European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133334
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass auch mehrere bzw laufende Verfehlungen, die erst in ihrer Gesamtheit eine schwerwiegende Verfehlung bilden, zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führen können (3 Ob 86/16t; 7 Ob 140/19t). Dazu, dass solche Verfehlungen auch in (sich auf den Unterhaltsverpflichteten erheblich negativ auswirkenden) Verhaltensweisen gegenüber seinem Kind liegen können, besteht ebenfalls bereits Rechtsprechung des Höchstgerichts (vgl RIS‑Justiz RS0078152).
[2] Ob einem Unterhaltsberechtigten insgesamt ein so gravierendes Fehlverhalten anzulasten ist, dass es die Unterhaltsverwirkung zur Folge hat, ist regelmäßig nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0078153; RS0078152 [T1]; RS0009766 [T9]; RS0047080 [T7]; RS0009759 [T13]). Dafür steht dem Gericht ein nicht zu enger Beurteilungsspielraum zur Verfügung (1 Ob 26/19h mwN).
[3] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision nachträglich mit der Begründung für zulässig, es sei eine erhebliche Rechtsfrage, „ob bereits die bewusst wahrheitswidrige Beeinträchtigung von Interessen des Unterhaltspflichtigen – unabhängig von einem tatsächlichen Schadenseintritt – sowie die psychischen und physischen Misshandlungen der gemeinsamen Kinder während und nach der Ehe in der vom Erstgericht festgestellten Intensität und Ausmaß – zu einer Verwirkung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs der Klägerin geführt haben“.
[4] Damit wird aber nicht aufgezeigt, warum die Beurteilung des konkreten Unterhaltsanspruchs der Klägerin aufgrund der in diesem Rechtsstreit getroffenen Feststellungen von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung sein sollte. Da auch die Klägerin in der Revision keine solche Rechtsfrage aufzeigt, ist sie zurückzuweisen. Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
[5] In der Revision wirft die Klägerin dem Berufungsgericht vor, es habe zwei Judikate herangezogen, deren Sachverhalte mit dem vorliegenden aber nicht zu vergleichen seien (3 Ob 77/15t [Vorwurf einer Vergewaltigung] 7 Ob 181/17v [Vorwürfe ohne Schädigungsabsicht]), weil die in ihren an die Schulhalterin gerichteten E‑Mails enthaltenen Vorwürfe nicht so schwer wiegen würden wie Strafanzeigen, und es wird zudem von ihr (unter Verweis auf 7 Ob 10/08h) die Behauptung aufgestellt, nur eine unberechtigte und aus einer feindlichen Einstellung oder aus Rache erhobene Strafanzeige könne zur Verwirkung führen. Dem Beschluss zu 7 Ob 10/08h ist aber nicht zu entnehmen, dass „nur eine Strafanzeige“ zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führen kann, sondern, dass die Strafanzeige nur dann eine schwere Eheverletzung in Form eines Verstoßes gegen die Treuepflicht darstellen kann, wenn feststeht, dass der strafrechtlich relevante Vorwurf unberechtigterweise – etwa aus einer feindlichen Einstellung oder aus Rache (vgl RS0056902) – erhoben worden ist (was in concreto damals nicht der Fall war). Die Klägerin wendet sich (auf Basis der getroffenen Feststellungen zu Recht) aber gar nicht dagegen, dass sie die an die Schulhalterin der Schule, an der der Beklagte tätig war, gerichteten Schreiben in der Hoffnung verfasst hatte, dem Beklagten dadurch in seinem beruflichen Fortkommen Schaden zufügen zu können. Die zu 3 Ob 77/15t und 7 Ob 181/17v ergangenen Entscheidungen hat das Berufungsgericht nur insoweit als „vergleichbar“ herangezogen, als darin ausgesprochen wurde, dass die Erstattung einer Anzeige durch den Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltsverpflichteten zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nach § 74 EheG führen kann, wenn sie– wie vom Berufungsgericht eben auch hier in Bezug auf die E‑Mails an die Schulhalterin zugrunde gelegt – nicht in Wahrung berechtigter eigener Interessen, sondern im vollen Bewusstsein, die Interessen des Verpflichteten zu beeinträchtigen, erstattet wurde (s RS0057429).
[6] Darauf, ob die von der Klägerin erhobenen Vorwürfe gegenüber den „angezogenen Judikaten“ in „Qualität und Bedeutung“ zurückgeblieben sind, muss nicht eingegangen werden, weil sie außer Acht lässt, dass nicht bloß singulär diese in Schädigungsabsicht verfassten E‑Mails, sondern die Gesamtheit ihres Verhaltens zu beurteilen ist. Sie hat nach dem – auch für den Obersten Gerichtshof bindend festgestellten Sachverhalt – zwei gemeinsame Kinder (auch noch) nach der Scheidung im Jahr 2011 (die Obsorge wurde dem Vater im November 2017 übertragen) wiederholt „in psychischer und physischer Hinsicht“ misshandelt. In der Revision zitiert sie zu diesem Komplex Aussagen von Zeugen auszugsweise, bagatellisiert (immer noch) ihr Verhalten und widmet sich besonders der Frage der Häufigkeit (nur) der ausgeübten körperlichen Gewalt. Sie lässt beispielsweise bei dem Kind, das Selbstverteidigungskurse besuchte, um sich gegen die eigene Mutter wehren zu können, beiseite, dass sie es nicht nur vor seinem Auszug im Februar 2017 anlasslos beschimpft und geohrfeigt hat, sondern ihm auch ein halbes Jahr zuvor Fußtritte versetzt und eine Ohrfeige für die Mitteilung, dass es seine Brille verlegt habe, gegeben hatte. Ihre Ausführungen, es lägen die Vorfälle „alle weit zurück“, es habe sie nur „sporadisch“ in Form von „leichten Ohrfeigen“ gegeben, entfernen sich damit vom festgestellten Sachverhalt und sind damit unbeachtlich (RS0043312 [T12, T14]; RS0043603 [T2, T8]). Warum angesichts ihrer gegenüber den Kindern verwendeten Ausdrücke („Hure“, „Schlampe“, „Arschloch“) in Verbindung der Betitelung des jüngsten Kindes als „das dümmste Mitglied der Familie“ samt den (ebenfalls wiederholt geäußerten) Vorwürfen, es trage Schuld an der Scheidung der Eltern, werde niemals die Schule schaffen und gehöre in ein Heim gesteckt, nicht von (auch psychischen) Misshandlungen und groben Beschimpfungen gesprochen werden kann, ist schlicht unverständlich, zumal sich dieses Kind letztlich in so schlechter Verfassung befand, dass es in stationäre Behandlung der jugendpsychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses aufgenommen werden musste. Im Umstand, dass die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Mannes geschieden wurde, kann keine Rechtfertigung für eigenes über Jahre hinweg immer wieder gezeigtes massives Fehlverhalten, schon gar nicht gegenüber den Kindern, liegen, das sich auch auf den Mann nicht unerheblich nachteilig auswirkt.
[7] Wenn das Erstgericht auf der Sachverhaltsebene weiters davon ausging, dass die laufenden Gewalthandlungen der Klägerin gegenüber ihren Kindern bis heute besorgniserregende Auswirkungen haben, sich darin, dass sie bereit gewesen war, kompromittierende Bilder eines Kindes an dritte Personen weiterzuleiten und es der Gefahr einer Verwaltungsstrafe aussetzte, sowie mittels Gefährdungsmeldungen an den Jugendwohlfahrtsträger (die von „der Bezirkshauptmannschaft“ als mutwillige Interventionen bezeichnet wurden) gegen den Beklagten vorzugehen, sich die Zielrichtung ihres Verhaltens auch im Hinblick auf den Unterhaltsverpflichteten gezeigt habe, dass der Beklagte Zeit und Geld aufwenden musste, um die Auswirkungen der Behandlung der Kinder durch die Klägerin (deren „katastrophalen psychischen Zustand“) auszugleichen, und das Berufungsgericht auf dieser Basis die Ansicht des Erstgerichts, ihre Verfehlungen seien insgesamt so schwerwiegend, dass sie dadurch ihren Unterhaltsanspruch verwirkt habe, teilte, ist keine Fehlbeurteilung zu erkennen, die der Korrektur im Einzelfall bedürfte.
[8] Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen, weswegen seine Rechtsmittelgegenschrift als eine zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderliche Maßnahme im Verfahren dritter Instanz anzusehen ist.
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