OGH 1Ob243/11h

OGH1Ob243/11h31.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerin H*****stiftung, *****, vertreten durch Dr. Maximilian Schaffgotsch, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner Land Oberösterreich, vertreten durch Dr. Franz Haunschmidt und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Entschädigung nach § 37 oberösterreichisches Natur- und Landschaftsschutzgesetz 2001, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 27. Oktober 2011, GZ 2 R 176/11g-14, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 8. September 2011, GZ 20 Nc 32/11y-10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, dem Antragsgegner binnen 14 Tagen die mit 2.493,18 EUR (darin enthalten 415,53 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung

Die oberösterreichische Landesregierung hat gestützt auf § 15 Abs 2, § 24 Abs 1 und 2 oberösterreichisches Natur- und Landschaftsschutzgesetz 2001 (oö NschG) mit Verordnung vom 31. 7. 2009 (LGBl 2009/72) die Gebiete „Oberes Donautal“ und „Oberes Donau- und Aschachtal“ zum Europaschutzgebiet „Oberes Donau- und Aschachtal“ erklärt und für dieses Gebiet entsprechend der Anordnung des § 15 Abs 2 oö NschG einen Landschaftspflegeplan (§ 6 der V) erlassen.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin von 10 Liegenschaften (mit insgesamt 40 Grundstücken), die in diesem Europaschutzgebiet liegen. Sie beantragte mit ihrer Eingabe vom 15. 7. 2010 beim Amt der oberösterreichischen Landesregierung nach § 37 oö NschG einen wertgesicherten jährlichen Entschädigungsbetrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 17. 1. 2011 abgewiesen.

Die Antragstellerin begehrte beim Erstgericht die Festsetzung einer (zunächst der Höhe nach offen gelassenen und dann über gerichtliche Aufforderung „vorsichtshalber“ mit 234.000 EUR jährlich bezifferten) Entschädigung.

Die Vorinstanzen wiesen diesen Antrag ab, weil erst die Versagung einer nach § 24 Abs 3 oö NschG erforderlichen Bewilligung einer Maßnahme eine konkrete Nutzungseinschränkung bewirke, nicht aber die zitierte Verordnung an sich.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil anders als in dem zu 8 Ob 35/09v entschiedenen (eine Entschädigung nach dem steiermärkischen Naturschutzgesetz 1976 betreffenden) Fall die das Europaschutzgebiet ausweisende Verordnung nicht nur dessen Grenzen sowie den Schutzzweck und die Schutzgüter normiere, sondern darüber hinaus auch einen Landschaftspflegeplan enthalte.

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist entgegen diesem nach § 71 Abs 1 AußStrG nicht bindenden Ausspruch nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

1.) Hat eine Verordnung, mit der ein Gebiet (unter anderem) zu einem Europaschutzgebiet erklärt wurde, eine erhebliche Ertragsminderung eines Grundstücks oder eine erhebliche Erschwerung der bisherigen Wirtschaftsführung zur Folge, hat der Eigentümer nach § 37 Abs 1 oö NschG gegenüber dem Land Anspruch auf eine angemessene Entschädigung, wenn nicht durch eine vertragliche Vereinbarung (§ 35 Abs 1 iVm § 1 Abs 7 leg cit) oder anderweitig für eine Entschädigung vorgesorgt ist.

2.) Nach § 24 Abs 2 oö NschG sind in einer Verordnung die Grenzen und der Schutzzweck eines Europaschutzgebiets genau festzulegen (Satz 1) und sind Maßnahmen beispielsweise anzuführen, die keinesfalls zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Schutzzwecks iSd Abs 3 führen können (Satz 2). Maßnahmen, die einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Maßnahmen zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Schutzzwecks eines Europaschutzgebiets führen können, sind nach § 24 Abs 3 Satz 1 oö NschG bewilligungspflichtig.

3.) Der mit § 6 der bereits zitierten Verordnung der oberösterreichischen Landesregierung erlassenen Landschaftsplan, dessen Erstellung für ein Europaschutzgebiet § 15 Abs 2 Satz 1 oö NschG zwingend fordert, bezeichnet jene Maßnahmen, die geeignet sind, einen günstigen Erhaltungszustand der in den Tabellen 4 bis 6 genannten Vogelarten, natürliche Lebensräume sowie Tierarten zu gewährleisten. Beispielsweise sind zu nennen: Keine Düngung auf mageren Flachland-Mähwiesen (Tabelle 5: 6510), ein dauernder Nutzungsverzicht für montane bis alpine bodensaure Fichtenwälder (Tabelle 5: 9410) sowie keine Mahd vor dem 1. September zum Schutz des dunklen Ameisenbläulings (Tabelle 6: 1061).

4.) § 25 Abs 1 lit a steiermärkisches Naturschutzgesetz (stmk NschG) 1976 gewährt demjenigen einen Anspruch auf Entschädigung, der durch die Auswirkungen einer Verordnung oder eines Bescheids nach den §§ 5, 6, 11 und 13a leg cit gehindert wird, sein Grundstück oder seine Anlage auf die Art und in dem Umfang zu nutzen, wie er zur Zeit der Einleitung des Verfahrens berechtigt ist und dadurch eine erhebliche Minderung des Ertrages oder eine nachhaltige Erschwernis der Wirtschaftsführung oder einen sonstigen erheblichen Vermögensnachteil erleidet.

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner ausführlich begründeten Entscheidung 8 Ob 35/09v (= RdU 2010/40, 66 [Wagner] = RIS-Justiz RS0125530) zu der Frage Stellung genommen, ob die bloße Einbeziehung von Grundstücken in ein Europaschutzgebiet durch Verordnungen der steiermärkischen Landesregierung nach § 13a Abs 1 stmk NschG bereits eine Nutzungsbeschränkung dieser Liegenschaften bewirke und eine Entschädigungspflicht nach § 25 Abs 1 leg cit auslöse. Das Ergebnis lautet: Eine unmittelbare Beeinträchtigung der Nutzung der von einem Europaschutzgebiet erfassten Liegenschaften wird allein durch die Einbeziehung in das Europaschutzgebiet ohne konkrete Festlegung von Ge- und Verboten in einer abgrenzbaren Weise nicht bewirkt, weshalb die Liegenschaftseigentümer keinen Anspruch auf Entschädigung haben (vgl auch 1 Ob 176/10d).

5.) Die Entscheidung 8 Ob 35/09v stieß auf Kritik in der Lehre:

Wagner (Anm zu RdU 2010/40, 66) vertritt die Auffassung, dass gewisse Nutzungen schon mit der räumlichen Umgrenzung unabhängig davon, welche Erhaltungsmaßnahmen und Bewirtschaftsungsformen danach allenfalls privatrechtlich vereinbart werden, ausschieden. Sie spricht sich im Sinn eines „Vorher- bzw Nachhervergleichs“ für den Ausgleich aller vermögensrechtlichen Nachteile anhand einer objektiv-konkreten Berechnung ausgehend vom Verkehrswert aus. Zu entschädigen seien aufgrund des weiten Wortlauts des § 25 Abs 1 stmk NschG auch der Entzug, bloß potentieller Nutzungsmöglichkeiten (ausgenommen völlig unrealistische und mit den natürlichen Gegebenheiten nicht vereinbarte Bewirtschaftungsmaßnahmen) und es stehe jedenfalls die Abgeltung der Verkehrswertminderung zu.

Auch nach Kerschner (Aktuelle Rechtsfragen für den Sachverständigen - 2010, SV 2010, 123 [125]) seien ausgehend vom Verkehrswert alle vermögensrechtlichen Nachteile (nach dem weiten Wortlaut des § 25 Abs 1 stmk NschG auch der Entzug potentieller Nutzungsmöglichkeiten, etwa auch der Verkaufsmöglichkeit) und jedenfalls schon mit Ausweisung des Schutzgebiets die Minderung des Verkehrswerts als „sonstiger erheblicher Vermögensnachteil“ zu ersetzen.

Mauerhofer (Zur Ausweisung von besonderen Schutzgebieten [Natura 2000], RdU 2011/3, 12 [19]) sah das Hauptargument der besprochenen Entscheidung in der Möglichkeit vertraglicher Lösungen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes und im Falle des Scheiterns einer ausreichenden Absicherung des Natura 2000 Gebiets durch den Vertragsnaturschutz in der Möglichkeit des Landes Steiermark, konkrete Anordnungen im Sinn des stmk NschG zu erlassen. Der genannte Autor wirft dem Obersten Gerichtshof vor, sich nicht hinreichend mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen auseinandergesetzt zu haben: Ein zeitlicher Ermessensspielraum bestehe nicht, weil nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs zur Erklärung und Abgrenzung eines Gebiets zum besonderen Schutzgebiet (BSG) automatisch und unmittelbar die Anwendung der vom einschlägigen Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Schutz- und Erhaltungsregelung treten müsse. Ein reiner Vertragsnaturschutz als Regelungsregime erscheine jedenfalls generell gemeinschaftsrechtlich bedenklich.

6.) Weder diese Kritik noch die nach der oberösterreichischen Rechtslage im Landschaftspflegeplan als zur Erzielung des Schutzzwecks geeignet bezeichneten Maßnahmen sind (entgegen der Auffassung des Revisionsrekurswerbers) in diesem konkreten Fall von entscheidender Bedeutung.

§ 37 Abs 1 oö NschG setzt nach seinem klaren und eindeutigen Wortlaut für einen Entschädigungsanspruch des Eigentümers eine erhebliche Ertragsminderung eines Grundstücks oder eine erhebliche Erschwerung der bisherigen Wirtschaftsführung voraus. Der oberösterreichische Landesgesetzgeber hat damit von den ihm verfassungsrechtlich eingeräumten Gestaltungsspielraum, bei einer - von einer Enteignung zu unterscheidenden - Eigentumsbeschränkung, den Entschädigungsanspruch erst bei einer gewissen Eingriffsintensität zu gewähren (siehe dazu 8 Ob 35/09v mzN aus Lehre und Judikatur; vgl 6 Ob 32/10i mwN; vgl 8 Ob 40/04x mwN) Gebrauch gemacht.

7.) Die Antragstellerin lässt in ihrem Revisionsrekurs jegliche Ausführungen vermissen, wieso diese den Grund des Entschädigungsanspruchs betreffenden Voraussetzungen einer erheblichen Ertragsminderung eines Grundstücks oder einer erheblichen Erschwerung der bisherigen Wirtschaftsführung bezogen auf ihr konkretes Eigentum durch die Auswirkungen der Verordnung der oberösterreichischen Landesregierung verwirklicht sein sollten. Sie beschränkt sich auf einen ganz allgemeinen Verweis auf die bereits in Punkt 4.) genannten, in § 6 (Landschaftspflegeplan) der der oberösterreichischen Landesregierung enthaltenen Maßnahmen, ohne dabei einen Bezug zur (auch nur potentiellen) Nutzung ihrer Grundstücke herzustellen. Wie diese genutzt werden oder genutzt werden könnten, bleibt völlig offen.

8.) Zwar stellt das hier nach § 37 Abs 4 oö NschG anzuwendende Außerstreitverfahren geringere Anforderungen an das Sachverhaltsvorbringen als die ZPO. Dennoch ist ein schlüssiges Vorbringen, also Behauptungen zu den Elementen des hier geltend gemachten Entschädigungstatbestands nach § 37 Abs 1 oö NschG zu fordern (vgl KOG RIS-Justiz RS0124140). Die Behauptung, Eigentümer von Grundstücken zu sein, die in ein Europaschutzgebiet einbezogen wurden, ist nicht ausreichend, um die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 37 Abs 1 oö NschG darzulegen, entspricht es doch dem allgemeinen Grundsatz im Enteignungsverfahren, dass die Feststellung der enteignungsbedingten (hier durch die Eigentumsbeschränkung herbeigeführten) Nachteile konkret und unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Enteigneten objektiv-konkret zu erfolgen hat (RIS-Justiz RS0053657; in diesem Sinn auch Wagner und Kerschner aaO). Der von diesen beiden Autoren befürwortete Ersatz der Minderung des Verkehrswerts bereits als Folge der Ausweisung eines Europaschutzgebiets liegt dem Begehren der Antragstellerin, die eine jährliche Minderung des Ertrags forderte, gar nicht zugrunde. Zudem ist § 37 Abs 1 oö NschG enger gefasst als § 25 Abs 1 lit a stmk NschG. Nach der zuletzt genannten Bestimmung ist jeder sonstige erhebliche Vermögensnachteil zu ersetzen, zu dem Wagner und Kerschner eben auch die Minderung des Verkehrswerts zählen.

9.) Scheitert ein Entschädigungsanspruch der Antragstellerin schon aus diesen Erwägungen, muss weder die (in der Lehre zu § 25 Abs 1 stmk NschG diskutierte) Problematik potentieller Nutzungsbeschränkungen sowie des auch nach der oberösterreichischen Landesgesetzgebung vorrangigen Vertragsnaturschutzes unter dem Aspekt gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben durch die Vogelschutzrichtlinien (VS-RL) und die Flora-Fauna-Habitatrichtlinie (FFH-RL) noch die Bedeutung der im Landschaftspflegeplan abstrakt als zur Erzielung des Schutzzwecks geeignet bezeichneten Maßnahmen erörtert werden. Es ist nämlich nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs, abstrakte Rechtsfragen zu lösen.

10.) Dieses Ergebnis bedeutet auch keine „Überraschungsentscheidung“ für die Antragstellerin: Bereits im Verfahren erster Instanz wurden Aspekte der Bestimmtheit des Antrags erörtert. Die Antragsgegnerin hat (wie auch nunmehr in der Revisionsrekursbeantwortung) auf die Geltendmachung einer Pauschalsumme ohne nähere Zuordnung verwiesen. Die Anleitungspflicht nach § 182 ZPO (iVm § 14 AußStrG) geht jedenfalls nicht so weit, dass der Richter auf eine Partei beratend einzuwirken hätte (RIS-Justiz RS0108818 [T2]). Ebenso wenig ist das Gericht zur Erörterung eines Vorbringens verpflichtet, dessen Schwächen bereits der Prozessgegner aufgezeigt hat (vgl Zechner in Fasching/Konecny 2 IV/2 § 503 ZPO Rz 135; RIS-Justiz RS0122365).

11.) § 37 Abs 4 oö NschG ordnet die sinngemäße Anwendung der §§ 4 bis 9 Eisenbahnentschädigungsgesetz (EisbEG) an. Dessen § 7 Abs 3 enthält zwar nunmehr eine spezielle Regelung über den Kostenersatz im Enteignungsverfahren. Vor dessen Einführung war das nicht der Fall. Diese Bestimmung ist aber nach § 48 Abs 4 leg cit in der Fassung BGBl I 2010/111 in diesem Fall noch nicht anzuwenden, weil das nur der Fall wäre, wenn der „Antrag auf Enteignung“ nach dem 31. 12. 2010 bei der Behörde eingelangt wäre. Im vorliegenden Fall wurde sogar der Entschädigungsantrag bei der oberösterreichischen Landesregierung noch vor dem 1. 1. 2011 eingebracht. Nach dem somit anzuwendenden § 78 Abs 2 AußStrG ist auch im Außerstreitverfahren vorrangig das Erfolgsprinzip maßgeblich. Der Antragsgegnerin, die auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hinwies und mit diesem Standpunkt erfolgreich war, sind demnach die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

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