OGH 15Os95/21s

OGH15Os95/21s26.1.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Jänner 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen * A* wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft sowie die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 19. Februar 2021, GZ 41 Hv 152/20i‑26, weiters gegen die (implizite) Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Erteilung von Weisungen nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00095.21S.0126.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde des Angeklagten werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * A* – abweichend von der auf das Verbrechen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Abs 2 (iVm Abs 1 Z 2 zweiter Fall) StGB gerichteten Anklage – des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (I./) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 1. Mai 2019 in M* – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz – * G* am Körper verletzt, indem er ihn in den „Schwitzkasten“ nahm und ihm zwei Schläge mit einem Whiskeyglas ins Gesicht versetzte, wobei er den zweiten Schlag mit einem abgebrochenen Glas ausführte, wodurch * G* eine Schädelprellung im rechten Stirnbereich, eine Rissquetschwunde im Stirnbereich und eine Rissquetschwunde im Gesicht erlitt, wobei die Tat eine auffallende Verunstaltung des * G* in Form einer zum Teil wulstartigen, ca acht Zentimeter langen Narbe im Bereich der rechten Schläfe und eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit zur Folge hatte (I./).

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die eine Beurteilung des Tatgeschehens zu I./ als ein Verbrechen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach § 85 Abs 2 (iVm Abs 1 Z 2 zweiter Fall) StGB anstrebt. Sie verfehlt ihr Ziel.

[4] Nach dem Urteilssachverhalt (US 4 f, 8) erlitt G* durch die Schläge des Angeklagten eine Schädelprellung im rechten Stirnbereich und zwei Rissquetschwunden (im Stirnbereich und rechtsseitig im Gesicht). Dies erforderte eine Wundversorgung mit Einzelkopfnähten in lokaler Betäubung mit eintägigem stationären Spitalsaufenthalt zur Observanz und zog eine Berufsunfähigkeit für einen Monat nach sich. Gerafft litt G* vier bis fünf Tage an leichten Schmerzen und bis zumindest 19. Februar 2021 an einer anhaltenden Sensibilitätsstörung im Narbenbereich.

[5] Im Bereich der rechten Schläfe besteht seitdem eine zum Teil wulstartige ca acht Zentimeter lange Narbe. Im Zeitpunkt des Ersturteils zeigte sich die Narbe zwar verbreitert, aber abblassend, im unteren Teil war die Stelle breit und deutlich gerötet. Zudem verlief die Narbe hakenförmig, weshalb das umschlossene Hautareal polsterartig auffällig hervortrat. Die Reifung der Narbe war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Ohne weitere Behandlung ist von einer dauerhaften ästhetischen Beeinträchtigung auszugehen, weil die Narbe ungefähr gleich breit bleiben und auch der polsterartige Anteil verbleiben wird. Lediglich die Rötung wird verschwinden und die Narbe dadurch unauffälliger werden.

[6] Die Breite der Narbe und die polsterartige Auftreibung können mit großer Wahrscheinlichkeit und zeitnah durch einen (kosmetischen) Korrektureingriff in lokaler Betäubung derart verbessert werden, dass nur mehr eine feine Linie verbleibt und damit die Auffälligkeit der ästhetischen Beeinträchtigung beseitigt werden kann. Die Operationszeit für einen solchen (kosmetischen) Eingriff beträgt 30 Minuten, der daran anschließende Schmerzmittelbedarf erstreckt sich auf drei Tage. Der Fadenzug erfolgt bereits eine Woche nach einem solchen Eingriff. Weitere Kontrollen sind nach sechs Wochen, zwölf Wochen und einem und zwei Jahren erforderlich. Ein derartiger (kosmetischer) Eingriff ist risikoarm, eine allenfalls nötige Nachkorrektur würde gleichfalls ein geringes Risiko mit sich bringen. Die Korrektur der Narbe ist bereits möglich und von G* auch gewünscht und beabsichtigt. Die Kosten derartiger Eingriffe deckt üblicherweise die Pflichtversicherung.

[7] Das Wesen der Subsumtionsrüge besteht darin, anhand methodischer Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565, RS0116569) darzulegen, dass der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt (RIS‑Justiz RS0099810) eine von der bekämpften Entscheidung abweichende rechtliche Beurteilung verlange, wobei die angestrebte Subsumtion ausdrücklich zu bezeichnen ist (RIS‑Justiz RS0118415 [T3]).

[8] Diesen Erfordernissen wird die Nichtigkeitsbeschwerde nicht gerecht. Indem sie – unter Bezugnahme auf eine Kommentarstelle (vgl Leukauf/Steininger/Nimmervoll/Stricker,StGB4 Update 2020 § 85 Rz 4) – darauf verweist, dass „strittig [sei], inwieweit Maßnahmen, die nach Abschluss der ärztlichen Heilbehandlung und des Heilungsprozesses gesetzt werden (wie vor allem kosmetische Operationen), beachtlich“ seien, betont, das Erstgericht habe das Vorliegen einer schweren Dauerfolge iSd § 85 Abs 1 StGB unter Berufung auf eine Kommentierung von Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 85 Rz 23 (Stand 5. 1. 2018, rdb.at) verneint, und meint, „eine gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der im gegenständlichen Fall zu stellenden Frage einer Verbrechensqualifikation“ liege nicht vor, legt sie nicht dar, weshalb die erstrichterlichen Konstatierungen zu den Folgen der Tat und deren zu erwartender Dauer (US 4 f, 8) die rechtliche Annahme einer schweren Dauerfolge iSd § 85 Abs 1 Z 2 (zweiter Fall) StGB und solcherart eine Subsumtion unter § 85 Abs 2 iVm Abs 1 Z 2 (zweiter Fall) StGB tragen sollten.

[9] Im Übrigen sei angemerkt, dass die Annahme einer schweren Dauerfolge iSd § 85 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB die Herbeiführung einer auffallenden Verunstaltung (vgl zu Narben im Gesicht: Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 85 Rz 12 [Stand 1. 4. 2021, rdb.at]; Kienapfel/Schroll StudB BT I⁴ § 85 Rz 10; RIS‑Justiz RS0031167) für immer oder für lange Zeit voraussetzt:

[10] „Für immer“ bedeutet auf Lebenszeit des Verletzten. Die alternativ geforderte „lange Zeit“ ist durch einen Zeitraum als erfüllt anzusehen, der von der durchschnittlich zu erwartenden weiteren Lebensdauer des Opfers einen wesentlichen Teil einnimmt (RIS‑Justiz RS0092616; Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 85 Rz 18 mwN; Leukauf/Steininger/Nimmervoll/Stricker,StGB4 Update 2020 § 85 Rz 2). Die dabei anzustellende Prognose, dass die auffallende Verunstaltung – wenn auch nicht mit an Sicherheit grenzender, so doch – mit großer Wahrscheinlichkeit lange Zeit andauern wird, hat auf Basis des neuesten Stands der Medizin (unter Berücksichtigung der Behandlungsmöglichkeiten) zum Zeitpunkt des Urteils der letzten Tatsacheninstanz zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0092616 [T2]; Burgstaller/Schütz in WK² StGB4 § 85 Rz 19 mwN; Kienapfel/Schroll,StudB BT Ⅰ⁴ § 85 Rz 5).

[11] Mit Blick auf dieses Dauererfordernis ist demnach die in Rede stehende Qualifikation nicht erfüllt, wenn im Urteilszeitpunkt die auffallende Verunstaltung (aufgrund erfolgter ärztlicher Heilbehandlung oder eines operativen Eingriffs) bereits wieder beseitigt ist oder aber mit großer Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden kann, dass sie im Zuge des Heilungsprozesses oder der weiteren Behandlung in absehbarer, jedenfalls nicht langer Zeit beseitigt sein wird (vgl Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 85 Rz 21 ff; Leukauf/Steininger/Nimmervoll/Stricker,StGB4 Update 2020 § 85 Rz 3; Kienapfel/Schroll StudB BT I⁴ § 85 Rz 11; Messner, SbgK § 85 Rz 40 f). Im Rahmen dieser vom Gericht zu treffenden Prognose können daher auch konkrete– wie hier (vgl US 5) – vom Verletzten bereits in Aussicht genommene kosmetische Operationen Berücksichtigung finden, wenn sie – wie im vorliegenden Fall – unter Abwägung von Erfolgschancen, Risiken, zu erwartenden Schmerzen und Kosten für das Opfer zumutbar sind.

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[13] Die Berufung der Staatsanwaltschaft war ebenfalls zurückzuweisen (§ 296 Abs 2 iVm § 294 Abs 4 StPO), weil weder der Anmeldung (ON 25 S 11) noch der Rechtsmittelschrift (ON 31) eine Festlegung über die Richtung der Sanktionsanfechtung entnommen werden kann (RIS‑Justiz RS0100560; Ratz, WK‑StPO § 295 Rz 7).

[14] Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten (zu ON 27 vgl RIS‑Justiz RS0100304) und dessen (implizite) Beschwerde gegen den zugleich ergangenen – irrig in die Urteilsausfertigung aufgenommenen (RIS‑Justiz RS0120887 [T3]) – Beschluss auf Erteilung von Weisungen obliegt dem Oberlandesgericht (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[15] Eine Kostenentscheidung hatte mit Blick auf die Erfolglosigkeit der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zu entfallen (§ 390a Abs 1 erster Satz StPO).

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