Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin die mit je EUR 749,70 (darin enthalten je EUR 124,95 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Klägerin war seit 1. 7. 1984 im Betrieb ihres Gatten als Verkäuferin beschäftigt gewesen. Nach Konkurseröffnung am 8. 1. 2002 und nachdem das gemeinschuldnerische Unternehmen am 29. 2. 2002 geschlossen worden war, kündigte der Masseverwalter das Beschäftigungsverhältnis zur Klägerin auf. Diese erteilte der beklagten Partei die Vollmacht, ihre aus dem Beschäftigungsverhältnis resultierenden Entgeltansprüche bei der IAF-Service GmbH geltend zu machen. Damals hiefür zuständige Mitarbeiterin der beklagten Partei war die nunmehrige Nebenintervenientin. Der Antrag auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld wurde im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass das Verhalten der Klägerin einem sogenannten „Fremdvergleich" nicht standhalten könne, da sie ca zwei Jahre hindurch praktisch keine Gehaltszahlungen mehr erhalten habe, ohne das Unternehmen zu verlassen und ernstlich zu versuchen, die aushaftenden Beträge einzubringen; dieses Verhalten habe eine Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeldfonds bewirkt. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage wurde zurückgewiesen, da infolge eines Versehens einer Angestellten der beklagten Partei die Klagefrist um einen Tag versäumt worden war.
Die Klägerin begehrte nun aus dem Titel des Schadenersatzes den Zuspruch von Kündigungsentschädigung, Sonderzahlungen, sechs Monatsgehältern an Abfertigung sowie Verdienstentgang im Gesamtbetrag von EUR 17.775,12.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Auch die rechtzeitige Klagsführung hätte zu keinem günstigeren Ergebnis für die Klägerin führen können. Bleibe der Arbeitnehmer trotz Nichtzahlung des Lohns im Unternehmen tätig und versuche auch gar nicht ernstlich, die aushaftenden Beträge einbringlich zu machen, nehme er zumindest billigend die Belastung des Insolvenz-Ausfallgeldfonds in Kauf. Derartige Verhaltensweisen, die auf eine Verlagerung des Finanzierungsrisikos des Arbeitgebers zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeldfonds hinausliefen, seien sittenwidrig. Den Vorwurf der unrichtigen - weil nicht auf ihren Angaben basierenden - Ausfüllung der Antragsformulare durch die beklagte Partei habe die Klägerin nicht unter Beweis stellen können.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach letztlich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die von der Klägerin eingebrachte Klage auch bei deren Rechtzeitigkeit keinen Erfolg hätte haben können und dass die sonstigen Vorwürfe nicht berechtigt seien.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts - an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO) - ist die Revision, mit welcher die Klägerin nur mehr den Zuspruch einer Abfertigung im Betrag von EUR 12.245,38 begehrt, mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.
1. Das „Stehenlassen" laufender Entgelte durch einen Arbeitnehmer wird vom Obersten Gerichtshof für die Beantwortung der Frage als maßgeblich erachtet, ob der Arbeitnehmer seiner Obliegenheit nachkam, das Arbeitsverhältnis wegen Vorenthaltens der Bezüge durch vorzeitigen Austritt zu beenden. Das Unterlassen des Austritts wird als gewichtiges Indiz für die Absicht des (säumigen) Arbeitnehmers angesehen, er wolle die anfallenden Entgeltansprüche auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds überwälzen bzw nehme er solches zumindest (billigend) in Kauf. Dieses Verhalten wird als sittenwidrig im Sinne des § 879 ABGB gewertet (RIS-Justiz RS0112127). Da Entgeltzahlungen an die Klägerin durch etwa zwei Jahre vor Konkurseröffnung unterblieben, gelangten die Vorinstanzen auf Grund des anzustellenden „Fremdvergleichs" (mit anderen Arbeitnehmern) zutreffend zum Ergebnis, dass der Klägerin zumindest der bedingte Vorsatz der Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds anzulasten sei (vgl RdW 2002/570; ZIK 2004/90 uva). Der der Entscheidung 8 ObS 200/02y zugrundeliegende Sachverhalt ist mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar. Hier wurden nämlich innerhalb eines zweijährigen Zeitraums keinesfalls die laufenden Gehälter durch den Arbeitgeber ausbezahlt. Es liegen auch keine Indizien dafür vor, dass die Revisionswerberin hätte davon ausgehen können, sie werde nach einem vorübergehenden Liquiditätsengpass wieder Zahlungen erhalten.
2. Der Anspruch auf Abfertigung gebührt gemäß § 23 Abs 1 AngG (erst) mit der Auflösung des Dienstverhältnisses. Die Revisionswerberin hat ihren Abfertigungsanspruch somit nicht bereits am 1. 7. 1999 „erworben".
3. Der Rechtsansicht der Revisionswerberin, wonach Insolvenz-Ausfallgeld (jedenfalls) für die Abfertigung zustünde, da nur laufende Entgelte „stehen gelassen" werden könnten, ist nicht zu folgen:
Liegt tatsächlich eine unzulässige Überwälzung des Finanzierungsrisikos auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds in der Zeit vor Konkurseröffnung vor, dann ist bezüglich der Nichtigkeitsfolge nicht nach der Art des Entgeltanspruchs zu unterscheiden. Hätte ein „typischer" Arbeitnehmer bereits wesentlich früher seinen vorzeitigen Austritt erklärt, dann hat ein Kläger im Falle nachfolgender Insolvenz seines Dienstgebers keinerlei Ansprüche auf Insolvenz-Ausfallgeld. Ein derartiges Arbeitsverhältnis ist nach ständiger Rechtsprechung zur Gänze aus dem Schutzbereich des IESG ausgenommen. In einem solchen Fall gebührt überhaupt kein Insolvenz-Ausfallgeld, und zwar auch nicht für etwaige Beendigungsansprüche (8 ObS 6/03w; 8 ObS 136/02m mwN). Hat - wie hier - ein Arbeitnehmer seine Verpflichtung, das Arbeitsverhältnis durch vorzeitigen Austritt zu beenden, nicht wahrgenommen, dann hat er - wie schon dargelegt - zumindest billigend in Kauf genommen, dass sämtliche anfallende Entgeltansprüche auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds überwälzt würden, also hinsichtlich sämtlicher Arbeitsentgelte eine Schmälerung dieses Fonds stattfände. Gewiss kann sich die Verletzung der Pflicht des Dienstnehmers zum vorzeitigen Austritt nur auf fällige Ansprüche beziehen. Eine solche Verletzung hat hier aber stattgefunden, wurde doch der Klägerin in den letzten zwei Jahren vor Konkurseröffnung kein Entgelt bezahlt. Bei rechtzeitigem Austritt hätte die Abfertigung noch vom Arbeitgeber der Klägerin bezahlt werden müssen. Deren Verhaltensweise lief sohin auch auf eine Verlagerung des Finanzierungsrisikos bezüglich der Abfertigung zu Lasten des Insolvenz-Ausfallgeldfonds hinaus. Dies ist aber sittenwidrig und damit von der Nichtigkeitssanktion des § 879 ABGB erfasst. Der Umstand, dass eine Abfertigung erst mit der Auflösung des Dienstverhältnisses gebührt, ist in einem solchen Fall unmaßgeblich, wäre doch der Abfertigungsanspruch bei rechtmäßiger Vorgangsweise der Klägerin bereits lange vor Konkurseröffnung entstanden und hätte kein Überwälzen dieses Entgeltanspruchs auf den Insolvenz-Ausfallgeldfonds stattgefunden.
Der Sachverhalt der von der Revisionswerberin zitierten Entscheidung 8 ObS 12/06g ist mit dem hier gegebenen nicht vergleichbar. Dort hatte nämlich der Kläger die seinem Lebensunterhalt dienenden Bezüge stets ausbezahlt erhalten, weshalb von einem „Stehenlassen" von Arbeitslohn und sohin von einem bewussten Zuführen von Beträgen an die Gesellschaft keine Rede sein konnte. Auch bei dem der Entscheidung 8 ObS 7/05w zugrundeliegenden Sachverhalt wurde die Belastung des Insolvenz-Ausfallgeldfonds durch das Unterbleiben des Austritts des Dienstnehmers nicht vergrößert. Diese Entscheidung behandelte eine Vernachlässigung der Austrittspflicht nach § 3a Abs 2 Z 5 IESG, dessen spezieller Regelungszweck keine weitergehende Pönalisierung rechtfertigt als den Verlust des laufenden Arbeitnehmeranspruchs, wegen dessen Sicherung der Arbeitnehmer hätte austreten sollen.
Die Revision vermag demnach ein Abgehen von der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs seitens der Vorinstanzen nicht aufzuzeigen, und liegt ein solches Abgehen auch nicht vor. Die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO für die Zulässigkeit der Revision sind demnach nicht gegeben, weshalb das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen ist. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Zumal die beklagte Partei und auch die Nebenintervenientin in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen haben, sind diese Schriftsätze als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienlich anzusehen.
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