OGH 1Ob14/23z

OGH1Ob14/23z28.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* GmbH, *, vertreten durch die Bruckmüller RechtsanwaltsgmbH in Linz, gegen die beklagte Partei O* Ges.m.b.H., *, vertreten durch die pfletschinger.renzl Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, wegen 42.938,28 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. November 2022, GZ 4 R 92/22m‑34, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0010OB00014.23Z.0228.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin, ein Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen, stand in Geschäftsbeziehungen zu einer Unternehmensgruppe, der unter anderem die Beklagte angehört. Ein zwischen der Klägerin und einer Schwesterngesellschaft der Beklagten seit Jahren jährlich erneuerter Rahmenvertrag zur Überlassung von Arbeitskräften galt ebenso wie die vereinbarten Verrechnungssätze und Konditionen auch für die Beklagte. Nach der für das Jahr 2020 gültigen Rahmenvereinbarung ergab sich das an die Klägerin für die Überlassung der Arbeitskräfte zu zahlende Entgelt aus der Anlage 1 oder dem jeweiligen Einzelauftrag. In dieser Anlage 1 wurde unter der Überschrift „Arbeiter im Montageeinsatz“ zwischen einem (niedrigeren) Stundensatz für „Montagesätze im Nahbereich, Landeshauptstädte im Umkreis von bis zu 75 km ab Stadtgrenze“ und einem (höheren) Stundensatz für „Montagesätze außerhalb Nahbereich“ unterschieden.

[2] Von Jänner bis April 2020 verrechnete die Klägerin der Beklagten in 14 Rechnungen den (höheren) Montagesatz „außerhalb Nahbereich“, obgleich bei den mit diesen Rechnungen fakturierten Arbeitsleistungen (nur) die Wohnorte der von der Klägerin der Beklagten überlassenen (ausländischen) Arbeitskräfte allesamt mehr als 75 km von Wien entfernt waren. Deren Einsatzort befand sich in Wien.

[3] Die Klägerin begehrt die Differenz zwischen dem von ihr verrechneten (höheren) Montagesatz „außerhalb Nahbereich“ und dem von der Beklagten bezahlten (niedrigeren) Montagesatz „im Nahbereich“. Nach richtigem Verständnis der Rahmenvereinbarung und deren Anlage richte sich der heranzuziehende Montagesatz nach der Entfernung des Einsatzorts der überlassenen Arbeitskräfte von deren Wohnort. Bis 2019 sei der höhere Montagesatz sowohl von der Beklagten als auch von deren konzernverbundenen Schwesterngesellschaften immer akzeptiert worden.

[4] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab.

Rechtliche Beurteilung

[5] Mit der gegen das Berufungsurteil gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

[6] 1. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936). Das ist hier nicht der Fall.

[7] 2. Maßgebliche Auslegungskriterien des § 914 ABGB sind der Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung und die Absicht der Parteien (RS0017915). Unter der „Absicht der Parteien“ ist die dem Erklärungsgegner erkennbare und von ihm widerspruchslos zur Kenntnis genommene Absicht des Erklärenden zu verstehen (RS0017915 [T27]). Für die Beurteilung der „Absicht der Parteien“ im Sinne des § 914 ABGB kommt es maßgebend auf den Zweck der Regelung an, den beide Teile redlicherweise unterstellen mussten (RS0017915 [T23]). Der Wortlaut der Vereinbarung ist allein maßgeblich, wenn keine abweichende Absicht festgestellt werden kann (RS0017915 [T35]).

[8] 2.1. Die Auffassung der Vorinstanzen, der Wortlaut der Definition des „Nahbereichs“ in Anlage 1 zur Rahmenvereinbarung decke keine auf die Entfernung des Wohnorts der Arbeitskräfte zu ihrem Einsatzort abstellende Auslegung, ist nicht zu beanstanden. Die Klausel enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass der Wohnort der überlassenen Arbeitskraft maßgeblich sein sollte, zumal diesfalls die ausdrückliche Bezugnahme auf „Landeshauptstädte“ sinnbefreit wäre. Die diesbezüglich von der Klägerin behauptete – vom Wortlaut abweichende – gemeinsame Absicht der Parteien ist nicht festgestellt worden.

[9] 2.2.  Richtig ist zwar, dass die Klausel wohl auch nicht dahin verstanden werden kann, dass ganz allgemein alle Montageeinsätze in jeder beliebigen (österreichischen) Landeshauptstadt und in einem Umkreis von 75 km ab Stadtgrenze „im Nahbereich“ lägen, weil dann, wie die Beklagte selbst einräumt, der bei weitem überwiegende Teil des österreichischen Bundesgebiets „Nahbereich“ wäre und der höhere Montagesatz daher faktisch ohne Anwendungsbereich bliebe. Die Klägerin übersieht aber, dass sich die Beklagte auf ein derartiges Verständnis der Vertragsbestimmung zuletzt gar nicht mehr berufen, sondern geltend gemacht hat, dass die Entfernung des Einsatzorts vom Sitz des (jeweiligen) Anforderers [gemeint Beschäftigerbetriebs] entscheidend sein sollte, weil das von der Klägerin bereit gestellte Personal in punkto Zuschlägen gleich wie eigenes hätte behandelt werden sollen und sich der Sitz der (jeweiligen) Anforderer grundsätzlich in den Landeshauptstädten befinde.

[10] Diese Auslegung, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung erkennbar zugrunde gelegt hat, ist angesichts der Tatsache, dass der Rahmenvertrag als Grundlage für eine ganze Gruppe von Unternehmen mit unterschiedlichen Niederlassungen in österreichischen Landeshauptstädten diente, jedenfalls nachvollziehbar. Sie steht einer Klagestattgebung entgegen.

[11] Ein unvertretbares Auslegungsergebnis vermag die Klägerin mit ihren in diesem Zusammenhang getätigten Ausführungen, dass § 10 AÜG kein Gleichbehandlungsgebot, sondern einen Günstigkeitsvergleich statuiere (vgl RS0050789), nicht aufzuzeigen. Bereits das Berufungsgericht hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass es an ihr gelegen wäre, in Ansehung der Entlohnung der von ihr überlassenen Arbeitskräfte allfällig sie treffende kollektivvertragliche Zahlungspflichten in das Vertragsverhältnis und damit in die Rahmenverträge mit der beklagten Beschäftigerin einzuführen.

[12] 3. Schließlich bekämpft die Klägerin die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Parteien seien auch nicht schlüssig vom Wortlaut der Vereinbarung abgegangen. Sie weist darauf hin, dass nach den Feststellungen der von ihr schon seit Beginn der Geschäftsbeziehungen zur Unternehmensgruppe der Beklagten im Jahr 2014 stets verrechnete (höhere) Montagesatz „außerhalb Nahbereich“ (bis Ende 2019) immer vorbehaltlos beglichen worden sei, so auch von der Beklagten, mit der sie spätestens seit 2019 Geschäfte machte.

[13] 3.1. Bei der Beurteilung einer Handlung auf ihre konkludente Aussage ist größte Vorsicht geboten, weil die Gefahr besteht, dass dem Handelnden Äußerungen unterstellt werden, die nicht in seinem Sinn waren. Eine konkludente Handlung darf nur angenommen werden, wenn sie nach den üblichen Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer bestimmten Richtung zu verstehen ist. Es darf kein vernünftiger Grund übrig sein, daran zu zweifeln, dass der Wille, eine Rechtsfolge in einer bestimmten Richtung herbeizuführen, vorliegt (RS0013947). Die Beurteilung der Schlüssigkeit eines Verhaltens hat aber regelmäßig keine über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung (RS0043253 [T2]).

[14] 3.2. Die hier von den Vorinstanzen vertretene Rechtsansicht steht mit der Rechtsprechung in Einklang, dass im Allgemeinen aus der rechtsgrundlosen, vorbehaltslosen Erbringung wiederholter Leistungen allein nicht auch schon der Wille des Leistenden entnommen werden kann, dass er sich auch in Zukunft zu einer solchen Leistung verpflichten wolle (RS0014162; RS0038618).

[15] Dem hält die Klägerin insbesondere die Feststellung entgegen, dass die Beklagte den zu verrechnenden (höheren) Stundensatz „außerhalb Nahbereich“ (aus nicht feststellbaren Gründen) aktiv in ihrem System (als Referenzwert) hinterlegt hatte.

[16] Es konnte aber gerade nicht festgestellt werden, dass der Klägerin der konkrete Controllingprozess der Beklagten und die Überlegungen bei der Rechnungsprüfung bekannt waren. Aus dem damit im Zusammenhang stehenden Verhalten der Beklagten ist für den maßgeblichen Empfängerhorizont (vgl RS0014158) daher nichts zu gewinnen.

[17] 3.3. Nach den Feststellungen gaben die Mitarbeiter der Beklagten die Rechnungen der Klägerin frei, weil sie aufgrund der unrichtigen Eintragung im System davon ausgingen, dass der verrechnete (erhöhte) Stundensatz dem vereinbarten Montagesatz „innerhalb Nahbereich“ entsprechen würde. Dieser Umstand wurde erst Ende 2019 durch einen Mitarbeiter aufgedeckt. Damit ist der Sachverhalt nicht dem der Entscheidung 7 Ob 210/18k zugrundeliegenden vergleichbar, in dem die dortige Auftraggeberin im Wissen um die zwangsläufige Überschreitung des Kostenvoranschlags aktiv weitere Leistungen der Auftragnehmerin in Anspruch genommen hatte.

[18] Auch aus (schriftlichen) Bestellungen einer Schwesterngesellschaft der Beklagten zu einem Stundensatz „außerhalb Nahbereich“ kann nichts für das konkret zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis abgeleitet werden, selbst wenn der Schwesterngesellschaft überlassene Arbeitskräfte aufgrund einer internen Vereinbarung teilweise auch im Unternehmen der Beklagten eingesetzt gewesen sein sollten. Dass die Beklagte diese Bestellungen gekannt haben soll, behauptet die Klägerin nicht. Den vermeintlich fehlenden Feststellungen fehlt daher die Relevanz.

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