OGH 15Os128/18i

OGH15Os128/18i21.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. November 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Deni G***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Deni G***** und die Berufung des Angeklagten Rohulla R***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 25. Juni 2018, GZ 606 Hv 1/18x‑180, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00128.18I.1121.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten G***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des Mitangeklagten Rohulla R***** wegen §§ 15, 87 Abs 1 StGB (II./) enthaltenden Urteil wurde Deni G***** der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB (I./1./) und nach §§ 15, 75 StGB (I./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in den Morgenstunden des 1. Oktober 2017 in Wien

I./1./ Nebojsa K***** getötet, indem er mit einem von ihm mitgeführten Springmesser mit einer Klingenlänge von ca 10 cm dem Genannten acht Stichverletzungen und eine Schnittverletzung im Bereich Hals, Brust, linker Oberarm, rechter Unterarm sowie im Bereich des Rückens zufügte, wobei insbesondere jene Stichverletzungen der rechten Lunge, der rechten Unterschlüsselbeinblutader sowie der linken Brusthöhle massiven Blutverlust in beiden Brusthöhlen mit einer akuten Sauerstoffunterversorgung der Herzinnenschicht verursachten, wodurch das Opfer im weiteren Verlauf an den Folgen seiner schweren Verletzungen verstarb;

I./2./ Igor J***** alias Georgi A***** zu töten versucht, indem er dem Genannten drei Messerstiche im Bereich des Brustkorbs und zwei Messerstiche im Bereich der rechten Achselhöhle versetzte, wobei die Stichverletzungen im Brustkorb die Eröffnung der rechten Brusthöhle mit Einblutung und Luftfüllung sowie die Beschädigung der rechten Lunge verursachten und das Opfer dadurch an sich schwere lebensbedrohliche Körperverletzungen erlitt.

Die Geschworenen bejahten die anklagekonform nach Mord (I./1./) und versuchtem Mord (I./2./) gestellten Hauptfragen 1./ und 2./ und verneinten die dazu jeweils (alternativ zusammengefasst; vgl RIS‑Justiz RS0102740) in Richtung Notwehr, Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt, Putativnotwehr und Putativnotwehrexzess aus asthenischem Affekt gestellten Zusatzfragen 1./ und 2./. Demgemäß entfiel die Beantwortung von Eventualfragen in Richtung absichtlicher schwerer Körperverletzung nach § 87 Abs 2 letzter Fall StGB, Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB und grob fahrlässiger Tötung nach § 81 Abs 1 StGB (Eventualfragen 1./, 2./ und 3./ im Zusammenhang mit Hauptfrage 1./) sowie nach absichtlicher schwerer Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB, schwerer Körperverletzung nach § 84 Abs 4 und Abs 5 Z 1 StGB und fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 3 und 4 zweiter Fall StGB (Eventualfragen 4./, 5./ und 6./ im Zusammenhang mit Hauptfrage 2./).

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 345 Abs 1 Z 6, 8 und 10a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten G***** verfehlt ihr Ziel.

Der Beschwerdeführer vermisst die Stellung von Eventualfragen in Richtung Totschlag (zu I./1./ nach § 76 StGB und zu I./2./ nach §§ 15, 76 StGB).

Die gesetzmäßige Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) erfordert die deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragestellung und eines sie indizierenden Tatsachensubstrats samt Angabe der Fundstellen in den Akten (RIS‑Justiz RS0117447; Ratz , WK‑StPO § 345 Rz 23).

Dem wird die Beschwerde mit dem Hinweis auf Passagen aus der Verantwortung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung sowie aus Angaben des Zeugen J***** und des gerichtsmedizinischen Sachverständigen ebensowenig gerecht wie mit jenem auf „das Überwachungsvideo“ und einen dazu angelegten Aktenvermerk.

Denn weder die behauptete (Todes‑)Angst im Zuge der tätlichen Auseinandersetzung mit den (unbewaffneten) Streitgegnern, im Zuge welcher der Beschwerdeführer geschlagen worden und gegen die Wand gestoßen worden sei, noch die ins Treffen geführten ungleichen Körpermaße der Beteiligten (ON 179 S 14, 16 ff, 67 f, 80) stellen Verfahrensergebnisse dar, welche die begehrte Fragestellung (hinsichtlich des Vorliegens eines heftigen und allgemein begreiflichen tiefgreifenden Affekts zur Tatzeit, der sogar stärkste sittliche Hemmungen, wie sie gegen die vorsätzliche Tötung eines Menschen bestehen, hinwegzufegen geeignet ist [vgl dazu RIS‑Justiz RS0092271, RS0092259, RS0092338]), nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizieren würden.

Im Übrigen käme im Fall eines der Sache nach behaupteten Handelns in Abwehr eines (vermeintlichen oder tatsächlichen) Angriffs im asthenischen Affekt eine Tatbeurteilung nach § 76 StGB nicht in Frage, weil § 3 Abs 2 StGB insofern die speziellere und weiterreichende Norm darstellt (vgl Moos in WK 2 StGB § 76 Rz 11; Mayerhofer StGB 6 § 76 E 1b). Den relevierten Umständen wurde in der Fragestellung somit ohnehin Rechnung getragen.

Die Instruktionsrüge (Z 8) moniert, die den Geschworenen zuteil gewordene Rechtsbelehrung zur Strafbarkeit von Putativnotwehr und (Putativ‑)Notwehrüberschreitung (Punkte B./4./b./ und c./ Beilage C./ zu ON 179) sei undeutlich und in sich widersprüchlich, weil aus ihr nicht klar hervorgehe, ob im Fall der Putativnotwehrüberschreitung bloß asthenische oder auch sthenische Affekte den Vorsatz auszuschließen vermögen (vgl RIS‑Justiz RS0089390, RS0088869).

Sie vernachlässigt jedoch (vgl RIS‑Justiz RS0119549), dass die als unklar kritisierte Passage in Zusammenschau mit den vorangegangenen Passagen zur irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts („Putativnotwehr“) und zur Notwehrüberschreitung klar erkennbar auf den Fall der irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (§ 8 StGB) Bezug nimmt, bei welchem der Angreifer, aus welchem Grund auch immer, über die Intensität des (tatsächlichen oder vermeintlichen) Angriffs geirrt hat (vgl Höpfel in WK2 StGB § 8 Rz 6). Denn § 8 StGB unterscheidet hinsichtlich der irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts nicht nach den Gründen des Tatsachenirrtums und schließt die Vorsatzstrafbarkeit in einem solchen Fall auch bei einem auf sthenischen Affekt beruhenden Irrtum aus (Lewisch in WK2 StGB § 3 Rz 175).

Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben (RIS‑Justiz RS0118780 [T13, T16, T17]).

Soweit die Tatsachenrüge (Z 10a) ihre Einwände aus der Niederschrift der Geschworenen entwickelt, verlässt sie diesen Anfechtungsrahmen (RIS‑Justiz RS0115549).

Mit dem Verweis auf Angaben des Angeklagten R***** und des Zeugen J*****, wonach Letztgenannter als erster mit einem Faustschlag gegen M***** tätlich geworden sei (ON 179 S 39 f, 64), auf eine diesbezügliche Passage aus einem Amtsvermerk (ON 42 S 65), auf Bildsequenzen aus dem Überwachungsvideo (ON 43 S 61–65, 67) und auf die Verantwortung des Beschwerdeführers, er sei von J***** in Richtung Wand gestoßen und sowohl von K***** als auch J***** geschlagen worden (ON 179 S 16 ff), gelingt es der Beschwerde nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Wahrspruch zu Grunde liegenden Feststellungen zu erwecken. Gleiches gilt für die Bezugnahme auf die bereits angesprochenen Körpermaße der Beteiligten, auf die sachverständige Expertise, wonach J***** (I./2./) einen Alkoholisierungsgrad von einem Promille hatte (ON 76 S 3) und bei K***** (I./1./) Cannabiskonsum nachzuweisen war (ON 113 AS 7) und auf die Anzahl der Stiche (jeweils in den Oberkörper).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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