European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00230.20K.0128.000
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Landesgericht St. Pölten wird die neuerliche Entscheidung im Fristsetzungsverfahren aufgetragen.
Begründung:
[1] Gegenstand des in erster Instanz anhängigen Pflegschaftsverfahrens ist die Regelung des Kontaktrechts des nicht mit der Obsorge betrauten Vaters zu seinen beiden minderjährigen Kindern. Am 22. 10. 2020 brachte er beim Erstgericht einen Fristsetzungsantrag ein, der sich auf mehrere angeblich unerledigte Anträge in diesem Verfahren bezieht.
[2] Der dem Erstgericht übergeordnete Gerichtshof, dem der Akt zur Entscheidung gemäß § 91 Abs 1 GOG vorgelegt wurde, unterbrach das Verfahren mit Beschluss vom 11. 11. 2020 im Hinblick auf ein hinsichtlich des Vaters geführtes Erwachsenenschutzverfahren. Es ging davon aus, dass der Mangel der Verfahrensfähigkeit in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen sei und vor einer Entscheidung im Erwachsenenschutzverfahren nicht beurteilt werden könne, ob der Vater bei Stellung des Fristsetzungsantrags und der diesem zugrundeliegenden Anträge (deren bisher unterbliebene Erledigung der Vater monierte) verfahrensfähig war oder ob dafür eine nachträgliche Genehmigung eines für ihn bestellten Erwachsenenvertreters erforderlich ist. Über den Fristsetzungsantrag könne daher noch nicht entschieden werden; das Verfahren sei vielmehr bis zur Entscheidung des Pflegschaftsgerichts im Erwachsenenschutzverfahren zu unterbrechen.
[3] Mit am 17. 11. 2020 bei diesem Gerichtshof eingebrachten und am 20. 11. 2020 beim Erstgericht eingelangten, (unter anderem) als „Rekurs gegen 23 Fsc 9/20k“ bezeichneten Rechtsmittel beantragte der Vater die „umgehende Anordnung“ eines telefonischen sowie begleiteten (persönlichen) Kontaktrechts zu seinen Kindern; jede Verzögerung sei rechtswidrig.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der Rekurs ist zulässig und im Sinn der erkennbar beantragten Aufhebung des angefochtenen (Unterbrechungs‑)Beschlusses auch berechtigt.
[5] 1. Die Anordnung einer Verfahrensunterbrechung ist nach § 26 Abs 4 AußStrG jedenfalls selbstständig anfechtbar. Dies gilt auch dann, wenn der Unterbrechungsbeschluss – wie hier – von dem gemäß § 91 GOG zur Entscheidung über einen Fristsetzungsantrag berufenen übergeordneten Gerichtshof gefasst wird (vgl 8 Fsc 1/14k; 8 Ob 130/14x). Da der Schriftsatz des Vaters – der auch als „Rekurs“ bezeichnet wird und die Aktenzahl des Fristsetzungsverfahrens nennt – insgesamt erkennen lässt, dass er sich durch den Unterbrechungsbeschluss beschwert erachtet, weil das Verfahren über die Regelung des Kontaktrechts zu seinen Kindern aufgrund seiner Dringlichkeit (sowie des Bestehens einer Vorsorgevollmacht) nicht unterbrochen werden hätte dürfen, und er im Ergebnis die Fortsetzung des Verfahrens – und somit die Aufhebung des Unterbrechungsbeschlusses – begehrt (zu den relativ geringen Inhaltsanforderungen an einen Rekurs vgl RS0006674), kann darin (vgl 6 Ob 96/14g) ein Rechtsmittel gegen den Unterbrechungsbeschluss erblickt werden.
[6] 2. Die Entscheidung über einen Fristsetzungsantrag nach § 91 GOG ergeht – im Rahmen der Gerichtsbarkeit – nicht in einem gesonderten Verfahren (RS0106887). Die funktionelle Zuständigkeit zur Behandlung eines Rekurses gegen einen im Fristsetzungsverfahren vom übergeordneten Gerichtshof gefassten Beschluss ergibt sich aus den für das Ausgangsverfahren geltenden Prozessvorschriften. Zur Entscheidung über den vorliegenden Rekurs, der gegen den Beschluss eines Landesgerichts im Rahmen eines in erster Instanz vom Bezirksgericht geführten Pflegschaftsverfahrens gerichtet ist, ist der Oberste Gerichtshof zuständig (8 Fsc 1/14k). Da dieser funktionell als zweite Instanz einschreitet, besteht keine Vertretungspflicht iSd § 6 AußStrG, sodass der vom Vater persönlich eingebrachte Rekurs keiner Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt bedurfte (RS0118184 [T1]; 8 Fsc 1/14k; 1 Ob 112/07p). Die Partei, deren Verfahrensfähigkeit in Zweifel gezogen wird, ist im Zwischenverfahren über ihre Verfahrensfähigkeit, wozu auch ein Unterbrechungsbeschluss gehören kann, (vorerst) als prozessfähig anzusehen, sodass der Rekurs auch unter diesem Gesichtspunkt inhaltlich zu behandeln ist (vgl 1 Ob 129/18d mwN).
[7] 3. Notwendige Voraussetzung eines im Außerstreitverfahren gefassten Beschlusses ist neben seinem (klaren und überprüfbaren) Spruch grundsätzlich auch eine Begründung, die den Beschluss „einwandfrei überprüfbar“ macht ( Deixler ‑ Hübner in Gitschthaler / Höllwerth ² § 39 AußStrG Rz 12). Gemäß § 57 Z 1 Fall 1 und 2 AußStrG liegt ein Verfahrensmangel vor, wenn die Fassung des Beschlusses so mangelhaft ist, dass dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann oder der Beschluss mit sich selbst in Widerspruch steht. Hier sprach der gemäß § 91 GOG zur Entscheidung über den Fristsetzungsantrag berufene Gerichtshof aus, dass „das Verfahren“ unterbrochen werde, wobei im Entscheidungskopf auf das „Verfahren über den Fristsetzungsantrag“ Bezug genommen wurde. In der Begründung wurde demgegenüber ausgeführt, dass „das Pflegschaftsverfahren“ zu unterbrechen sei. Somit ist nicht nachvollziehbar, ob nur das Verfahren über den Fristsetzungsantrag oder auch das diesem Antrag zugrundeliegende Anlassverfahren (Pflegschaftsverfahren) unterbrochen werden sollte. Zu letzterem – also zur Unterbrechung jenes Verfahrens, in dem der Fristsetzungsantrag gestellt wurde – wäre der gemäß § 91 GOG (nur) zur Entscheidung über diesen Antrag berufene Gerichtshof nicht befugt (vgl 8 Fsc 2/11b, wonach im Säumnisverfahren gemäß § 91 GOG nur zu entscheiden ist, ob ein Gericht mit der Vornahme einer Verfahrenshandlung säumig ist, und keine darüber hinausgehende Entscheidungskompetenz besteht). Schon aufgrund der dargestellten Unklarheiten bzw Widersprüchlichkeit des angefochtenen Beschlusses ist dieser aufzuheben und dem gemäß § 91 GOG zur Entscheidung berufenen Gerichtshof eine neuerliche Beschlussfassung im Fristsetzungsverfahren aufzutragen.
[8] 4. Sollte dieses Gericht im fortgesetzten (Fristsetzungs‑)Verfahren weiterhin eine Unterbrechung im Hinblick auf das hinsichtlich des Vaters geführte Erwachsenenschutzverfahren erwägen, wäre zunächst zu prüfen, ob die Frage der – für das konkrete Fristsetzungsverfahren zu beurteilenden – Verfahrensfähigkeit des Vaters als dessen Fähigkeit, die Tragweite der in diesem (Fristsetzungs‑)Verfahren von ihm gesetzten Prozesshandlungen zu erkennen (vgl RS0110082), nicht schon vor einer Entscheidung im Erwachsenenschutzverfahren vom genannten Gericht selbst (vgl RS0110082 [T4]) beurteilt werden kann. Sollte dies der Fall sein, bedürfte es keiner Unterbrechung des Fristsetzungsverfahrens. Davon abgesehen wird im fortgesetzten (Fristsetzungs‑)Verfahren auch zu berücksichtigen sein, dass der Fristsetzungsantrag des Vaters nicht klar erkennen lässt, auf welche von ihm im Pflegschaftsverfahren gestellten Anträge (nur auf jene zu den Punkten 1a bis 1d der Eingabe vom 22. 10. 2020 [ON 313] oder auch auf die dort in den Punkten 2 bis 4 genannten „Urgenzen“) sich dieser bezieht. Insoweit wird ihm vor einer Entscheidung über seinen Antrag die Möglichkeit zu dessen Verbesserung einzuräumen sein.
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