OGH 15Os60/12f

OGH15Os60/12f27.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, Dr. Bachner-Foregger, Dr. Oshidari und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Marvan als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung des Samvel O***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 5. März 2012, GZ 12 Hv 119/11x-65, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Samvel O***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er in Wien unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad („paranoide Schizophrenie“; US 5) beruht,

1.) am 15. August 2011 versucht hat, einen Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern, nämlich den Polizeibeamten Bernd S***** an der Beendigung eines gefährlichen Angriffs (§ 33 SPG), indem er dem Genannten einen Stoß mit der flachen Hand gegen die Brust gab;

2.) am 24. August 2011 Andreas P***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt hat, indem er ihm zumindest drei Faustschläge in das Gesicht und mehrere gezielte Fußtritte gegen den Kopf versetzte, wodurch P***** Brüche des linken Augenhöhlenbodens, der linken seitlichen Augenhöhlenwand mit Sprengung der Knochennaht, Brüche der vorderen und seitlichen Wand der Kieferhöhle, des Nasenbeins und des Nasenbeinfortsatzes des Oberkiefers beidseits, des linken Oberkiefers im Bereich des unteren Nasenganges sowie des linken Jochbeins, ein Hämatom am linken Auge und multiple Abschürfungen im Gesichtsbereich, somit eine an sich schwere Verletzung mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit erlitt,

sohin Taten begangen hat, die ihm außerhalb dieses Zustands als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (1.) und als Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (2.) zuzurechnen gewesen wären.

Dagegen richtet sich die auf Z 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel wendet sich gegen die Gefährlichkeitsprognose und macht eine „rechtsfehlerhafte Bewertung der Prognosekriterien“ geltend, weil „die Verfassung des Betroffenen im Urteilszeitpunkt zu wenig beurteilt wurde“, zumal ein Widerspruch zwischen dem psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 1. Dezember 2011 (ON 49) und einem später erstellten Patientenbrief (Beilage zum Hauptverhandlungsprotokoll ON 61) vorliege.

Werden die gesetzlichen Kriterien für die Gefährlichkeitsprognose verkannt oder die Prognosetat verfehlt als solche mit schweren Folgen beurteilt, kommt grundsätzlich eine Anfechtung nach Z 11 zweiter Fall des § 281 Abs 1 StPO in Betracht. Der Sanktionsausspruch ist dann nichtig, wenn im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose eine der in § 21 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt wird, oder die Feststellungsgrundlage die Ableitung der schweren Folgen als willkürlich erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0118581, RS0113980, RS0090341). Die zur Gefährlichkeitsprognose getroffenen Sachverhaltsannahmen hingegen können aus Z 11 zweiter Fall (iVm Z 5 des § 281 Abs 1 StPO) nicht bekämpft werden.

Das bloß auf die Begründung der erstgerichtlichen Konstatierungen zur Gefährlichkeit bezogene, andere, für den Betroffenen günstigere Feststellungen wünschende Vorbringen der Sanktionsrüge macht keine solche rechtsfehlerhafte Bewertung der Prognosekriterien im obigen Sinn geltend, sondern stellt sich als im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde unbeachtliches Berufungsvorbringen dar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 715 ff).

Im Übrigen bezieht das von der psychiatrischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung am 5. März 2012 mündlich erstattete Gutachten den (zu diesem Zeitpunkt) aktuellen Zustand des Betroffenen mit ein (ON 64 S 75 ff). Mit dem Patientenbrief der behandelnden Ärztin der Justizanstalt haben sich die Tatrichter ausdrücklich auseinandergesetzt (US 13).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Da die Nichtigkeitsbeschwerde auf Z 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützt wurde, waren die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über die somit implizit ergriffene Berufung zuzumitteln (§ 290 Abs 1 letzter Satz, § 285i StPO).

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