European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0170OB00015.22P.0214.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Anfechtungsrecht
Spruch:
I. Die Revision wird im Umfang der angefochtenen Zahlung von 2.756,01 EUR vom 27. Oktober 2020 zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird der Revision teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden teilweise bestätigt, sodass die Entscheidung – unter Einschluss des unanfechtbaren Teils – insoweit als Teilurteil insgesamt zu lauten hat:
„Das Begehren, die von der Schuldnerin an die beklagte Partei geleisteten Zahlungen von 5.017,47 EUR und von 2.756,01 EUR vom 27. 10. 2020 gegenüber den Gläubigern im Konkursverfahren über das Vermögen der d* GmbH (FN*), AZ 27 S 4/21x des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz, für unwirksam zu erklären und die beklagte Partei schuldig zu erkennen, 7.773,48 EUR samt 4 % Zinsen seit 28. 10. 2020 zu zahlen, wird abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“
Im Übrigen, also soweit sie die Zahlungen von 7.091,87 EUR und von 10.465,12 EUR vom 12. Oktober 2020, von 14.000 EUR vom 14. Oktober 2020 und von 3.207,85 EUR vom 27. Oktober 2020 betreffen, werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
[1] Mit am 27. August 2020 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz eingelangtem Antrag beantragte die Beklagte die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der d* GmbH (in der Folge: Schuldnerin). Sie stützte sich dabei auf einen vollstreckbaren Rückstandsausweis über 16.664,95 EUR und führte dazu aus, dass der Gesamtsaldo bis inklusive Jänner 2020 74.760,24 EUR betrage, ein Teilbetrag von 58.095,29 EUR jedoch gesetzlich gestundet sei. Es sei von einer Überschuldung/Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin auszugehen.
[2] AufAnsuchen der Schuldnerin teilte die Beklagtezu den offenen Beiträgen für die Zeiträume Februar 2020 bis August 2020 in Höhe von 66.466,17 EUR mit:
„Ratenbewilligung
[...]
Beiträge Februar bis April 2020:
Die Beiträge Februar bis April 2020 werden Ihnen gemäß § 733 Abs 1, 2 iVm Abs 7 ASVG gestundet, sofern diese nicht gemäß § 733 Abs 9 ASVG ausgenommen sind. Die Zahlung der auf die Kurzarbeitsbeihilfe etc entfallenden Beträge für den Zeitraum März und April von 7.091,87 EUR hat umgehend zu erfolgen. Der Restbetrag von 17.979,78 EUR ist bis spätestens 15. 1. 2021 einzuzahlen, wobei die Dreitagesfrist gemäß § 59 Abs 1 ASVG Anwendung findet. Die Stundung ist verzugszinsenfrei.
Beiträge Mai bis August 2020:
Für die Beiträge Mai bis August 2020 wird Ihnen gemäß § 733 Abs 8 ASVG eine Ratenzahlung bewilligt, sofern diese nicht gemäß § 733 Abs 9 ASVG ausgenommen sind. Die Zahlung der auf die Kurzarbeitsbeihilfe etc entfallenden Beträge für den Zeitraum Mai bis Juli von 10.465,12 EUR hat umgehend zu erfolgen. Die Ratenvereinbarung ist nicht verzugszinsenfrei.
Ratenplan:
[...]
Die fristgerechte Bezahlung der laufenden Beiträge ab dem Beitragszeitraum September 2020 ist Bestandteil dieser Vereinbarung.
Beiträge vor dem Beitragszeitraum Februar 2020 sind weder von einer Stundung noch einer Ratenvereinbarung umfasst.
[...]“
Die Schuldnerin leistete nachstehende Zahlungen:
[3] 1. 7.091,87 EUR am 12. Oktober 2020. Die Zahlung betraf einen Rückstand von – auf die Kurzarbeitsbeihilfe entfallenden – Beträgen für den Zeitraum März und April 2020, für die die Beklagte unter Bezugnahme auf § 733 Abs 9 ASVG keine Ratenzahlungen bewilligt hatte.
[4] 2. 10.465,12 EURam 12. Oktober 2020. Dabei handelte es sich ebenfalls um die Begleichung von auf die Kurzarbeitsbeihilfe entfallenden Beträgen gemäß § 733 Abs 9 ASVG, und zwar für den Zeitraum Mai bis Juli 2020, für die gleichfalls keine Ratenzahlung bewilligt war.
[5] 3. 8.225,32 EURam 27. Oktober 2020. Davon entfielen 3.207,85 EUR auf Beiträge gemäß § 733 Abs 9 ASVG für September 2020. Für den Differenzbetrag von 5.017,47 EUR lag eine gesetzliche Stundung bis 15. Jänner 2021 vor.
[6] 4. 14.000 EURam 14. Oktober 2020 und 2.756,01 EURam 27. Oktober 2020. Beglichen wurden Rückstände bis einschließlich Jänner 2020, welche nicht „pandemiebetroffen“ waren.
[7] Der Antrag auf Insolvenzeröffnung vom 27. August 2020 wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 29. Oktober 2020 abgewiesen.
[8] Mit Beschluss vom 27. Jänner 2021 des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz wurde über das Vermögen der Schuldnerinein Insolvenzverfahren eröffnet.
[9] Der Kläger begehrt von der Beklagten zugunsten der Konkursmasse die Rückzahlung von 42.538,32 EUR und die Erklärung der Unwirksamkeit dieser Zahlungen gegenüber den Gläubigern im Konkursverfahren über das Vermögen der Schuldnerin aus den Anfechtungsgründen der §§ 28 Z 2, 30 Abs 1 Z 1, 30 Abs 1 Z 3 und 31 Abs 1 Z 2 erster Fall IO mit der Behauptung, diese Zahlungen seien vom Anfechtungsausschluss gemäß § 733 Abs 11 ASVG nicht umfasst, weil sie zur Tilgung von Beiträgen aus nicht pandemiebetroffenen Zeiträumen vor Februar 2020 und zur Tilgung von Rückständen gemäß § 733 Abs 9 ASVG geleistet worden seien.
[10] Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, alle angefochtenen Zahlungen fielen unter den Anfechtungsausschluss des § 733 Abs 11 ASVG.
[11] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Schuldnerin habe Stundungs‑, Teil‑ oder Ratenzahlungsmöglichkeiten gemäß § 733 Abs 1 und Abs 2 ASVG in Anspruch genommen. Da siedie angefochtenen Zahlungen zwischen 16. März 2020 und 30. September 2020 geleistet habe, seien diese gemäß § 733 Abs 11 ASVG vov einer Anfechtung nach der Insolvenzordnung geschützt.
[12] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Aufgrund des Antrags und der Glaubhaftmachung der Schuldnerin, dass sie diese „Beiträge wegen der Coronavirus‑Pandemie aus Gründen der Unternehmensliquidität“ (§ 733 Abs 2 und 8 ASVG) nicht entrichten konnte, habe die beklagte Sozialversicherungsträgerin ihr am 6. Oktober 2020 – nicht unter § 733 Abs 9 ASVG fallende – Beiträge für die Beitragszeiträume Februar, März und April 2020 bis 15. Jänner 2021 gemäß § 733 Abs 2 ASVG gestundet und für Beiträge aus den Beitragszeiträumen Mai bis August 2020 bis 15. Dezember 2021 gemäß § 733 Abs 8 ASVG Ratenzahlungen gewährt. Gemäß § 733 Abs 11 ASVG könnten die während dieser Stundungszeiträume (§ 733 Abs 2 und Abs 7 ASVG) und Ratenzahlungszeiträume (§ 733 Abs 8 ASVG) – im vorliegenden Fall von 6. Oktober 2020 bis 15. Dezember 2021 – geleisteten Zahlungen nach der Insolvenzordnung nicht angefochten werden. Da alle angefochtenen Zahlungen in diesen Zeitraum fielen, scheitere die Anfechtung an § 733 Abs 11 ASVG.
[13] Diese Auslegung des § 733 Abs 11 ASVG ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut der Norm: Die beklagte Sozialversicherungsträgerin solle sich auch dann aus Beiträgen (und nicht aus Steuern) finanzieren, wenn sie während der Pandemie gleichzeitig für viele Erkrankte Sozialversicherungsleistungen erbringen und vielen Dienstgebern „beitragsrechtliche Erleichterungen“ (Überschrift des § 733 ASVG) gewähren müsse. Dass sie dabei in der Insolvenz eines beitragszahlenden Dienstgebers gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt werde, sei der Sinn des § 733 Abs 11 ASVG, solle doch mit den einlangenden Dienstgeberzahlungen die beitragsfinanzierte Leistungsfähigkeit der Beklagten im Sinn der Versicherungsgemeinschaft gerade dann aufrecht erhalten werden, wenn die Zahlungseingänge aufgrund von Stundungen und Ratenvereinbarungen zurückgingen. Mit der Auslegung des Klägers – nur Zahlungen, die zuvor gestundet würden, seien anfechtungsfest – ließe sich dieses Ziel ebenso wenig erreichen, wie mit einer Auslegung, wonach nur Zahlungen für die Beitragszeiträume ab Februar 2020 anfechtungsfest sein sollen.
[14] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Auslegung des § 733 Abs 11 ASVG durch den Obersten Gerichtshof zu.
[15] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag dahin, dem Klagebegehren stattzugeben, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[16] Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
[17] Die Revision ist im Umfang der bekämpften Abweisung eines Begehrens von 2.756,01 EUR absolut unzulässig und im Übrigen zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und teilweise berechtigt:
Zu I:
Rechtliche Beurteilung
[18] 1.1 Für die Beurteilung der (Un‑)Zulässigkeit einer Revision gegen ein Berufungsurteil gemäß § 502 Abs 3 ZPO sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche nur dann zusammenzurechnen, wenn sie in rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang stehen (§ 55 Abs 1 und 4 JN). Ein solcher Zusammenhang besteht bereits dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein ganz unterschiedliches rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RS0037648 [T11]). Dass für alle Rechtshandlungen der gleiche Anfechtungstatbestand behauptet wird, reicht – schon wegen der zeitlichen Komponente – nach ständiger Rechtsprechung zur Annahme eines rechtlichen Zusammenhangs nicht aus (RS0042521 [T2, T6]; RS0042938).
[19] 1.2 Soweit sich die Revision auf die angefochtene Zahlung in Höhe von 2.756,01 EUR vom 27. Oktober 2020 bezieht, ist sie daher als absolut unzulässig zurückzuweisen.
Zu II:
[20] 1. Gemäß § 27 IO können Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und das Vermögen des Schuldners betreffen, nach den Bestimmungen der §§ 28 ff IO angefochten und den Insolvenzgläubigern gegenüber als unwirksam erklärt werden.
[21] 2. Der Gesetzgeber beschloss im Zuge der COVID-19 Pandemie unterschiedliche beitragsrechtliche Erleichterungen für Dienstgeber. Angefochten sind ausschließlich im Oktober 2020 geleistete Zahlungen. Maßgeblich ist, ob § 733 Abs 11 ASVG der Anfechtung entgegensteht. Die wenig übersichtliche Chronologie der Gesetzwerdung, soweit hier relevant, stellt sich wie folgt dar.
[22] 2.1 § 733 ASVG idF BGBl I 99/2020 (2. Finanz-Organisationsreformgesetz – 2. FORG), kundgemacht am 6. August 2020, wurde am 26. Mai 2020 beschlossen, trat rückwirkend mit 1. Juni 2020 in Kraft (§ 738 ASVG idF BGBl I 99/2020) und lautete auszugsweise:
(1) Für die mit Betretungsverbot belegten Unternehmungen nach der Verordnung BGBl II Nr 96/2020 in der jeweils geltenden Fassung und für die nach § 20 des Epidemiegesetzes 1950 (BGBl Nr 186/1950, in Verbindung mit der Verordnung BGBl II Nr 74/2020) von Betriebsbeschränkungen oder Schließungen betroffenen Unternehmen sind die Beiträge für die Beitragszeiträume Februar, März und April 2020 verzugszinsenfrei zu stunden.
(2) Für nicht von Abs 1 erfasste Unternehmungen können die Beiträge für die Beitragszeiträume Februar, März und April 2020 auf Antrag verzugszinsenfrei gestundet werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass diese Beiträge wegen der Coronavirus‑Pandemie aus Gründen der Unternehmensliquidität nicht entrichtet werden können.
(3) In den Kalendermonaten März, April und Mai 2020 sind
1. bereits fällige Beiträge abweichend von § 64 nicht einzutreiben;
2. keine Insolvenzanträge nach der Insolvenzordnung (§ 65) wegen der Nichtentrichtung bereits fälliger Beiträge zu stellen.
(4) In den Kalendermonaten März, April und Mai 2020 sind abweichend von § 114 Abs. 1 Z 2 bis 6 keine Säumniszuschläge vorzuschreiben.
(5) Für Unternehmungen nach Abs. 1 sind für die Beitragszeiträume Februar, März und April 2020 die von den Dienstgeber/inne/n zu entrichtenden Beiträge nach dem Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz (BMSVG), BGBl. I Nr 100/2002, oder nach den Landarbeitsordnungen, in Vorarlberg nach dem Land- und Forstarbeitsgesetz, verzugszinsenfrei zu stunden. Für nicht von Abs. 1 erfasste Unternehmungen können die von den Dienstgeber/inne/n zu entrichtenden Beiträge im Sinne des ersten Satzes verzugszinsenfrei gestundet werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass diese Beiträge wegen der Coronavirus-Pandemie aus Gründen der Unternehmensliquidität nicht entrichtet werden können.
[…]
(7) Die nach den Abs 1, 2 und 5 gestundeten verzugszinsenfreien Beiträge sind spätestens am 15. Jänner 2021 einzuzahlen. Wird glaubhaft gemacht, dass diese Beiträge teilweise oder zur Gänze wegen der Coronavirus‑Pandemie aus Gründen der Unternehmensliquidität zu diesem Zeitpunkt nicht entrichtet werden können, so sind die noch nicht entrichteten Beiträge auf Antrag in elf gleichen Teilen vom Dienstgeber jeweils zum 15. eines Monats beginnend mit Februar 2021 verzugszinsenfrei einzuzahlen. Die Dreitagesfrist nach § 59 Abs 1 findet jeweils Anwendung.
(8) Für Beiträge für die Beitragszeiträume Mai bis Dezember 2020 können dem Dienstgeber auf Antrag bis zu drei Monaten Stundungen und bis längstens Dezember 2021 Ratenzahlungen gewährt werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass diese Beiträge wegen der Coronavirus‑Pandemie aus Gründen der Unternehmensliquidität nicht entrichtet werden können.
(9) Die Absätze 7 und 8 gelten nicht für Beiträge, für die der Dienstgeber aufgrund von Kurzarbeit, Freistellung nach § 735 oder Absonderung nach § 7 des Epidemiegesetzes 1950 einen Anspruch auf Beihilfe, Erstattung oder Vergütung durch den Bund oder das Arbeitsmarktservice hat. Diese Beiträge sind verzugszinsenfrei bis zum 15. des auf die Beihilfen‑, Erstattungs‑ oder Vergütungsauszahlung zweitfolgenden Kalendermonats einzuzahlen. Die Dreitagesfrist nach § 59 Abs 1 findet Anwendung.
[...]
(11) Für die Stundungs‑, sowie die Teil‑ und Ratenzahlungszeiträume nach den Abs 7 und 8 wird vermutet, dass dem Krankenversicherungsträger zur Zeit der Beitragseinzahlung die Begünstigungsabsicht und die Zahlungsunfähigkeit des Dienstgebers nicht bekannt war oder bekannt sein musste.
[…]“
[23] 2.2 Das Bundesgesetz vom 8. Juli 2020, BGBl I 100/2020, kundgemacht am 10. September 2020, fügte dem § 733 Abs 12 ASVG einen – hier nicht relevanten – Satz hinzu.
[24] 2.3 Das 2. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2020, BGBl I 158/2020 (2. SVÄG 2020), beschlossen am 22. Dezember 2020, kundgemacht am 23. Dezember 2020, trat am 1. Jänner 2021 in Kraft. § 733 ASVG idF des 2. SVÄG lautete auszugsweise wie folgt:
„ [...]
(7) Die nach den Abs 1, 2 und 5 gestundeten verzugszinsenfreien Beiträge sind spätestens am 31. März 2021 einzuzahlen. Wird glaubhaft gemacht, dass diese Beiträge teilweise oder zur Gänze wegen der Coronavirus‑Pandemie aus Gründen der Unternehmensliquidität zu diesem Zeitpunkt nicht entrichtet werden können, so können für die noch nicht entrichteten Beiträge dem Dienstgeber auf Antrag angemessene Ratenzahlungen bis längstens30. Juni 2022gewährt werden. Die Dreitagesfrist nach § 59 Abs 1 findet jeweils Anwendung.
[...]
(8a) Die Beiträge, für die nach Abs 8 Stundungen und Ratenzahlungen gewährt wurden, sind abweichend von diesenbereits getroffenen Vereinbarungen spätestens am 31. März 2021 einzuzahlen. Wird glaubhaft gemacht, dass diese Beiträge teilweise oder zur Gänze wegen der Coronavirus‑Pandemie aus Gründen der Unternehmensliquidität zu diesem Zeitpunkt nicht entrichtet werden können, so können für die noch nicht entrichteten Beiträge dem Dienstgeber auf Antrag angemessene Ratenzahlungen bis längstens 30. Juni 2022 gewährt werden. Die Dreitagesfrist nach § 59 Abs 1 findet Anwendung. Es steht dem Dienstgeber frei, bislang nach Abs 8 gewährte Stundungen und Ratenvereinbarungen unverändert aufrecht zu belassen.
(8b) Für Beiträge für die Beitragszeiträume Jänner und Februar 2021 können dem Dienstgeber auf Antrag Stundungen bis zum 31. März 2021 gewährt werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass diese Beiträge wegen der Coronavirus‑Pandemie aus Gründen der Unternehmensliquidität nicht entrichtet werden können. Aus denselben Gründen können für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht entrichteten Beiträge für die genannten Beitragszeiträume dem Dienstgeber auf Antrag angemessene Ratenzahlungen bis längsten 30. Juni 2022 gewährt werden. Die Dreitagesfrist nach § 59 Abs 1 findet Anwendung.
(8c) Wurden im Zeitraum vom 1. April 2021 bis 30. Juni 2022 bereits 40 % der ursprünglichen Beitragsschuld beglichen, so können bis längstens 21. März 2024 unter folgenden Voraussetzungen Raten gewährt werden:
[...]
(11) Die während der Stundungs‑ sowie der Teil‑ und Ratenzahlungszeiträume nach den Abs 7 bis 8b geleisteten Zahlungen können weder nach der Insolvenzordnung, RGBl Nr 337/1914, noch nach der Anfechtungsordnung, RGBl Nr 337/1914, angefochten werden.“
[25] 2.4 Weitere Änderungen von § 733 ASVG (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2020, BGBl I 28/2021 – SVÄG 2020; BGBl I 357/2021) sowie das noch in Kraft stehende BGBl I 238/2021 betreffen ua hier nicht relevante Änderungen der Stundungs-, Teil- und Ratenzahlungszeiträume.
[26] 3. Auf den vorliegenden Fall ist § 733 Abs 11 ASVG idF BGBl I 158/2020 anzuwenden.
[27] 3.1 Verfahrensgesetze sind, sofern nicht ausdrücklich eine andere Regelung getroffen wurde, immer nach dem letzten Stand anzuwenden (RS0008733). Anders verhält es sich bei Änderungen der materiellen Rechtslage. Ordnet ein Gesetz keine Rückwirkung an, sind gemäß § 5 ABGB nur die nach seinem Inkrafttreten verwirklichten Sachverhalte nach dem neuen Gesetz zu beurteilen. Vorher verwirklichte Sachverhalte sind – ebenso wie vorher entstandene Rechte – weiterhin dem alten Gesetz zu unterwerfen (RS0008715). Die Wirkungen einer (materiellen) Gesetzesänderung umfassen, sofern der Gesetzgeber nicht etwas anderes verfügt oder der besondere Charakter einer zwingenden Norm deren rückwirkende Anordnung verlangt, keine Tatbestände, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes abschließend und endgültig verwirklicht wurden (RS0008715 [T5]).
[28] 3.2 Das materielle Recht regelt die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien, das Prozessrecht das Verfahren zur Erledigung der entstandenen Rechtsstreitigkeit. Nicht entscheidend ist, ob die betreffende Regelung in ein Verfahrensgesetz oder in ein dem materiellen Recht zuzuordnendes Gesetz aufgenommen wurde. So enthält die ZPO auch zivilrechtliche Anordnungen (zB in § 333 Abs 3, § 354 Abs 3, § 560 ZPO), das ABGB auch prozessrechtliche (zB § 931 ABGB). Maßgeblich ist vielmehr, ob die Norm die Abwicklung des gerichtlichen Verfahrens oder die dem Prozess zugrunde liegenden oder durch ihn ausgelösten Beziehungen zwischen den Verfahrensbeteiligten regelt (Konecny in Fasching/Konecny³ I[2013] Einl Rz 80, 80/1).
[29] 3.3 Der Anfechtungsanspruch ist ein Forderungsanspruch eigener Art. Sein Ziel ist nicht bloß die Wiederherstellung des Zustands der Masse vor der Rechtshandlung, sondern die Herstellung jenes Zustands, in dem sich die Masse befände, wenn die anfechtbare Rechtshandlung nicht vorgenommen worden wäre (RS0050372). Nach nunmehr einhelliger Rechtsprechung handelt es sich bei der Anfechtungsklage um eine Rechtsgestaltungsklage (vgl RS0064580 [T1 bis T3]; 3 Ob 14/17f).
[30] Die Anfechtungstatbestände der IO regeln nicht die Abwicklung des Verfahrens, sondern die diesem zugrunde liegenden Beziehungen der Verfahrensbeteiligten. Die Bestimmungen stellen damit materielles Recht dar. Gleiches gilt für die Einschränkung der Anfechtungsmöglichkeit bzw den Ausschluss des Anfechtungsrechts in den jeweiligen Fassungen von § 733 Abs 11 ASVG.
[31] 3.4 Der Anfechtungsanspruch entsteht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (RS0064617), nach anderer Ansicht mit der Verwirklichung des Anfechtungstatbestands, aber aufschiebend bedingt durch die Insolvenzeröffnung (Rebernig in Konecny, Insolvenzgesetze [2021] § 27 IO Rz 17). Ein näheres Eingehen auf die sich in ihren Konsequenzen nicht wesentlich unterscheidenden Ansichten erübrigt sich hier. Enthält eine gesetzliche Anspruchsgrundlage mehrere Tatbestandselemente, ist der Gesamttatbestand erst dann verwirklicht, wenn sämtliche Komponenten des Tatbestands erfüllt sind. Die für die Beurteilung eines Anspruchs maßgebliche Rechtslage bestimmt sich nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bei einer Gesetzesänderung auch dann nach dem Zeitpunkt der vollständigen Verwirklichung des Gesamttatbestands, wenn ein einzelnes Tatbestandselement bereits vor Inkrafttreten des geänderten Gesetzes erfüllt wurde (vgl 1 Ob 104/22h mwN). Das Insolvenzverfahren wurde am 27. Jänner 2021 eröffnet. Auch wenn daher im vorliegenden Fall die Zahlungen vor Inkrafttreten des 2. SVÄG (BGBl I 158/2020) geleistet wurden, hat sich der maßgebliche Gesamttatbestand erst mit Insolvenzeröffnung, also im Geltungsbereich des § 733 Abs 11 ASVG idF BGBl I 158/2020, abschließend verwirklicht.
[32] 4. Zu klären ist, ob § 733 Abs 11 ASVG idF BGBl I 158/2020 einen Anfechtungsausschluss für alle Zahlungen oder nur für die „Zahlungen nach den Abs 7–8b“ vorsieht, die während der Stundungs‑, Teil‑ und Ratenzahlungszeiträume geleistet wurden.
[33] 4.1 Die Auslegung von Gesetzen hat zunächst mit der Wortinterpretation zu beginnen, worunter die Erforschung des Wortsinns, der Bedeutung eines Ausdrucks oder eines Gesetzes nach dem Sprachgebrauch zu verstehen ist (RS0008896). Die Gesetzesauslegung darf aber nicht bei der Wortauslegung stehen bleiben (RS0008788 [T3]). Zu berücksichtigen sind auch der Zusammenhang der auszulegenden Worte und Sätze mit anderen Worten und Sätzen der betreffenden Gesamtregelung und ihre systematische Stellung (logische Auslegung; RS0008787), die – mit Vorsicht anzuwendende – historische Auslegung, die Feststellung des Willens des geschichtlichen Gesetzgebers an Hand der Gesetzesmaterialien (RS0008776) und letztlich die objektiv‑teleologische Interpretation, nämlich das Erfassen des Sinns einer Bestimmung unter Bedachtnahme auf den Zweck der Regelung, wobei der Auslegende die gesetzgeberische Regelung und die darin zum Ausdruck kommenden Wertmaßstäbe selbstständig weiter und zu Ende zu denken hat (RS0008836). Der äußerst mögliche Wortsinn steckt die Grenzen jeglicher Auslegung ab, der auch mit den sonstigen Interpretationsmethoden nicht überschritten werden darf (RS0008788 [T2]; RS0016495).
[34] 4.2 Die Wortinterpretation führt im vorliegenden Fall zu keinem eindeutigen Ergebnis, weil sich die Wortfolge „nach den Abs 7 bis 8b“ sprachlich ebenso auf die zuvor angeführten Zeiträume, wie auch auf die unter Abs 7–8b fallenden Zahlungen beziehen könnte.
[35] 4.3 Die Gesetzesmaterialien enthalten zu dieser Frage keine näheren Erläuterungen. Anlässlich der Einfügung des § 733 Abs 11 ASVG durch das 2. FORG (BGBl I 99/2020) findet sich im Abänderungsantrag zur Regierungsvorlage (110 AA–45 XXVII. GP 3) nur die Begründung, dass dem Krankenversicherungsträger „durch die Zahlungserleichterungen und der damit einhergehenden Zurückhaltung bei der Geltendmachung von Beitragsrückständen durch Betreibung in Exekutions‑ und Insolvenzverfahren [...] keine insolvenzrechtlichen Nachteile weder im Anfechtungsrecht (vgl §§ 30 Abs 1 Z 3 und 31 Abs 1 Z 3 IO) noch bei der Sicherung der Ansprüche durch den Insolvenz-Entgelt-Fond entstehen sollen“.
[36] 4.4 Auch in der Literatur wird hervorgehoben, dass dem Gesetz nicht klar zu entnehmen ist, ob seit dem 1. Jänner 2021 nur die Zahlungen auf unter § 733 Abs 7 bis 8b fallende Beiträge oder auch die während der genannten Zeiträume geleisteten laufenden Beiträge oder sogar während der genannten Zeiträume geleistete Zahlungen auf alte Zeiträume, also auf bis Jänner 2020 fällig gewordene Beiträge, von einer Anfechtung ausgeschlossen sind. Aus der Entstehungsgeschichte soll nach einer Meinung allerdings abzuleiten sein, dass sich die Passage „nach den Abs 7–8b“ entsprechend der Vorgängerbestimmung weiterhin nur auf die Zeiträume bezieht und es sich demnach um einen Anfechtungsausschluss für alle Zahlungen während dieser Zeiträume handelt (Derntl, COVID‑19: Einhebung von Beiträgen durch die ÖGK/2. SVÄG 2020 und ASVG‑Änderung BGBl I 2021/35, ZIK 2021/6, 6 [7 f]; diesem folgend Rebernig in Konecny, Insolvenzgesetze § 31 IO Rz 97; tendenziell ebenso Trenker in Resch, Corona‑HB1.06 Kap 14 [Stand 1. 7. 2021, rdb.at] Rz 28/1, der allerdings aus teleologischen Erwägungen für das gegenteilige Auslegungsergebnis eintritt).
[37] 4.5 Diese Auslegung ist jedoch nicht zwingend. Zwar können auch ohne entsprechende Äußerungen in den Materialien aus der Entstehungsgeschichte eines Gesetzes Schlüsse auf den Willen des Gesetzgebers gezogen werden. Dafür kommen vor allem jüngere Gesetze mit einer älteren Fassung sowie der Textvergleich des Gesetzes mit einem Entwurf bzw der Vergleich mehrerer chronologisch aufeinanderfolgender Entwürfe in Betracht (vgl Kodek in Rummel/Lukas ABGB4 [2015] § 6 ABGB Rz 94 mwN).
[38] In der Formulierung des § 733 Abs 11 ASVG idF des 2. FORG (gleichlautend mit jener in BGBl I 100/2020) war nun ein Hinweis auf die „geleisteten Zahlungen“ nicht enthalten. Dieser wurde erst im Zuge der Novellierung des § 733 Abs 11 ASVG eingefügt und die bis dahin geregelte Vermutung der Gutgläubigkeit des Krankenversicherungsträgers durch den nunmehrigen (generellen) Anfechtungsausschluss ersetzt. Daraus könnte zwar abgeleitet werden, dass sich die Wortfolge „nach den Abs 7 und 8“ sprachlich auf die Stundungs‑, Teil‑ und Ratenzahlungszeiträume bezog. Allerdings wurde gerade diese Fassung des § 733 Abs 11 ASVG im Hinblick auf die Bedeutung des darin geregelten Anfechtungsausschlusses als denkbar unbestimmt empfunden und führte in der Literatur zu diametralen Interpretationsergebnissen (vgl Derntl, ZIK 2021/6, 7 mwN). Die Neufassung des § 733 Abs 11 ASVG durch BGBl I 158/2020 lässt daher insgesamt auch den Schluss zu, dass der Gesetzgeber nicht nur einen – gegenüber der Vorgängerbestimmung umfassend erweiterten – generellen Anfechtungsausschluss vorsehen, sondern durch die Einfügung der Wortfolge „geleisteten Zahlungen“ auch regeln wollte, dass sich die Wortfolge „nach den Abs 7 bis 8b“ auf die während der Stundungs- sowie Teil- und Ratenzahlungszeiträume geleisteten Zahlungen nach § 733 Abs 7–8b ASVG bezieht.
[39] 4.6 Entscheidend sind bei dem hier vorliegenden, nicht eindeutigen Wortlaut mangels entsprechender eindeutiger Anhaltspunkte aus der Entstehungsgeschichte nach Auffassung des Fachsenats teleologische Argumente: Die Anfechtungstatbestände der §§ 28–31 IO sind der gesetzlich festgelegte Ausgleich zwischen den Interessen der Gläubigergemeinschaft und des Anfechtungsgegners. Bei den Gläubigertatbeständen (§§ 30, 31 Abs 1 Fall 1 IO) steht die spezifisch insolvenzrechtliche Zielsetzung einer Gleichbehandlung aller Gläubiger im Vordergrund (par conditio creditorum). Das ab diesem Zeitpunkt bestehende Ausfallsrisiko soll solidarisch und gleichmäßig auf alle Gläubiger verteilt werden (Rebernig in Konecny, Insolvenzgesetze § 27 IO Rz 6, 10 je mwN). Insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger gebietet eine Auslegung der anzuwendenden Fassung von § 733 Abs 11 ASVG idF BGBl I 158/2020 dahin, dass nur Zahlungen in Erfüllung von Stundungs‑, Teil‑ und Ratenzahlungsvereinbarungen nach dem Abs 7–8b anfechtungsfest gestellt werden. Eine völlige Immunisierung von der Anfechtung zu Lasten der sonstigen Insolvenzgläubiger etwa auch für Zahlungen von vor der COVID-19 Pandemie fällig gewordenen Beiträgen, selbst wenn sie in für die Beklagte erkannter Benachteiligungsabsicht geleistet wurden, kann mit den beitragsrechtlichen Erleichterungen im Zuge der COVID-19 Pandemie nicht gerechtfertigt werden. Erkennbarer Zweck des Anfechtungsausschlusses ist es, den Versicherungsträger vor Nachteilen zu bewahren, die er durch die von ihm gewährten beitragsrechtlichen Erleichterungen erleiden könnte. Er soll also nicht dadurch „bestraft“ werden, dass er Zahlungen, die er aufgrund von Stundungs‑, Teil‑ und Ratenzahlungsvereinbarungen erhielt, aufgrund erfolgreicher Anfechtung zurückerstatten muss. Für eine Privilegierung des Versicherungsträgers auch hinsichtlich Zahlungen, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit beitragsrechtlichen Erleichterungen stehen, ist hingegen kein sachlicher Grund erkennbar (vgl Trenker in Resch, Corona‑HB1.06 Kap 14 Rz 28/2).
[40] 4.7 Diesem Ergebnis steht auch die in diesem Verfahren am 18. Juni 2022 aufgrund eines Parteiantrags des Klägers auf Normenkontrolle ergangene Entscheidung des VfGH (G 344/2021) nicht entgegen: Abgesehen davon, dass die ordentlichen Gerichte an die Auslegung einer angefochtenen Norm durch den VfGH nicht gebunden sind (Musger in Fasching/Konecny IV/1³ [2019] § 528b ZPO Rz 54), hat der VfGH im Anlassfall die Behandlung des Normprüfungsantrags (nur) mit der Begründung abgelehnt, dass der Gesetzgeber den ihm zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht überschreite, wenn er als „Ausgleich“ für die in § 733 Abs 7–8b ASVG vorgesehenen Stundungen und Ratenzahlungsmöglichkeiten einen Ausschluss der insolvenzrechtlichen Anfechtung bestimmter Zahlungen an Sozialversicherungsträger vorsehe. Dieser sehr knappen Begründung ist gerade nicht zu entnehmen, dass der VfGH die angefochtene Norm im von der Beklagten gewünschten Sinn ausgelegt und das Ergebnis dieser Auslegung als verfassungskonform beurteilt hat. Vielmehr lässt der Hinweis auf einen „Ausgleich“ für Stundungen und Ratenzahlungsmöglichkeiten durch Ausschluss bestimmter Zahlungen von der Anfechtung auch den Schluss zu, die Privilegierung beträfe nach dem VfGH nur die in sachlichem Zusammenhang stehenden Zahlungen aufgrund beitragsrechtlicher Erleichterungen (aA offenbar Derntl, Der Anfechtungsausschluss des § 733 Abs 11 ASVG ist nicht verfassungswidrig, ZIK 2022/134, 122 ff).
[41] 4.8 Wie der mit dem COVID‑19 Steuermaßnahmengesetz (COVID‑19‑StMG BGBl I 3/2021) erlassene § 323e Abs 2 Z 5 BAO auszulegen ist, ist für die Entscheidung in diesem Verfahren nicht relevant. Das gilt auch für die Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung, nach denen der Anfechtungsausschluss auch „sonstige Zahlungen an die Abgabenbehörde“ (neu fällig werdende Abgabenbeiträge) umfassen soll (AB BR 10502 BGBl XXVII. GP ; vgl dazu Mittendorfer, Das COVID‑19‑Ratenzahlungsmodell und seine insolvenzrechtlichen Implikationen, AVR 2021, 82). Gesetzesmaterialien sind nur zur Auslegung des Gesetzes heranzuziehen, zu dessen Erläuterung sie verfasst wurden (Kodek in Rummel/Lukas ABGB4 [2015] § 6 ABGB Rz 101 mwN, RS0008771).
[42] 5. Daraus folgt zusammengefasst, dass der Anfechtungsausschluss des § 733 Abs 11 ASVG idF BGBl I 158/2020 nur für Zahlungen von Beiträgen gilt, die unter § 733 Abs 7–8b fallen. Auf Zahlungen von Rückständen bis einschließlich Jänner 2020 ist er ebensowenig anzuwenden wie auf Zahlungen, die Beiträge nach § 733 Abs 9 ASVG betrafen.
[43] 5.1 Die Zahlung von 5.017,47 EUR vom 27. Oktober 2021 betraf (gesetzlich) gestundete Beiträge und wurde im Stundungszeitraum geleistet. Ihre Anfechtung ist daher – ohne Hinzutreten weiterer Voraussetzungen – vom Anfechtungsausschluss umfasst. Die Abweisung des Klagebegehrens in diesem Umfang war daher zu bestätigen.
[44] 5.2 Hinsichtlich der Anfechtung der Zahlungen von insgesamt 34.764,84 EUR (7.091,87 EUR und 10.465,12 EUR vom 12. Oktober 2020; 14.000 EUR vom 14. Oktober 2020; 3.207,85 EUR vom 27. Oktober 2020) stellte das Erstgericht zwar fest, dass diese Zahlungen von der Schuldnerin in Kenntnis ihrer bereits vorliegenden oder zumindest drohenden eigenen Zahlungsunfähigkeit bzw Überschuldung an die Beklagte geleistet wurden, um eine Abweisung des Konkursantrags vom 27. August 2020 zu erreichen, wobei sie eine Bevorzugung der Beklagten ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand sowie, dass es der Beklagten bewusst war, dass diese Zahlungen geleistet wurden, um sie zu begünstigen. Unabhängig davon, dass das Berufungsgericht die Mängel- und Beweisrüge der Beklagten zu diesen Feststellungen nicht behandelte, war mit der Aufhebung des Urteils des Erstgerichts und der Rückverweisung der Rechtssache an dieses vorzugehen, weil selbst die bisher getroffenen Feststellungen nicht ausreichen, um das Vorliegen der geltend gemachten Anfechtungstatbestände zu beurteilen.
[45] Zum Einen fehlen Feststellungen zu den objektiven Voraussetzungen der geltend gemachten Anfechtungstatbestände des § 30 Abs 1 Z 1 und 3 IO (Anfechtung wegen Begünstigung) und § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall IO (Anfechtung wegen Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit). So traf das Erstgericht keine Feststellungen, ob und wann die vom Kläger behauptete – und vom Erstgericht offenbar auch – angenommene materielle Insolvenz eingetreten ist. Zum anderen wurden auch keine für die Beurteilung des nach § 31 Abs 1 Z 2 erster Fall IO erforderlichen Kenntnisstandes der Beklagten maßgeblichen Feststellungen getroffen. Jegliche Feststellungen fehlen auch zu den Voraussetzungen des § 28 Z 2 IO (Anfechtung wegen Benachteiligungsabsicht).
[46] 6. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.
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