OGH 15Os15/95

OGH15Os15/9511.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Mai 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch, Mag. Strieder, Dr. Rouschal und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pointner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael Johann S* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 23. November 1994, GZ 8 Vr 188/94‑37, sowie über die implizierte Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig mit dem Urteil gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO gefaßten Beschluß nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Weiss, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und des Verteidigers zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1995:0150OS00015.9500000.0511.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung ‑ auch soweit sie als Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß zu betrachten ist ‑ wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

 

Gründe:

 

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche enthält, wurde Michael Johann S* (teilweise abweichend von der wider ihn erhobenen Anklage ‑ ON 21) der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (1 und 2) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (3) sowie der Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (4) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB (5) schuldig erkannt.

Danach hat er

(zu 1) am 1. April 1989 in Braunau am Inn außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB Petra L* dadurch, daß er sie schlug, ihr die Kleider vom Leibe riß, sie aufs Bett warf und ihre Oberschenkel auseinanderdrückte, sich auf sie legte und den Geschlechtsverkehr durchführte, mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes genötigt;

(zu 2) am 10. Juni 1993 in Tschechien am Lipno‑Stausee in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten (und inzwischen rechtskräftig abgeurteilten) Herbert St* als Beteiligten (richtig: als Mittäter nach § 12 erster Fall StGB) außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB Barbara L* mit Gewalt, indem sie sie beide festhielten, Herbert St* ihr die Leggins samt Unterhose auszog, Michael S* sich auf ihren Oberkörper setzte, ihr die Oberschenkel auseinanderdrückte und einen Finger in die Scheide einführte, zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt;

(zu 3) am 1. April 1989 in Braunau am Inn Petra L* durch die Äußerung, er werde sie umbringen, wenn sie jemandem von dem unter Punkt 1 geschilderten Vorfall etwas erzähle (vgl US 5, 10 f), sohin durch gefährliche Drohung mit dem Tode zur Unterlassung der Anzeigeerstattung genötigt;

(zu 4) am 6. November 1993 in Braunau am Inn Helmut F* durch Versetzen von Schlägen und eines Fußtrittes ins Gesicht am Körper verletzt, wodurch dieser eine Kieferfraktur, sohin eine an sich schwere und mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbundene Verletzung erlitt;

(zu 5) am 30. Juli 1994 in Braunau am Inn Helmut F* durch die Äußerung, es werde ihm so ergehen wie am 6. November 1993 bei dem unter Punkt 4 beschriebenen Vorfall, nur werde er es jetzt nicht überleben, mit dem Tode gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Anzumerken ist, daß der Angeklagte und Barbara L* österreichische Staatsbürger sind, die ihren Wohnsitz in Österreich haben, sodaß auch hinsichtlich des Urteilsfaktums 2 die österreichische Gerichtsbarkeit gegeben ist (§ 64 Abs 1 Z 7 StGB).

 

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die er (zu den einzelnen Schuldspruchsfakten differenziert) auf die Gründe des § 281 Abs 1 Z 5, 5 a, 9 lit a und 10 StPO stützt.

Zur Vergewaltigung der Petra L* (1):

Die zu diesem Teil desSchuldspruchs allein erhobene Mängelrüge (Z 5) zeigt keinen formellen Begründungsmangel des erstgerichtlichen Ausspruchs über entscheidende (also entweder für die Schuld oder für den anzuwendenden Strafsatz maßgebende) Tatsachen auf; in Wahrheit trachtet die Beschwerde vielmehr erklärtermaßen bloß nach Art einer gegen kollegialgerichtliche Urteile in den Prozeßgesetzen nicht vorgesehenen Schuldberufung, wider die von den Erkenntnisrichtern in einer ausführlichen und kritischen Gesamtschau aller relevanten Verfahrensergebnisse sowie unter Verwertung des persönlichen Eindrucks nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) mit zureichender (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO), im Einklang mit den Denkgesetzen stehender und lebensnaher Begründung (vgl US 8 ff) in den entscheidenden Punkten als glaubwürdig beurteilte Aussage der Zeugin Petra L* anzukämpfen und die vom Schöffengericht als unglaubwürdig verworfene Verantwortung des leugnenden Angeklagten als richtig und realistisch hinzustellen.

Dies zeigt sich augenfällig darin, daß der Beschwerdeführer unter Zitierung einzelner, isoliert aus dem Zusammenhang genommener Sätze aus wiederholten Schilderungen der genannten Zeugin über fallbezogen gar nicht relevante Details des Tatgeschehens (so etwa: das exakte Datum der Vergewaltigung; die damals vom Opfer getragene Kleidung; welcher Kleidungsstücke sich der Angeklagte wann entledigte; ob sie in das Schlafzimmer getragen oder geschleppt wurde; das neben ihr schlafende Baby sei trotz ihrer Schreie nicht aufgewacht) mit der sinngemäßen Behauptung, wenn sich schon bei einer vergewaltigten Frau jedes Detail unauslöschlich in ihr Gedächtnis einpräge, so treffe dies bei der zur Tatzeit noch jungfräulich gewesenen Petra L* umsomehr zu, innere Widersprüche und bedenkliche Gedächtnislücken zu erkennen vermeint und aus bestimmten ‑ in den Entscheidungsgründen ohnehin ausführlich erörterten Verfahrensergebnissen (objektiv unrichtige Tagebucheintragung ‑ US 9 f ‑; wiederholtes Aufsuchen der Wohnung des Angeklagten nach der Tat - US 12 -; Aussage der Zeugin Martina A* - US 11 und 16 f ‑) nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" seinen Freispruch fordert. Der nur zur Geltendmachung formeller Begründungsmängel dienende Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO liegt indes dann nicht vor, wenn ‑ wie im konkreten Fall ‑ die angeführten Gründe dem Beschwerdeführer bloß nicht genug überzeugend scheinen oder wenn ‑ nach seiner Meinung ‑ aus den Beweisergebnissen auch für ihn günstigere Schlußfolgerungen hätten gezogen werden können (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 5 E 147; Foregger/Kodek StPO6 S 397 f).

Zur Vergewaltigung der Barbara L* (2):

Der Sache nach als unvollständig und unzureichend (Z 5) rügt der Beschwerdeführer die Urteilsbegründung des Erstgerichtes in diesem Schuldspruchsfaktum, weil nach seiner Ansicht "nicht alle wesentlichen Ergebnisse des durchgeführten Beweisverfahrens erfaßt wurden, aber auch die Schlußfolgerungen des Gerichtes aus logischen Gründen auszuschließen sind", zumal sich der Angeklagte stets dahingehend verantwortet habe, daß er Barbara L* nicht mit dem Finger in die Scheide "gefahren" sei, und das Opfer in der Hauptverhandlung selbst eingeräumt habe, das Einführen des Fingers könne auch unabsichtlich beim Auseinanderziehen der Schamlippen erfolgt sein.

"Unvollständig" begründet wäre indes ein Schuldspruch nur, wenn das Gericht bei Feststellung entscheidender Tatsachen wichtige und in der Hauptverhandlung vorgeführte Verfahrensergebnisse mit Stillschweigen übergangen, Widersprüche zwischen den Aussagen der vernommenen Personen bzw die seinen Feststellungen widerstreitenden Beweisergebnisse nicht gewürdigt oder die Gründe nicht angegeben hätte, aus denen es diese Beweise nicht für stichhältig erachtete. "Keine oder eine nur offenbar unzureichende Begründung" hinwieder läge nur dann vor, wenn sich aus den Urteilsgründen nach den Denkgesetzen und nach allgemeiner Lebenserfahrung ein Schluß auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen ließe oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar wäre (vgl Foregger/Kodek aaO S 396 f).

Der Beschwerde zuwider haftet dem bekämpften Schuldspruch aber kein derartiger Begründungsmangel in bezug auf die subjektive Tatseite an. Denn abgesehen davon, daß die Beschwerdeausführungen die gebotene Konkretisierung unterlassen, welche Beweisergebnisse das Erstgericht übergangen haben oder inwiefern ihm ein Denkfehler unterlaufen sein soll, zielt das Beschwerdevorbringen lediglich auf eine unzulässige Kritik der an sich unanfechtbaren (vgl ua Mayerhofer/Rieder aaO § 281 Z 5 E 2, 26) Erwägungen der Tatrichter ab, welche gerade die (das Einführen eines Fingers in die Scheide des Opfers strikt in Abrede stellende) Verantwortung des Angeklagten und die (nicht immer gleichlautenden) Schilderungen der Zeugin Barbara L* besonders ausführlich erörtert haben, ohne entgegenstehende wichtige Beweisergebnisse mit Stillschweigen zu übergehen oder gegen die Denkgesetze zu verstoßen (vgl US 13 ff).

Entgegen der Beschwerdebehauptung geht das Erstgericht davon aus (vgl insbesonders US 15 und 20), daß der Angeklagte S* seinen Finger absichtlich (vgl § 5 Abs 2 StGB) - und nicht bloß mit "dolus eventualis", wie der Beschwerdeführer urteilsfremd annimmt ‑ in die Scheide der Barbara L* eingeführt hat. Diese qualifizierte Vorsatzform gründete es keineswegs allein darauf, "daß es offensichtlich dem Naturell des Angeklagten entspricht", sondern zudem auch noch auf die "gegebene Situation", die "vorangegangene Gewaltanwendung" und auf die Tatsache, daß sich der Angeklagte "dazu hinreißen ließ, sogar die Schamlippen des [wehrlosen] Mädchens auseinanderzuziehen" (US 15), sodaß auch die subjektive Tatseite mängelfrei begründet ist.

Nach Prüfung der gesamten Aktenlage unter besonderer Berücksichtigung der in der Tatsachenrüge (Z 5 a) erhobenen Einwände, die weitgehend mit isoliert aus dem Zusammenhang genommenen Aussagepassagen der Zeugen Barbara L*, Helmut Sch* und Martina A* sowie mit eigenwilligen Wahrscheinlichkeitsüberlegungen und Mutmaßungen in Verbindung mit einem im Akt (S 155) erliegenden fotokopierten Lichtbild (auf dem der Angeklagte S* zu sehen ist, wie er ‑ verkehrt auf dem entblößten Unterkörper des Opfers sitzend ‑ mit der linken Hand dessen gespreiztes linkes Bein fixiert und mit der rechten dessen Schamlippen auseinanderhält) argumentieren und den Freispruch des Angeklagten im Zweifel fordern, ergeben sich für den Obersten Gerichtshof aus den Akten keine ‑ geschweige denn erhebliche ‑ Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen. Dies umsoweniger, als das Erstgericht alle erhobenen Beweise nicht nur einzeln, sondern auch in ihrem Zusammenhalt sorgfältig und kritisch geprüft sowie unter Verwertung des gewonnenen persönlichen Eindrucks plausibel begründet hat (vgl abermals US 13 ff), warum es (auch) den Angeklagten S* der Mittäterschaft am inkriminierten Verbrechen für schuldig hielt.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) wendet sich ‑ gestützt auf die von Pallin im WK Rz 21 a zu § 201 geäußerte Meinung ‑ gegen die rechtliche Wertung des konstatierten Sachverhaltes als das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB mit der Argumentation, das Einführen des Fingers des Angeklagten in die Vagina des Mädchens stelle keine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung (die das Eindringen des männlichen Gliedes in eine Körperöffnung einer anderen männlichen oder weiblichen Person voraussetze) dar, sondern (bloß) "eine unzüchtige Handlung im Sinne des § 207 StGB", nach welcher Strafnorm der Angeklagte demnach zu verurteilen gewesen wäre.

Damit verkennt der Nichtigkeitswerber zunächst, daß nach § 207 StGB zu bestrafen ist, wer eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf (unter anderem) zur Unzucht mißbraucht, wohingegen die am 4.Juni 1977 geborene Barbara L* zur Tatzeit (10.Juni 1993) das 14.Lebensjahr bereits (lange vorher) vollendet hatte, sodaß dieser Tatbestand hier schon deswegen nicht greifen kann.

Des weiteren erfüllt nach gefestigter Judikatur (vgl 15 Os 11/92 = EvBl 1992/180 = JBl 1992, 729 mit ablehnender Stellungnahme Schwaighofers; 14 Os 144/93; 15 Os 21/95; im Ergebnis auch 15 Os 148/94; Mayerhofer/Rieder StGB4 § 201 E 17 a), die der Lehrmeinung Pallins nicht gefolgt ist, das gewaltsame Einführen eines Fingers in die Scheide einer Frau das Tatbild der Vergewaltigung nach § 201 StGB. Ein Eindringen mit dem männlichen Glied in die Scheide einer Frau stellt sich nämlich schon naturgemäß als Beischlaf dar, woraus zu folgern ist, daß der Gesetzgeber mit der beispielhaften Anführung auch einer (anderen) vaginalen Penetration als eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung andere Formen des Eindringens in die Scheide einer Frau als tatbestandsmäßig erfassen wollte. Im Justizausschußbericht sind die "dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen" inhaltlich damit umschrieben (JAB 927, BlgNR 17.GP zu § 201 StGB), daß sie "nach allgemeinem Verständnis in der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen mit einem Beischlaf vergleichbar" sein müssen, wobei die Intensität der sexuellen Inanspruchnahme des Opfers, die Schwere des sexuellen Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung und das Ausmaß der Demütigung und Erniedrigung des Opfers als Kriterien angeführt werden.

Die Anwendung all dieser Voraussetzungen auf den vorliegenden Fall läßt keine Zweifel daran, daß auch das (fallbezogen nur) einmalige Einführen des Fingers des Angeklagten in die Scheide des Mädchens (vgl US 6, 15, 20) unter den hier aktuellen Tatmodalitäten (vgl US 6, 13 ff) als eine dem Beischlaf gleichzusetzende Form der geschlechtlichen Betätigung zu werten ist.

Der Beschwerde zuwider ist der von ihr zitierten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, GZ 15 Os 11/92‑18, nicht zu entnehmen, daß mehrfaches Einführen eines Fingers in die Scheide des Opfers als Tatbestandsvoraussetzung für die Annahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung verlangt wird. Vielmehr stellt dieses Erkenntnis, das lediglich fallbezogen von der in jenem Verfahren getroffenen Urteilfeststellung einer mehrfachen vaginalen Penetration mit einem Finger ausgeht, darauf ab, daß ein beischlafähnlicher Sexualakt im Sinne des § 201 Abs 1 oder Abs 2 StGB sowohl im Fall des heterosexuellen als auch des homosexuellen Mißbrauches jedenfalls schon bei der sexualbezogenen geschlechtsaktähnlichen Berührung der primären Geschlechtsorgane des Opfers oder des Täters (sohin der sexualspezifischen Körperpartien auch nur einer der in die betreffende Tat involvierten Personen) vorliegt, sofern es hiedurch zu einer oralen, analen oder vaginalen Penetration gekommen ist oder nach dem Tätervorsatz kommen sollte. Daß die Penetration mehrfach sein müßte, um die Kriterien eines beischlafsähnlichen Sexualaktes zu erfüllen, liegt der Argumentation der Entscheidung nicht zugrunde.

Letztlich versagt auch der Beschwerdehinweis auf die (einen völlig anders gelagerten Sachverhalt beurteilende) Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 12. September 1991, GZ 12 Os 55/91‑11, der zufolge das Einführen eines Fingers in den After eines (unmündigen) Menschen eine unzüchtige Handlung im Sinne des § 207 StGB darstellt. Zählt doch der Anus (ebenso wie der Mund) nicht zu den primären Geschlechtsorganen, sodaß (anders als bei der aktuellen Penetration der Vagina mit einem Finger) ein beischlafsähnlicher Sexualakt bei analer oder oraler Penetration nur dann gegeben ist, wenn der männliche Geschlechtsteil in Anus oder Mund eingeführt wird.

Zur schweren Nötigung der Petra L* (3):

Der Mängelrüge (Z 5) genügt es zu erwidern, daß sie mit der darin angestellten Schlußfolgerung (wonach der Angeklagte schon auf Grund des Beschwerdevorbringens zum Schuldspruchfaktum 1 bei entsprechender Beweiswürdigung vom Vorwurf der Vergewaltigung hätte freigesprochen werden müssen und folglich zwingend auch von der Anklage wegen schwerer Nötigung, weil bei einer nicht erfolgten Vergewaltigung auch keine schwere Nötigung, die Zeugin von der Anzeigeerstattung abzuhalten, begangen werden könne) keinen formellen Begründungsmangel in der Bedeutung des angerufenen Nichtigkeitsgrundes aufzeigt.

Zur schweren Körperverletzung an Helmut F*(4):

Nicht gesetzmäßig ausgeführt ist die Rechtsrüge (Z 10, der Sache nach teilweise auch Z 9 lit b), die das Fehlen einer Urteilsfeststellung dahingehend reklamiert, daß Helmut F* (nach Aussage der Zeugin Martina A* - 403 - iVm der Verletzungsanzeige ‑ 211 ‑) dem Angeklagten vor der Rauferei zwei Schläge versetzt habe, weshalb "man bei einer vertretbaren Würdigung der aufgenommenen Beweise davon ausgehen hätte müssen, daß sich der Angeklagte in einer Notwehrsituation befunden hat, die er jedoch überschritt, sodaß er lediglich nach § 88 StGB zu verurteilen gewesen wäre".

Damit übergeht der Nichtigkeitswerber zum einen gerade jene auf tragende Beweisergebnisse und mängelfrei begründete (entscheidende) Feststellung (US 7 erster Absatz, 20 iVm 16 ff), wonach er aus Wut dem am Boden liegenden F* in Verletzungsabsicht einen Fußtritt in das Gesicht versetzte, wodurch das Opfer eine an sich schwere, mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbundene Verletzung (Kieferfraktur) erlitt. Abgesehen davon, daß die vermißte Konstatierung für die Beurteilung der in Rede stehenden Tat unwesentlich ist (vgl Mayerhofer/Rieder aaO § 281 Z 9 a E 18 f), kann der Nachweis eines für die Herstellung des Tatbestandes (entscheidenden) Feststellungsmangels nur auf der Basis des gesamten wesentlichen Tatsachensubstrates erbracht werden.

Zum anderen gerät die Beschwerde mit der relevierten Notwehrsituation nicht nur mit der (gerade das Gegenteil behauptetenden) Verantwortung des Angeklagten vor Gericht (vgl 325: "Notwehr war es sicher nicht mehr, daß ich mit dem Fuß hingetreten habe ...") selbst in einen unlösbaren Widerspruch, sondern setzt sich auch über die im Rahmen der (zutreffenden und erschöpfenden) rechtlichen Beurteilung nachgeholte Feststellung (US 20 f) hinweg, daß unter den gegebenen Umständen keine Notwehrsituation vorlag (bzw daß der Angeklagte auch unter der theoretischen Annahme einer solchen für die vorsätzliche schwere Körperverletzung einzustehen hätte).

Zur gefährlichen Drohung an Helmut F* (5):

Auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu diesem Schuldspruchsfaktum entbehrt einer prozeßordnungsgemäßen Darstellung. Mit den Einwänden (bei der inkriminierten Äußerung handle es sich bloß um "ein sozial bedingtes Vokabular" bzw um "eine Unmutsäußerung, die von keinem der beiden ernstgenommen" werde und "in einem solchen Milieu durchaus üblich" sei, weshalb bei einer vertretbaren Beweiswürdigung nicht angenommen werden könne, daß der Angeklagte "in der subjektiven Tatseite Absichtlichkeit verwirklicht hat, den Zeugen F* in Furcht und Unruhe zu versetzen) argumentiert sie nämlich an den ausdrücklichen Urteilskonstatierungen, denen zufolge der Angeklagte den Zeugen F* absichtlich mit dem Tode gefährlich bedrohte und es sich bei der tataktuellen Drohung nicht um eine milieubedingte Unmutsäußerung handelte (US 7, 18, 21 f), vorbei und ist somit urteilsfremd.

Demnach war die teils offenbar unbegründete, teils nicht gesetzmäßig ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Zur Berufung des Angeklagten:

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28 Abs 1, 201 Abs 2 StGB zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe. Dabei wertete es als erschwerend mehrere einschlägige Vorstrafen wegen verschiedener Gewaltdelikte, daß der Angeklagte mehrere strafbare Handlungen derselben und verschiedener Art begangen hat, sowie die verstärkte Tatbildmäßigkeit beim Vergehen der schweren Körperverletzung; als mildernd hingegen das reumütige Geständnis beim Vergehen der schweren Körperverletzung sowie das Tatsachengeständnis betreffend die Vergewaltigung der Barbara L*.

Zugleich mit dem Urteil widerrief das Schöffengericht gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO beschlußmäßig (413; US 4, 23) die dem Angeklagten am 8. Juli 1991 zu BE 76/91 des Landesgerichtes Ried im Innkreis gewährte bedingte Entlassung aus einer wegen der Vergehen nach § 83 Abs 1 und §§ 146, 147 Abs 2 StGB verhängten einjährigen Freiheitsstrafe (Strafrest vier Monate).

Mit seiner Berufung gegen den Strafausspruch beantragt der Angeklagte unter Behauptung weiterer Milderungsgründe, "die verhängte Freiheitsstrafe bedingt oder teilbedingt zu erlassen"; den Widerrufsbeschluß bekämpft er nicht ausdrücklich mit Beschwerde.

Die Berufung ist nicht im Recht.

Wenngleich es im Sinne der Berufungsausführungen zutrifft, daß der Angeklagte S* unmittelbar nach der an Helmut F* verübten schweren Körperverletzung beim Gendarmerieposten Braunau am Inn erschienen ist und im Zuge seiner Anzeigeerstattung gegen F* wegen (leichter) Körperverletzung auch eingestanden hat, diesem seinerseits einen Fußtritt gegen den Körper versetzt zu haben (192 f, 225), vermag dieser Umstand (§ 34 Z 16 StGB) für sich allein keine günstigere Beurteilung der Straffrage zu bewirken, zumal das Erstgericht ansonsten sowohl die erschwerenden als auch die mildernden Umstände richtig und vollständig erfaßt hat.

Die vom Rechtsmittelwerber darüber hinaus zusätzlich für sich ins Treffen geführten Milderungsgründe der Z 7 (Unbesonnenheit) und Z 9 des § 34 StGB (besonders verlockende Gelegenheit ohne vorgefaßte Absicht) liegen hingegen bei keiner der Urteilstaten vor. "Unbesonnenheit" scheidet schon deshalb aus, weil S* durch eine Mehrzahl gerichtlicher Verurteilungen insbesonders wegen verschiedener Gewalt‑ und Körperverletzungsdelikte (vgl ua die Strafregisterauskunft S 285 f sowie US 5, 23) seine kriminelle Neigung und Geringschätzigkeit fremder Interessen deutlich unter Beweis gestellt hat (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 34 RN 13). Den Milderungsgrund der "besonders verlockenden Gelegenheit" hinwieder im Zusammenhang mit den beiden Verbrechen der Vergewaltigung zu fordern, ist nach den bezüglichen Urteilsfeststellungen beinahe schon als abwegig zu bezeichnen (vgl hiezu Leukauf/Steininger aaO RN 15 f).

Woraus bei Michael S* angesichts der bedeutenden Vorstrafenbelastung sowie der offenkundigen Wirkungslosigkeit aller ihm in der Vergangenheit wiederholt zuteil gewordenen Erziehungs‑ und Resozialisierungsmaßnahmen in Verbindung mit mehrfachen Strafvollzügen die im § 43 a Abs 4 StGB geforderte "hohe Wahrscheinlichkeit", daß er künftighin keine weiteren strafbaren Handlungen mehr begehen werde, erschlossen werden kann, vermag selbst die Berufung auch nicht ansatzweise darzulegen, weshalb die beantragte Gewährung der bedingten Nachsicht eines Teiles der verhängten Freiheitsstrafe infolge Fehlens einer qualifiziert günstigen Verhaltensprognose bei ihm nicht in Frage kommt.

Dem primären Berufungsbegehren auf Gewährung der gänzlichen bedingten Nachsicht der mit 2 1/2 Jahren (im übrigen keineswegs zum Nachteil des Angeklagten) bemessenen Freiheitsstrafe steht die Bestimmung des § 43 Abs 1 StGB entgegen, die (ua) nur bei einer zwei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe angewendet werden darf.

Schließlich steht angesichts der Wirkungslosigkeit von Resozialisierungsmaßnahmen auch der erstgerichtliche Beschluß auf Widerruf der bedingten Entlassung (§ 494 a Abs 1 Z 4 StPO) mit dem Gesetz im Einklang, weswegen sowohl der gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als dagegen erhoben anzusehenden Beschwerde als auch der Berufung des Angeklagten ein Erfolg zu versagen war.

 

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