OGH 1Ob236/03t

OGH1Ob236/03t18.11.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lambert B*****, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 103.411,5 EUR sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 1. Juli 2003, GZ 5 R 24/03y-5, womit der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 21. Mai 2003, GZ 5 Cg 118/03p-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der Antrag auf Anberaumung einer "mündlichen Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof" wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger, ein niederländischer Staatsangehöriger, begehrte die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Staatshaftungsverfahrens, in dem er den Bund erfolglos auf Zahlung von 1,422.985,60 S sA in Anspruch genommen hatte. Insofern beantragte er die Aufhebung des rechtskräftigen klageabweisenden Urteils; hilfsweise strebte er dessen Aufhebung "wegen Nichtigkeit" an. Nach seinem Vorbringen ist die Staatshaftungsklage, die sich auf die rechtswidrige Versagung einer Bewilligung zur freiberuflichen Ausübung des Berufs eines Physiotherapeuten durch die Verwaltungsbehörden gestützt habe, deshalb gescheitert, weil der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 20. 1. 1998 seine Beschwerden gegen den Bescheid der Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz vom 31. 1. 1996 und gegen den Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 28. 4. 1997, aber auch den vom Erstgericht gemäß § 11 Abs 1 AHG gestellten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des erstgenannten Bescheids ohne Anberaumung einer - beantragten - mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen habe. Er habe deshalb den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) angerufen. Dieser habe mit Urteil vom 10. 4. 2003 ausgesprochen, dass durch die Nichtanberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof Art 6 Abs 1 EMRK verletzt worden sei. Daraufhin habe er am 24. 4. 2003 die Wiederaufnahme des "menschenrechtswidrig abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens" beantragt. Darüber sei noch nicht entschieden worden. Gäbe der Verwaltungsgerichtshof dem Wiederaufnahmeantrag statt, so bewirke das "nicht automatisch" die "amtswegige Wiederaufnahme" des Vorprozesses. Es bedürfe deshalb der vorliegenden Wiederaufnahme-, hilfsweise Nichtigkeitsklage. In dem darüber abzuwickelnden Verfahren werde das Erstgericht neuerlich den Verwaltungsgerichtshof mit einem Antrag nach § 11 Abs 1 AHG zu befassen haben, sei doch dessen Erkenntnis vom 20. 1. 1998 wegen eines "gravierenden Menschenrechtsverstoßes nichtig". Diese Beurteilung gründe sich auf § 477 Abs 1 Z 4 und 7 ZPO. Die Nichtigkeitsgründe seien im Gesetz überdies nicht taxativ aufgezählt. Die feststehende Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK durch den Verwaltungsgerichtshof begründe schon für sich die Nichtigkeit des im Vorprozess ergangenen klageabweisenden Urteils. Nicht erschöpfend aufgezählt seien im Gesetz ferner die Gründe für Wiederaufnahme- und Nichtigkeitsklagen. Demnach müsse eine feststehende Verletzung des Art 6 Abs 1 EMRK innerhalb eines im Vorprozess "interlokutorisch eingeschobenen sonstigen Verfahrens" einen "autonomen" Klagegrund bilden. "Naturgemäß" lägen aber auch die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO vor.

Das Erstgericht wies die Klage im Vorprüfungsverfahren zurück. Das Vorbringen des Klägers ziele auf den Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 5 ZPO ab. Dieser sei jedoch erst dann verwirklicht, wenn die Wiederaufnahme des präjudiziellen Verfahrens zu einer anderen Sachentscheidung geführt habe. Dessen Wiederaufnahme allein erfülle den Wiederaufnahmegrund noch nicht.

Das Rekursgericht wies den Antrag des Klägers auf "'Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Zweitgericht'" zurück, verwarf dessen Rekurs, soweit in ihm Nichtigkeit geltend gemacht wurde, und gab dem Rechtsmittel im Übrigen mit der Maßgabe nicht Folge, dass das Klagebegehren nach der durch den Kläger gewählten Fassung "als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurückgewiesen" wurde. Es sprach ferner aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Ein Gericht zweiter Instanz habe gemäß § 526 Abs 1 ZPO über einen Rekurs ohne vorhergehende mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung durch Beschluss zu entscheiden. Danach komme die Anberaumung einer mündlichen Rekursverhandlung nicht in Betracht. Einer solchen Verhandlung bedürfe es auch unter Bedachtnahme auf Art 6 Abs 1 EMRK nicht. Nach den aus der Entscheidung des EGMR vom 5. 9. 2002 über die Beschwerde Nr. 42057/98 - Speil gg Österreich (= ÖJZ 2003/5) ableitbaren Grundsätzen sei die Anberaumung einer Rekursverhandlung jedenfalls dann, wenn in einem Verfahren "Sachverhaltsfragen" nicht zu klären seien, nicht erforderlich. Das Vorprüfungsverfahren sei außerdem nicht kontradiktorisch. Im Rekursverfahren gelte Neuerungsverbot. Dieses sei nicht konventionswidrig. Angesichts dessen sei "zu fragen, was über seinen Rekurs hinaus der Rekurswerber bei einer allfälligen Verhandlung noch hätte vorbringen können oder auch dürfen". Er werde daher durch das Unterbleiben einer Rekursverhandlung "in keiner Weise benachteiligt", seien doch bei der Entscheidung nur Rechtsfragen aufgrund eines unstrittigen Sachverhalts zu lösen. Eine öffentliche mündliche Verhandlung sei im Vorprüfungsverfahren über eine Rechtsmittelklage aber auch in erster Instanz nicht notwendig, erstrecke sich doch die erstgerichtliche Prüfungsbefugnis "gleichfalls im Wesentlichen auf rechtliche Aspekte in dem Sinn, ob überhaupt ein gesetzlicher oder auch tauglicher Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmegrund vorgetragen" worden sei, ein "beachtlicher Zusammenhang mit dem wieder aufzunehmenden Verfahren" bestehe, "die Klage an sich schlüssig" sei oder ob die geltend gemachten Klagegründe bei abstrakter Beurteilung gar keinen Einfluss auf die Entscheidung im Vorprozess haben könnten. Sei die Klagefrist nach § 534 Abs 1 ZPO abgelaufen, so bedürfe es gleichfalls keiner öffentlichen mündlichen Verhandlung, weil "im Wesentlichen kein zulässiges neues Vorbringen außerhalb der Frist erstattet werden könnte". Der angefochtene Beschluss sei auch nicht gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO nichtig, sei er doch - trotz knapper Begründung - überprüfbar.

Zwischen dem Vorprozess und dem für das ergangene Urteil präjudiziellen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs bestehe kein so enger Zusammenhang, dass "das Urteil des EGMR, mit welchem das Verfahren des VwGH im Vorverfahren beanstandet" worden sei, "gleichsam per se auf das gerichtliche Verfahren durchschlagen müsste". Eine Entscheidung des EGMR, aus der Gegenteiliges abzuleiten wäre, sei nicht nachweisbar. Urteile des EGMR entfalteten keine innerstaatliche Rechtskraftwirkung im vollen Umfang, seien sie doch rechtskräftigen innerstaatlichen Urteilen nicht gleichgestellt. Eine festgestellte Konventionsverletzung binde die Staatsgewalt in all ihren Ausprägungen allerdings insoweit, als nicht die Auffassung vertreten werden dürfe, das betroffene Verhalten sei doch konventionsgemäß gewesen. Die Wiedergutmachung für konventionswidriges Verhalten könne aber nur nach Maßgabe der Möglichkeiten des nationalen Rechts erfolgen. So habe der EGMR selbst ausgesprochen, er sei nach der Konvention nicht ermächtigt, die Aufhebung eines Urteils zu verfügen oder irgendwelche Richtlinien zu erteilen (24. 5. 1989 ÖJZ 1990/4 - Hauschildt gg Dänemark). Demnach scheide eine Wiederaufnahme des Vorverfahrens derzeit aus, sei doch das Erstgericht "nicht gleichsam im Durchgriffswege und unter Übergehen des im AHG geregelten Zusammenspiels zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde (VwGH) und damit auch in Verletzung des verfassungsmäßig statuierten Prinzips der Gewaltentrennung ... allein auf Grund der Entscheidung des EGMR" berechtigt, "über sämtliche anstehenden Fragen zu entscheiden, insbesondere auch über die verwaltungsrechtliche Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit" der Versagung der selbständigen Ausübung des Berufs eines Physiotherapeuten. Solange das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. 1. 1998 dem Rechtsbestand angehöre, sei die Zivilgerichtsbarkeit an die Ansicht dieses Gerichtshofs über die für den Erfolg des Staatshaftungsanspruchs präjudizielle Vorfrage des Verwaltungsrechts gebunden. Bedeutungslos sei dabei, ob der Verwaltungsgerichtshof die Rechtswidrigkeit eines Bescheids gemäß § 67 VwGG festgestellt oder den Bescheid gemäß § 42 VwGG aufgehoben habe. Nur wenn der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren nach § 11 Abs 1 AHG die Sachentscheidung ablehne, hätten die Zivilgerichte "von sich aus die Rechtswidrigkeit des beanstandeten Bescheids zu prüfen". Der EGMR habe sich zu den vom Verwaltungsgerichtshof gelösten Rechtsfragen nicht geäußert. Eine allfällige materielle Unrichtigkeit dessen Erkenntnisses sei aus dem Urteil des EGMR nicht ableitbar. Auf eine allfällige, den Standpunkt des Klägers begünstigende Erneuerung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs über die präjudizielle verwaltungsrechtliche Vorfrage sei der Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 5 ZPO analog anzuwenden. Eine solche Entscheidung liege noch nicht vor. Andere Wiederaufnahmegründe kämen "kaum in Frage". Ein Urteil des EGMR sei kein Beweismittel iSd § 530 Abs 1 Z 7 oder § 531 ZPO. Der Klagegrund nach § 530 Abs 1 Z 6 ZPO scheide "allein schon auf Grund der zeitlichen Gegebenheiten" aus. Die bloße Einleitung eines Wiederaufnahmeverfahrens beim Verwaltungsgerichtshof verwirkliche den Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 5 ZPO noch nicht. Die Wiederaufnahme des Staatshaftungsverfahrens hänge daher "im Wesentlichen" von der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs über den Wiederaufnahmeantrag ab. Nach der geltenden Rechtslage dürfe eine öffentlichen mündlichen Verhandlung im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nur unterbleiben, soweit dem Art 6 EMRK nicht entgegenstehe; letzteres sei nach dem im Anlassfall ergangenen Urteil des EGMR "wohl nicht mehr der Fall". Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil es an einer "umfassenden" Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum "Zusammenspiel" zwischen dem Zivil- und dem Verwaltungsverfahrensrecht, aber auch zu den "Einwirkungen" der Entscheidungen des EGMR auf das nationale Verfahrensrecht mangle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

1. Mündliche Verhandlung

1. 1. Bereits das Gericht zweiter Instanz berief sich zur Begründung der Nichtanberaumung einer öffentlichen mündlichen Rekursverhandlung auf die in der Rechtssache Speil gg Österreich ergangene Entscheidung des EGMR vom 5. 9. 2002 (= MRK [ÖJZ] 2003/5, 117). Ausgangsverfahren war dort ein österreichisches Verwaltungsverfahren das den Zwang zum Anschluss an das öffentliche Kanalnetz zum Gegenstand hatte. Dieser Verfahrensgegenstand ist nach Ansicht des EGMR ein zivilrechtlicher Anspruch im Sinn der Konvention. Demnach sei Art 6 EMRK in seinem die zivilrechtlichen Ansprüche erfassenden Regelungsgehalt anwendbar (insofern in der genannten Fundstelle nicht veröffentlicht). Das Erfordernis der Durchführung öffentlicher Gerichtsverhandlungen sei ein durch Art 6 Abs 1 EMRK gewährleisteter fundamentaler Grundsatz. Der Zweck solcher Verhandlungen sei, die Streitteile gegen eine Rechtspflege im Geheimen ohne öffentliche Kontrolle zu schützen. Das sei eines der Mittel zur Aufrechterhaltung des Vertrauens in die Gerichte. Die Öffentlichkeit, die die Rechtspflege transparent mache, trage zur Verwirklichung des Ziels von Art 6 Abs 1 EMRK, ein faires Verfahren zu sichern, bei. Vor dem Verwaltungsgerichtshof als erste und einzige Gerichtsinstanz (im Verwaltungsverfahren) erfordere das erörterte Recht an sich die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung. Die Nichtanberaumung einer solchen Verhandlung könnten nur außergewöhnliche Umstände rechtfertigen. Nach diesem Gesichtspunkt könnten die Anforderungen nach der Konvention trotz Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung erfüllt sein, wenn das Gericht bei unstrittigem Sachverhalt und einer nach den Umständen des Falls ausreichenden Überprüfungsbefugnis ausschließlich Rechtsfragen oder in hohem Maß technische Fragen zu klären und dabei nur über - nicht komplexe - Rechtsfragen zu entscheiden habe. Dafür sei auch die von den innerstaatlichen Behörden zu beobachtende Effizienz und Wirtschaftlichkeit (des Verfahrens) von Belang.

1. 2. Leidet ein (Revisions-)Rekurs - wie hier - an keinen formalen oder inhaltlichen Gebrechen, die einer Sacherledigung entgegenstünden, so ist die Nachholung von Rechtsmittelgründen - insbesondere nach Ablauf der Rechtsmittelfrist - angesichts des Grundsatzes der Einmaligkeit der Rechtsmittelhandlung jedenfalls unzulässig (3 Ob 30/00h = SZ 73/42; siehe ferner die Entscheidungskette zu RIS-Justiz RS0041666). Daraus folgt, dass der Rechtsmittelwerber in einer öffentlichen mündlichen (Revisions-)Rekursverhandlung darauf beschränkt wäre, die Gründe des Rechtsmittelschriftsatzes mündlich zu wiederholen. Andernfalls verkäme die Notfrist für die Erhebung von Rechtsmitteln (siehe dazu Buchegger in Fasching² § 128 ZPO Rz 2), soweit deren Inhalt betroffen ist, nachgerade zu einer Erinnerungsfrist, könnte der Rechtsmittelwerber seine Ausführungen - sei es schriftlich, sei es in einer mündlichen Verhandlung - nach Belieben ergänzen.

Das (Revisions-)Rekursverfahren unterliegt im Allgemeinen überdies dem Regime eines Neuerungsverbots (RIS-Justiz RS0042091; siehe ferner Kodek in Rechberger, ZPO² § 526 Rz 3 mwN). Ein solches Verbot besteht auch im Anlassfall. Wie bereits das Rekursgericht unter Berufung auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs erläuterte, ist das Neuerungsverbot nicht konventionswidrig (zuletzt so 9 ObA 289/01t). Das zieht auch der Kläger nicht in Zweifel.

Aus den bisherigen Erwägungen folgt, dass es in einer mündlichen Verhandlung gar nicht das vom Kläger vermisste "fundierte Rechtsgespräch" über einen (Revisions-)Rekurs - auch unter Erörterung von Themen, die nicht schon im Rechtsmittel ausgeführt wurden oder die angesichts der Entscheidungsgrundlage des Erstgerichts Neuerungen wären - geben kann. Einer derartigen Erörterung bedarf es auch gar nicht, hat doch das (Revisions-)Rekursgericht nur Rechtsfragen zu lösen und dabei den angefochtenen Beschluss - auf dem Boden einer gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge - ohnehin einer allseitigen rechtlichen Prüfung zu unterziehen (3 Ob 2031/96i; siehe ferner 1 Ob 14/01t; 1 Ob 570/95 = SZ 68/157; RIS-Justiz RS0043352).

1. 3. Hier hing und hängt der Erfolg der Rechtsmittel des Klägers allein von der Lösung der Rechtsfrage ab, ob bereits das von ihm in der Rechtssache Bakker gg Österreich (Beschwerde Nr 43454/98 = MRK [ÖJZ] 2003/30, 659) erwirkte Urteil des EGMR vom 10. 4. 2003 einer Rechtsmittelklage deshalb als taugliche Stütze dienen könnte, weil seither feststeht, dass das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. 1. 1998, mit dem über eine im Vorprozess präjudizielle Rechtsfrage entschieden wurde, nicht konventionsgemäß zustande kam. Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Notwendigkeit einer öffentlichen mündlichen Verhandlung in erster Instanz und im (Revisions-)Rekursverfahren nicht schon aus dem Urteil des EGMR abzuleiten, ist doch die Frage, ob der Verwaltungsgerichtshof über die für den Zivilprozess als Vorfrage maßgebliche verwaltungsrechtliche Frage nur aufgrund einer öffentlichen mündlichen Verhandlung hätte entscheiden dürfen, von der Frage, ob schon das Urteil des EGMR für sich nach den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Aufhebung der im Vorverfahren ergangenen und in Rechtskraft erwachsenen klagsabweislichen Entscheidungen der ordentlichen Gerichte rechtfertigte, zu trennen.

Der im Verfahren über die Rechtsmittelklage zu lösenden Rechtsfrage liegt ein unverrückbarer Sachverhalt zugrunde, steht doch fest, dass das im Vorprozess erhobene Klagebegehren rechtskräftig abgewiesen wurde, dieses Urteil von dem die ordentliche Gerichtsbarkeit bindenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. 1. 1998 über eine präjudizielle verwaltungsrechtliche Vorfrage getragen wird und dieses Erkenntnis nach dem zitierten Urteil des EGMR nicht konventionsgemäß zustande kam.

Innerhalb der Grenzen des für die Entscheidung über die Rechtsmittelklage wesentlichen Sachverhalts erstreckt sich die Kognition der Rechtsmittelgerichte auf eine umfassende Nachprüfung des in erster Instanz ergangenen Beschlusses. Die Frage, ob bereits das Urteil des EGMR vom 10. 4. 2003 - aufgrund der vorliegenden Rechtsmittelklage - die Aufhebung des im Vorprozess gefällten rechtskräftigen klageabweisenden Urteils trägt, auch wenn das dafür präjudizielle Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. 1. 1998 nach wie vor aufrecht ist, können die Rechtsmittelgerichte daher, ohne aus dem Verfahrensrecht ableitbaren Beschränkungen ihrer Kognitionsbefugnis unterworfen zu sein, umfassend beurteilen. Im Übrigen ist nur diese Rechtsfrage zu lösen, die, wie noch anzustellende Erwägungen zeigen werden, auch keineswegs "komplexer" Natur ist. Somit sind alle Voraussetzungen nach der unter 1. 1. erörterten Rechtsprechung des EGMR, nach denen von einer öffentlichen mündlichen (Revisions-)Rekursverhandlung abgesehen werden kann, erfüllt. Deshalb ist auch die Anregung des Klägers, der Oberste Gerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG die Aufhebung der Wortfolge "in nicht öffentlicher Sitzung" in § 538 Abs 1 ZPO und der Wortfolge "ohne vorhergehende mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung" in § 526 Abs 1 ZPO beantragen, nicht aufgreifen. Bei Erledigung einer Rechtsmittelklage im Vorprüfungsverfahren ohne vorhergehende mündliche Verhandlung ist vielmehr nach allen bisherigen Erwägungen eine Verletzung des im Verfassungsrang stehenden Art 6 Abs 1 EMRK weder in erster noch in höherer Instanz erkennbar.

Unzutreffend ist in diesem Kontext die Ansicht des Klägers, "die Zitierung der Zulassungsentscheidung" des EGMR in der Beschwerdesache Speil gg Österreich durch das Rekursgericht sei "elementar verfehlt" und deren Anwendung auf eine "zivilgerichtliche Klage ... denkunmöglich", weil gemäß Art 6 Abs 1 EMRK zwischen Verfahren, die "in erster Instanz von Verwaltungsbehörden geführt" würden, "und jenen Verfahren, die von vornherein genuine Justizangelegenheiten" seien, unterschieden werden müsse. Insofern ist vorerst in Erinnerung zu rufen, dass Gegenstand der Beschwerdesache Speil gg Österreich ein zivilrechtlicher Anspruch im Sinne der Rechtsprechung des EGMR war. Festzuhalten ist ferner, dass die vom Kläger ins Treffen geführten Entscheidungen des EGMR in den Beschwerdesachen Riepan gg Österreich (Beschwerde Nr 35115/97 = MRK [ÖJZ] 2001/11, 357) und De Cubber gg Belgien (Beschwerde Nr 8/1983/64/99) in Wahrheit nicht einschlägig sind. In beiden Fällen ging es um Strafverfahren, deren konventionsgemäßer Ablauf im Zusammenhang mit der Klärung der für die Schuld der Angeklagten maßgebenden Tatfragen zu prüfen war. Das verdeutlichen gerade die im Revisionsrekurs zitierten Stellen des Riepan -Urteils (Rz 39, 40), wird doch dort letztlich klargestellt, dass ein faires Strafverfahren die Aufnahme grundsätzlich aller Beweise in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung in Gegenwart des Angeklagten im Hinblick auf Gegenargumente voraussetzt und eine insoweit mangelhaften Hauptverhandlung in erster Instanz nur durch eine vollständige Neuverhandlung in der Rechtsmittelinstanz geheilt werden könnte (Rz 40). Auch im De Cubber-Urteil, in dem ein Verstoß gegen Art 6 Abs 1 EMRK darin erblickt wurde, dass die Unparteilichkeit des Strafgerichts erster Instanz bei Ermittlung des für die ausgesprochene Verurteilung maßgebenden Sachverhalts wegen seiner Besetzung - aus der Sicht des Angeklagten - zweifelhaft erscheinen konnte (Rz 30), wird betont, dass ein Gericht höherer Instanz oder das Höchstgericht eine ursprüngliche Konventionsverletzung manchmal beheben könne. Gerade das sei das Motiv für die von Art 26 EMRK (jetzt Art 35 Abs 1 EMRK) geforderte Erschöpfung der innerstaatlicher Rechtsbehelfe (Rz 33).

Der EGMR gesteht demnach im Grundsätzlichen selbst für Strafverfahren zu, dass sogar bei Ermittlung der für die Lösung der Schuldfrage maßgebenden Tatsachen den Anforderungen des Art 6 Abs 1 EMRK an sich noch in höherer Instanz entsprochen werden kann. Bei der Entscheidung Speil gg Österreich ging es dagegen - jedenfalls auf der Ebene des Verwaltungsgerichtshofs - nicht mehr um die Klärung strittiger Tatfragen, sondern nur noch um die Lösung von Rechtsfragen in einem Verfahren über einen - aus der Sicht des Konventionsrechts - zivilrechtlichen Anspruch. Die Leitlinien dieser Entscheidung sind daher auch auf Verfahren übertragbar, die nach der nationalen Rechtsordnung nicht von Verwaltungsbehörden, sondern von der ordentlichen Gerichtsbarkeit abzuführen sind. Es ist somit - in der Diktion des Klägers - "denkunmöglich", dass im Vorprüfungsverfahren über eine auf Aufhebung eines in Rechtskraft erwachsenen Urteils über einen zivilrechtlichen Anspruch gerichtete (Rechtsmittel-)Klage zur Wahrung der im Art 6 Abs 1 EMRK verankerten Verfahrensgarantien angesichts der dort zur Lösung anstehenden Rechtsfragen eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Erstgericht oder in höherer Instanz geboten wäre. Für das Rechtsmittelverfahren kommt - wie schon erörtert - noch hinzu, dass die Rechtsmittelgründe in einer öffentlichen Verhandlung über einen (Revisions-)Rekurs mündlich nicht ergänzt werden könnten, das (Revisions-)Rekursverfahren einem konventionsgemäßen Neuerungsverbot unterliegt und die höheren Instanzen die vom Erstgericht getroffene Entscheidung ohne Einschränkung nachprüfen können.

Das Vorprüfungsverfahren über eine Rechtsmittelklage ist zudem einem Verfahren, in dem die Zulässigkeit eines Rechtsmittels zu prüfen ist, vergleichbar: Der EGMR sprach in diesem Zusammenhang etwa in der Entscheidung Ludwig Weh und Evi Weh gg Österreich vom 4. 7. 2002 (Beschwerde Nr 38.544/97 = MRK [ÖJZ] 2002/32, 763), der die Erlassung von Strafverfügungen im Verwaltungsstrafverfahren zugrunde lag, aus, Verfahren über die Zulassung eines Rechtsmittels könnten ebenso wie Verfahren, die nur Rechtsfragen im Gegensatz zu Sachverhaltsfragen beträfen, auch dann mit den Anforderungen des Art 6 EMRK im Einklang stehen, wenn keine mündliche Verhandlung stattfand. Dieser Rechtssatz wurde dort zwar in einem Fall, in dem der UVS eine öffentliche Verhandlung, die den Erfordernissen des Art 6 Abs 1 EMRK entsprach durchgeführt hatte, angestellt; bei Bedachtnahme auf die Ausführungen in der unter 1.1. referierten Entscheidung des EGMR über einen zivilrechtlichen Anspruch und die daran anknüpfenden Erwägungen des Obersten Gerichtshofs ist indes nicht zu ersehen, dass die Prüfung der Rechtsmittelklage dahin, ob der darin geltend gemachte Anfechtungsgrund in abstracto geeignet sei, zur Aufhebung des in einem den Erfordernissen des Art 6 Abs 1 EMRK genügenden Verfahren ergangenen rechtskräftigen Urteils zu führen, in welcher Instanz immer einer der Entscheidung vorangehenden öffentlichen mündlichen Verhandlung bedürfte.

Die bisherigen Erwägungen können daher wie folgt zusammengefasst werden:

Jedenfalls im Vorprüfungverfahren über eine Rechtsmittelklage gemäß § 538 Abs 1 ZPO steht der dort angeordnete Ausschluss einer öffentlichen mündlichen Verhandlung mit den nach Art 6 Abs 1 EMRK erforderlichen Verfahrensgarantien im Einklang. Gemäß § 526 Abs 1 ZPO bedarf es dann auch - angesichts der uneingeschränkten Nachprüfungskompetenz in den durch die Rechtsnatur des (Revisions-)Rekursverfahrens gezogenen Grenzen - in höherer Instanz keiner öffentlichen mündlichen Verhandlung, um über die Berechtigung eines Rechtsmittels gegen einen Beschluss des Erstgerichts, mit dem die Rechtsmittelklage im Vorprüfungsverfahren zurückgewiesen wurde, konventionsgemäß abzusprechen.

2. EGMR-Urteil - Rechtsmittelklage

2. 1. Der erkennende Senat nahm zuletzt in der Entscheidung 1 Ob 260/01v (= JBl 2002, 393) unter Fortschreibung der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Tragweite der innerstaatlichen Bindungswirkung der Urteile des EGMR Stellung. Danach gelten dessen Urteile nicht gleichsam als generelle Rechtsnormen. Die Staatsgewalt darf aber entgegen einem Ausspruch des EGMR (auch) im Rahmen von Akten gerichtlicher oder verwaltungsbehördlicher Vollziehung nicht die Auffassung vertreten, das staatliche Verhalten sei im entschiedenen Fall konventionsgemäß gewesen. Abgesehen davon unterliegen die Urteile des EGMR der Auslegung, um dadurch deren über den entschiedenen Fall hinausreichende Bedeutung zu ergründen.

Diese Rechtsprechung korrespondiert mit jener des EGMR, der zufolge dieser nach der Konvention nicht ermächtigt ist, die Aufhebung eines Urteils zu verfügen oder insofern irgendwelche Richtlinien anzuordnen (MRK [ÖJZ] 1990/4, 188 - Hauschildt gg Dänemark - Rz 54). Art 46 Abs 1 EMRK belässt vielmehr dem Staat die Wahl, mit welchen - allgemeinen und/oder, soweit sie in Betracht kommen, individuellen - Maßnahmen er seiner rechtlichen Verpflichtung, die Konventionsverletzung und deren Folgen zu beseitigen, nachkommt (EGMR 16. 11. 1999 E. P. gg Italien - Beschwerde Nr 31127/96 - Rz 77). Durch ein Urteil des EGMR kann somit auch die im nationalen Recht (§ 11 Abs 1 AHG) normierte Bindungswirkung eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs in einem Amts- oder Staatshaftungsprozess nicht beseitigt werden.

2. 2. Die Zivilgerichte waren im Vorprozess an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofs über die im Staatshaftungsverfahren streitentscheidende Vorfrage des Verwaltungsrechts in dessen in analoger Anwendung des § 11 Abs 1 AHG erwirkten Erkenntnis vom 20. 1. 1998 gebunden. Diese gesetzliche Bindung, die an die Wirkungen der materiellen Rechtskraft der Entscheidung über eine präjudizielle Vorfrage anknüpft, ist nach den Erwägungen unter 2. 1. nicht bereits deshalb beseitigt, weil der EGMR später aussprach, das erörterte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs sei infolge Unterbleibens einer vorhergehenden öffentlichen mündlichen Verhandlung mit einer Konventionsverletzung belastet. Durch das vom Kläger erwirkte Urteil des EGMR wurde daher weder dieses Erkenntnis noch dessen innerstaatliche Wirkung beseitigt, steht doch dem EGMR eine Kompetenz zum Eingriff in die Wirksamkeit innerstaatlicher Rechtsakte nach seiner eigenen Rechtsprechung nicht zu.

Es ist auch - entgegen der Ansicht des Klägers - gar nicht erforderlich, mit Hilfe der Auslegung bestimmter Normen der Zivilprozessordnung oder durch Analogiebildung einen Weg zu finden, auf dem die dem Urteil des EGMR vom 10. 4. 2003 entsprechende Rechtslage hergestellt und die nach der Konvention gebotene Abhilfe geschafft werden kann, ist doch der im Anlassfall zu beschreitende Weg in der nationalen Rechtsordnung ohnehin ausdrücklich vorgezeichnet. Nach § 45 Abs 1 Z 4 VwGG ist die Wiederaufnahme eines vor dem Verwaltungsgerichtshof durch Erkenntnis oder Beschluss abgeschlossenen Verfahrens auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn im Verfahren vor dem Gerichtshof den Vorschriften über das Parteiengehör nicht entsprochen wurde und anzunehmen ist, dass sonst das Erkenntnis oder der Beschluss anders gelautet hätte. Diese Bestimmung trifft auch das konventionswidrige Unterbleiben einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof, hatte der Kläger doch in diesem Verfahren die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Nach Ansicht des EGMR hatte er ferner das Recht, im Zuge des Verfahrens über den Antrag auf Erteilung einer Berufsausübungsbewilligung in einer (öffentlichen) mündlichen Verhandlung gehört zu werden.

Der Kläger hat den vorgezeichneten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof auch schon gestellt. Sollte dieser Antrag abgewiesen werden oder der Verwaltungsgerichtshof trotz bewilligter Wiederaufnahme nach vorangehender mündlicher Verhandlung meritorisch zum gleichen Ergebnis wie im ursprünglichen Verfahren gelangen, so könnte eine auf die analoge Anwendung des Wiederaufnahmegrunds des § 530 Abs 1 Z 5 ZPO (siehe dazu Kodek in Rechberger aaO § 530 Rz 4 mwN) gestützte Rechtsmittelklage keinen Erfolg haben. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs, das mit einer rein verfahrensrechtlichen Konventionsverletzung belastet ist, darf daher mit einer meritorisch unrichtigen Entscheidung nicht gleichgesetzt werden (vgl 1 Ob 190/97s = SZ 70/243). Dieses Erkenntnis ist durch das Urteil des EGMR, anders als der Kläger meint, gerade nicht "völlig vernichtet", weil dessen Urteil eine solche Wirkung - wie bereits ausgeführt - gar nicht entfalten kann. Nach der gegenwärtigen Rechtslage ist die Einleitung eines Aufhebungsverfahrens über die Rechtsmittelklage - entgegen der Ansicht des Klägers - auch nicht deshalb erforderlich, weil neuerlich ein Verfahren nach § 11 Abs 1 AHG einzuleiten wäre. Einerseits ist das zur Rechtmäßigkeit des für den Staatshaftungsprozess präjudiziellen verwaltungsbehördlichen Bescheids ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 20. 1. 1998 nach wie vor aufrecht und daher auch weiterhin bindend, andererseits bedarf es zur Frage, ob dieses Erkenntnis mit einer rein verfahrensrechtlichen Konventionsverletzung belastet ist, keiner Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, wurde doch diese Frage schon im Urteil des EGMR vom 10. 4. 2003 mit der unter 2. 1. erläuterten innerstaatlichen Bindungswirkung gelöst. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher zur Beurteilung der letzteren Frage gar nicht berufen. Nach der erläuterten nationalen Rechtslage liegt es allein am Kläger, im Weg der Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof eine seinem Rechtsstandpunkt im Staatshaftungsverfahren entsprechende Erneuerung dessen Entscheidung zu erwirken, und erst aufgrund eines solchen Erkenntnisses die Aufhebung des das Klagebegehren im Staatshaftungsprozess abweisenden Urteils mittels Wiederaufnahmeklage zu begehren. Dagegen kommt eine Nichtigkeitsklage aus den in § 529 Abs 1 angeführten Gründen, denen andere Verfahrensfehler zugrunde liegen, überhaupt nicht in Betracht. Bei dieser Rechtslage entbehrt auch die Befürchtung des Klägers, "das 'unmöglichste' Ergebnis" sei, "so zu tun, als hätte das Urteil des EGMR keine Auswirkungen auf das weitere Verfahren vor den Zivilgerichten", jeder sachlichen Substanz.

Soweit sich der Kläger zur Stützung seines Standpunkts, eine "menschenrechtswidrig" zustande gekommene Entscheidung sei "jedenfalls nichtig", auf den Beschluss 1 Ob 721/81 (= SZ 54/124) beruft, ist ihm zu entgegnen, dass diese Entscheidung im Verfahren über einen nach damals geltender Rechtslage außerordentlichen Revisionsrekurs - also im Rechtsmittelverfahren - erging und nur deshalb eine "Nullität" nach § 16 Abs 1 AußStrG aF, die im Licht des Art 6 Abs 1 EMRK in einer Verletzung des rechtlichen Gehörs bestand, wahrgenommen werden konnte. Dort wurde indes nicht ausgesprochen, eine bereits rechtskräftige Entscheidung sei als "jedenfalls nichtig" unbeachtlich.

Für die Ansicht des Klägers ist auch aus dem Urteil des EuGH vom 29. 4. 1999 in der Rechtssache C-224/97 (Ciola) nichts zu gewinnen. Eine der dort im Vorabentscheidungsverfahren zu lösenden Fragen war, ob ein gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoßendes Verbot, das vor dem Beitritt eines Mitgliedstaats zur EU nicht durch eine generell-abstrakte Rechtsvorschrift, sondern durch eine individuell-konkrete, bestandskräftig gewordene Verwaltungsentscheidung eingeführt wurde, bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Geldstrafe, die nach dem Zeitpunkt des Beitritts wegen Nichtbeachtung dieses Verbots verhängt wurde, unangewendet bleiben müsse. Dazu hielt der EuGH fest, der Rechtsstreit betreffe nicht das rechtliche Schicksal des individuellen Verwaltungsakts selbst, sondern nur die Frage, ob ein solcher Verwaltungsakt "im Rahmen der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Sanktion, die wegen der Nichtbeachtung einer sich aus ihm ergebenden Verpflichtung verhängt wurde, deshalb unangewendet bleiben muss, weil er mit dem Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs unvereinbar ist" (Rz 25). Insofern gelangte er zum Ergebnis, dass ein gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoßendes Verbot, das vor dem Beitritt eines Mitgliedstaats zur EU "nicht durch eine generell-abstrakte Rechtsvorschrift, sondern durch eine individuell-konkrete, bestandskräftig gewordene Verwaltungsentscheidung eingeführt wurde, bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Geldstrafe, die nach dem Zeitpunkt des Beitritts wegen der Nichtbeachtung dieses Verbots verhängt wurde, unangewendet bleiben" muss (Rz 34). Die Ausgangslage für die Beurteilung dieser Frage ist der hier maßgeblichen Frage, ob ein rechtskräftig beendetes Staatshaftungsverfahren, in dem sich das klagsabweisende Urteil auf ein dafür präjudizielles, mit dem erörterten Verfahrensfehler behaftetes rechtskräftiges Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs gründete, der Wiederaufnahme zugänglich sei, keineswegs vergleichbar. Das Zivilprozessrecht ist keine Materie des Gemeinschaftsrechts, sondern eine solche des nationalen Rechts. Aus den referierten Erwägungen des EuGH kann daher nicht abgeleitet werden, die Zivilgerichte hätten im Verfahren über eine Rechtsmittelklage das maßgebende rechtskräftige Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs aus gemeinschaftsrechtlichen Erwägungen nicht weiter zu beachten, obgleich im nationalen Recht der für eine allfällige Erneuerung dieser präjudiziellen Entscheidung zu beschreitende Weg - wie bereits erörtert - ohnehin vorgezeichnet ist. Die Bejahung der Fortwirkung der Bindung an ein solches Erkenntnis im Verfahren über eine Rechtsmittelklage bis zu dessen Abänderung in einem Erneuerungsverfahren kann daher auch nicht gemeinschaftsrechtswidrig sein.

Die voranstehenden Ausführungen sind demnach folgendermaßen zusammenzufassen:

Ist die Abweisung einer Staatshaftungsklage auf ein in analoger Anwendung des § 11 Abs 1 AHG erwirktes, die Zivilgerichte bindendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs über eine präjudizielle Vorfrage des Verwaltungsrechts gestützt, so kann die Wiederaufnahme des Zivilprozesses in Analogie zu § 530 Abs 1 Z 5 ZPO nicht schon dann begehrt werden, wenn einem später ergangenen Urteil des EGMR zufolge das präjudizielle Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs mit einer verfahrensrechtlichen Konventionswidrigkeit belastet ist. Solange dieses Erkennntnis aufrecht ist, bleiben die Zivilgerichte daran gebunden. Eine nur auf das Urteil des EGMR gestützte Rechtsmittelklage ist gemäß § 538 Abs 1 ZPO - als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung nicht geeignet - bereits im Vorprüfungsverfahren zurückzuweisen. Dieses Ergebnis widerspricht auch nicht dem Gemeinschaftsrecht.

Dem Revisionsrekurs ist somit ein Erfolg zu versagen.

Die getroffene Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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