OGH 15Os60/23x

OGH15Os60/23x30.8.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. August 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Eschenbacher in der Strafsache gegen * E* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 16. Jänner 2023, GZ 22 Hv 35/22w‑42, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, der Verteidigerin des Angeklagten, Mag. Schauer, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00060.23X.0830.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben und die Sache insoweit an das Landesgericht Linz zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

Die Berufung des Angeklagten gegen den Ausspruch über die Schuld wird zurückgewiesen.

Mit ihren Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * E* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 29. Jänner 2022 in P* * B* mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er gegen ihren Widerstand gewaltsam ihre Hose samt Unterhose nach unten zog und zumindest einen Finger in ihre Vagina einführte, während er sie mit der anderen Hand durch Aufstützen auf ihren Rücken nach unten drückte, sodass sie sich nicht aufrichten konnte und schließlich das Bewusstsein verlor.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Urteil richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – teilweise Berechtigung zukommt.

[4] Die von der Beschwerde (Z 5 vierter Fall) als offenbar unzureichend begründet kritisierte Annahme der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit des Opfers stellt als beweiswürdigende Erwägung keinen zulässigen Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes dar. Denn der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher ist einer Anfechtung mit Mängelrüge entzogen (RIS‑Justiz RS0099455 [T14]). Die Kritik, die Tatrichter hätten bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung keine eigene Beweiswürdigung angestellt, sondern sich bloß die diesbezüglichen Ausführungen der Sachverständigen zu eigen gemacht, nimmt im Übrigen nicht Maß an der Gesamtheit der erstgerichtlichen Erwägungen (vgl aber RIS-Justiz RS0119370). Diese verweisen nämlich – vom Beschwerdeführer übergangen – auf die „äußerst glaubhaften Angaben“ der Zeugin B*, die sichtlich bemüht gewesen sei, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten (US 10). Diesen selbst gewonnenen persönlichen Eindruck (RIS-Justiz RS0106588 [T14]) erachteten die Tatrichter als im Einklang mit den Ausführungen der Sachverständigen Mag. G* stehend (US 10, 14). Das gegen die Erwägungen des Erstgerichts zur Glaubwürdigkeit der genannten Zeugin (US 10 ff) gerichtete Vorbringen beschränkt sich demnach auf eine Beweiswürdigungskritik nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (§ 283 Abs 1 StPO; RIS-Justiz RS0099419).

[5] Der Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) verkennt, dass diese nur dann vorliegt, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS-Justiz RS0099431). Ein solches Fehlzitat behauptet die eine „vollständige Betrachtung“ der Angaben der Zeugin * R* zu deren Enttäuschung über das Opfer (US 13) einfordernde Rüge nicht.

[6] Die Tatsachenrüge (Z 5a) soll nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern (RIS‑Justiz RS0118780). Indem der Beschwerdeführer jedoch schlicht die Glaubwürdigkeit der Angaben des Opfers auf Basis einer eigenständigen Bewertung der Tatmodalitäten und vom Schöffensenat ohnehin gewürdigter Aussagen der Zeugen R* und F* verbunden mit Kritik am aussagepsychologischen Sachverständigengutachten sowie unter Verweis auf das Fehlen von DNA-Spuren des Angeklagten auf einem vom Opfer beim Vorfall getragenen Gürtel in Zweifel zieht, vermag er keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken.

[7] Zutreffend ist jedoch die Kritik der Sanktionsrüge (Z 11) an der erstgerichtlichen Begründung, wonach eine bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe „gesetzlich nicht möglich“ sei (US 18). Die bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe nach § 43a Abs 2 bis Abs 4 StGB ist nämlich auch bei einer wegen Vergewaltigung (§ 201 Abs 1 StGB) verhängten Freiheitsstrafe nicht von vornherein ausgeschlossen (Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 43 Rz 14/1; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 43 Rz 10).

[8] Demgemäß war in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene Urteil im Strafausspruch aufzuheben und die Sache an das Landesgericht Linz zur Strafneubemessung zu verweisen. Eines Eingehens auf das weitere Vorbringen der Sanktionsrüge bedurfte es daher nicht.

[9] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

[10] Die vom Angeklagten erhobene Berufung wegen Schuld (ON 41 S 18) war, weil eine solche im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehen ist, als unzulässig zurückzuweisen (§ 283 Abs 1 StPO).

[11] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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