OGH 15Os83/12p

OGH15Os83/12p10.7.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juli 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Angrosch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ali A***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB, AZ 112 Hv 82/12t des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Ali A***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 30. Mai 2012, AZ 20 Bs 210/12x (ON 32), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2012:0150OS00083.12P.0710.000

 

Spruch:

Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 25. April 2012 (ON 8) wurde über Ali A***** aus dem Grund des § 173 Abs 2 Z 3 lit b, c und d StPO iVm § 484 Abs 1 (§ 210 Abs 3) StPO die Untersuchungshaft verhängt. Die Hauptverhandlung wurde für 22. Mai 2012 angeordnet. Mit Beschluss vom 9. Mai 2012 (ON 15) setzte die Einzelrichterin die Untersuchungshaft aus dem selben Haftgrund (nunmehr allerdings § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO) fort.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 30. Mai 2012, AZ 20 Bs 210/12x (ON 32), gab das Oberlandesgericht Wien der gegen den Fortsetzungsbeschluss der Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien erhobenen Beschwerde des Ali A***** (ON 17) nicht Folge; das Beschwerdegericht bejahte das Vorliegen der Haftvoraussetzungen des § 173 StPO, setzte jedoch zufolge der zwischenzeitigen Enthaftung am 22. Mai 2012 (s ON 23 S 19 und ON 27 S 3) die Haft nicht fort.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht gerichtete Grundrechtsbeschwerde ist unzulässig:

Ein nach §§ 1 Abs 1, 2 Abs 1 GRBG fassbarer Beschwerdegegenstand setzt eine strafgerichtlich angeordnete Freiheitsentziehung voraus (13 Os 88/08b, 14 Os 157/09h). Aus Anlass einer die Freiheitsbeschränkung beendenden Entscheidung oder Verfügung kann Grundrechtsbeschwerde mit der Behauptung erhoben werden, dass die Entscheidung oder Verfügung zu spät getroffen worden sei (§ 2 Abs 2 GRBG).

Grundsätzlich misst der Oberste Gerichtshof mit Blick auf den ‑ die Einhaltung aller die Haft betreffenden, vom Gericht zu beachtenden Vorschriften umfassenden ‑ Prozessgegenstand von Haftbeschwerden auch einer nach Wegfall der Untersuchungshaft prüfenden Haftentscheidung des Oberlandesgerichts Grundrechtsbedeutung bei, sofern sich der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt ‑ wenn auch nicht mehr in Untersuchungshaft, so doch weiterhin ‑ in Haft befindet (etwa in Strafhaft zufolge § 173 Abs 4 StPO) oder nach rechtskräftiger Verurteilung), in welchem Fall § 2 Abs 2 GRBG nicht zur Anwendung gelangen könnte (14 Os 157/09h; Kier in WK 2 GRBG § 1 Rz 10 f).

Weil Haft zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht mehr vorlag, ist die dagegen gerichtete Grundrechtsbeschwerde unter dem Aspekt der §§ 1 Abs 1, 2 Abs 1 GRBG unzulässig (14 Os 157/09h; vgl RIS‑Justiz RS0115525).

Soweit die vorliegende Grundrechtsbeschwerde behauptet, die die Freiheitsbeschränkung beendende Entscheidung der Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien sei zu spät getroffen worden (§ 2 Abs 2 GRBG), erweist sie sich jedenfalls als verspätet, weil der Beschluss auf Enthaftung des Angeklagten am 22. Mai 2012 verkündet wurde (ON 23 S 19), die Grundrechtsbeschwerde aber erst am 14. Juni 2012 bei Gericht einlangte (§ 4 Abs 1 GRBG). Es spielt dabei auch keine Rolle, dass der Enthaftungsbeschluss bis dato nicht ausgefertigt wurde (s Kier in WK 2 GRBG § 4 Rz 4; vgl auch Kirchbacher/Rami , WK‑StPO § 176 Rz 10).

Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich im Übrigen veranlasst festzuhalten, dass der Beschwerdeführer die gebotene Bezugnahme auf die Argumentation des Oberlandesgerichts verfehlt und weder Begründungsmängel (iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO) darlegt noch nach Maßgabe deutlich und bestimmt bezeichneter Aktenteile beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken (iSd § 281 Abs 1 Z 5a StPO) zu wecken vermag (RIS‑Justiz RS0110146).

Die den Erwägungen des Oberlandesgerichts bloß gegenübergestellte, dessen vorläufige Beweiswürdigung bestreitende Argumentation, die sich auf das Alter der unmündigen Zeugen und deren Identifizierung des Beschwerdeführers bezieht, legt weder einen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren relevanten Mangel iSd § 281 Abs 1 Z 5a StPO dar noch ruft sie qualifizierte Bedenken in obigem Sinn hervor.

Das Oberlandesgericht Wien gründete nämlich den zum Gegenstand seiner eigenen Überzeugung gemachten dringenden Tatverdacht (RIS‑Justiz RS0122394; Kirchbacher/Rami , WK‑StPO § 173 Rz 3) auf die polizeilichen Erhebungen (ON 3) und setzte sich mit den Aussagen der unmündigen (daher im Übrigen jedenfalls unter Beiziehung der gesetzlichen Vertreter zu vernehmenden) Zeugen ebenso eingehend auseinander wie mit der Verantwortung des Angeklagten (ON 32 S 2 ‑ 4).

Die rechtliche Annahme einer der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren durfte das Oberlandesgericht aus den in dessen Beschluss angeführten bestimmten Tatsachen ableiten, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung ‑ die der Beschwerdeführer übrigens bloß, aber ohne Argumentation, bekämpft ‑ als willkürlich bzw unvertretbar angesehen werden müsste (RIS‑Justiz RS0117806).

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