European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132007
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In der Medienrechtssache der Antragsteller D* S*, D* St*, V* J*, L* Z*, S* Za*, J* T*, P* B*, R* G*, A* Le* und L* P* gegen die Antragsgegnerin A* GmbH wegen § 6 Abs 1 MedienG verletzen
1./ das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 9. September 2016, GZ 5 Hv 28/16h‑15, § 6 Abs 1 MedienG und § 270 Abs 2 Z 5 StPO und
2./ das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. Juli 2017, AZ 10 Bs 357/16z, § 270 Abs 2 Z 5 iVm §§ 474, 489 Abs 1 StPO.
Gründe:
[1] In der Medienrechtssache der Antragsteller D* S*, D* St*, V* J*, L* Z*, S* Za*, J* T*, P* B*, R* G*, A* Le* und L* P* gegen die Antragsgegnerin A* GmbH (nunmehr F* M* GmbH) wegen § 6 Abs 1 MedienG wies das Landesgericht für Strafsachen Graz mit Urteil vom 9. September 2016, GZ 5 Hv 28/16h‑15, die Anträge der Antragsteller auf Zuerkennung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG ab.
[2] Diesen Anträgen lag ein in der periodischen Druckschrift „D*“ in der Ausgabe vom Februar 2016 unter der Überschrift „Der größte Lump im ganzen Land das ist und bleibt der Denunziant“ veröffentlichter Artikel zugrunde, der unter anderem folgende hier inkriminierte Äußerungen enthält:
„Die Tatsache, dass ein nicht unerheblicher Teil der befreiten Häftlinge aus Mauthausen den Menschen zur Landplage gereichte, gilt für die Justiz als erwiesen und wird heute nur noch von KZ‑Fetischisten bestritten";
„Raubend und plündernd, mordend und schändend plagten die Kriminellen das unter der 'Befreiung' leidende Land."
[3] Nach den erstgerichtlichen Feststellungen (US 5 ff) waren diese Äußerungen wörtlich bereits in einem in der Ausgabe der periodischen Druckschrift „D*“ vom Juli/August 2015 unter der Überschrift „Mauthausen – Befreite als Massenmörder“ veröffentlichten Artikel enthalten. Darin war lobend über ein von I* K* unter dem Titel „Werwölfe im Waldviertel?“ veröffentlichtes Buch berichtet worden, das seinerseits angeblich von ehemaligen Häftlingen des Konzentrationslagers Mauthausen nach ihrer Befreiung im Waldviertel begangene Verbrechen, darunter den „auf dem Scheibner Kirchensteig“ begangenen Mord an acht ehemaligen „Hitlerjungen“, zum Gegenstand hatte.
[4] In Bezug auf diese Publikation hatte die Staatsanwaltschaft Graz aufgrund einer Anzeige des Dr. H* W* zu AZ 16 St 99/15y ein Ermittlungsverfahren gegen den Verfasser des Artikels, Dr. M* D*, wegen des Verdachts der Verbrechen nach §§ 3g, 3h VerbotsG und anderer strafbarer Handlungen eingeleitet, dieses aber in der Folge eingestellt.
[5] Mit Mitteilung vom 28. Dezember 2015 gab die Staatsanwaltschaft Graz dem Beschuldigten Dr. M* D* auf dessen Antrag die Gründe für die Einstellung des Ermittlungsverfahrens bekannt. Danach seien ua die oben angeführten Äußerungen objektiv nicht geeignet, das Tatbildmerkmal der Betätigung im nationalsozialistischen Sinn nach § 3g VerbotsG zu erfüllen, weil sie keine unsachlichen, einseitigen oder propagandistisch vorteilhaften Darstellungen nationalsozialistischer Maßnahmen und Ziele (im Sinn des § 3g VerbotsG) ausdrücken. Es handle sich auch nicht um den nationalsozialistischen Völkermord oder andere nationalsozialistische Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Abrede stellende, diese grob verniedlichende, gutheißende oder rechtfertigende Äußerungen im Sinn des § 3h VerbotsG. Auch die Tatbestände der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB oder der Verhetzung nach § 283 Abs 1 StGB seien nicht erfüllt.
[6] Im vorliegend inkriminierten, in der im Februar 2016 erschienenen Ausgabe der Zeitschrift „D*“ veröffentlichten Artikel wurden große Teile des genannten, aus der Sommerausgabe 2015 stammenden Berichts wiedergegeben, über den Umstand der Einstellung des gegen den Autor eingeleiteten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Graz berichtet und die Einstellungsbegründung dieser Behörde zum Teil referiert.
[7] Zum Sinngehalt dieses Artikels stellte das Erstgericht ausdrücklich fest (US 12 f), dass darin keine „eigenständige Behauptung“ – in Ansehung der Begehung von Straftaten durch aus dem Konzentrationslager Mauthausen befreite Häftlinge – aufgestellt worden, sondern – wenngleich „in äußerst polemischer und reißerischer Art und Weise“ – der dem genannten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft zugrunde liegende Tatverdacht und der Gang dieses Ermittlungsverfahrens beschrieben worden sei.
[8] Beweiswürdigend stützte sich der Einzelrichter auf das allgemeine Sprachverständnis und die von der Judikatur entwickelte sogenannte Unklarheitenregel, wonach dann, wenn der Sinngehalt einer Äußerung nicht eindeutig und unstrittig ist, unter Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ von der für den Antragsgegner günstigsten Auslegungsvariante auszugehen sei. Im vorliegenden Fall sei daher im Zweifel – anders als im Ursprungsartikel (aus dem Jahr 2015) – nicht von einer eigenständigen Behauptung der Verübung von Straftaten durch aus dem Konzentrationslager Mauthausen befreite Personen, sondern bloß von einem Bericht über den Gang des von der Staatsanwaltschaft Graz geführten und eingestellten Ermittlungsverfahrens auszugehen (US 13 f).
[9] Im Übrigen verneinte das Erstgericht die individuelle Erkennbarkeit der Antragsteller als zum Zeitpunkt der Befreiung im Konzentrationslager Mauthausen inhaftierte Personen und demzufolge mangels Betroffenheit deren Aktivlegitimation, weil im Mai 1945 rund 20.000 Personen aus diesem Konzentrationslager befreit worden seien und dieses Kollektiv zu groß sei, um jedem einzelnen Mitglied – aufgrund der allenfalls diffamierenden Äußerungen – die Antragslegitimation nach § 6 Abs 1 MedienG zuzuerkennen (US 14 f).
[10] Mit Urteil vom 21. Juli 2017, AZ 10 Bs 357/16z (ON 20 des Hv‑Aktes), gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht den Berufungen der Antragsteller gegen das Ersturteil nicht Folge.
[11] Das Erstgericht habe zwar nicht offengelegt, welche unterschiedlichen Deutungsvarianten dieser Veröffentlichung es zum Rückgriff auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO) veranlasst hätten, jedoch sei auf der Basis des (unstrittigen und) unbedenklich festgestellten Gesamtkontextes, in den die inkriminierten Textpassagen eingebettet waren, von einer Beweiswiederholung kein günstigeres Ergebnis für die Berufungswerber zu erwarten. Die Einbettung dieser Textpassagen in einen Bericht über die Einstellung des von der Staatsanwaltschaft Graz aufgrund der Anzeige Dris. W* gegen „D*“ und den Autor des in der Ausgabe vom Juli/August 2015 veröffentlichten Artikels geführten Ermittlungsverfahrens weise auf den am Verständnis der Leser ausgerichteten Zweck der wörtlichen Wiedergabe dieses Teils der Veröffentlichung hin. Deren Erfordernis für das Verständnis der nachfolgenden Zitate aus der Einstellungsbegründung der Anklagebehörde sei nicht ernsthaft in Frage zu stellen, würde diese doch komplexe und auch am Wortsinn einzelner Begriffe orientierte Erwägungen der Staatsanwaltschaft zum Bedeutungsinhalt der Primärveröffentlichung umfassen. Die Erinnerung der Leser an den Wortlaut eines vor rund einem halben Jahr veröffentlichten Artikels könne nicht vorausgesetzt werden. Eine mit der wörtlichen Wiedergabe der Textpassagen verbundene Aktualisierung deren Sinngehalts sei aber nicht anzunehmen. Denn das Medienrecht selbst gehe in der Regel vom Erfordernis der Veröffentlichung des wesentlichen Inhalts eines ursprünglichen Berichts für das Verständnis eines Lesers für die Veröffentlichung einer Gegendarstellung (§ 9 MedienG), einer nachträglichen Mitteilung über den Ausgang eines Strafverfahrens (§ 10 MedienG) oder eines Urteils aus (§ 34 MedienG).
[12] Daran vermöge auch die „äußerst polemische und reißerische“ Bewertung des Ausgangs des Ermittlungsverfahrens nichts zu ändern; die „mehrfach deutliche Häme“ beziehe sich nämlich ausschließlich auf die von Dr. W* in der von ihm erstatteten Anzeige vorgenommene strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens der Verantwortlichen der Zeitschrift „D*“ und des Autors des in der Ausgabe vom Juli/August 2015 veröffentlichten Artikels. Gleiches gelte für den von den Berufungswerbern ins Treffen geführten Umstand, dass die Leserschaft des Mediums „D*“ „deutschnationaler bis neonazistischer Gesinnung“ sei. Auch der zur Bewertung des Inhalts der Anzeige verwendete Begriff „Kazetgezeter“ verleihe den inkriminierten Zitaten keinen eigenständigen, den objektiven Tatbestand der §§ 111, 115 oder 297 StGB herstellenden Bedeutungsinhalt. Von einer daher nur dem Verständnis des Lesers für den weiteren Bericht über den Ausgang des Strafverfahrens dienenden Wiedergabe der (allenfalls objektiv tatbestandsmäßigen) Äußerungen könne niemand im Sinn des § 6 Abs 1 MedienG persönlich betroffen sein (US 3 ff).
[13] Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit Erkenntnis vom 10. Oktober 2019, Le* gegen Österreich, Nr 4782/18, eine durch die genannten Urteile erfolgte Verletzung des Antragstellers A* Le* in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 MRK festgestellt. Dies, weil es die österreichischen Gerichte verabsäumt hätten, sich mit dem Kern des Vorbringens des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen, nämlich mit der von diesem behaupteten, durch die Verwendung der Begriffe „Massenmörder“, „Kriminelle“ und „Landplage“ erfolgten Diffamierung der 1945 aus dem Konzentrationslager Mauthausen befreiten Personen, wobei dieser sich als damals aus diesem Lager befreiter Insasse durch diese Publikation betroffen fühle.
[14] Die österreichischen Gerichte hätten die Antragslegitimation des Beschwerdeführers verneint, weil das Kollektiv der aus dem Konzentrationslager Mauthausen Befreiten zu groß gewesen sei (etwa 20.000 Personen), so dass dieser durch diese Aussagen nicht persönlich betroffen gewesen sei. Die Gerichte hätten dabei aber die Tatsache nicht beachtet, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels nur mehr weitaus weniger frühere Insassen des Konzentrationslagers Mauthausen am Leben gewesen wären als im Mai 1945.
[15] Zudem seien die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt des vom Beschwerdeführer inkriminierten Artikels, wonach dieser (nur) von der Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens berichtet habe und durch die damit in Verbindung stehende Wiederholung der Primärberichterstattung keine eigenständige Diffamierung (ua) des Beschwerdeführers erfolgt sei, nicht ausreichend begründet worden. Das Berufungsgericht habe die diesbezüglich mangelhafte Begründung des Erstgerichts zwar erwähnt, sei jedoch im Ergebnis der Auffassung desselben gefolgt.
[16] Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gelangte zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass sich die innerstaatlichen Gerichte weder umfassend mit der Frage der Antragsberechtigung noch mit jener des eigenständigen Bedeutungsinhalts der Aussagen in dem inkriminierten Artikel auseinandergesetzt hätten. Dies stelle eine verfahrensrechtliche Verletzung von Art 8 MRK dar (Rz 82 ff).
Rechtliche Beurteilung
[17] Die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 9. September 2016, GZ 5 Hv 28/16h‑15, und des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. Juli 2017, AZ 10 Bs 357/16z, stehen – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang.
[18] 1./ In Ansehung der medienrechtlichen Entscheidungsansprüche nach den §§ 6 bis 7c MedienG sind immer nur einzelne Menschen aktiv legitimiert, dh nur natürliche Personen und keine Kollektive oder juristischen Personen (vgl Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, MedienG4 Vor §§ 6–8a Rz 29). Angehörige von kleineren, überschaubaren Gruppen können aber als Individuen betroffen und dann auch aktiv legitimiert sein (vgl Rami in WK² StGB Vor §§ 111–117 Rz 10 f mwN; 6 Ob 219/16y zur Klagslegitimation ehemaliger KZ‑Insassen mit Beziehung auf den vorstehend referierten Artikel in der Ausgabe der „A*“ vom Juli/August 2015).
[19] Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht die Antragslegitimation der Antragsteller mit Blick darauf verneint, dass die Gruppe der im Mai 1945 aus dem Konzentrationslager Mauthausen befreiten Personen rund 20.000 Menschen umfasst habe, also zu groß sei, um in Ansehung gegen sie gerichteter ehrenrühriger Angriffe eine Betroffenheit jedes Einzelnen zu bejahen.
[20] Das Erstgericht hat es jedoch unterlassen, Feststellungen zur Größe der Gruppe zum Zeitpunkt der inkriminierten Publikation zu treffen, ist doch davon auszugehen, dass sich die Zahl jener im Mai 1945 ein Kollektiv bildenden Personen bis zum Jahr 2016 beträchtlich vermindert hat. Steht nämlich die Betroffenheit des Mitglieds eines Kollektivs als Voraussetzung für seine Antragslegitimation nach § 6 Abs 1 MedienG in Frage, so begründet die Größe jener Gruppe zum Zeitpunkt der inkriminierten Publikation eine entscheidende, im Urteil jedenfalls – bei Notorietät auch ohne gesonderte Beweisaufnahme – festzustellende Tatsache (vgl RIS‑Justiz RS0098570 [T20]). Da diese Feststellung im erstgerichtlichen Urteil – vom Berufungsgericht unbeanstandet geblieben – nicht getroffen wurde, haftet diesem ein Rechtsfehler mangels Feststellungen an, womit es § 6 Abs 1 MedienG verletzt.
[21] 2./ Der Sinngehalt einer (hier nach § 6 Abs 1 MedienG) inkriminierten Textpassage ist – als Tatfrage – stets aus der Sicht jenes Rezipienten, an den sich die Publikation nach ihrer Aufmachung und Schreibweise sowie den behandelten Themen richtet, nach deren Wortsinn aus dem Gesamtzusammenhang der damit inhaltlich im Konnex stehenden Ausführungen zu ermitteln, sodass auf den situativen Kontext abzustellen ist, in den der fragliche Aussagegehalt einzuordnen ist (RIS‑Justiz RS0092588; 15 Os 15/08g).
[22] Eine nicht an diesen (auf grundlegenden Erfahrungswerten beruhenden) essentiellen Beurteilungskriterien ausgerichtete Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Publikation berührt nicht bloß das tatrichterliche Beweiswürdigungsermessen (§ 258 Abs 2 StPO), sondern vernachlässigt die diesem recte zugrunde zu legenden Erkenntnisquellen. Solcherart zustande gekommene Feststellungen sind daher offenbar unzureichend begründet (vgl § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO; RIS‑Justiz RS0092588 [T27]) und somit mit formalen Begründungsmängeln behaftet, die mit Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden können (RIS‑Justiz RS0123668; Schroll/Oshidari, WK‑StPO § 23 Rz 6/2).
[23] Das Landesgericht für Strafsachen Graz hat unter Vernachlässigung dieser für Feststellungen zum Bedeutungsinhalt einer Publikation grundlegenden Beurteilungsmaßstäbe zum einen mit keinem Wort dargelegt, von welchem konkret angesprochenen Rezipientenkreis es bei seiner Konstatierung einer – bezogen auf die dort behandelten verdachtsgegenständlichen schwerwiegenden diffamierenden Vorwürfe – bloß neutralen Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren ausgegangen ist.
[24] Zum anderen hat es mit der isolierten – statt der gebotenen gesamt‑kontextuellen – Betrachtung dieses Berichtsgegenstands die thematische Konnexierung des inkriminierten Folgeartikels mit dem vorangegangenen in der Ausgabe vom Juli/August 2015 der, notorischerweise prononciert politisch exponierten periodischen Druckschrift in den Blick genommen. Solcherart blieb unerörtert, ob nicht (aus der maßgeblichen Sicht des indes nicht genannten aktuellen Leserkreises) aufgrund der wiederholt insistierenden Betonung der von der Staatsanwaltschaft Graz attestierten Straffreiheit der dort geprüften verdachtsgegenständlichen Vorwürfe von einer Identifikation des (ein und desselben) Autors mit seinen Eigenzitaten auszugehen ist.
[25] Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz ist daher mit formalen Begründungsmängeln behaftet und verletzt somit § 270 Abs 2 Z 5 StPO.
[26] Aus den vorstehend aufgezeigten Erwägungen ist auch das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht offenbar unzureichend begründet, wodurch die auch für Urteile dieser Gerichte geltende Pflicht zur Begründung gerichtlicher Entscheidungen (§ 270 Abs 2 Z 5 iVm §§ 474, 489 Abs 1 StPO; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 28) verletzt wurde:
[27] Das Oberlandesgericht hat zwar die rechtlichen Erfordernisse der Darlegung des konkret angesprochenen Rezipientenkreises sowie der nicht isolierten, sondern am Gesamtzusammenhang der Publikation orientierten Beurteilung des Bedeutungsinhalts einer Textpassage zutreffend erkannt (US 3), diesen aber in der Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung des Erstgerichts (US 3 ff) nicht Rechnung getragen.
[28] So entbehren die Ausführungen, die Zitierung der vormals verdachtsgegenständlichen Vorwürfe sei zur Förderung des Verständnisses der berichteten Einstellungsgründe der Staatsanwaltschaft Graz erforderlich (US 3 f), mangels Darlegung, aus Sicht welchen mit dem inkriminierten Artikel konkret angesprochenen Leserkreises (und weshalb) sich dieser Bedeutungsinhalt ergeben soll, des eingangs aufgezeigten essentiellen Bezugspunkts. Auch ist mit der isolierten Betrachtung einer bloßen Verfahrensberichterstattung die thematische Konnexierung mit dem vorangegangenen, im selben Publikationsorgan erschienenen Artikel unerörtert geblieben. Die Frage einer Identifikation zufolge insistierender Betonung der von der Anklagebehörde attestierten Straffreiheit wäre umso mehr zu prüfen gewesen als der vom Berufungsgericht hervorgekehrte Gesichtspunkt hämisch triumphierender Genugtuung gegenüber dem Anzeiger das Moment einer möglichen Identifikation mit den (solcherart qualifiziert exkulpierten) Eigenzitaten noch zu verstärken vermochte.
[29] Die abschließenden Ausführungen des Oberlandesgerichts, wonach der inkriminierte Artikel zwar Hinweise darauf enthalten mag, dass „die inkriminierten Textpassagen ohne Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zitiert werden können“, einen „eigenständigen, über die bereits erörterte Darstellung des Verfahrensgangs hinausgehenden Bedeutungsgehalt“ erhielten die betreffenden Zitate dadurch jedoch nicht (US 4 f), vermögen die dargestellten formalen Begründungsdefizite mangels substantieller Erörterung der aufgezeigten Beurteilungskriterien und Gesichtspunkte nicht zu beseitigen.
[30] Das somit ebenfalls mit formalen Begründungsmängeln behaftete Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht verletzt daher § 270 Abs 2 Z 5 iVm den §§ 474, 489 Abs 1 StPO.
[31] Da diese Gesetzesverletzungen der Medieninhaberin, der gemäß § 41 Abs 6 MedienG die Rechte des Angeklagten zukommen, nicht zum Nachteil gereichen, hat es mit ihrer Feststellung sein Bewenden (§ 292 letzter Satz StPO).
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