European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00091.15V.0728.000
Spruch:
Heinrich S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Gründe:
Das Landesgericht Linz verhängte mit Beschluss vom 24. April 2015 über Heinrich S***** die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Fluchtgefahr und der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO, nachdem er aufgrund eines Europäischen Haftbefehls von Ungarn an Österreich übergeben worden war.
Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Linz den Beschwerden des Beschuldigten gegen die Festsetzung einer Kaution gemäß § 180 Abs 1 und Abs 2 StPO mit 2.000 Euro mit Beschluss vom 22. Mai 2015 sowie auf Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 StPO mit Beschluss vom 28. Mai 2015 durch das Landesgericht Linz keine Folge und ordnete die Fortsetzung der Haft aus dem bezeichneten Haftgrund an.
Dabei erachtete es Heinrich S***** dringend verdächtig, er habe
„I. seine frühere Lebensgefährtin Marion St***** vorsätzlich am Körper verletzt bzw an der Gesundheit geschädigt, und zwar
a) im Zeitraum zwischen Februar 2008 bis 12. Juli 2008 in W***** und A***** in mehreren Angriffen jeweils durch Versetzen mehrerer Schläge in das Gesicht in Form von Rötungen und einer Wunde an der Lippe;
b) am 12. Juli 2008 in W***** durch zahlreiche Schläge in das Gesicht in Form von Nasenbluten, einer Schwellung des Gesichtes und der Nase, einer Verletzung an der Lippe und einer Prellung im Bereich der rechten Augenhöhle;
II. durch die unter Faktum I.b. genannten Schläge eine fremde Sache der Marion St*****, und zwar ihre Brille im Wert von 300 Euro beschädigt;
III. am 12. Juli 2008 nach dem unter Faktum I.b. genannten Vorfall durch die Äußerung, sie solle froh sein, dass sie noch leben würde, das nächste Mal erschlage er sie und vergrabe sie hinterm Bach, Marion St***** gefährlich mit dem Tode bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;
IV. Marion St***** durch genannte gefährliche Drohungen zu nachstehenden Handlungen zu nötigen versucht bzw genötigt, und zwar:
a) Anfang Juli 2008 durch die Äußerung, er werde sie umbringen bzw sie erschlagen, wenn sie die Beziehung zu ihm beenden sollte, sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod, zur Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft;
b) im Juni 2008 durch die wiederholten Äußerungen 'er werde sie umbringen, erschlagen oder ihr das Auto kaputt schlagen', sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tod und mit einer Verletzung am Vermögen, zur Unterfertigung eines Vertrages, mit dem der von Marion St***** erworbene Liegenschaftsbesitz (samt Haus) in *****, gegen bestimmte Bedingungen an Heinrich S***** überlassen wird;
V. am 20. Oktober 2008 in W***** durch Vorlage einer für Heinrich S***** am 23. Juni 2008 ausschließlich für grundbücherliche Angelegenheiten ausgestellten Vollmacht in Kopie beim Gemeindeamt W***** und Unterfertigung des Meldezettels in Vertretung der Liegenschaftseigentümerin Marion St***** bewirkt, dass gutgläubig die polizeiliche Anmeldung des Mircet Se***** in *****, sohin ein Recht, ein Rechtsverhältnis oder eine Tatsache, in einem Meldezettel der Gemeinde W*****, mithin in einer inländischen öffentlichen Urkunde, unrichtig beurkundet wurde, wobei er mit dem Vorsatz gehandelt habe, dass die Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis des genannten Rechtes, des Rechtsverhältnisses oder der Tatsache gebraucht werde“.
In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht die Verdachtslage den Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB, den Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall, 15 StGB sowie dem Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach § 228 Abs 1 StGB.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen gerichteten Grundrechtsbeschwerde des (zwischenzeitig bereits enthafteten; ON 1 S 79) Beschuldigten kommt keine Berechtigung zu.
Insoweit sich die Grundrechtsbeschwerde gegen den dringenden Tatverdacht wendet, ist ihr schon mangels Erschöpfung des Instanzenzugs ein Erfolg zu versagen, wurde jener doch in der Beschwerde (ON 111a) gegen die erstinstanzlichen Beschlüsse keiner Anfechtung unterzogen (RIS‑Justiz RS0114487 [T3]).
Der Beschwerdeführer verfehlt den gesetzlichen Bezugspunkt, indem er auf die Beschwerden (ON 111a) gegen die der Entscheidung des Oberlandesgerichts zugrundeliegenden erstinstanzlichen Beschlüsse verweist, anstatt sich mit der Argumentation des Oberlandesgerichts in der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0110146 [T22]).
Das gilt auch für den Verweis der Grundrechtsbeschwerde auf eine vom Angeklagten selbst verfasste, beim Landesgericht Linz am 9. Juni 2015 eingegangene Eingabe (ON 116), zumal der angefochtene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 11. Juni 2015 datiert.
Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerde-verfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde liegenden bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS‑Justiz RS0117806).
Vorliegend gründete das Beschwerdegericht die Fluchtgefahr darauf, dass der Angeklagte seit 22. Oktober 2009 in Kenntnis des gegen ihn geführten Strafverfahrens war und sich diesem seither vehement entzog (BS 4). Indem der Beschwerdeführer behauptet, sich dem Strafverfahren nie entzogen zu haben und auf ‑ vom Oberlandesgericht ohnehin berücksichtigte ‑ Schreiben an das Landesgericht Linz verweist, vermag er eine willkürliche Annahme des Haftgrundes nicht aufzuzeigen.
Von einer Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft kann auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich der Angeklagte bereits ab 19. Februar 2015 in Ungarn in Übergabehaft befand, mit Blick auf den nach den Annahmen des Beschwerdegerichts in Betracht kommenden Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe nicht die Rede sein. Ob die zu erwartende Strafe (teil‑)bedingt nachgesehen werden könnte, ist ‑ der Beschwerde zuwider ‑ für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit ohne Bedeutung (RIS‑Justiz RS0091237 [T12, T15]).
Mit dem bloßen Hinweis, es kämen gelindere Mittel „wie die Anzeige jeden Wechsels des Aufenthalts oder sich in bestimmten Zeitabständen regelmäßig bei der Polizei oder bei Gericht zu melden in Betracht“, zeigt der Beschuldigte nicht auf, worin dem Beschwerdegericht, das die Substituierbarkeit der Haft verneinte (BS 5), ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (RIS‑Justiz RS0116422 [T1]).
Die bloße Behauptung einer Verletzung des Beschleunigungsgebots, weil die Hauptverhandlung erst für 1. Juli 2015 anberaumt wurde, obwohl das Ermittlungsverfahren seit Jahren abgeschlossen wäre und der Beschuldigte sich seit 19. Februar 2015 in Haft befunden habe, wird dem Begründungsgebot des § 3 Abs 1 Satz 1 GRBG nicht gerecht, sodass sich die Beschwerde diesbezüglich einer meritorischen Erledigung entzieht (RIS‑Justiz RS0120790 [T1]), zumal sie auch vernachlässigt, dass zur Vorbereitung der Hautverhandlung noch ein aktuelles psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt werden musste.
Die Grundrechtsbeschwerde behauptet weiters Rechtswidrigkeit der Untersuchungshaft wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität, weil im der Übergabe durch Ungarn zugrundeliegenden Europäischen Haftbefehl eine „persönliche Vorladung am 20. 07. 2011“, welche angeblich nicht aktenkundig sei, angeführt wird und überdies der Einzelrichter des Landesgerichts Linz mit Beschluss vom 12. Mai 2015 einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychologie bestellt und diesen mit der Erstattung eines Befundes und eines Gutachtens zu den Voraussetzungen des § 21 Abs 2 StGB beim Beschuldigten beauftragt hat (ON 99). Auch diesbezüglich fehlt es an der Voraussetzung der Erschöpfung des Instanzenzugs (§ 1 Abs 1 GRBG), weil der Angeklagte ein derartiges Vorbringen in seiner Beschwerde an das Oberlandesgericht (ON 111a) nicht erstattet hat. Im Übrigen ist das Beschwerdevorbringen mit Blick auf § 31 Abs 1 EU‑JZG nicht nachvollziehbar.
Heinrich S***** wurde daher im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt. Die Grundrechtsbeschwerde war demnach ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
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