Schäden in der Höhe von S 82.207,--. Dem Kläger sind unfallsbedingt Abschleppkosten im Betrage von S 4.188,-- entstanden.
Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger die Zahlung von S 86.395,-- sA mit der Begründung, daß der Lenker des Bundesheer-LKWs den Unfall allein verschuldet habe. Der Kläger sei in Fahrtrichtung Villach gefahren und habe den rechten Fahrstreifen benutzt, als Peter S*****, vom Parkplatz neben der Autobahn kommend, den LKW ohne Rücksicht auf den fließenden Verkehr auf die Autobahn gelenkt habe. Der Kläger habe auf die Vorrangverletzung unverzüglich durch ein Bremsmanöver reagiert, das Auffahren auf den LKW aber nicht verhindern können, zumal ihm ein Ausweichen auf die Überholspur infolge des Verkehrs nicht möglich gewesen sei.
Die beklagte Partei wendete ein, daß der Kläger infolge Unaufmerksamkeit auf das vor ihm fahrende Fahrzeug aufgefahren sei. Der Lenker des Bundesheer-LKWs habe keine Vorrangverletzung begangen. Gegen eine allenfalls zu Recht bestehende Klagsforderung wurde der am LKW eingetretene Schaden im Betrage von S 5.840,-- compensando eingewendet.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging davon aus, daß der Kläger den Auffahrunfall infolge Unaufmerksamkeit und verspäteter Reaktion allein verschuldet habe. Zum Zeitpunkt des Einfahrens des LKWs in die Autobahn sei das Fahrzeug des Klägers noch nicht im Sichtbereich des LKW-Lenkers gewesen, sodaß keine Vorrangverletzung vorliege. Die Vernehmung der Zeugin Bettina L***** erachtete das Erstgericht für nicht nötig, weil die Aussagen zweier Zeugen in Anbetracht der Auswertung der Tachographenscheibe des LKWs glaubwürdiger als jene des Klägers gewesen sei (S 10 des Ersturteils).
Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen Berufung nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen eines Verfahrensmangels, das in der Unterlassung der Vernehmung der Zeugin Bettina L***** liegen sollte. Der Kläger habe nicht ausgeführt, welches Ergebnis aus der Aussage dieser Zeugin bzw aus der ergänzenden Einvernahme des Kfz-Sachverständigen hätte gewonnen werden können. Es sei diese Zeugin auch nur zum Beweis dafür geführt worden, daß der Kläger auf das Herausfahren des LKW rechtzeitig mit Vollbremsung reagiert habe. Dies sei kein geeignetes Beweisthema, weil es rechtliche Elemente in sich berge. Schließlich wäre der vom Kläger unmittelbar vor Schluß der Verhandlung gestellte Beweisantrag vom Erstgericht angesichts des fortgeschrittenen Verfahrensstadiums und wegen offensichtlicher Verspätung und Verschleppungsabsicht zurückzuweisen gewesen. Im Hinblick auf das Sachverständigengutachten und die übrigen Beweisergebnisse habe es der Einvernahme der genannten Zeugin, die zu dem Beweisthema, daß der Kläger zum Zeitpunkt des Anfahrens nicht im Sichtbereich des Lenkers des Beklagtenfahrzeugs gewesen sei, gar nicht geführt worden sei, nicht bedurft. Im übrigen teilte das Berufungsgericht die Rechtsansicht der ersten Instanz.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Im Verfahren erster Instanz unterblieb die Vernehmung der Zeugin Bettina L*****. Diese Zeugin wurde zum selben Beweisthema wie der Zeuge Robert L***** namhaft gemacht (S 5 des Protokolls vom 31.8.1994 = AS 79). Der Zeuge Robert L***** war zum Beweis dafür geführt worden, daß der Kläger auf das Herausfahren des Beklagtenfahrzeugs rechtzeitig mit Vollbremsung reagiert habe (S 8 des Protokolls vom 22.6.1994 = AS 41), aber auch dafür, daß der LKW der beklagten Partei aus der Stillstandsposition vom Parkplatz herausgefahren sei (S 17 des Protokolls vom 22.6.1994 = AS 59). Das Erstgericht hat die Vernehmung der Zeugin Bettina L***** mit der Begründung unterlassen, daß diese Beweisaufnahme infolge der bereits vorliegenden Beweisergebnisse entbehrlich sei. Das Berufungsgericht hat die Aufnahme dieses Zeugenbeweises nicht deshalb abgelehnt, weil dieser Beweis am festgestelltem Sachverhalt nichts ändern könnte (siehe 6 Ob 1523/88; 7 Ob 603/88; 10 Ob S 38/88; 2 Ob 681/87; 8 Ob 565/87; EF 55.106; 8 Ob 562/86), sondern aus aktenwidrigen, formellen Erwägungen. Es ist den Berufungsausführungen eindeutig zu entnehmen, welches Ergebnis die Einvernahme der Zeugin Bettina L***** hätte zeitigen sollen, nämlich die Feststellung, daß der LKW der Beklagten aus der Stillstandsposition in die Autobahn eingefahren sei (siehe S 2 der Berufung = AS 118). Die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels wurde sohin aufgezeigt. Aktenwidrigerweise vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, daß der Zeuge Robert L***** ebenso wie eine nicht vernommene Gattin lediglich zum Beweis dafür geführt worden sei, daß der Kläger auf das Herausfahren des LKW rechtzeitig mit Vollbremsung reagiert habe (S 4 des Berufungsurteils = AS 142). Dem Kläger könnte auch wegen seines Antrags auf Einvernahme der Zeugin Bettina L***** Verschleppungsabsicht nicht unterstellt werden, kam doch erst durch die Aussage des Zeugen Robert L***** hervor, daß auch dessen Gattin den Unfallshergang gesehen habe (S 4 des Protokolls vom 31.8.1994 = AS 77); daraufhin wurde diese als Zeugin benannt (S 5 des genannten Protokolls = AS 79). Die Namhaftmachung dieser Zeugin ganz am Schluß der Tagsatzung vom 31.8.1994 mag allenfalls Kostenseparation nach sich ziehen, sie rechtfertigt aber keinesfalls die Unterstellung, der am ehebaldigen Prozeßgewinn interessierte Kläger wolle das Verfahren verschleppen.
Da das Gericht zweiter Instanz einen in erster Instanz unterlaufenen Verfahrensmangel mit aktenwidriger Begründung erledigte, liegt ein erheblicher Mangel des Berufungsverfahrens vor, was in Stattgebung der Revision zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichtes führen mußte (EF 52.239; JBl 1981, 268; SZ 38/120).
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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