OGH 1Ob192/09f

OGH1Ob192/09f15.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Johann H*****, vertreten durch Mag. Alfred Witzlsteiner, Rechtsanwalt in Innsbruck, und 2. Mag. Charlotte B*****, vertreten durch Sluka Hammerer Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei Dr. Christian J. W*****, vertreten durch Dr. Michael E. Sallinger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 1. 103.000 EUR sA und 2. 51.500 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Parteien (Revisionsinteresse 1. 96.333,33 EUR sA und 2. 48.166,67 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. Juni 2009, GZ 2 R 130/09y-41, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 13. Februar 2009, GZ 8 Cg 3/08d-35, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im Zuspruch von 6.666,67 EUR sA an die erstklagende Partei und von 3.333,33 EUR sA an die zweitklagende Partei unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sind, werden dahin abgeändert, dass das Urteil insgesamt lautet:

„Die beklagte Partei ist schuldig, jeweils binnen 14 Tagen a) der erstklagenden Partei 68.666,67 EUR samt 11,19 % Zinsen vom 12. 1. 2008 bis 30. 6. 2008 und seit 1. 7. 2008 Zinsen in Höhe von 8 % über dem am letzten Kalendertag des vorausgegangenen Halbjahres geltend gemachten Basiszinssatz zu zahlen und die mit 9.912,04 EUR (darin enthalten 1.145,50 EUR USt und 3.039,05 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen; b) der zweitklagenden Partei 34.333,33 EUR samt 11,19 % Zinsen vom 12. 1. 2008 bis 30. 6. 2008 und seit 1. 7. 2008 Zinsen in Höhe von 8 % über dem am letzten Kalendertag des vorausgegangenen Halbjahres geltend gemachten Basiszinssatz zu zahlen und die mit 6.304,48 EUR (darin enthalten 797,52 EUR USt und 1.519,38 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen zu ersetzen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der erstklagenden Partei 34.333,33 EUR sA und der zweitklagenden Partei 17.166,67 EUR sA zu zahlen, wird abgewiesen."

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Kaufvertrag vom 20. 12. 2002 erwarben die Kläger und eine Immobilienverwaltungs OEG (OEG) Miteigentumsanteile an einer Liegenschaft. Der Kaufpreis für die Liegenschaft betrug 200.214 EUR. Davon hatte der Erstkläger 100.107 EUR zu zahlen, die Zweitklägerin 50.053,50 EUR. Zur Finanzierung des Kaufpreises sowie zur Renovierung des Objekts nahmen die Käufer einen Kredit bei einer Salzburger Bank auf, der mit einer Höchstbetragshypothek über 522.000 EUR sichergestellt werden sollte. Treuhänder und Vertragserrichter war ein Gesellschafter der OEG, der auch mit der Verbücherung des Kaufvertrags betraut wurde. Nachdem dieser Rechtsanwalt am 15. 9. 2004 die Rechtsanwaltschaft zurückgelegt hatte, beauftragten die Kläger den beklagten Rechtsanwalt (und mittlerweiligen Stellvertreter des Vertragserrichters) im Dezember 2004 mit der Verbücherung des Kaufvertrags. Zur Verbücherung erhielt der Beklagte den Kaufvertrag, die Pfandurkunde zur Eintragung der Höchstbetragshypothek zu Gunsten der Salzburger Bank sowie den zu Gunsten der Käufer erwirkten bis zum 8. 1. 2005 befristeten Rangordnungsbeschluss. Bei Einsicht in das Grundbuch stellte der Beklagte fest, dass im Rang nach dem Rangordnungsbeschluss zu Gunsten einer Raiffeisenlandesbank (RLB) ein Zwangspfandrecht über 135.355 EUR sA eingetragen worden war. Titel dieses Pfandrechts war ein zwischen der RLB und der Verkäuferin der Liegenschaft geschlossener gerichtlicher Vergleich. Am 9. 12. 2004 beantragte der Beklagte die Einverleibung des Miteigentums der Käufer und des Höchstbetragspfandrechts zu Gunsten der Salzburger Bank. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 24. 2. 2005 abgewiesen, weil die im Kaufvertrag abgegebene „Inländererklärung" nach den Bestimmungen des Salzburger Grundverkehrsgesetzes, die der Beklagte nicht kannte, nach Ablauf eines Jahres nicht mehr gültig war. Aufgrund der rechtskräftigen Abweisung des Grundbuchsgesuchs konnte die Einverleibung der Miteigentumsanteile der Kläger nicht im Rang der befristeten Anmerkung für die beabsichtigte Veräußerung erfolgen. Eine Löschung des nachrangigen, zu Gunsten der RLB eingetragenen Zwangspfandrechts nach § 57 GBG war damit ausgeschlossen. Erst im Jahr 2006 wurde das Miteigentum der Kläger in das Grundbuch eingetragen.

Mit Schreiben vom 29. 6. 2005 bot die RLB der kreditgewährenden Salzburger Bank an, gegen Zahlung eines Betrags von 10.000 EUR bis 31. 12. 2005 auf das Zwangspfandrecht zu verzichten. Ein Vertreter der Salzburger Bank informierte nicht nur den Beklagten über dieses Abfindungsanbot, sondern auch den jeweiligen Rechtsanwalt und Vertreter (nunmehrige Klagevertreter) des Erstklägers und der Zweitklägerin. Von der Befristung des Anbots erfuhren alle drei Rechtsanwälte jedoch nichts. Wegen der Bezahlung der geforderten 10.000 EUR wandte sich der Beklagte an den Haftpflichtversicherer des früheren Treuhänders. Am 8. 8. 2005 teilte er dem Vertreter der Salzburger Bank mit, dieser Haftpflichtversicherer beteilige sich mit 7.500 EUR abzüglich Selbstbehalt. Der Beklagte verhandelte wegen einer Zahlungsbeteiligung auch mit seinem eigenen Haftpflichtversicherer, nicht aber mit den Klägern. Die Salzburger Bank wollte sich an der Zahlung der 10.000 EUR letztlich ebenfalls nicht beteiligen. „Analog war die Position der beiden Kläger". Es steht nicht fest, dass die Kläger von der Befristung des Abfindungsanbots noch 2005 erfuhren. Die geforderte Ablöse wurde nicht bezahlt.

Ab Jänner 2007 betrieb die RLB zur Hereinbringung ihrer Forderung von 135.355 EUR die Zwangsversteigerung der Liegenschaft. Diese wurde am 11. 1. 2008 um das Meistbot von 206.000 EUR dem Ersteher zugeschlagen. Die RLB meldete ihre Forderung über 206.519,83 EUR an. In der Folge wurde ihr das gesamte Meistbot zugewiesen.

Die Kläger begehrten wegen des Anwaltsfehlers nach Ausdehnung zuletzt Schadenersatzbeträge von 103.000 EUR (Erstkläger) und 51.500 EUR (Zweitklägerin), in eventu die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftigen Schäden.

Der Beklagte, dessen Haftung dem Grunde nach im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist, berief sich - soweit noch relevant - auf eine Verletzung der Schadensminderungspflicht wegen der nicht bezahlten Ablöseforderung von 10.000 EUR.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es verneinte eine Verletzung der Schadensminderungspflicht, weil weder die Kläger noch deren Anwälte von der Befristung des Ablöseanbots gewusst hätten.

Das vom Beklagten angerufene Berufungsgericht sprach dem Erstkläger 6.666,67 EUR sA sowie der Zweitklägerin 3.333,33 EUR sA zu, wies das jeweilige Mehrbegehren ab und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Die Kläger hätten durch die Unterlassung der Annahme des Abfindungsangebots und der Zahlung des im Verhältnis zum drohenden Schaden geringfügigen Betrags von 10.000 EUR ihre Rettungspflicht verletzt. Dass auch der Beklagte es in der Hand gehabt hätte, durch Zahlung des Betrags den drohenden Schaden abzuwenden, ändere nichts an der Zumutbarkeit dieser Maßnahme für die Kläger. Der Beklagte hafte den Klägern daher nur für den hypothetischen Rettungsaufwand von 10.000 EUR. Dem Erstkläger würden entsprechend seinem Anteil am Gesamtschaden zwei Drittel, der Zweitklägerin ein Drittel zustehen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die jeweilige Abweisung des Mehrbegehrens gerichteten Revisionen der Kläger sind zulässig und teilweise berechtigt.

1. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

2. Die Pflicht des Geschädigten, seinen Schaden möglichst gering zu halten, ergibt sich aus § 1304 ABGB, der grundsätzlich Billigkeitslösungen anstrebt (Reischauer in Rummel ABGB³ § 1304 Rz 37 mwN). Der Geschädigte verstößt gegen die Schadensminderungspflicht, wenn er Handlungen unterlässt, die geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, und die - objektiv beurteilt - von einem verständigen „Durchschnittsmenschen" gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens zu vermeiden (RIS-Justiz RS0023573). Um zu Gunsten des Schädigers auszuschlagen, muss die Verletzung der Schadensminderungspflicht schuldhaft erfolgen (1 Ob 9/00f; 2 Ob 324/00m).

3. Die nicht sofort oder innerhalb einer angemessenen Überlegungsfrist erfolgte Zahlung von 10.000 EUR, um ein Zwangspfandrecht über einen mehr als den zehnfachen Betrag löschen zu lassen, präsentiert sich aus der Sicht eines durchschnittlichen Teilnehmers am Geschäftsverkehr nicht als wirtschaftlich vernünftige Vorgangsweise. Der gegen die Kläger erhobene Vorwurf, sie hätten durch die Unterlassung dieser wirtschaftlich eindeutig sinnvollen Maßnahme ihre Schadensminderungspflicht verletzt, ist damit gerechtfertigt. Die mangelnde Kenntnis von der Befristung kann sie deshalb nicht zur Gänze entlasten, weil mehrere Monate zur Verfügung standen, um diesen (im Vergleich zum drohenden Schaden ziemlich geringen) Betrag zu leisten, mit einer Befristung grundsätzlich zu rechnen war und sie einer Zahlung (offenbar) generell ablehnend gegenüberstanden. Andererseits ist zu bedenken, dass die beiden Kläger nicht die einzigen Beteiligten waren, die es in der Hand hatten, diese schadensverhütende Maßnahme zu setzen. Beteiligt war ja auch der Beklagte, dessen Fehler die Löschung des nachrangigen Zwangspfandrechts erst unmöglich gemacht hatte und der sogar ein Anbot eines Versicherers hatte, drei Viertel der geforderten Ablösezahlung (abzüglich Selbstbehalt) zu decken. Die dem Schädiger offen stehende Möglichkeit, den Schaden abzuwenden, unterscheidet diese Konstellation eindeutig von jenen Fällen der Verletzung einer Schadensminderungspflicht, bei denen der Schädiger zwar für die adäquaten Folgen seines Verhaltens haftet, sich sein Verschulden aber nicht mehr auf diese Folgen erstreckt (Reischauer aaO). Beispiele dafür wären die unterlassene Aufnahme einer zumutbaren Berufstätigkeit mit der Folge eines (erhöhten) Verdienstentgangs (2 Ob 205/08y; RIS-Justiz RS0027143), die Weigerung eines Verletzten, sich einer zumutbaren ärztlichen Behandlung zu unterziehen (Reischauer aaO Rz 39), oder die Anmietung eines gar nicht benötigten Ersatzfahrzeugs (Karner in KBB2 § 1304 Rz 10 mwN). Der Schädiger hat dann ja keinerlei Einfluss auf schadenserhöhende Maßnahmen (vgl Karner aaO). In solchen Fällen hat der zu RIS-Justiz RS0124232 dokumentierte, vom Beklagten für sich in Anspruch genommene Grundsatz, dass sich eine Verletzung der Schadensminderungspflicht im Regelfall nicht in einer quotenmäßigen Schadensteilung niederschlägt und der Geschädigte die von ihm zu vertretende Schadenserhöhung allein zu vertreten hat, durchaus Berechtigung. Im konkreten Fall widerspricht das Ergebnis, den Geschädigten jeweils nur ca 6,5 % ihres Schadens zuzusprechen, dem § 1304 ABGB zugrundeliegenden Ziel einer Billigkeitslösung. Es ist daher eine Schadensteilung nach der Schwere der Zurechnungsgründe vorzunehmen (Karner aaO; 8 Ob 85/06t), wobei das Verhalten des beklagten Schädigers im Vergleich zum Verschulden der Kläger überwiegt. Eine Teilung im Verhältnis 1 : 2 zu Gunsten der Geschädigten ist eine sachgerechte Lösung (vgl 8 Ob 594/89 = RIS-Justiz RS0038751).

In Stattgebung der Revision sind daher die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass den Klägern jeweils zwei Drittel ihres Schadens (dessen Höhe im Revisionsverfahren nur hinsichtlich der Schadensminderungspflicht ein Thema darstellt) zuzusprechen sind.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat im Verfahren erster und zweiter Instanz aufgrund seines Unterliegens mit zwei Dritteln den Klägern ein Drittel ihrer Prozesskosten zu ersetzen. Im Revisionsverfahren haben die Kläger bei einem Revisionsinteresse von 96.333,33 EUR (Erstkläger) und 48.166,67 EUR (Zweitklägerin) einen zusätzlichen Zuspruch von 62.000 EUR (Erstkläger) bzw 31.000 EUR (Zweitklägerin) erreicht, was eine Obsiegensquote von je etwa 64 % ergibt. Der Beklagte hat daher im Revisionsverfahren den Klägern jeweils 28 % der Kosten zu ersetzen. Die Pauschalgebühren aller drei Instanzen sind nach § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO jeweils im Ausmaß des Obsiegens zuzusprechen. Die Einwände, die der Beklagte in seiner Berufung im Kostenpunkt gegen das Kostenverzeichnis der Kläger erhoben hat, sind insofern berechtigt, als es um die Frage des anteiligen Kostenersatzes der Kläger in jenem Verfahrensstadium ging, in dem sie durch denselben Rechtsanwalt vertreten waren. Dies betrifft aber nur die gemeinsam eingebrachte Klage, in der der Erstkläger 71.672,64 EUR und die Zweitklägerin 35.836,32 EUR forderte, was einem internen Verhältnis von 2 : 1 entspricht. Auf den Erstkläger entfallen daher zwei Drittel des Ansatzes nach TP 3A RATG, der für die Bemessungsgrundlage in Höhe von 107.508,96 EUR galt. Ebenso in diesem Verhältnis aufzuteilen ist die Pauschalgebühr für die Klage, die sich aufgrund der Vertretung von zwei Personen durch einen Rechtsanwalt nach § 19a GGG um 10 % erhöht. Nur für die Klage ist nach § 15 RATG ein Streitgenossenzuschlag gerechtfertigt, nicht aber für die anschließenden Verfahrensschritte der nicht mehr durch denselben Rechtsanwalt vertretenen Kläger. Diese Handlungen sind jeweils gesondert auf Basis des eingeklagten bzw ausgedehnten Betrags zu honorieren. Der von der Zweitklägerin verzeichnete doppelte Einheitssatz ist entgegen der Auffassung des Beklagten gerechtfertigt, weil die Zweitklägerin in Salzburg, also nicht im Sprengel des Landesgerichts Innsbruck als Erstgericht, wohnt und ihre Rechtsvertreter den Kanzleisitz ebenfalls in Salzburg haben (Fucik in Rechberger ZPO³ § 41 ZPO Rz 5). Als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren auch die beiden Schriftsätze zu werten, welche die Kläger knapp vor der ersten mündlichen Streitverhandlung vom 16. 4. 2008 einbrachten; diese stellten nämlich die Reaktion auf die Klagebeantwortung bzw den umfangreichen Schriftsatz des Beklagten vom 8. 4. 2008 (ON 11) dar, der erst am 10. 4. 2008 bei Gericht eingelangt war. Ersatzfähig sind auch der Schriftsatz des Erstklägers vom 20. 6. 2008 (ON 21) als Reaktion auf den Schriftsatz des Beklagten vom 18. 6. 2008 (ON 20) und als Urkundenvorlage sowie die nach TP 1 RATG honorierte Mitteilung des Vollmachtswechsels (ON 2).

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