OGH 15Os20/16d

OGH15Os20/16d13.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Strafsache gegen Robert C***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 2. September 2015, GZ 630 Hv 2/15f‑26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Robert C***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./) und Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er zu nicht mehr feststellbaren Zeiten zwischen Mitte 2013 und Anfang 2015 in S*****

I./ in mehreren Angriffen an der am 22. Mai 2003 geborenen E***** S***** außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er ihre Scheide oberhalb der Kleidung mehrere Minuten lang streichelte;

II./ in drei Angriffen vor der zu I./ genannten Unmündigen Handlungen vorgenommen, die geeignet sind, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen und zu befriedigen, indem er vor S***** bis zum Samenerguss onanierte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf „Durchführung eines Lokalaugenscheins“ (ersichtlich gemeint: am Wohnort des Angeklagten) zum Beweis, „dass aufgrund der baulichen Gegebenheit der Angeklagte jederzeit damit rechnen musste, dass dritte Personen seine Kontakte mit der Minderjährigen E***** S***** wahrnehmen“ (ON 25 S 38 iVm ON 18 S 45), Verteidigungsrechte nicht geschmälert. Denn das Beweisthema betraf keinen für die Lösung der Schuld‑ oder Subsumtionsfrage erheblichen Umstand (RIS‑Justiz RS0116503, Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 321), schließt doch die Gefahr von Wahrnehmungen durch dritte Personen die Tatbegehung nicht aus.

Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) und Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) reklamiert die Mängelrüge mit der Behauptung, das Erstgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass die Zeugin S***** bei ihrer kontradiktorischen Vernehmung über Aufforderung, an ihrem Körper zu zeigen, wo der Angeklagte sie berührt habe, ihre Hände lediglich auf den Bauch gelegt habe. Indem sich der Beschwerdeführer dabei nur auf seine Wahrnehmungen bei nochmaliger Ansicht des (in der Hauptverhandlung vorgeführten [ON 18 S 43]) Videos über die kontradiktorische Zeugenvernehmung, nicht aber auf im dazu erstellten Vernehmungs‑ oder im Hauptverhandlungsprotokoll festgehaltene Umstände stützt, verfehlt er den Bezugspunkt der geltend gemachten Nichtigkeit (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 469). Unter dem Aspekt einerseits unvollständiger Berücksichtigung und andererseits unrichtiger oder unvollständiger Wiedergabe des Inhalts der (in der Hauptverhandlung vorgekommenen [§ 258 Abs 1 erster Satz StPO]) Zeugenaussage wäre es Sache des Beschwerdeführers gewesen, von seinem Recht nach § 271 Abs 1 zweiter Satz StPO Gebrauch zu machen und die Protokollierung der Gesten der Zeugin zu verlangen (vgl Danek, WK‑StPO § 271 Rz 6 und 17 f), zumal der Inhalt einer Ton‑ und Bildaufnahme (hier: über die kontradiktorische Vernehmung der Zeugin) dem Obersten Gerichtshof nur insoweit zugänglich wird, als er im Hauptverhandlungsprotokoll oder in einer schriftlichen Zusammenfassung nach § 97 Abs 2 StPO (oder in einem über die Vernehmung angefertigten Protokoll nach § 96 StPO) Niederschlag findet (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 469).

Den Befund der Psychologin Mag. M***** hat das Schöffengericht ‑ der Beschwerde (Z 5 zweiter und fünfter Fall) zuwider ‑ bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung berücksichtigt (US 12). Indem die Beschwerde aus dem Beweisergebnis von der Meinung des Schöffengerichts abweichende Schlüsse zieht, zeigt sie (auch) keine erheblich unrichtige Wiedergabe des Inhalts eines Beweismittels in den Entscheidungsgründen auf, sondern greift in unzulässiger Form die Beweiswürdigung an.

Die Kritik (Z 5 vierter Fall) an der im Urteil zusätzlich (vgl aber RIS‑Justiz RS0098226 und Danek/Mann , WK‑StPO § 238 Rz 10) festgehaltenen Argumentation für die Abweisung des Antrags auf „Durchführung eines Lokalaugenscheins“ bezieht sich nicht auf eine Begründung für (entscheidende Tatsachen betreffende) Feststellungen (RIS‑Justiz RS0108609).

Keine Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) sondern bloß (in unzulässiger Weise geübte) Beweiswürdigungskritik gelangt mit den Erwägungen zur Darstellung, das Erstgericht habe die Erklärungsversuche des Angeklagten über den SMS‑Verkehr mit S***** zu Unrecht als „hanebüchen und völlig lebensfremd“ gewertet, weil der Angeklagte bei seiner Vernehmung vor der Polizei alkoholisiert gewesen sei und „erfahrungsgemäß polizeiliche Einvernahmen niemals mit jener Genauigkeit ablaufen“ wie Vernehmungen in der Hauptverhandlung. Gleiches gilt für den Hinweis auf die ‑ auch keine entscheidende Tatsache betreffenden ‑ Angaben der Zeugin Elisabeth G***** über ein von ihr gespieltes Spiel. Im Übrigen hat sich das Erstgericht ausführlich mit den an S***** gerichteten SMS‑Nachrichten auseinandergesetzt und die Verantwortung des Angeklagten als „unglaubwürdige Schutzbehauptung“ gewertet (US 19 ff), sodass es unter dem (ebenfalls angesprochenen) Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ‑ mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) ‑ nicht verhalten war, sich mit den von der Beschwerde herausgegriffenen Details der Aussage des Angeklagten zu befassen (RIS‑Justiz RS0098642).

Indem die Rüge die Begründung der Tatrichter, warum S***** ihre Besuche im Haus des Angeklagten trotz der konstatierten Vorfälle fortgesetzt hat (US 10), als „völlig unzureichend“ kritisiert und auf das Schweigen des Opfers gegenüber seinen Eltern sowie die häufige Anwesenheit anderer (ahnungsloser) Familienmitglieder im Wohnhaus des Angeklagten hinweist, bekämpft sie abermals die Beweiswürdigung nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Keinen Begründungsmangel im Sinn der Z 5 zweiter Fall zeigt die Beschwerde auf, wenn sie die Glaubwürdigkeit der Zeugin S***** unter Bezugnahme auf einen klinisch‑psychologischen Befund in Zweifel zieht, den das Erstgericht ohnedies berücksichtigt hat (US 12; RIS‑Justiz RS0119422).

Bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik wird mit dem Verweis auf die Aussage der Zeugin Johanna O***** geübt, wonach diese vier Kinder und das Gefühl gehabt habe, S***** würde sich im Haus „wirklich wohl fühlen“.

Dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe folgend war das Erstgericht nicht verhalten, sich damit auseinanderzusetzen, dass die Zeugin S***** die Frage der Sachverständigen in der kontradiktorischen Vernehmung, „ob sonst noch irgendwas mit dem Robert gewesen wäre“, verneint und vom Spiel „Mahjong Titan“ noch nie etwas gehört habe (RIS‑Justiz RS0106642, RS0098519).

Soweit die Beschwerde unter Bezugnahme auf die Erwägungen des Schöffengerichts, wonach der Angeklagte eingangs bestritten habe, dass S***** jemals alleine bei ihm zu Besuch gewesen sei (US 20), eine Aktenwidrigkeit ‑ „ohne hier jetzt gewissermaßen zu spitzfindig sein zu wollen“ ‑ daraus ableitet, dass der Angeklagte die verneinend gestellte Frage des Vorsitzenden ebenfalls verneint habe, sodass „die Verneinung dieser in Form einer Verneinung gestellten Frage eine Bejahung bedeutet“, spricht sie keinen erheblichen Widerspruch an (RIS‑Justiz RS0099408).

Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen können nur „aus den Akten“, daher nur aus unmittelbar sinnlich Wahrnehmbarem abgeleitet werden ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 481), weshalb die Tatsachenrüge (Z 5a) mit dem Hinweis auf die Gestik der kontradiktorisch vernommenen Zeugin E***** S*****, die ‑ wie die Beschwerde zugesteht ‑ erst durch „Ansicht des Videos“ dieser Vernehmung erkennbar wird, von vornherein versagt.

Soweit die Rüge vorbringt, das Erstgericht habe sich bei der Frage der Glaubwürdigkeit des Opfers mit dem Befund der Psychologin Mag. M***** nicht auseinandergesetzt, demzufolge E***** S***** oftmals gelogen habe, gerne im Mittelpunkt stehe und zu diesem Zweck auch Unwahrheiten erzähle, lässt sie außer Acht, dass sich das Schöffengericht mit diesem Beweisergebnis befasst, daraus aber nicht die vom Beschwerdeführer gewünschten Schlüsse gezogen hat (US 12; RIS‑Justiz RS0118780).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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