OGH 1Ob198/03d

OGH1Ob198/03d16.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des am ***** geborenen Leopold Karl L*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter und einstweiligen Sachwalterin Marianne L*****, vertreten durch Dr. Michael Czinglar, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 2. Juli 2003, GZ 10 R 58/03m-14, womit infolge Rekurses der Mutter und einstweiligen Sachwalterin der Beschluss des Bezirksgerichts Scheibbs vom 22. April 2003, GZ 10 P 13/03k-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Eltern des Betroffenen regten, kurz bevor dieser volljährig wurde, die Einleitung eines Sachwalterbestellungsverfahrens an. Ihr Sohn sei von früher Kindheit an mehrfach behindert, er sei nicht sprachfähig, in seinem Kommunikationsverhalten auf einfache Gesten und Laute angewiesen und erhalte Pflegegeld der Stufe 7 sowie erhöhte Familienbeihilfe. Der Betroffene lebe im Familienverband und sei tagsüber in einer Werkstätte der Lebenshilfe untergebracht. Die Mutter erklärte sich bereit, das Amt des Sachwalters zu übernehmen.

Das Erstgericht bestellte nach Erstanhörung die Mutter des Betroffenen zu dessen einstweiliger Sachwalterin. Es beauftragte in der Folge einen Sachverständigen, der in seinem Gutachten zum Ergebnis kam, dass der Betroffene intellektuell entwicklungsverzögert sei, wobei als Ursache der Behinderung eine Stoffwechselerkrankung nicht ausgeschlossen werden könne. Es bestehe jedenfalls ein schwerer psycho-mentaler Entwicklungsrückstand im Sinne einer schweren intellektuellen Behinderung. Der Betroffene sei nicht sprachfähig und in seinem Kommunikationsverhalten auf einfache Gesten und Laute angewiesen. Er sei in keiner seiner Angelegenheiten in der Lage, sich selbst zu seinem Vorteil zu vertreten, sodass er aus psychiatrischer Sicht eines Sachwalters für alle Angelegenheiten bedürfe.

Das Erstgericht bestellte als Sachwalter zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen (§ 273 Abs 3 Z 3 ABGB) einen Mitarbeiter des Landesvereins für Sachwalterschaft. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen auf das Sachverständigengutachten.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Mutter nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Rekurswerberin sei grundsätzlich darin beizupflichten, dass primär eine der behinderten Person nahestehende geeignete Person zum Sachwalter zu bestellen sei. Als besonderes Kriterium für das primär zu wahrende Wohl des Behinderten gälten die Eignung zur Personensorge unter besonderer Berücksichtigung der persönlichen Bedürfnisse des Behinderten, die Eignung zur Vermögensverwaltung oder -vertretung, ausreichend verfügbare Zeit für die Tätigkeit, die Bereitschaft, das Amt auszuüben, sowie der Mangel an Untauglichkeitsgründen. Ebenso wie das Kindeswohl ein Grundprinzip des Pflegschaftsverfahrens sei, bilde das Wohl des Behinderten ein Grundprinzip des Sachwalterbestellungsverfahrens. Diese allgemeinen Grundsätze auf den konkreten Sachverhalt angewendet, zeigten nun, dass die vom Erstgericht vorgenommene Bestellung eines familienfremden Sachwalters in Person eines Vereinssachwalters aufgrund des Akteninhalts geboten sei. Das vom Gericht primär zu wahrende Wohl des Betroffenen, insbesondere die ausreichende Personensorge, scheine bei Ausübung der Sachwalterschaft durch einen Vereinssachwalter besser gewährleistet als durch die Person der Mutter des Betroffenen. Wenngleich nicht verkannt werde, dass die Mutter des Betroffenen sich von Geburt an um dessen Wohl ebenso wie um das der beiden anderen Kinder, von denen ein weiteres ebenfalls schwer behindert ist, gekümmert habe und sie daher verständlicherweise mit der Entscheidung des Gerichts ein "Akzeptanzproblem" habe, könne dies an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses nichts ändern. Der Mutter des Betroffenen werde in diesem Zusammenhang angeraten, die von ihr bekämpfte Entscheidung als "Entlastung" dahin zu sehen, dass sie einen gewissen Teil der Verantwortung für ihren Sohn nunmehr abgeben könne; vor allem sei deren Überforderung zu befürchten und unter anderem dieser Umstand dafür ausschlaggebend gewesen, dass ein Vereinssachwalter als geeigneter angesehen worden sei.

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Beschluss über die Bestellung des Sachwalters steht dem Betroffenen, seinem Vertreter und dem bestellten Sachwalter das Rechtsmittel des Rekurses zu (§ 249 Abs 2 AußStrG). Wird ein Rekurs nicht von dem Betroffenen (seinem Vertreter) erhoben, so ist er in zweifacher, gegebenenfalls in dreifacher Ausfertigung zu überreichen; eine Ausfertigung ist dem Betroffenen (seinem Vertreter) zuzustellen. Ihnen steht es frei, binnen 14 Tagen nach Zustellung der Rekursschrift beim Gericht erster Instanz eine Rekursbeantwortung einzubringen (§ 249 Abs 3 AußStrG). Es handelt sich bei diesen gesetzlichen Anordnungen um eine Sonderbestimmung gegenüber der allgemeinen Verfahrensbestimmung des § 9 AußStrG. Nur dem Betroffenen und seinem Vertreter wurde das Recht eingeräumt, sich zu einem nicht von ihnen erhobenen Rekurs durch Rekursbeantwortung zu äußern (10 Ob 352/99h mwH). Einer Zustellung des Revisionsrekurses der mit eigener Rechtsmittelbefugnis (7 Ob 717/89) ausgestatteten einstweiligen Sachwalterin an den bestellten Sachwalter bedurfte es daher nicht. Der bestellte Sachwalter ist zudem vor Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses noch nicht berechtigt, für den Betroffenen einzuschreiten (RIS-Justiz RS0008563), sodass die Vertretungsbefugnis der einstweiligen Sachwalterin weiter besteht. Ob § 249 Abs 3 AußStrG auch so gelesen werden könnte, dass dem Betroffenen jedenfalls ein Rechtsmittel seines Vertreters zur Beantwortung zuzustellen ist, muss hier nicht weiter geprüft werden, weil nach dem Akteninhalt ohne weiteres davon ausgegangen werden kann, dass der Betroffene zur selbständigen Wahrung seiner Rechte nicht in der Lage sei (vgl RIS-Justiz RS0006540). Über den Revisionsrekurs der einstweiligen Sachwalterin ist daher in einseitigem Rechtsmittelverfahren zu entscheiden.

Bei der Auswahl der Person, die zum Sachwalter zu bestellen ist, ist die Reihenfolge der Tatbestände im § 281 ABGB als Reihung der Prioritäten zu verstehen. Es ist daher - sofern die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person nicht im konkreten Fall vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert - primär eine dem Behinderten nahestehende Person als Sachwalter zu bestellen; eine vom Sachwalterverein namhaft gemachte Person ist dagegen erst dann zu bestellen, wenn eine nach § 281 Abs 1 ABGB geeignete Person nicht vorhanden ist (RIS-Justiz RS0049104; 2 Ob 55/01d). Dass es das Wohl des Behinderten erfordere, gerade und primär einen "Vereinssachwalter" zu bestellen, ist - vom Erfordernis ganz besonderer Fähigkeiten der vorgeschlagenen Person abgesehen - kaum denkbar (Stabentheiner in Rummel ABGB3 Rz 4 zu §§ 280, 281).

Das Rekursgericht, das diese von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben hat, hat zwar richtigerweise darauf verwiesen, dass ebenso wie im Pflegschaftsverfahren bei der Sachwalterbestellung das Wohl des Behinderten oberste Richtschnur sein muss, jedoch sodann - ebenso wie das Erstgericht - jede konkrete Begründung unterlassen, wieso die Bestellung der gemäß § 281 Abs 1 ABGB primär heranzuziehenden Mutter zur Sachwalterin dem Wohl des Behinderten nicht entsprechen könne. Als fallbezogene Begründung kann dem angefochtenen Beschluss bloß "eine zu befürchtende Überforderung" der Mutter entnommen werden, ohne dass diese Annahme in irgendeiner Form näher konkretisiert worden wäre. Damit fehlt aber dem angefochtenen Beschluss ebenso wie jenem des Erstgerichts jedes sachliche Substrat, dessentwegen die Abweichung von den vom Gesetz vorgegebenen Prioritäten als gerechtfertigt erkannt werden könnte.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren entsprechend dem geltenden Untersuchungsgrundsatz (§ 2 Abs 2 Z 5 und 6 AußStrG) vorerst durch Erhebungen die Eignung der Mutter als Sachwalterin ins Klare zu setzen und sodann im Rahmen des ihm zustehenden Ermessensspielraums eine aus den Gründen nachvollziehbare Entscheidung zu treffen haben.

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