European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00085.24Z.1009.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Schlepperei/FPG
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurück-gewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Den Angeklagten * A*, * K*, * T*, * Al* und * Al‑S* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier relevant – * A* und * Al-S* jeweils der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und 3, Abs 4 erster Fall FPG (A./I./a./2./, A./I./a./4./ und 5./i./), * K* des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (A./I./b./), des Verbrechens der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB (C./I./), des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (C./II./) sowie der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (C./III./), * T* des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und 3, Abs 4 erster Fall FPG (A./I./a./5./ii./) und * Al* des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2 und 3, Abs 4 erster Fall FPG (A./I./a./5./ii./) sowie des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (D./) schuldig erkannt.
[2] Danach haben – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung –
A./ A*, K*, T*, Al* und Al‑S* die rechtswidrige Einreise oder Durchreise von Fremden, nämlich Drittstaatsangehörigen ohne gültige Einreise- oder Aufenthaltserlaubnis für die Europäische Union (US 16 f und US 29 f), in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz gefördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern,
I./ wobei sie die Taten nach § 114 Abs 1 FPG jeweils als Mitglied einer – aus ihnen selbst und weiteren bekannten und unbekannten Tätern bestehenden – kriminellen Vereinigung sowie in Bezug auf jeweils mindestens drei Fremde begingen, und zwar
a./ auf eine Art und Weise, durch die die Fremden während der Beförderung längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden, indem diese ohne ausreichende Verpflegung und Wasser, ohne Frischluft und zum Teil ohne Toilettenmöglichkeiten mehrere Stunden auf der Ladefläche eines Kastenwagens ausharren mussten,
2./ A*
i./ am 19. August 2023, indem er 17 Fremde in einem Kastenwagen von Ungarn nach K* in Österreich beförderte;
ii./ am 20. August 2023, indem er 22 Fremde in einem Kastenwagen von Ungarn nach E* in Österreich beförderte;
4./ Al‑S* am 15. September 2023, indem er im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit * Ab* als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) bei einer von * Z* durchgeführten Schleppung von 30 Fremden in einem Kastenwagen von Ungarn nach G* in Österreich als Begleitfahrer agierte, um diesen vor Polizeikontrollen zu warnen und ihm die aktuelle Schlepperroute mitzuteilen;
5./ Al‑S* und Ab* sowie T* und Al* am 4. Oktober 2023 jeweils im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB), indem sie bei einer von einem unbekannten Täter durchgeführten Schleppung von 13 Fremden in einem Kastenwagen von Ungarn nach Österreich als Vorausfahrer patroullierten, um diesen vor Polizeikontrollen zu warnen, nämlich
i./ Al‑S* und Ab* im Bezirk O* und
ii./ T* und Al* im Bereich E*;
b./ K* am 26. August 2023, indem sie im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit * B* (§ 12 erster Fall StGB) elf Fremde, die von unbekannten Tätern von Ungarn in den Bereich P* gebracht worden waren, in einem Kastenwagen zum Zweck der Einreise nach Deutschland durch Österreich beförderte, wobei sie nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei vor dem Grenzübertritt angehalten wurde;
C./ K* am 26. August 2023 in S* und anderen Orten
I./ anders als durch eine der in den §§ 169, 171 und 173 StGB mit Strafe bedrohten Handlungen vorsätzlich eine Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) einer größeren Zahl von Menschen herbeigeführt, indem sie während der zu A./I./b./ beschriebenen Schlepperfahrt auf der Flucht vor der Polizei mit weit überhöhter Geschwindigkeit die Lenkung des Schlepperfahrzeugs von B* übernahm, die Fahrt mit weit überhöhter Geschwindigkeit fortsetzte, Verkehrsregeln missachtete und versuchte, die sie verfolgenden Einsatzfahrzeuge der Polizei abzudrängen, wobei die überholten Verkehrsteilnehmer, die Polizeibeamten und die auf der Ladefläche ungesichert beförderten Fremden und damit mehr als zehn Personen in Ansehung der mit den verkehrsbedingten gefährlichen Fahrmanövern regelmäßig verbundenen „kinetischen Energiebedingungen“ einer massiv erhöhten Unfall‑ und damit verbundenen Verletzungsgefahr ausgesetzt waren und es sodann auch tatsächlich zu einem Auffahrunfall kam;
II./ durch die zu C./I./ beschriebene Tat im Urteil namentlich angeführte Polizeibeamte an einer Amtshandlung, nämlich der Feststellung ihrer Identität, der Abwehr eines gefährlichen Angriffs und ihrer Festnahme zu hindern versucht;
III./ durch die zu C./I./ beschriebene Tat im Urteil namentlich angeführte Polizeibeamte, die jeweils ein Schleudertrauma und zum Teil auch Hämatome erlitten, während oder wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben oder der Erfüllung ihrer Pflichten am Körper verletzt;
D./ Al* am 4. Oktober 2023 in H* eine falsche Urkunde, nämlich einen gefälschten Führerschein der Vereinigten Arabischen Emirate, im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich seiner Berechtigung zum Lenken eines Kraftfahrzeugs, gebraucht, indem er sich mit diesem gegenüber einem Polizeibeamten auswies.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich die von A* auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO, von K* auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO, von Al* auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO und von T* und Al‑S* jeweils auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden, denen keine Berechtigung zukommt.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A*:
[4] Dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) zuwider ist die Ableitung der Konstatierungen zum Bestehen einer kriminellen Vereinigung, zur Tatbegehung als Mitglied einer solchen sowie zum diesbezüglichen Vorsatz aus den stets im selben modus operandi durchgeführten Schlepperfahrten, der länderübergreifenden Rekrutierung von Fahrern, der Einrichtung von WhatsApp-Kontaktgruppen, der Kommunikation über Live‑Standorte, der Beteiligung von Voraus- und Absicherungsfahrzeugen (US 33 f) in Zusammenschau mit der Aufnahme des Angeklagten A* in eine WhatsApp‑Gruppe sowie dem Zur-Verfügung-Stellen des Schlepperfahrzeuges (US 21 und 38) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116732).
[5] Das Vorbringen der Tatsachenrüge (Z 5a), es würden keine Beweisergebnisse für das Bestehen einer kriminellen Vereinigung und zur Tatbegehung als Mitglied einer solchen vorliegen, verfehlt die gesetzmäßige Darstellung des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes (RIS‑Justiz RS0128874).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten K*:
[6] Durch die mit – unbekämpft gebliebenem – Beschluss vom 16. April 2024 (ON 328) nach Urteilszustellung erfolgte Berichtigung der Entscheidungsgründe der schriftlichen Urteilsausfertigung (vgl dazu § 270 Abs 3 StPO; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 51) ist klargestellt, dass die Tatrichter von einem anzuwendenden Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren ausgingen, sodass der dies bestreitenden Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) der Boden entzogen ist.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten T*:
[7] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10, nominell auch Z 9 lit a) Rechtsfehler mangels Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Ansehung der Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (§ 114 Abs 4 erster Fall FPG), in Bezug auf mindestens drei Fremde (§ 114 Abs 3 Z 2 FPG) sowie auf eine Art und Weise, durch die die Fremden während der Beförderung längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden (§ 114 Abs 3 Z 3 FPG), geltend macht und zu letzterem darauf bezogene Negativfeststellungen begehrt, die jedoch dazu getroffenen Urteilskonstatierungen (US 17 f und 32) vernachlässigt, verfehlt sie den im festgestellten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt materiell‑rechtlicher Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).
[8] Weshalb in Bezug auf die Verwirklichung des Tatbestands nach § 114 Abs 1 FPG – entgegen dem Gesetzeswortlaut – Absichtlichkeit (§ 5 Abs 2 StGB) erforderlich sein sollte, wird nicht aus einem Vergleich mit dem Gesetz abgeleitet (Z 9 lit a; Tipold in WK2 FPG § 114 Rz 11 f, vgl zur prozessordnungskonformen Ausführung einer Rechtsrüge RIS‑Justiz RS0116565).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Al*:
[9] Entgegen der eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) reklamierenden Rüge widerspricht die Ableitung der Feststellungen zur Urkundenfälschung aus den Deponaten des Angeklagten Al* in seiner kriminalpolizeilichen Vernehmung (ON 37.13 S 4), den Angaben des Zeugen * M* in der Hauptverhandlung sowie dem kriminaltechnischen Untersuchungsbericht (ON 206.3), wohingegen die Tatrichter – von der Rüge übergangen – den seiner bisherigen Darstellung zuwiderlaufenden Angaben des Angeklagten Al* in der Hauptverhandlung am 7. Februar 2024 (ON 283 S 23 f) die Glaubwürdigkeit versagten (US 48), nicht den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen (RIS‑Justiz RS0116732).
[10] Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) wird nur durch eine erheblich unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln begründet. Erheblichkeit ist gegeben, wenn sich die Abweichung auf die Feststellung entscheidender Tatsachen auswirkt (RIS‑Justiz RS0099408).
[11] Bei der von der Rüge ins Treffen geführten, im Urteil wiedergegebenen (US 48) Aussage des Angeklagten Al* in der Hauptverhandlung am 7. Februar 2024 über den Erwerb eines Internationalen Führerscheins (ON 283 S 23) handelt es sich um keine entscheidende Tatsache, weil sich der Beschwerdeführer nach den getroffenen Urteilsannahmen „am 4. Oktober 2023 […] mit einem total gefälschten Führerschein der Vereinigten Arabischen Emirate“ auswies (US 7, 32), hingegen das weitere Vorzeigen eines Internationalen Führerscheins anlässlich seiner Identitätsfeststellung (ON 62.2 S 2) nicht inkriminiert wurde.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Al‑S*:
[12] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10, nominell auch Z 9 lit a) das Fehlen von Feststellungen zur Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (§ 114 Abs 4 erster Fall FPG) sowie zur subjektiven Tatseite in Ansehung der Tatbegehung auf eine Art und Weise, durch die die Fremden während der Beförderung längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden (§ 114 Abs 3 Z 3 FPG), behauptet, übergeht sie prozessordnungswidrig (vgl RIS‑Justiz RS0099810) die dazu getroffenen Urteilskonstatierungen (US 17 f und 32). Zudem leitet die Beschwerde nicht methodengerecht aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565) ab, weshalb in Bezug auf die Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung Feststellungen zur Dauer der Beteiligung an einer solchen sowie zur Begehung fortlaufend strafbarer Handlungen erforderlich sein sollten (Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 36; RIS‑Justiz RS0125249 [T1, T4]).
[13] Indem die Subsumtionsrüge (Z 10) weiters unter Hinweis auf die Rolle des Angeklagten Al‑S* (bloß) als Begleitfahrer den Vorsatz zur Tatbegehung auf eine Art und Weise, durch die die Fremden während der Beförderung längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurden, bestreitet und darauf bezogene Negativfeststellungen verlangt, geht sie nicht vom Urteilssachverhalt (US 32) aus und verfehlt solcherart erneut die prozessordnungsgemäße Darstellung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit.
[14] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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