OGH 15Os31/14v

OGH15Os31/14v23.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Attila K***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 23. Oktober 2013, GZ 21 Hv 7/13i-78, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Attila K***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB idF BGBl I 2004/15 (richtig [wegen der unveränderten Strafdrohung in Abs 2; vgl RIS‑Justiz RS0119085; Höpfel/U. Kathrein in WK2 StGB § 61 Rz 14 und 20]: idgF BGBl I 2013/116) schuldig erkannt.

Danach hat er am 17. November 2012 in Sch***** Viktoria S***** mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung dadurch genötigt, dass er sie abpasste, ihr den Mund zuhielt, sie am Körper packte, ihr die Hose und Unterhose hinunter zog und gegen ihren Willen mit Gewalt zumindest einen Finger in ihre Scheide einführte und diesen (US 4 und 13: mehrmals hin und her) bewegte, wobei die Tat bei der Genannten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung nach sich zog.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags des Angeklagten auf ergänzende Befragung der Zeugin S***** „zu den allfälligen Verletzungsfolgen“ (ON 77 S 9 iVm ON 62) dessen Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Eine ergänzende Vernehmung vor dem erkennenden Gericht erachtet der Beschwerdeführer deshalb für geboten, weil er im Hinblick auf die erst in der Hauptverhandlung erfolgte Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Klärung der Ursachen und des Ausmaßes der seelischen Leiden der Viktoria S***** (ON 66; ON 77 S 5 ff), auf dessen Basis eine „Ausdehnung“ (gemeint: Modifikation [vgl §§ 262 f und 267 StPO; Lewisch, WK-StPO § 262 Rz 1, 3, 22 ff, 30 und 45; § 263 Rz 11 und 23 f; § 267 Rz 1]; RIS-Justiz RS0098617; RS0098537) der Anklage (ON 51) auf die Qualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB (ON 77 S 8) erfolgt ist, keine Möglichkeit hatte, die Belastungszeugin zu den näheren Umständen der vom Sachverständigen diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung zu befragen.

Grundsätzlich ist eine Antragstellung auf ausnahmsweise ergänzende Vernehmung eines gemäß § 156 Abs 1 Z 2 StPO von der Aussage befreiten Belastungszeugen in Abwägung des im Schutz des Zeugen gelegenen Beweismittelverbots (Art 8 MRK) gegen das Verteidigungsinteresse (Art 6 Abs 3 lit d MRK) nach Maßgabe im Antrag darzulegender erheblich geänderter Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der kontradiktorischen Vernehmung nicht ausgeschlossen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 233; RIS-Justiz RS0128501).

Der hier zu beurteilende Beweisantrag ließ jedoch nicht erkennen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme (unmittelbare Befragung der Zeugin zu den angelasteten Tatfolgen) das behauptete Ergebnis (nämlich „dass die Privatbeteiligte […] unter keinen schwer wiegenden psychischen Folgen des Vorfalls vom 17. November 2012 leidet […] bzw dass diese dem Angeklagten […] nicht zuzurechnen“ sind [s ON 62 S 4]) erwarten lasse, zumal er nicht aufzeigte, welche anderen - nicht ohnehin vom Sachverständigen auf Grund der bereits außerhalb der Hauptverhandlung erfolgten Befundaufnahme (§ 127 Abs 2 StPO) und Erörterung seines Gutachtens in der Hauptverhandlung (§§ 248 Abs 3, 249 Abs 1 StPO; ON 77 S 5 ff) und darauf basierend auch im Urteil (US 4 f, 16 f) mitberücksichtigten - Umstände (der inkriminierte Vorfall vom 17. November 2012, die vorbestehende Persönlichkeitsstruktur, ein Selbstmordversuch im Juni 2012, ein Schwangerschaftsabbruch Ende Jänner 2013, die Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe erst ab Mai 2013, das Bestehen einer problematischen Partnerbeziehung bis Sommer 2013) eine posttraumatische Belastungsstörung in der diagnostizierten konkreten Ausgestaltung und Entwicklung auslösen hätten können (vgl ON 77 S 7 ff). Solcherart zielte der Beweisantrag auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330).

Im Übrigen reicht Mitkausalität des vorgeworfenen Verhaltens für die eingetretenen (schweren) Verletzungsfolgen für deren strafrechtliche Zurechnung aus (RIS-Justiz RS0091997) und kommt bei einem nachträglichen Fehlverhalten des Verletzten ein Ausschluss dieser Zurechnung mangels Risikozusammenhangs nur dann in Betracht, wenn das Opfer ein Folgeverhalten an den Tag gelegt hat, das für jeden vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betreffenden unter den gegebenen Umständen schlechthin unbegreiflich ist, und wenn ohne dieses Folgeverhalten des Opfers die schwere Tatfolge mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten wäre (RIS-Justiz RS0089147). Im Hinblick auf die - den Standpunkt des Angeklagten ausdrücklich berücksichtigenden (ON 77 S 5 ff) - Ausführungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung (§§ 248 Abs 3, 249 Abs 1 StPO), wonach die Schwere der Symptomatik bei einer posttraumatischen Belastungsstörung typischerweise erst mit einer zeitlichen Latenz auftritt und die verzögerte Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe ein geradezu typisches Phänomen der Entwicklung einer solchen darstellt (ON 77 S 7 f), legte der Beweisantrag auch nicht ausreichend dar, weshalb bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs durch die begehrte Beweisaufnahme eine erfolgversprechende Bereicherung der zur Wahrheitsfindung führenden Prämissen zu erwarten gewesen wäre (vgl RIS-Justiz RS0107445; RS0116987).

Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist ausschließlich der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts einschließlich prozessualer Verfolgungsvoraussetzungen mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen. Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist zur Geltendmachung eines aus Z 10 gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz hätte abgeleitet werden sollen (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581).

Indem der Beschwerdeführer bloß behauptet, Viktoria S***** habe durch ihr Verhalten das Entstehen der konstatierten posttraumatischen Belastungsstörung „erheblich und zum eigenen Nachteil beeinflusst, und zwar in einem Maße, dass dies dem Beschwerdeführer nicht mehr zugerechnet werden“ könne (Z 10), wird er den vorangeführten Kriterien nicht gerecht, lässt er doch zunächst die eindeutigen Konstatierungen der Tatrichter außer Acht, wonach diese schwere ‑ mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbundene ‑ Körperverletzung gerade durch die ihm angelastete Vergewaltigung und nicht durch andere Ereignisse herbeigeführt wurde (US 4 f, 12 und 16 f). Weiters macht er nicht klar, weshalb das Folgeverhalten des Opfers (Inanspruchnahme einer Therapie erst im Mai 2013; US 5) im Sinn der bereits dargelegten Kriterien unbegreiflich sein und deshalb im vorliegenden Fall den Risikozusammenhang ausschließen soll. Da die Rüge den Urteilsannahmen unter Hinweis auf einzelne - wie bereits zur Verfahrensrüge dargelegt, von den Tatrichtern in ihren Erwägungen berücksichtigte (vgl RIS-Justiz RS0118580; RS0099730; RS0099707) - Verfahrensergebnisse eigene Erwägungen gegenüberstellt, erweist sie sich der Sache nach als Bekämpfung der Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 451).

Die eine rechtliche Beurteilung der Tat als geschlechtliche Nötigung nach § 202 StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) vermeint, nicht jede Penetration dürfe als dem Beischlaf gleichwertig qualifiziert werden, weil sonst der Tatbestand des § 202 StGB „erheblich ausgehöhlt“ würde; die höchstgerichtliche Judikatur, die bereits das einmalige Einführen des Fingers unabhängig von Dauer und Tiefe für die Vollendung der Vergewaltigung genügen lasse, solle „überdacht“ werden. Fallaktuell habe das Erstgericht nicht festgestellt, wie tief der Beschwerdeführer mit seinem Finger in die Scheide der Viktoria S***** eingedrungen sei und „welche zeitliche Komponente mit dieser Handlung verbunden“ gewesen sei; auf Grund des festgestellten Geschehensablaufs sei davon auszugehen, dass die inkriminierte „Berührung“ kaum mehr Zeit als ein paar Sekunden („eben so lange, wie es dauert, den Finger einige Male hin- und herzubewegen“) in Anspruch genommen habe.

Mit dieser Argumentation leitet die Subsumtionsrüge (Z 10) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116565; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 588), aus welchem Grund die konkret konstatierte Tathandlung (mit Gewalt erzwungenes, gezieltes Einführen eines Fingers in die und mehrmaliges Hin- und Herbewegen desselben in der Scheide der Genannten [US 4, 13, 16]), die im Übrigen erst wegen des zufälligen Vorbeikommens des Zeugen Sch***** abgebrochen wurde (US 4), nicht eine ‑ gemessen an der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen sowie insbesondere auch der Intensität der Inanspruchnahme der Sexualsphäre des Opfers ‑ dem sozialen Bedeutungsgehalt des Beischlafs gleichzusetzende geschlechtliche Handlung darstellen soll (vgl Philipp in WK² § 201 Rz 23 ff; Kienapfel/Schmoller, BT III Vorbem §§ 201 ff RN 48; Hinterhofer SbgK § 201 Rz 47; RIS-Justiz RS0095004, RS0095025, RS0094905, RS0095211).

Soweit der Nichtigkeitswerber (nominell aus Z 10, inhaltlich Z 11 zweiter Fall [RIS-Justiz RS0122137; vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398, 645]) weiters vorbringt, es gäbe „immerhin auch noch die Möglichkeit, derartige Tathandlungen unter dem Aspekt des Versuches (§ 15 StGB) zu sehen“, orientiert er sich gleichfalls nicht an den eindeutigen Konstatierungen des Erstgerichts (US 4, 13, 16; vgl RIS-Justiz RS0095004; Philipp in WK² § 201 Rz 23 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 258i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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