European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1993:0140OS00144.9300000.1005.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde (der türkische Staatsangehörige) Ali Haydar C* der Verbrechen (zu A) der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, (zu B) der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB und (zu C) des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 2 StGB schuldig erkannt.
Darnach hat er (in Wien)
A) in der Zeit von Dezember 1990 bis Jänner oder Anfang Februar 1993 die am 3.Dezember 1980 geborene, demnach unmündige Gülser C* in etwa 30 Fällen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, indem er der Genannten teilweise einen Finger in die Scheide steckte, wobei er sich selbst befriedigte, teilweise auch dadurch, daß er von der Unmündigen sein Glied nach Art eines Handverkehrs massieren ließ;
B) bei Begehung eines Teiles der zu Punkt A angeführten strafbaren Handlungen, soweit es sich um die Penetration der Scheide der Unmündigen mit einem Finger handelt, außer dem Fall des § 201 Abs. 1 StGB, eine Person teilweise mit Gewalt, und zwar durch Versetzen von Schlägen, teilweise durch Entziehung der persönlichen Freiheit, nämlich durch Versperren der Wohnungseingangstür, zur Vornahme bzw. Duldung von dem Beischlaf gleichzusetzenden strafbaren Handlungen genötigt;
C) im Sommer 1992 fremde bewegliche Sachen, nämlich mehrere 100 S Bargeld, der Gülser C* mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er das der Genannten gehörige Sparschwein zu Boden warf und nach dem solcherart bewirkten Aufbrechen des Behältnisses den bezeichneten Geldbetrag an sich nahm.
Rechtliche Beurteilung
Der Sache nach nur den Schuldspruch wegen des Verbrechens der Vergewaltigung (Punkt B) und die Einbruchsqualifikation beim Diebstahl nach § 129 Z 2 StGB (Punkt C) bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.
In der Mängelrüge (Z 5) bezeichnet der Beschwerdeführer die hinsichtlich der Diebstahlsqualifikation nach § 129 Z 2 StGB getroffene Urteilsfeststellung (US 8), wonach er die Sperrvorrichtung aus der Porzellanfassung brach, indem er das Sparschwein auf den Boden warf, als offenbar unzureichend begründet, weil die Lebenserfahrung zeige, daß "bei Sparschweinen von Kindern Sperrvorrichtungen im Sinn des § 129 Z 2 StGB nicht vorhanden" seien. Demgegenüber findet jedoch die bezügliche Feststellung in den vom Schöffengericht insoweit verwerteten (US 4, 8, 12) Angaben der Zeugin Gülser C*, das Sparschwein sei "aufgebrochen" worden (S 23), der Angeklagte habe es auf den Boden geschlagen, sodaß "es kaputt war" (S 124), sowie in der von der Zeugin gegebenen Beschreibung ihrer Sparbüchse, wonach diese mit einem Schlüssel zu sperren gewesen sei, den der Angeklagte nicht zur Verfügung hatte (S 126), eine ausreichende Stütze. Diese Angaben werden zudem durch die Zeugenaussage der (Mutter des Mädchens) Güllü C* bestätigt, derzufolge der untere Teil der Sparbüchse, "wo das Schlüsselloch" war, zerbrochen ist (S 138). Solcherart hat das Schöffengericht mit hinreichender Deutlichkeit jene Verfahrensergebnisse angeführt, auf welche es die Urteilskonstatierung über die in Rede stehende Deliktsqualifikation (Versperrbarkeit der Sparbüchse und die Überwindung dieses Sperrverhältnisses durch Zerschlagen derselben) stützte. Einer eingehenderen Erörterung bedurfte es im Hinblick auf das Gebot, die Urteilsgründe in gedrängter Form abzufassen (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO), nicht. Der behauptete Begründungsmangel liegt sohin nicht vor.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) wendet sich gegen den Schuldspruch wegen Vergewaltigung (Punkt B) mit der Argumentation, die Penetration der Scheide der Unmündigen mit einem Finger des Angeklagten stelle keine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung dar; eine solche liege nur vor, wenn das männliche Glied in eine Körperöffnung einer anderen ‑ männlichen oder weiblichen ‑ Person eindringe.
Ein Eindringen mit dem männlichen Glied in die Scheide einer Frau stellt sich jedoch ohnedies als Beischlaf dar, woraus zu folgern ist, daß der Gesetzgeber mit der beispielhaften Anführung auch einer vaginalen Penetration als einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung andere Formen des Eindringens in die Scheide einer Frau als tatbestandsmäßig erfassen wollte. Im Justizausschußbericht sind die "dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen" inhaltlich damit umschrieben (JAB 927, BlgNR 17.GP zu § 201 StGB), daß sie "nach allgemeinem Verständnis in der Summe ihrer Auswirkungen und Begleiterscheinungen mit einem Beischlaf vergleichbar" sein müssen, wobei die Intensität der sexuellen Inanspruchnahme des Opfers, die Schwere des sexuellen Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung und das Ausmaß der Demütigung und Erniedrigung des Opfers als Kriterien angeführt werden.
Die Anwendung dieser Kriterien auf den vorliegenden Fall läßt keinen Zweifel daran, daß das (wiederholte) Einführen eines Fingers des Angeklagten in die Scheide des unmündigen Mädchens unter den hier aktuellen Tatmodalitäten (vgl. US 6) jedenfalls als eine dem Beischlaf gleichzusetzende Form der geschlechtlichen Betätigung zu werten ist (s. auch EvBl. 1992/180).
Die Subsumtion der bezüglichen Tathandlungen unter den Tatbestand der Vergewaltigung (§ 201 Abs. 2 StGB) erfolgte sohin frei von Rechtsirrtum. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 201 Abs. 2 StGB zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe.
Dabei wertete es das Zusammentreffen von drei Verbrechen, den langen Deliktszeitraum und die oftmalige Wiederholung des sexuellen Mißbrauchs, ferner das dadurch bei dem sexuell mißbrauchten Mädchen herbeigeführte hohe Gefährdungspotential und die Störung des normalen Prozesses der psychosexuellen Entwicklung sowie die skrupellose Ausnützung eines besonderen persönlichen Naheverhältnisses zum Tatopfer als erschwerend, hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten und den geringen Wert der Diebsbeute als mildernd.
Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe und deren zumindest teilbedingte Nachsicht an.
Der Berufung kommt gleichfalls keine Berechtigung zu.
Obzwar (ua) die Strafbestimmung des § 207 Abs. 1 StGB die ungestörte sittliche und sexuelle Entwicklung Unmündiger gewährleisten soll, stellt die vom Erstgericht ‑ gestützt auf das kinderneuropsychiatrische Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof.Dr.Friedrich (S 127 ff) ‑ als Erschwerungsgrund gewertete (tatsächlich eingetretene) Störung der psychosexuellen Entwicklung des Mädchens keineswegs einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot dar. Da § 33 StGB (bloß) eine beispielsweise Aufzählung von besonderen Erschwerungsgründen enthält, ist es entgegen der Meinung des Berufungswerbers nicht von Belang, daß die in diesem Zusammenhang herangezogenen Gründe "nicht im Katalog" der bezeichneten Gesetzesstelle angeführt sind. Nach Lage des Falles kann aber auch von einer besonders verlockenden Gelegenheit keine Rede sein; müßte doch die Gelegenheit zur Begehung der in Rede stehenden Straftaten, um im Sinn des § 34 Z 9 StGB Berücksichtigung finden zu können, im besonderen Maße nahelegen, daß ihr auch ein ansonsten rechtstreuer Mensch unterliegen könnte (EvBl. 1983/122 ua). Der Berufungsbehauptung hinwieder, "daß die Tat offensichtlich im Kulturkreis des Opfers als auch des Täters nicht einen besonders hohen Unrechtsgehalt besitzt", stehen die bei dem Kind durch den fortgesetzten massiven sexuellen Mißbrauch entstandenen Folgen entgegen.
Ausgehend von den sohin vom Erstgericht im wesentlichen vollständig festgestellten Strafzumessungsgründen und unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze für die Strafbemessung (§ 32 StGB) hat das Schöffengericht die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe nicht zu hoch ausgemessen; zu deren Reduzierung bestand demnach kein Anlaß.
Es mußte aber auch dem weiteren Begehren des Angeklagten auf gänzliche bzw. teilbedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe ein Erfolg versagt bleiben. Die sich über mehrere Jahre erstreckende oftmalige Wiederholung der Sittlichkeitsdelikte und die Art der Tatbegehung (zum Teil mit Gewalt bzw. durch Entziehung der persönlichen Freiheit) prägen das Persönlichkeitsbild des Berufungswerbers derart negativ, daß es zur Erreichung der Strafzwecke jedenfalls der Vollziehung der vom Erstgericht verhängten Sanktion bedarf.
Über die Rechtsmittel des Angeklagten war daher spruchgemäß zu erkennen.
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