European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00047.21G.0610.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten I***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant, wurde mit dem angefochtenen Urteil Z***** I***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 5. Juli 2020 in A***** P***** W***** absichtlich schwer am Körper verletzt, indem er ihn mit Faustschlägen zu Boden streckte und mit den Füßen auf seinen Kopfbereich eintrat, wodurch dieser eine Gehirnerschütterung, mehrere Knochenbrüche im Kieferbereich sowie multiple Abschürfungen und Hämatome erlitt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 5 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten I*****, der keine Berechtigung zukommt.
[4] Die auf eine Verletzung des § 427 StPO gestützte Verfahrensrüge (Z 3) versagt, weil ein Abwesenheitsverfahren nicht stattgefunden hat. Vielmehr wurde zu Beginn der für den Angeklagten M***** M***** und den Beschwerdeführer anberaumten Hauptverhandlung das Strafverfahren gegen Letzteren – als Folge seines Nichterscheinens bei Aufruf der Sache – ausgeschieden und nach dem verspäteten Erscheinen desselben wieder in das gegen den Angeklagten M***** geführte Verfahren einbezogen (ON 24 S 3, 10), wodurch die Hauptverhandlung für ihn erst mit der Befragung zu seinen persönlichen Verhältnissen begonnen hat (vgl Danek/Mann, WK-StPO § 239 Rz 6). Dieses Vorgehen stellt – der Beschwerde zuwider – keine Umgehung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 427 StPO (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 246) dar, weil sich die (gegen M***** abgehaltene) Hauptverhandlung bis zur Einbeziehung des gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahrens nicht auf ihn bezogen hat. Da er somit während der gesamten gegen ihn geführten Verhandlung anwesend war, geht der Verweis auf den Rechtssatz RIS-Justiz RS0116271 ins Leere.
[5] Dass der Beschwerdeführer durch die – nach der Verfahrensausscheidung in seiner Abwesenheit erfolgte –Durchführung der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten M***** dessen Aussage nicht hören, insbesondere seine Angaben nicht auf die Aussage des Mitangeklagten „abstimmen“ konnte, begründet ebenso wenig Nichtigkeit wie der Umstand, dass auf die (temporäre) Verfahrensausscheidung in der Urteilsausfertigung nicht Bezug genommen wurde.
[6] Mit der Behauptung, es wäre „allenfalls“ die ausdrückliche Belehrung der Schöffen „nötig gewesen“, dass bei der Urteilsfällung gegen den Beschwerdeführer die Aussage des Angeklagten M***** nicht berücksichtigt werden darf, wobei Derartiges im Protokoll nicht festgehalten sei, wird kein Nichtigkeitsgrund zur Darstellung gebracht.
[7] In diesem Zusammenhang vernachlässigt die Beschwerde (auch im Rahmen der Z 5 vierter Fall geltend gemacht), dass die (mit den Aussagen in der Hauptverhandlung – soweit überhaupt erheblich – im wesentlichen gleichlautenden) polizeilichen Angaben des Angeklagten M***** zur Alkoholisierung des Angeklagten I***** (ON 2 S 27) durch den gemäß § 252 Abs 2a StPO erfolgten einverständlichen Vortrag des Akts (ON 24 S 35) in das gegen den Angeklagten I***** geführte Verfahren Eingang gefunden haben, Zurechnungsunfähigkeit des Genannten nicht in Rede steht, und bloß für die Strafzumessung relevante Umstände keine entscheidenden Tatsachen darstellen (RIS‑Justiz RS0099497).
[8] Dem Einwand von Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) zuwider stellte das Schöffengericht – nach Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof für sämtliche Urteilsadressaten zweifelsfrei (RIS-Justiz RS0117995 [T3]) – fest (US 5), dass die Verletzungen des Opfers durch das Umstoßen desselben und die gegen es gerichteten Faustschläge und Fußtritte durch den Angeklagten entstanden sind. Diese Annahmen stützte das Gericht unmissverständlich auf das Gutachten des medizinischen Sachverständigen (US 7), sodass mit der bloßen Kritik an der Urteilspassage (US 7 f), der Sachverständige habe „auch theoretisch“ ausgeführt, „indem evtl auch durch den Sturz die Brüche entstanden seien könnten“, kein Begründungsmangel aufgezeigt wird.
[9] Entgegen der weiteren Rüge (gemeint: Z 5 vierter Fall) ist der als „Scheinbegründung“ kritisierte Schluss vom objektiven Geschehensablauf und der allgemeinen Lebenserfahrung auf die Absicht des Angeklagten, das Opfer schwer zu verletzen (US 8), unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116882). Durch die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird kein aus Z 5 beachtlicher Mangel geltend gemacht (RIS‑Justiz RS0102162).
[10] Soweit in diesem Zusammenhang behauptet wird (der Sache nach Z 8), das Stoßen des Opfers von dessen Fahrrad wäre von der Anklage nicht umfasst, genügt der Hinweis, dass Prozessgegenstand stets der angeklagte Lebenssachverhalt (somit das im Tenor und in der Begründung der Anklage umschriebene Verhalten des Angeklagten) ist, das gegenständlich auch ein Stoßen vom Fahrrad umfasst (vgl die Anklageschrift ON 6 S 3; zum prozessualen Tatbegriff siehe RIS-Justiz RS0102147; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 502 ff).
[11] Bei der Strafbemessung führten die Tatrichter aus, dass es „immer wieder“ zu massiven und rücksichtslosen Übergriffen gegen die körperliche Integrität anderer wegen Verletzungen der Ehre oder Beleidigungen von Familienangehörigen komme, es aber nicht angehe, diese mit Gewalt zu sühnen, weil eine solche Interpretation von Selbstjustiz mit der geltenden Rechtsordnung und dem geltenden Rechtsverständnis nicht vereinbar sei (US 9).
[12] Mit dem Einwand (Z 11 zweiter Fall), das Schöffengericht hätte diese generalpräventiven Überlegungen (vgl dazu RIS-Justiz RS0090600, RS0090592 [T1]) nicht anstellen dürfen, weil der Tatbestand des § 87 Abs 1 StGB einen massiven Übergriff gegen die körperliche Integrität als Tathandlung voraussetze (vgl dazu aber RIS-Justiz RS0090977), wird ein rechtsfehlerhafter Strafausspruch nicht aufgezeigt. Ein Verstoß gegen das von der Beschwerde angesprochene Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) liegt nämlich nur vor, wenn bei der Strafbemessung Umstände berücksichtigt werden, die bereits die Strafdrohung (im Sinn von Strafsatz, vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 711) bestimmen (RIS-Justiz RS0130193), was auf die generalpräventiven Erwägungen des Schöffengerichts nicht zutrifft.
[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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